Cold War – Der Breitengrad der Liebe

KEIN KRAUT GEGEN LIEBE

6/10

 

coldwar© 2018 Polyfilm

 

LAND: POLEN 2018

REGIE: PAWEL PAWLIKOWSKI

CAST: JOANNA KULIG, TOMASZ KOT, BORYS SZYC, AGATA KULESZA U. A.

 

Unterwegs im Nachkriegs-Polen, natürlich in Schwarzweiß. Erinnerungen an Schindlers Liste werden wach, aber das legt sich bald. Viel mehr ist nun Andrej Tarkowskij am Zug. Die Bilder aus der Provinz sind karg und authentisch, irgendwie auch entrückt. In dieser folkloristischen Wildnis bemüht sich Komponist Wiktor, altes Liedgut zu entlocken, direkt vorort, sowohl von den Alten als auch von den Jungen. Entdeckt verborgene Talente und Melodien, die berühren. Mitunter berühren sie auch deswegen, weil die Liebe ewiges Thema dieser Volksstücke sind. Kummer, Sehnsucht, ewiges Versprechen. Da findet die traute Zweisamkeit zwischen Mann und Frau ihr Elysium, ihre poetische Reife. Da wird Liebe zur Legende. Zu etwas, das sich wiederholt rezitieren lässt, in harmonischen Klängen. Wiktor weiß das zu schätzen, will er doch ein Ensemble auf die Beine stellen, das all die vom Krieg verschüttete Kultur wieder auf einen Nenner bringen soll, gebündelt und überarbeitet, neu und auch jenseits der Grenzen präsentierbar. Kultur darf natürlich nicht verloren gehen, muss konserviert werden. So wie die Liebe. Und die ist manchmal da, wenn man sie gar nicht braucht. Wie im Fall der jungen, selbstbewussten Zula (Joanna Kulig, auch zu sehen in der amazon-Serie Hanna), die einfach jeden Ton trifft, quasi ein verborgenes Talent zu sein scheint und den ehrgeizigen, etwas stoisch dreinblickenden Komponisten fasziniert. Aber ist das nicht eher ein Fluch, der da übertragen wird? Ähnlich einer ansteckenden Krankheit, der Krankheit Liebe?

Liebe, so wie wir sie uns jetzt vorstellen mögen, mit all ihrem rosenstreuenden Brimborium, schmachtenden Blicken und gehauchten Geständnissen, fast ein bisschen so wie Bogart und Bergmann in Casablanca, diese Liebe werden wir in Cold War – Der Breitengrad der Liebe, leider verzweifelt vermissen. Obwohl Pawel Pawlikowski sich zumindest bei Thomasz Kot an das charakterliche Grundmuster des Trenchcoatträgers Bogart angelehnt hat. Joanna Kulig hingegen ist längst nicht Ingrid Bergmann. Dafür ist sie viel zu resolut. Viel zu eigennützig. Und ebenfalls einem Fluch verfallen, der sich nur zu gerne abschütteln lassen würde. Allein – es klappt nicht. Denn was die beiden verbindet – den Komponisten und die Sängerin – ist höchstens ein gewisses gemeinsames Leiden unter einer Verbundenheit, die sich wie ein amorphes Stigma über die beiden Auserwählten gelegt hat. Das klingt jetzt etwas hart, vielleicht habe ich da auch zu radikale Wörter bemüht. Was ich damit aber sagen will: Cold War ist zwar ein Liebesfilm, aber einer, der soweit von Romantik und Gefühlsidealen entfernt ist wie Roman Polanskis bizarrer Beziehungsreigen Bitter Moon.

Pawlikowskis Film ist eine mögliche Antithese zu diesem viel zitierten, in Kunst und Kultur flächendeckend angewandten Mysterium zwischenmenschlicher Zweisamkeit. Sobald sich die erste Gelegenheit ergibt, stehlen sich Zula und Wiktor davon, um ihrer vorrangig sexuellen Wut Luft zu machen. Sex wird zu einem quälenden Symptom, schafft kaum Befriedigung, ist wie das Niesen bei einem Schnupfen. Ist der Einstand mal getan, können Mann und Frau nicht mehr voneinander lassen, obwohl, und das lässt sich in jeder Szenen des Filmes spüren, beide dies so gern tun würden. Weder Zula noch Wiktor vermitteln dem Zuseher das innige Lodern einer Leidenschaft. Beide bleiben sachlich, direkt kühl und abschätzend. Nach längerer Trennung dann wieder die Vereinigung – im Zuge dieser Stationen der Beharrlichkeit eines inneren, unzerreissbaren Bandes verändert sich auch die Liedkultur des Minnesangs. Vom ländlichen Stimmzauber bis zum anrüchigen Chanson reicht die Palette, und immer bizarrer wird das Verhältnis zueinander. Immer ignoranter, beschämender, eigentlich ausdrucksloser. Thomasz Kot trägt sowieso nur die Maske eines vorgestrigen Männerbildes. Joanna Kulig ist wie eine Joanne Moreau in ihren besten Jahren, die, und das könnte man vermuten, die bessere Hälfte rational betrachtet am liebsten loswerden will.

Die Liebe, die hat in Cold War nichts verloren, von Anfang an nicht. Sie bleibt konserviert im Liedgut europäischer Romanzen aus Stadt und Land. Pawlikowskis Film ist wie ein Versuch, einer seltsamen Bestimmung auszuweichen, ungefähr so wie Amors Pfeil, der seine Opfer sucht. Trifft er, so hat man ihn, und der einzige Weg hier wieder raus bleibt vielleicht nur Shakespeare überlassen.

Cold War – Der Breitengrad der Liebe

Das Talent des Genesis Potini

DIE ZUKUNFT IST SCHWARZWEISS

7/10

 

genesispotini

REGIE: JAMES NAPIER
MIT CLIFF CURTIS, JAMES ROLLESTON, WAYNE HAPI

 

Schon mal was vom Kino Polynesiens gehört? Jetzt werden sich sicher einige an Pixar´s Südseeabenteuer Vaiana erinnern. War zwar kein polynesischer Film, zeigte aber ganz klare Referenzen zur Mythologie des Inseldreiecks, welches sich von Neuseeland im Südwesten bis zu Hawaii im Norden und den Osterinseln im Osten spannt. Ja, Neuseeland gehört geografisch zu Polynesien. Die Fantasyepen nach Tolkien wurden schließlich, wie wir alle wissen, unter der Regie eines waschechten Neuseeländers, nämlich Peter Jackson, als amerikanisch-neuseeländische Koproduktion vor der atemberaubenden Kulisse heimischer Landschaften in Szene gesetzt. Doch Neuseeland hat noch eine ganz andere kinematographische Stärke, die sich vom Kulissendasein deutlich abhebt und auch distanziert. Das Land der Maori bietet schon seit jeher Independentkino vom Allerfeinsten. Wer Lee Tamahori´s Ureinwohnerdrama Die letzte Kriegerin oder Niki Caro´s Walmythos Whale Rider bislang noch nicht gesehen hat, sollte dies schleunigst nachholen. Und vielleicht auch gleich Das Talent des Genesis Potini auf die Watchlist setzen. Denn das Psycho- und Sozialdrama, im Original unter dem Titel The Dark Horse hierzulande nur im Retail-Sektor erschienen, erzählt die wahre Geschichte eines psychisch labilen Schach-Genies, der sozial benachteiligten Kindern mit dem Königsspiel aus ihrer alltäglichen Lethargie verhilft.

Natürlich – in unseren Breiten kennt keiner Genesis Potini, vielleicht nur eingefleischte Schach-Nerds. Wenn’s hochkommt, bleibt uns nur der Name Bobby Fischer oder vielleicht Kasparow in Erinnerung. Doch das Spiel hat auch auf der anderen Seite der Welt zu lebensverändernden Maßnahmen geführt. Und die Geschichte ist es allemal wert gewesen, verfilmt worden zu sein. Vor allem, weil es nicht nur das Portrait eines Grenzgängers ist, sondern auch, und das hat der Film mit einigen Werken aus dem Land des Kiwis gemein, das Sozialportrait eines Landes, indem die kulturelle Identität der Maoris zusehends schwindet und ein Teil der indigenen Bevölkerung aufgrund gesellschaftlicher Benachteiligung den Weg der Verdammnis wählt. In diesem Gefüge der sich abstoßenden und anziehenden Kräfte ist es nur eine Frage des emotionalen Gleichgewichts, die Gratwanderung zwischen Bandenkriminalität und rosiger Zukunftschancen zu meistern. Wenn Genesis Potini sich selbst dazu ermahnt, positiv zu denken, so ist das eine elegante Metapher auf den Istzustand des kulturellen Erbes Polynesiens, das nicht nur durch Schnitzkunst und Tattoos Gehör verschafft. Wer genau hinhört, wird die Legende von Māui mit seinem verzauberten Angelhaken zu hören bekommen. Vaiana lässt grüßen.

Cliff Curtis, dessen Gesicht man irgendwo schon das eine oder andere Mal gesehen hat, haucht seiner authentischen Figur behutsam ohnmächtig-mächtiges Leben ein. James Napier´s entschleunigtes Spielfilmdebüt nimmt sich anfangs viel Zeit, um die Story ins Rollen zu bringen. Die familiären Konflikte, die sich gegen Endes ihre Bahn brechen, lassen den Zuseher mit Sicherheit nicht unbeteiligt zurück. Das Leben des Genesis Potini ist sehenswertes Coming of Age und Sozialkino aus Neuseeland – spirituell, speziell und irgendwie anders.

Das Talent des Genesis Potini