Promising Young Woman

OBJEKT DER BEGIERDE

6/10


promisingyoungwoman© 2021 Focus Features


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: EMERALD FENNELL

CAST: CAREY MULLIGAN, BO BURNHAM, JENNIFER COOLIDGE, LAVERNE COX, CLANCY BROWN, CHRISTOPHER MINTZ-PLASSE, ALISON BRIE, ADAM BRODY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Der Mann von heute hat immer schlechtere Karten. Vielleicht, weil der alte, weiße Mann von gestern noch viel zu präsent ist. Der Mann von heute pflegt Anstand, Moral und Vernunft in Jeans und Sakko. Ist nicht nur der Sexualtrieb, sondern auch Alkohol im Spiel, fallen die mühsam errichteten Kartenhäuser selbsternannter Edelmänner zusammen. Ab dann wird´s eklig, und der Mann so selbstvergessen instinktgetrieben wie ein Elefant während der Mast. Selbsterkenntnis gibt´s danach keine. Stattdessen sind wir Menschen ohnehin Meister der Verdrängung, es sei denn, etwas traumatisiert uns. Mit einem „Wir waren ja noch jung“ kommt die Absolution so schnell wie ein Burger beim Drive In. Jedoch ist ein Nein kein Ja, und sei es auch noch so gelallt.

Diese Floskel, doch nur jung gewesen zu sein, noch unerfahren – die kann Emerald Fennell genauso nicht mehr hören wie ich selbst nach diesem Film. Es sind Ausreden, die sie ihren Männerrollen ganz bewusst in den Mund legt. Und sie lässt sie allesamt – so wie sie saufen und hecheln – plump, feige und entbehrlich erscheinen. Der Mann von heute, der hat wirklich schlechte Karten. Und noch schlechtere, wenn er nebst erhöhtem Promillespiegel auf Carey Mulligan alias Cassandra Thomas trifft, die selbst einen solchen mit sich führt. Oder zumindest nur so tut, als ob. Ihr Ziel ist es, das Mannsbild zur Einsicht zu bewegen. Ihn inflagranti zu erwischen, wenn er dabei ist, Ehre, Anstand und Selbstachtung zu verlieen. Dabei führt sie Buch, und das aus gutem Grund. Wenig später trifft Cassandra auf einen ehemaligen Studienkollegen, der bestens dafür geeignet scheint, endlich mal die Jagdszenen aus dem nächtlichen Nachtclub hinter sich zu lassen und eine aufrichtige, anständige Beziehung zu führen. Doch die Vergangenheit holt sie ein. und es bietet sich die Gelegenheit für einen Plan, der mehr sein soll als nur ein Spiegel für andere. Dieser Plan hat mit Rache zu tun.

Ich muss zugeben – Carey Mulligan, sonst eher die unterschätzte, liebenswerte Nachbarin – macht ihre Sache ganz großartig. Vor allem, weil sie atypisch besetzt worden ist. Und jeder vermuten würde, dass von diesem Engelsgesicht keinerlei Gefahr ausgehen kann. Ihre Rolle ist aber die einer Aktivistin, die ihren Glauben an männliche Ritterlichkeit längst aufgegeben hat. Die Proben aufs Exempel bestätigen das. Die Einsicht derer zu erlangen, die Frauen auf Objekte der Begierde reduzieren, ist ein steiniger Weg, der Opfer fordert. Durch Mulligans rebellischer Güte entsteht aber aus dem anfangs vermuteten Rape & Revenge-Thriller so etwas wie ein satirisches #Mee Too-Drama, dessen scheinbar scharfe Klinge aber stumpfer ist als erwartet.

Vielleicht war Mulligan doch nicht die beste Wahl für diese erschütterte und den Mann erschütternde Figur. Zumindest passt sich Emerald Fennell inszenatorisch zu sehr an ihren Star an. Vielleicht tut sich Promising Young Woman mit der dazwischenliegenden Romanze keinen Gefallen, da der Film damit etwas den Fokus aus den Augen verliert und auch sonst zu recht konventionellen narrativen Mitteln greift. Das mit dem Oscar geadelte Drehbuch mag ja vor allem im letzten Drittel tatsächlich so einige Erwartungen untergraben, doch abgesehen davon, dass Mulligans Rechnung auch da nicht aufgeht, hinterlässt es mich am Ende mit einem recht unschlüssigen „War’s das?“. Fennells eher zahme Führung des Ensembles und der brave Stil der Inszenierung möchten den Eindruck vermitteln, in offenen Wunden nicht genug herumgestochert zu haben, um wirklich wehzutun. Wäre mehr genugtuende Gewalt die bessere Lösung gewesen? Für uns, die als Zuseher in Sachen Einsicht um einiges weiter sind, vielleicht schon. Für die Männer im Film allerdings nicht. Perlen vor die Säue also? Letzten Endes ist die Quote der Erreichten eine viel zu geringe.

Promising Young Woman

Der weiße Tiger

DAS GESETZ DES DSCHUNGELS

7/10


derweissetiger© 2021 Netflix


LAND / JAHR: INDIEN, USA 2021

REGIE: RAMIN BAHRANI

CAST: ADARSH GOURAV, RAJKUMMAR RAO, PRIYANKA CHOPRA JONAS, MANESH MANJREKAR, VIJAY MAURYA U. A. 

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Aus den Slums in den Olymp des Wohlstands – das ist etwas, das so gut wie nie funktioniert. Zumindest nicht auf rechtschaffenem Wege. Das funktioniert vielleicht einmal in hundert Jahren einer einzigen Person, die dann zufälligerweise alle Fragen in der Millionenshow beantworten kann. Wir alle kennen diesen Film: Slumdog Millionaire von Danny Boyle. Ein geschmeidige Erfolgsgeschichte, virtuos gefilmt, mit dem exotischen Touch von Bollywood. Der weiße Tiger, mit dem wir es hier zu tun haben, erzählt ähnliches: aus den Slums auf die Butterseite des Lebens, allerdings ohne Millionenshow und auch ohne Love Story. Hier funktioniert das anders. Statt dem großen Quiz gibt’s den Instinkt eines Raubtiers, der den Gesetzen des Dschungels folgt. Inder Balram (kraftvoll: Adarsh Gourav) ist so einer. Ein Slumdog – einer, der bei seiner Großmutter in einer Teeküche Kohle klopft, bis er die große Chance wittert – nämlich, für den Sohn des windigen Unterweltbosses namens Storch als Chauffeur zu arbeiten. Schnell das Kapital von Oma geliehen, dann nichts wie in die Großstadt und dem Patriarchen so lange auf den Wecker gefallen, bis dieser einwilligt. Balram, Angehöriger einer niederen Kaste, wird zum Diener. Scheißfreundlich und verständnisvoll. Devot bis zum Stiefellecken, doch mit eigenen Plänen im Hinterstübchen, die allerdings erst reifen müssen. Denn das Konstrukt Meister und Diener, das schreit danach, zu kippen, wenn man es lange genug überstrapaziert.

Der weiße Tiger ist eine chronologische Lebensgeschichte, die Balram einem chinesischen Politiker per E-Mail erzählt. Zu Beginn weiß man bereits: der Mann hat es irgendwie geschafft. Doch anders als in den Medien und in gefühlt allen publizierten Lebenshilfen scheint es nicht möglich, all die Träume allein nur durch guten Willen zu erreichen, ohne das Gesetz zu übertreten. Reich werden mit Klasse? Ist nicht. Stinkreich wird man nur auf Kosten anderer. Balram, der Entbehrungen müde, ist bereit dazu. Ein Antiheld, aber ein Held womöglich für viele, denen das obsolete Kastensystem und das enorme Gefälle zwischen Reich und Arm in den Fingern juckt. Diese gesellschaftliche Disharmonie in der wortwörtlich größten Demokratie der Welt weiß von Demokratie allerdings wenig. Ramin Bahrani, der mit dem Wirtschaftsdrama 99 Homes auf dem Schlachtfeld des Mammon Besitz und Enteignung gegeneinander ausgespielt hat, beschäftigt sich auch hier, mit diesem ausnahmslos indisch besetzten, durchaus epischen Kriminaldrama mit so leicht verschleißbaren Wörtern wie Erfolg und Ehrgeiz. Die Opferbereitschaft, die für gesteckte Ziele notwendig sind, betrifft meist nicht den, der diese erreichen will. So wirft sich Balram in das Abenteuer „bedeutender Mensch“, erduldet Erniedrigung und ekelhafte Armut. Bahrani fängt das alles in Bilder ein, die jenseits von Bollywood und dem gewissen gesättigten Zauber des Subkontinents in einer pragmatischen Nüchternheit erscheinen.

Der weiße Tiger ist durchaus ein Film, der fassungslos und trotzig macht. Der dazu anstiftet, Reichtum noch mehr abszulehnen als bisher. Slumdog Millionaire ist im Vergleich dazu ein ganz anderes Märchen. Nicht dieses hier. Denn dieses Märchen klingt wie die Realität, klingt weder wie Satire noch scheint es überzeichnet. Dieses Märchen ist dunkel und ernüchternd. Es ist die Geschichte eines Erfolges, die Indien gerade deshalb so von sozialen Werten befreit sehen will, weil sie das Land gleichermaßen schätzt. Fast schon scheint es Kritik aus Liebe zu einem Phänomen aus Aufschwung und sozialer Brutalität zu sein.

Der weiße Tiger

Lara

MUTTER EHRGEIZ UND IHR KIND

8,5/10

 

LARA© 2019 Studiocanal

 

LAND: DEUTSCHLAND 2019

REGIE: JAN-OLE GERSTER

CAST: CORINNA HARFOUCH, TOM SCHILLING, RAINER BOCK, ANDRÉ JUNG, VOLKMAR KLEINERT, MALA EMDE, MARIA DRAGUS U. A. 

 

„Du bist nichts. Du kannst nichts. Und aus dir wird nie was werden.“ – Mit solchen Meldungen kann man den Nachwuchs dazu bringen, nicht mehr an sich selbst zu glauben. Die negativ konnotierte Motivation ist das wahre Feuer hinter dem Ehrgeiz, hinter dem Drill bis zur Selbstaufgabe, die noch dazu zweierlei bedeuten kann: entweder man schindet sich im Glauben, dass die Erniedrigung nur durch Fleiß und Schmerz neutralisiert werden kann – oder hängt das Potenzial einfach an den Nagel. Nur die Harten kommen durch, sagt so manche Lehrkraftkoryphäe, und bewundert die, die trotz all des Stichelns aufs Ego durchhalten. Die anderen suchen eine Zukunft mit dem geringsten Widerstand. Weil sie gebrochen sind, weil ihr Selbstwert bereits den Meistern gehört.

Eltern glauben an ihre Kinder. So wie Mutter Lara Jenkins, die ihren Sohn mit sanftem Druck, wie dieser es formuliert, dazu genötigt hat, einen Meister der Tasten aus sich zu machen. Das Klavierspielen war jedoch auch Laras Leidenschaft. Nur eben nicht gut genug. Diese Schmach klebt wie Pech an einem Menschen, egal, wie lange es auch zurückliegen mag. Was aus so einem Menschen werden kann? Nun, wir sehen ihn in Lara, einer Verfechterin kategorischer Lernphilosophien, die abseits jeglicher Anerkennung nichts als gut genug empfindet. Und da steht sie nun, diese Lara, Jahrzehnte später, mutterseelenallein und eigentlich von allen verlassen. Aus gutem Grund. Doch heute, an diesem trostlosen Tag, an dem morgendliche Resignation den Freitod präferiert, wird Lara 60 Jahre alt. Überdies hat ihr Sohn Viktor ein großes Konzert vor sich. Irgendetwas will sie ihrem Sohn noch sagen – ein paar Worte zum Abschied? Was auch immer, es fühlt sich nicht gut an. Es ist so, als würde Lara ein Resümee des Lebens ziehen, in aller sozialen Isolation ihren eigenen, vielleicht letzten Geburtstag feiern. Mit Leuten, die sie nicht kennt und die nichts von ihr wissen wollen, und einem Sohn, der unter dem drastischen Perfektionismus seiner Mutter nur mehr ein Schatten seines Selbstvertrauens geworden ist.

Wieder hat Regisseur Jan Ole-Gerster seinen Schauspieler aus Oh Boy verpflichtet, nämlich Tom Schilling. Der hat aber diesmal nur eine Nebenrolle, denn dieser Film – Lara – gehört ganz und gar Corinna Harfouch, die hier eine ernüchternd-betörende, geradezu ikonographische Altersrolle hinzaubert und nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass nach der versponnenen Berlin-Ballade in Schwarzweiß Jan-Ole Gerster sein Meisterwerk gelungen ist. Wieder ist es eine urbane Ballade, wieder handelt es vom Gerechtwerden der Erwartungen anderer, von der Erwartung an sich, vom Ehrgeiz und vom Leistungsdruck. Diesmal aber ist es Mutter Hopeless, die in der Bitternis ihrer eigenen Unzulänglichkeit gefangen steckt, und zu erkennen lernt, wie sehr ihr eigener Sohn dagegen anzukämpfen weiß. Wie schwach sie selbst ist, und wer sich eigentlich anmaßt, die Leistung und den Traum anderer zu diktieren. Gerster findet in strengen, teils unterkühlten Herbstbildern – darin der rostrote Mantel Harfouchs – und in langen, ruhenden Beobachtungen der Mimik seiner Protagonistin eine komplett neue Hintertür in dieses Dilemma über das fahrlässige Vereiteln eines Lebensplans. Poetisch, wie er auch hier wieder Begegnungen verknüpft und daraus Wahrheiten extrahiert, die in dieser ruhigen, direkt elegischen Komposition von Film sein gebündeltes Echo findet. Thematisch verwandte Erinnerungen an Whiplash werden wach – diesem nicht weniger brillanten Musikfilm über die Brutalität des Ehrgeizes. Oder an den Independent-Streifen The Kindergarten Teacher über das Allgemeingut namens Wunderkind.

Lara ist eine faszinierende, enorm kluge Odyssee durch die Unwägbarkeiten einer Selbstreflexion, die Geschichte eines Neuanfangs oder: ein psychologisch elegant durchdachter, vibrierender Pulsschlag des deutschen Kinos, wie ein wohlgesetztes Forte auf die Tasten eines Konzertflügels.

Lara

Lady Macbeth

HERRIN DES HAUSES

6/10

 

ladymacbeth© 2017 Koch Media 

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2016

REGIE: WILLIAM OLDROYD

CAST: FLORENCE PUGH, COSMO JARVIS, PAUL HILTON, NAOMIE ACKIE, CHRISTOPHER FAIRBANK U. A. 

 

Der intrigante Wahnsinn hat einen Namen, und zwar einen sehr klassisch-literarischen: nämlich Lady Macbeth. Kenner des Shakespeare-Königsdramas wissen, dass diese Dame keine unwesentliche Rolle dabei spielt, wenn Heerführer Macbeth an die Macht kommt. Der wiederum war fast schon Marionette in ihren Fingern, und beide gehen sogar so weit, neben dem altbekannten Königsmord auch noch einen Kindsmord zu begehen. Als Folge dieser grauenhaften Handlungen des tyrannischen Ehepaares verfallen beide natürlich dem Wahnsinn, ein klarer Fall von logischer Konsequenz für den englischen Dichter, denn so viel Bosheit darf nicht ungesühnt bleiben. Kein erbauliches Stück also, diese Tragödie, in der entweder alle den Verstand verlieren oder sterben. Nikolai Leskow hat diesen Stoff adaptiert, in seiner Novelle Lady Macbeth von Mzensk. Er hat das Ganze mal etliche hundert Jahre in die etwas hellere Zukunft geholt, und zwar ins 19. Jahrhundert. Tyrannen wettern auch da, zum Beispiel an diesem herrschaftlichen Landsitz eines britischen Patriarchen, dessen Sohn im Zuge eines Landkaufs die Tochter des Verkäufers ehelichen hat müssen, für die er so gut wie nichts empfindet, die ihm mehr Klotz am Bein als sonst was ist. Und die dieser aber auch dementsprechend unschön behandelt. Die Erfüllung ehelicher Pflichten gibt’s sowieso nicht, und vor die Tür darf die junge Frau auch nicht gehen. Schlimmer noch ist der Schwiegervater – ein Scheusal unter dem Herrn, erniedrigend, abstoßend und bis in jede Faser seines Altersgrants alles Nonkonforme ablehnend. Da lobe ich mir den Papa von Jane Austens Emma – dieser hier ist die krasse Antithese. Catherine ist also in einem goldenen Käfig gefangen, wenn man so will. hat keine Rechte, aber auch keine Pflichten. Ist nichts, nur verheiratet. Langweilt sich tagaus, tagein – bis sie auf den Stallburschen Sebastian trifft, mit dem sie natürlich eine Liaison beginnt.

Sebastian, gespielt von Singer und Songwriter Cosmo Jarvis, steht natürlich als Heerführer Macbeth zwischen den Pferden, den koketten Dienstmädchen und der Herrin des Hauses. Und entscheidet sich nach einem Nacht- und Nebel-Quickie, mit letzterer gemeinsame Sache zu machen. Lady Macbeth ist die seit den Oscars 2020 in aller Munde befindliche Florence Pugh, die eben erst für ihre Rolle in Greta Gerwigs Little Women nominiert wurde und in Ari Asters Midsommar um ihr Leben plärren muss. Pugh hätte ja jetzt sogar mit Black Widow noch größer rauskommen sollen, doch der Blockbuster wurde ja bekanntlich verschoben. Immerhin gibt’s noch Richard Oldroyds Filmadaption von Leskows Theaterstück, und da zeigt die 24jährige, was sie prinzipiell sonst noch drauf hat – die Masche einer teils raschsüchtigen, teils habgierigen, teils emanzipierten Intrigantin. Sie tut das, ohne groß mit der Wimper zu zucken. Man sieht aber, dass sie stets hinter ihrem starren Blick und ihrer guten Miene böse Pläne schmiedet, die den anderen nicht gut bekommen. Es ist kein Geheimnis, was folgen wird. Und es folgt nichts Gutes, in diesem kalten, seelenlosen Gemäuer. Die Seelen aber, die hier hausen, haben selbige schon längst jemand anderem verkauft. Karge vier Wände, hie und da elegante Möbel, und alles, das Leblose wie das Lebendige, umgibt eine Aura der Kälte, sei sie nun berechnend oder tief verwurzelt. Diesen Film ohne zusätzliches wärmendes Textil zu sehen, ist fast schon unmöglich.

Oldroyd inszeniert akkurate, klare Bilder, verzichtet auf Schnörkel, und lässt auch sein Ensemble unter erschreckender Gefühlsarmut leiden, die selbst beim Unvorstellbaren Probleme hat, sich zu artikulieren. Diese In Cold Blood-Adaption eines klassischen Stoffes ist in strenge Formen gegossen, bleibt abweisend und ohne Reue. Und jene, die so etwas ähnliches vielleicht ansatzweise empfinden, haben in der Welt von Lady Macbeth nichts verloren.

Lady Macbeth

Der verlorene Sohn

SEELENGEISSELN MIT DEM BIBELGÜRTEL

6,5/1

 

BOY ERASED© 2018 Kyle Kaplan / Focus Features

 

ORIGINALTITEL: BOY ERASED

LAND: USA 2018

REGIE: JOEL EDGERTON

CAST: LUCAS HEDGES, NICOLE KIDMAN, RUSSEL CROWE, JOEL EDGERTON U. A.

 

Der liebe Gott will das alles gar nicht. Nicht diese Qual, nicht diese Verzweiflung. Menschen, die im mehrere Bundesstaaten umfassenden Biblebelt ihre Homosexualität entdecken, können sich glücklich schätzen, wenn es keiner merkt. Denn gleichgeschlechtliche Liebe, die ist im Südosten der USA etwas, das für all die anderen frommen Gläubigen nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Da muss die mittelalterliche Ahnung einer manipulativen Finsternis herhalten, die sich im Hexenwahn Europas und in der Manifestation des Teufels in den Dingen des Alltags schon Jahrhunderte zuvor austoben konnte, zum Leidwesen tausender unschuldiger Opfer. Erschreckend, dass sich diese Auslegung der heiligen Schrift im Pietismus der evangelikalen Kirche in zwar gesitteter, aber nicht weniger grausamen Form erhalten hat. Denn Homosexualität ist nichts, was den lieben Gott sauer aufstößt. Sondern Teil einer komplexen Biologie, die weder umgepolt, noch verdrängt, noch weggebetet werden kann.

Diese Erkenntnis hat der 19jährige Jared nach seinem Austreibungsseminar allerdings auch erlangt. Und noch etwas ist ihm klar geworden: Das die Reparativtherapie des bigotten (ebenfalls homosexuellen) Seminarleiters Victor Sykes nichts anderes als sektiererische Gehirnwäsche sein kann, in der Schwule und Lesben Sünden bekennen müssen, die sie bei Gott nicht getan haben. Schon wieder Gott, obwohl Vater unser in Joel Edgertons Film nur lediglich namentlich erwähnt wird – und sich ganz weit entfernt hat von Menschen, die die Weisheit mit dem letzten Abendmahl gegessen und keine Ahnung davon haben, wie das Wesen Mensch überhaupt funktioniert. Das sind auch die, die womöglich daran glauben, dass unsere Welt erst 6000 Jahre alt ist. So einem Schwachsinn sind junge Menschen wie Jared ausgeliefert. In Person des eigenen Vaters (schwerfällig: Russel Crowe), Victor Sykes und der Gesellschaft eines ahnungslos intoleranten Glaubens. Denn Glauben heißt doch nichts wissen. Und weiß man einmal mehr, ist man verdächtig. Jared, der fügt sich erstmal, macht gute Miene zum beschämenden Spiel. Und findet sich im Laufe des therapeutischen Programms in einem zermürbenden Umfeld aus Erniedrigung und den Abnötigungen absurder Geständnisse wieder. Und irgendwie, so erscheint es mir, gibt es Szenen in diesem auf wahren Begebenheiten beruhenden Drama, die mich an Stanley Kubricks Antikriegsfilm Full Metal Jacket erinnern. Auch in dieser seelenbrechenden Vorhölle haben Bestimmer jungen Menschen deren Identität geraubt – zwar nicht ihre sexuelle, aber sonst den ganzen Rest. Die Ideale, die nach diesem Flächenbrand zurückbleiben, sind jene, die zur erfolgreichen Vernichtung des anderen führen, und die bereits im Drill der Kadetten ihren Anfang nimmt. Da wie dort gibt es manche, die der psychischen Geißelung nicht standhalten können. Und bevor es zu spät ist, zieht Jared die Reißleine.

Joel Edgerton, der neben der Regie auch die Rolle des jovial-durchtriebenen Reparativtherapeuten übernommen hat, ist natürlich nicht ganz so gnadenlos perfide wie „Sergeant Hartmann“ R. Lee Ermey, aber jemand, dessen bekehrender Eifer Angst macht. Klar führt diese fragwürdige Indoktrinierung in einer Institution, die es nur gut für sich selbst meint, Erfolg maximal zur Leugnung von einem selbst. Das mitanzusehen, ist keine erquickende Bibelrunde zur Festigung der Gemeinde, und auch keine zwei Stunden entspannende Kinounterhaltung. Mit Der verlorene Sohn oder Boy Erased, wie der Film im Original heißt, arbeitet Edgerton Fakten auf, die Empörung fordern. Sein Film ist der erhellende Bildbericht eines Skandales, eine Reportage über verzweifelten Selbstverrat, über die Zensur der Freiheit, festgehalten in herbstlichen, fast ausgedörrten Bildern. Lucas Hedges, der mit Manchester by the Sea erstmals auf sich aufmerksam machte, bietet mit einer wieder mal famosen Nicole Kidman als hin und hergerissene, aber allen voran liebende Mutter überzeugende Schauspielkunst. In Rollen, die sicherlich nicht leicht zu interpretieren oder auszubalancieren sind. Die durchaus belasten können, wenn man beim Verstehen der filmischen Identität keine halben Sachen machen will.

Der verlorene Sohn bespricht ein Thema, das natürlich bereits vorhandenes, notwendiges Interesse voraussetzt. Das ungeschönte, allerdings aber auch hoch emotionale Drama ist ein sehr spezieller Film, der vor allem jenen, die sich ebenfalls die eigene sexuelle Orientierung verbieten, und zwar aus religiösen Gründen, etwas mitgeben können auf den Weg zu mehr Eigenakzeptanz und einem festeren Boden unter den Füßen.

Der verlorene Sohn