The Ugly Stepsister (2025)

RUCKE DI GU, BLUT IST IM SCHUH

7,5/10


© 2025 capelight pictures / Marcel Zyskind


ORIGINALTITEL: DEN STYGGE STESØSTEREN

LAND / JAHR: NORWEGEN 2025

REGIE / DREHBUCH: EMILIE BLICHFELDT

CAST: LEA MYREN, THEA SOFIE LOCH NÆSS, ANE DAHL TORP, FLO FAGERLI, ISAC CALMROTH, MALTE GÅRDINGER, RALPH CARLSSON, ADAM LUNDGREN, KATARZYNA HERMAN, CEILIA FORSS U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Sorry, falsches Märchen. Obschon allerdings sowohl bei Schneewittchen als auch bei Cinderella (oder Aschenputtel oder Aschenbrödel) ein über die Jahrhunderte kolportierter Glaubenssatz im Vordergrund steht: Eine Frau muss schön sein, im besten Falle die Schönste im ganzen Land, schöner noch als die böse Königin, am besten tausendmal schöner. Der Prinz muss nicht wirklich über das Wesen seiner Zukünftigen Bescheid wissen, es interessiert ihn gar nicht, es reicht hier der Male Gaze, um das weibliche Geschlecht in die sexistische Schublade zu werfen, in welcher sich auch Schneeweißchen und Rosenrot und all die anderen atemberaubenden Schönheiten wiederfinden, nicht aber Cinderellas Stiefschwestern, denn die sind laut den Gebrüdern Grimm hässlich, und diese Hässlichkeit spiegelt sich auch in ihrem Verhalten wieder. Wer nicht schön sein kann, der leidet, weil die Gesellschaft nun mal eine ist, die sich an Äußerlichkeiten orientiert. Wer schön sein will, leidet auch, und weiß dabei gar nicht mehr so recht, ob der Prozess zur Vervollkommnung nicht auch Tücken mit sich bringt.

In der sehr freien Märcheninterpretation The Ugly Stepsister, einer opulent ausgestatteten und explizit bebilderten Groteske, übt die Norwegerin Emilie Blichfeldt unverhohlene Kritik an die viel zu selten hinterfragten gesellschaftlichen Standards, die eine Frau notgedrungen erfüllen muss. Frausein wird hier zum unrühmlichen, schmerzlichen Wettbewerb, zum schrillen Manifest gegen Gefallsucht und Körperdiktat. Statt Schneewittchen sonnt sich die fesche Cinderella im Licht ihrer Schönheit, während sie heimlich den Stallburschen liebt. Wenn der Prinz allerdings zum Stelldichein winkt, zum Ball der Bälle, an welchem er bekanntlich zur späten Stunde den für andere viel zu kleinen Schuh aufsammeln wird, zählt nur das Prestige und der Zwang, als Frau gut einzuheiraten. Betrachtet man die Grimm’schen Märchen an dieser Stelle noch einmal, sind sie auch nicht besser als Hatschi Pratschi Luftballon. Die transportierten Rollenbilder, die jede Selbstbestimmung ausräumen, lassen sich kaum mehr kommentarlos vorlesen. Aus diesem Grund ändert Blichfeldt ihre Perspektive und schubst nicht das erniedrigte, aber schöne Stiefkind ins Rampenlicht, sondern ihre Stiefschwester.

In diesem Film hier nennt sie sich Elvira, hat eine krumme Nase, schiefe Zähne, Glupschaugen und eine unvorteilhafte Frisur. Sie ist pummelig, unbeholfen, doch bei Weitem kein schlechter Mensch. Sie liebt die Gedichte des Prinzen, insofern schmachtet auch sie und schafft es gar, sich auf die Einladungsliste des gar nicht so edelmütigen Königssohns zu setzen. Bis zum höfischen Event ist es ein weiter Weg, und den wird Elvira gehen müssen, will sie als Frau etwas zählen. Dass dieser Pfad ein dorniger werden wird und letztlich dazu führt, dass, um was auch immer in der Welt und egal um welchen Preis, der eine Schuh auch passen muss, zeigt Blichfeldt mit entfesselter Liebe zum ekligen Detail.

Dabei ist die Ausstattung so prächtig wie bei Yorgos Lanthimos (bestes Beispiel: The Favourite), die Antithese zum Schönheitswahn wie schon bei Coralie Fargeats futuristischer Body-Horror-Ekstase The Substance ein blubberndes Becken malträtierter Körperteile, die dank Blichfeldts Lust an der physischen Zerstörung die Kinoleinwand füllen. Ob unreine Haut, gehackter Nasenrücken oder eingenähte Wimpern: Lea Myren als die hässliche Stiefschwester gibt sich die volle Dröhnung des Gipfelsturms zur Vollkommenheit, und wo bei manchem Bezwinger eiskalter Achttausender die Zehen das Zeitliche segnen, fällt hier wie das Beil einer Guillotine im furios-blutigen Höhepunkt die grimm’sche Lektion zu Neid und Niedertracht. Doch den märchenbedingten Moralfinger zu defizitären Wesenheiten lässt The Ugly Stepsister außen vor. Was bleibt, ist die ungeschönte Wahrheit hinter all diesem Kitsch: Das psychosoziale Portrait einer Gemarterten und Verlachten. Die Kränkung sitzt tief wie manche Wunde. Das Rollenbild allerdings auch.

The Ugly Stepsister (2025)

The Substance (2024)

WAHRE SCHÖNHEIT KOMMT VON INNEN

7/10


THE SUBSTANCE© 2024 Universal Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA, FRANKREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: CORALIE FARGEAT

CAST: DEMI MOORE, MARGARET QUALLEY, DENNIS QUAID, HUGO DIEGO GARCIA, GORE ABRAMS, MATTHEW GÉCZY, DANIEL KNIGHT, PHILIP SCHURER U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Nur nicht alt werden! Dabei ist laut Johann Nestroy Altern die einzige Möglichkeit, länger zu leben. Und die Sache mit dem Jungbrunnen, von welchem die Kosmetikbranche verspricht, dass man darin baden könne, erschließt sich auch nicht ganz. Somit bleibt die Sehnsucht nach ewiger Jugend, einem knackigen Körper und dem daraus resultierenden Wohlwollen einer Gesellschaft, die sich aus Bequemlichkeit ihrem Konservativismus hingibt und somit auch Werte weiterträgt, die längst schon obsolet sein sollten. Wie die des schlanken, makellosen Frauenbildes, auch wenn manche Konzerne in ihrem Marketingplan ein Herumrudern in eine liberalere Richtung versuchen. Allein: es wirkt nur bedingt. Zumindest das Showbiz ist hier gnaden- wie rücksichtslos. Und füttert die Dysmorphophobie, wo es nur geht.

The Substance ist ein Schreckgespenst für alle jene, die ihr Äußeres nicht für gut genug befinden. Das muss nicht zwingend mit dem Alter zusammenhängen, doch Coralie Fargeat (Revenge) sieht das größte Problem darin, den eigenen, der Entropie unterworfenen Körper nicht mehr lieben zu wollen. In ihrer Angst bestätigt würden sich Betroffene mit The Substance wohl nicht sehen, dafür macht sich das Werk allzu plakativ über Körperlichkeiten lustig und den unbeholfenen Drang, gefallen zu müssen. Der Mediengesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, und zwar in der freakigen Gestalt einer grenzenlos überzogenen Groteske, das könnte gelingen. Und tut es auch. Ein ganz klassisches Cannes-Highlight ist Fargeats Film schließlich geworden, erinnernd an Titane, nur gleich in mehreren anderen Genres wütend, während Titane viel schwieriger einzuordnen ist als dieses durchgetaktete und stampfenden Gym-Rhythmen unterworfene Gerangel zwischen altem und jungem Ich in ein und derselben Person, dargestellt durch die lange auf der Leinwand abstinente Demi Moore und Beauty Margaret Qualley. Ein leidenschaftlicheres Duo hätte Fargeat nicht finden können. Leidenschaftlich und auch bereit, sich in gewisser Weise aufzuopfern für eine Agenda, die schon Robert Zemeckis in den 90er verfolgt hat: dem Schönheitswahn eins auszuwischen.Der Tod steht ihr gut nannte sich die kecke Komödie mit Meryl Streep und Goldie Hawn, die ebenfalls dank einer Substanz die Möglichkeit der ewigen Jugend am Schopf packen. Bruce Willis als schwächelnder Männlichkeit blieb da nur, hilflos zuzusehen, wie gewiefte Spezialeffekte die Leiber der beiden Star-Ikonen ramponierten.

Nun beweist Demi Moore, wie sehr sie die Kunstfertigkeit von State of the Art-Maskenbildner über sich ergehen lassen kann – während Qualley mit strahlendem Sex-Appeal im Aerobic-Einteiler die Popbacken zucken lässt und das männliche Publikum dazu bewegt, ihren Male Gaze auszupacken. Anders als die beschwingte Screwball-Kritik von damals malt The Substance den Teufel an die Wand und bannt das Hässliche in ihre grell bebilderte, höchst freie Interpretation eines ganz anderen Stoffes: Oscar Wildes Dorian Gray durchläuft eine ähnliche Läuterung wie Elisabeth Sparkle aka Sue, die mit sich selbst, ihrem Äußeren und ihrem Erfolg niemals zufrieden sein kann. Man sieht: Neu sind Fargeats Überlegungen alle nicht, aber ernüchternderweise immer noch zeitgemäß und fürchterlich akut. So gibt sich Demi Moore eben dank der Empfehlung eines Unbekannten die volle Dröhnung okkulter Mittelchen, und noch ehe der Ex-Medienstar den Verdacht äußern kann, man hätte es hier mit Homöopathie zu tun, schält sich ein jüngeres Ich aus der in Stasis befindlichen Älteren, um für sieben Tage auf den Spuren längst vergangener Erfolge zu wandeln. Danach wechselt Alt gegen Jung und so weiter und so fort. Die Rechnung würde aufgehen, würde Sue (eben Qualley) nicht mit dem Gedanken spielen, ihr älteres Ich hinzuhalten – immer mehr und immer länger. Die Folgen sind absehbar, die Moral von der Geschichte tadelt die Gier nach Jugend in drastischen Bildern und wunden Details.

Irgendwann, nachdem The Substance längst ihren Höhepunkt erreicht und Demi Moores Körper alle möglichen Stadien des Verfalls durchgemacht hat, erreicht der Film einen Moment, wo er hätte enden können, denn schließlich ist alles erzählt, jede Metaebene angekommen. Die Sache liegt klar auf der Hand, der Twist ein erwartbar expliziter. Doch Fargeat gibt sich damit nicht zufrieden. Genauso wenig, wie ihre Figuren nicht wissen, wann sie aufhören sollen, weiß es die Regisseurin. Ganz im Sinne des Exploitation-Genres treibt sie das Jungbrunnen- und Schönheitsdilemma wie eine gesengte Sau durchs Dorf, nach dem Bodyhorror ist vor dem Bodyhorror, Carpenters The Thing lässt grüßen. Die Extreme nehmen zu, haben aber nur noch wenig Mehrwert. Der Rest der Groteske macht den Catwalk frei für eine zum Selbstzweck verkommenen Freakshow, um noch eins und dann noch eins draufzusetzen. Im Kino, im Film, da ist alles möglich, da muss man keinen Schlussstrich ziehen, vielleicht ist die vollständige Überdrehung ins Surreale letztlich das Mokieren über gesellschaftliche Parameter, die niemand ändern will.

Für schwache Mägen ist The Substance nicht geeignet. Wer mit Deformierungen nicht klarkommt und David Cronenbergs Fliege als bereits auf die Spitze getrieben betrachtet, wird hier eines Besseren belehrt. Merkwürdig ist die andauernde Reminiszenz an Stanley Kubrick, fraglich auch die wenig ausgearbeitete Rolle von Dennis Quaid, der als platter Männerwitz die Pointe nicht findet. Wer nicht nur den Exzess sucht, sondern durch unorthodoxen Kino-Expressionismus so sehr erfrischt werden will, dass er die althergebrachte Conclusio im besten Sinne herrlich verstört mitträgt, wird diese Filmerfahrung zu schätzen wissen. Als Auftakt für das Slash-Filmfestival ein idealer Blockbuster.

The Substance (2024)