Marie Curie – Elemente des Lebens

HIN UND WEG VOM GRÜNEN LEUCHTEN

5,5/10

 

MarieCurie2020© 2020 Studiocanal GmbH / Laurie Sparham

 

LAND: FRANKREICH, GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: MARJANE SATRAPI

CAST: ROSAMUNDE PIKE, SAM RILEY, ANEURIN BARNARD, ANYA TAYLOR-JOY, SIMON RUSSELL BEALE U. A. 

 

Biographien bekannter Persönlichkeiten können unterschiedlicher nicht betrachtet werden. Da gibt es die grundkonventionelle, chronologische Erzählweise von der Kindheit bis zum Tod. Das kann aber auch anhand einer einmaligen Episode aus dem Leben der beschriebenen Person gut funktionieren, meist aus der Sicht eines Außenstehenden (z.B. Life oder My Week with Marylin) und erzielt mit seinem Fokus auf diesen einen Moment einen viel stärkeren Impact. Kein Vergleich zu einer Biopic also, die das ganze Leben auswalzen will. So eine Vita kann aber auch nur assoziativ erzählt werden, aus Erinnerungen und Gefühlen bestehen. Regisseurin Marjane Satrapi versucht, letzteres mit ersterem zu kombinieren – und erliegt dabei einer recht scheuen Erzählweise, die ermüdend beginnt, gegen Ende aber glücklicherweise doch noch etwas an Fahrt aufnimmt.

Dabei liegt es natürlich nicht am nuancierten Spiel von Rosamunde Pike. Sie verleiht ihrer Interpretation der Physikerin und Chemikerin Marie Curie unterschiedliche Gemütsbilder von enthusiastischem Entdeckerdrang bis zur stillen, fast schon zynischen Resignation. Satrapi will sowohl von der wissenschaftshistorischen als auch von der privaten Figur der Marie Curie so gut wie alles wissen. Pike bemüht sich, dem gerecht zu werden. Wird manchmal, was etwas zu prätentiös wirkt, zur engelsgleichen Ikone hochstilisiert, dann wieder sind es die klassischen Elemente einer fast muffigen Halbdokumentation, wenn die gebürtige Polin gemeinsam mit ihrem Lebensmenschen Pierre Curie die beiden Elemente Radium und Polonium entdeckt. Das ist klassisches Schulfernsehen aus dem Archiv, so stellt man sich das natürlich vor. Satrapis Film ist somit gänzlich anders als jener der Französin Marie Noëlle aus dem Jahr 2016, der erst ansetzt, nachdem Ehemann Pierre Curie bei einem Kutschenunfall ums Leben kommt. Die uneheliche Liebschaft mit dem verheirateten Freund Paul Langevin und dem daraus resultierenden Shitstorm aus der Gesellschaft, ganz ohne Social Media, ist das eigentliche Thema ihres Films. Eine ausformulierte Betrachtung, die Curies preiswürdiges Schaffen nicht nochmal durchnimmt, sondern einen ganz anderen Aspekt, vor allem einen, der in Zeiten starken weiblichen Selbstbewusstseins relevant scheint, hervorarbeitet. Noëlles Film (siehe Marie Curie) ist zutiefst feministisch, einfach weil er den Fokus richtig setzt. Dieser Film hier ist fast schon zu allgemein.

Man merkt, Marjane Satrapi kommt aus dem Comic-Fach (Persepolis). Genauso wie Marie Curie fasziniert auch sie das grüne Leuchten des strahlenden Radiums – und Grün ist auch eine immer wiederkehrende Farbe in ihren Bildern. Wenn Comics schon so eine Art gezeichnete Filme sind, umso leichter dürfte ihr das Inszenieren von selbigen fallen, was aber hier nicht den Eindruck erweckt: Marie Curie – Elemente des Lebens (oder im Original einfach nur Radioactive) bleibt geschmackvolle Konvention, die erfrischende Innovationen vermissen lässt. So sehr Marie Curie auch inspiriert worden war durch all das Wirken der Chemie und den verborgenen Elementen – der Film selbst lässt sich davon kaum mitreißen. Leider sehr viel später erst beginnt Satrapi irgendwie aufzutauen, aus sich herauszugehen, liefert Sichtweisen in Bezug auf die Entdeckungen der Curies und verknüpft diese mit den historischen Eckpunkten zur Geschichte der Radioaktivität in Menschenhand – von Hiroshima bis Tschernobyl kann das Publikum in die vergangene Zukunft reisen und Einblick nehmen in ein ambivalentes Vermächtnis, das jeden von uns bereits längst tangiert hat. So wird Marie Curie doch noch zu einer greifbareren Gestalt, die bis in die Gegenwart hindurchwirkt.

Marie Curie – Elemente des Lebens

Marie Curie

FORSCHEN ODER LIEBEN

7/10

 

mariecurie© 2016 P’Artisan Filmproduktion

 

LAND: FRANKREICH, DEUTSCHLAND, POLEN 2016

REGIE: MARIE NOELLE

MIT KAROLINE GRUSZKA, SAMUEL FINZI, CHARLES BERLING, ANDRÈ WILMS U. A.

 

Betrachtet man die Geschichte der Wissenschaft, fällt auf, dass jene, die Bahnbrechendes auf ihrem Gebiet geleistet haben, nicht nur mit ihrem Partner, sofern sie einen hatten, sondern auch mit ihren Projekten verheiratet waren. Da blieb kaum Platz für anderes. Wissenschaftler und -innen, solchen Masterminds haftet neben dem oft zitierten Dasein als verrückter Fachidiot das Brandmal der exzentrischen, eigenbrötlerischen Beziehungsunfähigkeit an. Wissenschaft und soziale Kompetenz – das ist ohnehin wie Kinder und Spinat. Das passt selten zusammen. Und passt es einmal, dann ist die Opferbereitschaft für die Mission, dem Leben seine letzten Geheimnisse zu entreißen, nicht groß genug, um wirklich etwas entdecken zu können. So nebenbei, zwischen Mann, Frau und Familie, kann kein Nobelpreis gewonnen werden. Oder doch? Die Serie The Big Bang Theory nimmt die Unfähigkeit zu einer zwischenmenschlichen Beziehung vor allem bei der Figur des Sheldon Cooper gekonnt aufs Korn. Seine überdurchschnittliche Intelligenz und sein unerbittlicher Eifer, so etwas Ähnliches wie das Higgs-Boson zu entdecken und dafür den Nobelpreis zu bekommen, lässt ihn als Neutrum erscheinen.

Den Nobelpreis, den darf sich Marie Curie aber gleich zweimal aufs häusliche Regal stellen. Die gebürtige Polin, die ihre preisgekrönten Entdeckungen in Frankreich beweisen und publizieren durfte, führt gegen das Klischee der zwischenmenschlich verkümmerten Zunft des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin ihr eigenes Liebesleben ins Feld. Und das war gleichermaßen ein schmerzhaftes wie unmoralisches. Nach dem Tod ihres Lebensmenschen Pierre Curie, mit welchem sie gemeinsam wohl bis heute das Einser-Podest für DAS Wissenschaftler-Ehepaar überhaupt besetzt, nahmen Liebe und Leidenschaft ganz andere Wege. Und zwar jene, die Marie Curie vor allem in der Öffentlichkeit ziemlich schlecht dastehen ließen. Medien und das Nobelpreis-Komitee waren vor den Kopf gestoßen. Kann man denn sowas überhaupt verantworten – ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann? Kann und darf die Gallionsfigur der Wissenschaft, welche die Gesellschaft des beginnenden 20ten Jahrhunderts für sich beansprucht, eigentlich tun was sie will?

Der französischen Regisseurin Marie Noelle, Ehefrau des verstorbenen Filmemachers Peter Sehr (Kasper Hauser) legt keine schulmeisterliche Biografie vor. In ihrem Film Marie Curie liegt die Chronik ihrer Leistungen längst nicht im Fokus der Kamera. Erwähnt werden muss es allerdings trotzdem – ihre Entdeckung des Radiums und die Prägung des Begriffs der Radioaktivität sind untrennbar mit dem ereignisreichen und erfüllten Leben der wohl berühmtesten Physikerin aller Zeiten verbunden. Auch in der Langevin-Affäre, in der ihr Ehebruch, Sittenvergehen und fehlende Moral vorgeworfen werden, sind ihre Leistungen auf dem Gebiet der Naturwissenschaften nicht auszuklammern – obwohl Marie Curie dies womöglich gerne gehabt hätte. Um das Verfechten ihres Rechts auf Privatleben, dem Ausgeliefertsein ihrer Intimität als Person öffentlichen Interesses, davon handelt Noelle´s impressionistisch gefilmtes Tatsachendrama in erster Linie. Curie findet sich in der Rolle eines gesellschaftlichen Vorbildes wieder. Der Preis für ihren Erfolg und dem medialen Interesse, das natürlich auch das notwendige Geld für die Forschung bringt, soll ein gläsernes Dasein bedeuten – womit sich die resolute Kämpfernatur von Forscherin nicht begnügen wird.

Marie Curie setzt auf verwaschene Stimmungsbilder im Gegenlicht. Fahle und doch flirrende Farben dringen in die Düsternis des chemischen Labors. Das blaue Leuchten des Radiums versetzt in Trance. Unschärfen und Anmutungen von Aquarell tauchen die relative früh verstorbene Vordenkerin in abstrakte Gefühlswelten, die sich kaum oder gar nicht von der Unduldsamkeit der Realität abheben. Die Schauspielerin Karoline Gruszka, selbst Polin, verleiht der Urmutter der Strahlungslehre ein idealisiertes, fast schon ikonisches Gesicht zwischen Begehrlich- und Unnahbarkeit. Ihre Figur vermag ungeachtet charakterlicher Authentizität jedenfalls zu faszinieren. Und so wird Physik in Noelles Film zu einem Objekt der Begierde, der Leidensfähigkeit und öffentlicher Rechtlosigkeit, die nur den Anschein hat, zu diktieren. Marie Curie ist gepflogenes, relativ frei interpretiertes biografisches Kunstkino – schöngeistig und idealisierend. Wie ein radiologisches Denkmal in gepflegten Parkanlagen – leicht bewachsen, scheinbar ewig strahlend, in Wahrheit aber mit Halbwertszeit.

Marie Curie