Strange World (2022)

SELTSAM VERTRAUT UND DOCH VÖLLIG FREMD

5/10


STRANGE WORLD© 2022 Disney. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: DON HALL

BUCH: QUI NGUYEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAKE GYLLENHAAL, DENNIS QUAID, JABOUKIE YOUNG-WHITE, GABRIELLE UNION, LUCY LIU, KARAN SONI, ALAN TUDYK U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Der gigantische Dachkonzern Disney mit all seinen eingegliederten Studios zu jedem seiner Themen sieht sich völlig nachvollziehbar in der Pflicht, der medienkonsumierenden Menschheit beizubringen, wie man achtsam durchs Leben geht. Wie man Minderheiten nicht mehr als minder ansieht, wie man sexuelle Diversität ganz einfach und ohne viel nachzudenken akzeptieren kann. Wie sich People of Color endlich auf Augenhöhe mit den amerikanischen Weißen begeben kann. Und wie man nicht zuletzt unsere Welt, oder eigentlich viel mehr uns selbst schützt, bevor es zu spät ist. Disney hat sich da viele Gedanken gemacht. Und nicht nur Disney. Auch Netflix und Amazon und alle Riesen, die sich in der moralischen Verantwortung befinden. Jeder Konzern hat da so seine Liste, auf welcher steht, wer aller und was alles in einem Mainstream-Film zu sein hat, welche Botschaften kommuniziert werden müssen und welche Moral vertreten. Sind diese Bedingungen erfüllt, kann es ja meinetwegen kreativ werden. Aber nicht vergessen: Die Message ist wichtig, die Agenda muss erfüllt sein, die Saat muss aufgehen.

Klar soll sie das. Alles andere ist Unsinn und lässt die Menschheit in seiner Entwicklung im Kreis laufen bzw. zurück, so lange Freiheiten, die niemanden sonst einschränken, nicht gelebt werden können. So lange Hautfarben soziale Unterschiede hervorrufen, es „Ungläubige“ gibt oder der Klimawandel geleugnet wird. Es liegt so viel im Argen. Und ja, man muss ein Bewusstsein schaffen, wenn man die Macht dazu hat. Die Frage ist nur: Wie? So wie Disney?

So viel Wokeness muss man auch erst mal in einen Film packen können. Der Mauskonzern schafft das mit links, und tatsächlich liegt es ihm fern, das Offensichtliche auch noch zusätzlich zu erwähnen. Hier ist die Diversität selbstverständlich, in dieser höchst eigenartigen Welt, umgeben von hohen Gebirgen, die überhaupt nicht so aussieht wie die unsere, in der Steampunk-Mechanik den Alltag prägt und die Menschheit in ihrer Akzeptanz schon sehr viel weiter scheint als unsere. Diese verbindende Vernunft hat dann auch Potenzial für Helden und Abenteurer, die unbedingt schon mal wissen wollten, was jenseits der Berge liegt. Also macht sich der gestandene Familienvater Jaeger Clade mit seinem Teenager-Filius eines Tages auf, um das Unbekannte zu erforschen, allerdings mehr für sich selbst als für die Allgemeinheit. Dem Sohnemann Searcher (was für seltsame Namen) wird das Unterfangen bald zu viel – er ist schon zufrieden damit, auf dem Weg durch die Wildnis auf eine außergewöhnliche Pflanze gestoßen zu sein, die Energie abgibt. Ach, was hätten wir die nicht gern angesichts der geschmalzenen Jahresabrechnungen zu Strom und Gas, die uns ins Haus flattern? Doch man muss neidlos zugestehen: Dieses Gewächs hat es in sich und wird die Autarkie des Landes retten, während der sture Übervater verschollen bleibt, hat der doch seinen Sohn damals einfach ziehen lassen. Eine ganze Generation später gibt’s mit diesen Energie-Trauben allerdings ein Problem – sie liefern nicht mehr so, wie sie sollen. Also startet eine Expedition ins Innere des Planeten, um den Ursprung allen Übels ausfindig zu machen – und stößt dabei auf eine höchst merkwürdige, surreale Welt aus grenzenloser Biomasse, die noch dazu seltsame Lebewesen beherbergt, die zu surreal erscheinen, um wahr zu sein. Eines dieser Geschöpfe ist aber allzu menschlich: es ist Jaeger Clade, der zwei Dekaden lang sein Dasein hier hat fristen müssen.

Natürlich ist die Optik wieder prachtvoll – die Figuren und ihre Mimik, all die Oberflächen und die geschmeidige Animation: einfach perfekt. Doch zu viel Perfektion bleibt seltsam seelenlos. Disney erlaubt sich mit Strange World, eine ideale Welt zu fordern, in der selbst das Imperfekte nur so weit auftritt, um moralisch noch integer zu bleiben. Konflikten geht Strange World aus dem Weg, die Vater-Sohn-Problematik reduziert sich auf die üblichen Stereotypien verlorener Väter, die gefunden werden wollen. Die Familie selbst ist das überfrachtete Produkt aus politischer Korrektheit, die so sehr das Ideal einer harmonischen Koexistenz einfordert, dass sie fast schon an Propaganda grenzt. Dabei wäre es gehaltvoll genug gewesen, einfach „nur“ die Umweltproblematik zu thematisieren, die uns sowieso gerade herumreißt. Dafür gibt’s auch einen netten Story-Twist am Ende, und der eigentliche Plot wird zur runden Sache. Doch der Hang zum Perfektionismus und die vehemente Agenda des Medienriesen gerät viel zu plakativ.

Strange World (2022)

Midway – Für die Freiheit

TOLLKÜHNE MÄNNER IN IHREN FLIEGENDEN KISTEN

5/10

 

midway© 2019 Constantin Film

 

LAND: USA, CHINA 2019

REGIE: ROLAND EMMERICH

CAST: ED SKREIN, LUKE EVANS, NICK JONAS, MANDY MOORE, WOODY HARRELSON, DENNIS QUAID, PATRICK WILSON U. A.

 

Was will man genretechnisch mehr, als vor Sichtung des neuen Emmerich den passendsten aller Trailer vorgesetzt zu bekommen: nämlich jenen von Top Gun: Maverick. Da klingeln die unverkennbaren Takte Harold Faltermeyers in den Ohren, und ein ewig junger Tom Cruise schmeißt sich ins Cockpit – wie in den guten alten Achtzigern. Dann, bevor das Coming Soon auf der Leinwand erscheint, bekommt Maverick noch folgende abgebrühte Weisheit mit auf den Weg: „Die Zeiten für Typen wie dich sind vorbei.! Daraufhin Maverick: „Ja… nur nicht heute.“ Mehr braucht es also nicht, um auch den darauffolgenden Hauptfilm zu charakterisieren. Hier zwängen sich Typen hinter die Konsole, deren Zeit zwar historisch betrachtet vorbei ist, die aber ob ihrer Heldenstatus genauso nüchtern über die Schulter selbiges raunen könnten wie Good Old Tom: Die Rede ist von den Flieger-Assen während der Schlacht um Midway.

Ich hatte mal nebst meiner Junggesellenwohnung einen hochbetagten Nachbarn, der war im Zweiten Weltkrieg in Italien stationiert, rund um Monte Cassino. Unter anderem hatte er dort ob seines künstlerischen Talents Szenen des Krieges nachgemalt, vorwiegend Flugmanöver, die ungefähr so farbenfroh, pittoresk und ikonisch ausgesehen haben wie nahezu jede Einstellung in vorliegendem Kriegsfilm, der so weit entfernt ist von einem Antikriegsfilm wie Emmerichs 10.000 BC von Jean Jacques Annauds Am Anfang war das Feuer. Midway – Für die Freiheit ist vielmehr ein Schlachtenepos, und steht als solches völlig losgelöst von einem Weltkrieg dar, der in all seiner Schrecklichkeit relativ ausgespart wird. Verständlich, einerseits, denn Emmerich will sich nur auf eines konzentrieren: auf eine akkurate Rekonstruktion der Geschehnisse, die zur größten Seeschlacht des 20. Jahrhunderts geführt haben. Schiffe versenken Dreck dagegen – Midway war die Mutter aller Raster- und Kreuzchenspiele, allerdings in natura, und mit Verlusten auf beiden Seiten. All die Gefallenen bleiben natürlich nicht unbedacht, die Helden der Lüfte explodieren entweder in einem Feuerball oder stürzen ins Meer, gehen mit ihren schwimmenden Untersätzen unter oder werden auf grausige Weise mit einem Gewicht an den Füßen im Ozean versenkt. Dieses Gefecht hat Geschichte geschrieben, und jene, die es interessiert, bekommen relativ haarklein und maßstabsgetreu einen Bericht vorgelegt, der in seiner erzählerischen Strenge und gewissenhaften Chronologie die Herzen aller Kriegshistoriker und Hobbystrategen höherschlagen lässt. Ein Militärfilm also erster Güte, im Grunde fast komplett vor Blue Screen gedreht, und das Meer steckt in einer dieser Studiohallen irgendwo auf einem Filmgelände. Eine adrette Illusion, die Emmerich da mit all seinen Experten geschaffen hat.

Geflogen wird jede Menge, die Sturzflüge auf japanische Flugzeugträger präsentiert der Film am liebsten inklusive Sogwirkung, während links und rechts an den Ohren vorbei ratternde Salven ins Leere flitzen. Das ist traditionelles, aber auch distanzloses Gefechtskino, und alles zusammen irgendwie Retro, was aber vielleicht an der ganzen Ausstattung liegt, von der ledernen Sturmhaube bis zur ventillastigen Innenausstattung diverser U-Boote, die szenenweise an Wolfgang Petersens Das Boot erinnern. Midway – Für die Freiheit ist wie eine Sonderausstellung in einem heeresgeschichtlichen Museum. Das kann ganz interessant sein, und ist es auch, wenn man nicht genau weiß, wie der Seekrieg damals ausgegangen ist und Richard Fleischers Version aus den 70ern mit Charlton Heston schon zu weit zurückliegt. Allerdings – Emmerichs Ausflug in die Ära der hemdsärmeligen, tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten will zwar nach eigener Aussage des Regisseurs die Ängste und Sorgen der im Einsatz befindlichen Jungmänner in den Fokus rücken, muss aber diesbezüglich bald W.O. geben. Was Midway da gelingt, sind bestenfalls emotionale Phrasen, die wir in Top Gun eben auch finden, die ohne US-amerikanischer Ehre nichts anzufangen wüssten, und die mitunter geflissentliches Augenrollen fördern. Aber so ist es nun mal bei solchen Filmen, die so pathetisch sind, dass man gerne gewusst hätte, wie es wohl wirklich war, damals, im Krieg. Das zeigt uns Midway – Für die Freiheit nur anhand seiner Fakten, nicht aber anhand eines weniger reingewaschenen, menschelnden Ist-Zustandes. Dabei versucht Emmerich sein bestes, so wenig dick aufzutragen wie möglich, und sticht genreähnliche Vorgänger wie Michael Bays Pearl Harbor in Sachen Kitsch in geschickten Flugmanövern um einige Breitengrade aus. Ein seltsam biederer Heroismus bleibt aber trotzdem, immerhin aber bemüht rechtschaffen und durchaus informativ.

Midway – Für die Freiheit

KIN

EINEN AN DER WAFFE

7/10

 

KIN© 2918 Concorde Filmverleih GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: JONATHAN & JOSH BAKER

CAST: MYLES TRUITT, JACK REYNOR, JAMES FRANCO, DENNIS QUAID, ZOË KRAVITZ, MICHAEL B. JORDAN U. A.

 

In den Foyers meiner Lieblingskinos waren sie noch hinter schwer übersehbare Leuchtrahmen gespannt: die Filmposter zum Science-Fiction-Thriller KIN, ansprechend beworben und vielleicht auch gar nicht uninteressant. Ein bisschen verwandt mit Ready Player One vielleicht, aber das hätte auch nur eine Täuschung sein können. Dass der Streifen dann letztendlich doch gar nicht bei uns in den Kinos lief, das wusste ich bis heute nicht. Zur Entschuldigung: andere Filme hatten höhere Priorität, und KIN verabschiedete sich in die hintere Peripherie meiner kinematographischen To-Do-Liste. Aber dann war KIN wieder da, zeitgerecht zum eigenen Retail-Start, und die Neugier daran, wie gut ein Film über eine High-Tech-Wumme eigentlich sein kann, wieder geweckt. Allerdings könnte das Herunterbrechen des filmischen Plots auf extraterrestrische Waffengeilheit am eigentlichen Sinn des Filmes vorbeigehen. Rezensierende Onliner aus diversen Filmredaktionen könnten hier falsche Hoffnungen wecken, oder vorprogrammierte Enttäuschungen. Propaganda für die Rüstungsindustrie könnte im Endeffekt auch ganz anders aussehen. Und tut es auch.

KIN gleicht auf den ersten Blick generischer High Quality einheitsbreiiger Netflix-Dystopien. Die technische Rafinesse erfüllt da immer weit mehr als seine Pflicht, hat stets Hand und Fuß. Ausgebremst werden diese Filme dann eher auf der drehbuchtechnischen Seite. Oder dort, wo sich erstarkendes vielversprechendes Schauspiel einem straffen Dreh-Zeitplan geschlagen geben muss. Zum Glück aber ist das nur der erste Blick. Bei längerer Betrachtung könnte die Langfassung des Kurzfilms The Bag Man, geschrieben und inszeniert von den Neulingen Jonathan und Josh Baker, aus dem Teststudio Oats von Neil Blomkamp stammen. Blomkamp, das wissen wir, ist Spezialist für technologische Science-Fiction, für das Mergen organischer mit extraterrestrischen oder künstlichen Organismen, für das Ausloten technisierter Gesellschaftsformen, die herrschen oder beherrscht werden. Dazwischen herrscht das Gesetzlose. In KIN ist die wie ein überdimensionales Zippo-Feuerzeug aussehende Gerätschaft rätselhaftes Objekt allerdings nicht der Begierde, sondern einer Gelegenheit, die Diebe macht. Gestohlen hat die dubiose X-Box mit Leuchtemblem ein Adoptivjunge namens Eli, der in verlassenen Fabrikgebäuden herumstreunt und nach Rohmaterialien sucht, um diese am Schrottplatz zu verscherbeln.

Dieses formschöne Teil mit Joka-Bett-Aufklappmechanismus entpuppt sich relativ schnell als Kriegsspielzeug, als Waffe gegen wen auch immer, allerdings scheint sie nicht von dieser Welt, und all die gesichtslosen Toten, die da an einem Tag noch zwischen versprengten Trümmern herumkugeln und nächsten Tag verschwunden sind, schüren natürlich den Glauben ans Paranormale. Und hätte der Junge nicht andere Probleme, nämlich jene mit seinem älteren Bruder, hätte er sich auch vermutlich länger darüber den Kopf zerbrochen. Dieser Bruder Jimmy, der ist ein Ex-Knacki, und schuldet einem tätowierten, finster dreinblickenden und diabolisch grinsenden James Franco jede Menge Schutzgeld noch aus Zeiten im Knast. Woher nehmen, wenn nicht auch stehlen, und zwar aus der Portokassa von Papa Dennis Quaids Baufirma. Das Hazardspiel endet natürlich mit dem Sensenmann, und Eli ist bald samt Knarre gemeinsam mit dem windigen Bruder unterwegs auf der Flucht. Dass die Waffe im Laufe des spannenden Katz- und Mausspiels ab und an im Spiel der freien Mächte den Ton angeben wird, war zu erwarten. Wobei die Not am Mann erst zu selbiger greifen lässt. Waffennarren sind hier alle keine am Zug, zum gefälligen Amoklauf im Geiste wird diese Vision auch nicht verleiten, zu nüchtern und reuig gibt sich Newcomer Myles Truitt, der als stoischer Teenie-Freak aus seinen Fehlern lernen möchte. So eine Waffe ist da nicht sehr hilfreich, allerdings ist sie wie ein Spielzeug, dass seine Letalität durch das bunte Verpuffen von Materie, ganz so wie beim Niesen eines Regenbogennashorns, gefährlich verharmlost.

Weniger verharmlost sind die stereotypen Finsterlinge, die sich der üblichen Muster bedienen. Wäre die metaphysische Komponente nicht, die wie ein Cyberpunk-Damoklesschwert über dem routinierten, allerdings straffen Thriller hängt, hätte KIN auch keinerlei Besonderheiten zu bieten. Die rätselhaften Daft Punk-Ritter, die auf spielberg´sche Suspense-Art dem Jungen auf der Spur sind, durchbrechen dann aber doch noch die Dimension des prominent besetzten Eindimensionalen und steuern den Streifen auf ein finster-verspieltes High-Tech- & Crime-Drama zu, voller Action und elegant platzierter Effekte zwischen Tron und einem alternativen Prolog für Enders Game.

KIN

Der Moment der Wahrheit

EIN KNÜLLER UM JEDEN PREIS

7,5/10

 

momentderwahrheit© 2015 SquareOne/Universum Film

 

LAND: USA, AUSTRALIEN 2015

REGIE: JAMES VANDERBILT

CAST: CATE BLANCHETT, ROBERT REDFORD, STACY KEACH, DENNIS QUAID, TOPHER GRACE, BRUCE GREENWOOD U. A.

 

Was ist Wahrheit? Das hat schon vor mehr als 2000 Jahren ein römischer Statthalter gefragt. Und das fragen sich Journalisten seit Anbeginn ihrer Zunft: Wem oder was genau jage ich nach? Die Wahrheit – das ist etwas, das ans Licht kommen muss, wie auch immer. Der Nazarener ist die Antwort auf die Frage schuldig geblieben. Jene, die gegenwärtig für Aufklärung unter uns Otto Normalverbrauchern sorgen, bemühen sich aber, sie zu beantworten. Und beschaffen sich diese mit teils unlauteren Mitteln, verheimlichen Quellen, um diese zu schützen. Kommen dann mit der Wahrheit ans Licht, wenn die Umstände es verlangen. Jüngstes Beispiel: Ibiza. Die Art und Weise, wie Gesagtes in kürzester Zeit zum meinungspolitischen Zitatenschatz wurde, ist selbstredend eine zweifelhafte. Wenn aber das prognostizierte öffentliche Interesse größer ist als das Vergehen bei der Wahl der Mittel, tritt letzteres in den Hintergrund. Vorausgesetzt, das, was diese Mittel ans Tageslicht befördern, ist authentisch genug, um keine Zweifel an der Wahrheit zu schüren. Das scheint den Pseudo-Oligarchen wohl gelungen zu sein, denn jene Medien, die Mitte Mai die Bombe haben platzen lassen, konnten sich, nach sorgfältiger Prüfung, auch beruhigt zurücklehnen, um die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Anderen wiederum war das heiße Eisen wohl zu heiß. Nicht dass sie es nicht angepackt hätten. Doch heißes Eisen kühlt rasch aus, brennt in der Hand, hinterlässt Wunden. Zu früh fallengelassen ist jedenfalls nicht probiert. Allerdings aber auch nicht zu Ende gedacht.

Diese anderen, das waren die Journalistinnen und Journalisten einer renommierten Nachrichtensendung bei CBS. Für die investigative Reporterin Mary Mapes, die mit ihrem Bericht über die Foltermethoden im irakischen Gefängnis Abu Grab 2004 für Aufsehen sorgte, nahmen mutmaßliche Hinweise schön langsam Gestalt an. Und: sie könnten Einfluss haben auf die bevorstehende Wiederwahl von Präsident Goerge W. Bush. Diese Hinweise deuten an, dass der politisch stets mit der Tür ins Haus fallende Texaner Anfang der 70er Jahre gezielt vom Militäreinsatz in Vietnam abgezogen wurde. Besser noch – Bush wurde der Nationalgarde unterstellt, unter Protektion wohlgemerkt. Konsequentes Nichtwahrnehmen seiner Pflicht wurde unter den Teppich gekehrt. einer wie Bush, der musste, wie es aussieht, schon damals so gut wie gar nichts. Die Frage: stimmt das? Ist das die Wahrheit? Zwei Memos belegen das – sofern sie echt sind. Eigentlich egal, raus damit, wenn die Quellen sich schon sicher sind, was braucht es da noch für Überprüfungen. Ein fahrlässiger Fehler, wie sich bald herausstellen wird. Und ein Skandal, der plötzlich weite Kreise zieht, sogar alteingesessene Hasen wie Dan Rather (eine Art US-Armin Wolf) mit sich reißt und die berufliche Existenz so mancher gutmeinender Journalisten zerstört.

Der Moment der Wahrheit ist mit Robert Redford, Cate Blanchett und „Mike Hammer“ Stacy Keach schon mal prominent besetzt. James Vanderbilt hat ein Journalismus- und Mediendrama inszeniert, dass die Qualitäten eines Adam McKay erreicht. Wohl überlegt, nicht überhastet und geduldig rollt der Film eine Chronik der Tatsachen auf, die zwar jedweden Sarkasmus vermissen lassen, aber mit den Fakten alleine schon, und wenn sie auch noch so detailliert in die dramatisierte Version eines Skandals gestreut sind, zu fesseln weiß. Mag es nur ein hochgestelltes th sein, über das sich kritische Stimmen äußern. Mag es nur die Möglichkeit sein, die im Raum steht, dass besagte Beweislast politisch schöngefärbt ist – in diesem klugen Drama bekommt der Ehrenkodex des Journalismus fundamentzerstörerische Risse. Was darf man, was soll man, und wofür – stellt sich die Frage. Schlampigkeit ist fehl am Platz, Meinungsmache auch – und politische Mission sowieso. Aber wo ist die Grenze gezogen? Was ist richtig und was falsch? Zurückkommend auf Ibiza: in einem Moment der polemischen Euphorie bezeichnet unser Ex-Vizekanzler „Journalisten als die größten Huren unseres Planeten“. Mary Mapes und ihr Team wurden ähnlich beschimpft. In Der Moment der Wahrheit ist die Suche nah selbiger das Ziehen der Arschkarte, ist der Übereifer, dem Rest der Welt keine Tatsachen schuldig zu bleiben, das anscheinend Niederträchtigste, was es gibt. Allerdings – der Wille zum nächsten Knüller trägt die rosarote Brille des medialen Jagdinstinkts. Vanderbilt erzählt anhand dieses Beispiels von schwerwiegenden Fehlern, Gesichtsverlust und dem Ringen um Anstand. Blanchett gibt die verzweifelte, leidenschaftliche und unter Hochspannung stehende Reporterin gewohnt glaubwürdig, Redford an ihrer Seite gibt den letzten Schliff. In brisanten Zeiten wie diesen, wo Beeinflussung, (Neu)wahlkampf und politische Grabenkämpfe alles sind, ist die moralische Frage des journalistischen Auftrags dringender denn je. Dieser Film stellt sie, ohne Antworten finden zu wollen. Ohne ein Resümee zu ziehen. Dieses bleibt nämlich uns Sehern – und Wählern überlassen.

Der Moment der Wahrheit