Maria Montessori (2023)

DAS KIND BEIM NAMEN NENNEN

6/10


montessori© 2024 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: LA NOUVELLE FEMME

LAND / JAHR: FRANKREICH, ITALIEN 2023

REGIE / DREHBUCH: LÉA TODOROV

CAST: JASMINE TRINCA, LEÏLA BEKHTI, RAFFAELLE SONNEVILLE-CABY, RAFFAELE ESPOSITO, LAURA BORELLI, NANCY HUSTON, AGATHE BONITZER, SÉBASTIEN POUDEROUX U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Die Frau von morgen, angelehnt an den Originaltitel, wäre wohl treffender gewesen für einen Film, der die Mutter der modernen Pädagogik in den Mittelpunkt stellt. Stattdessen nennt der deutschsprachige Verleih das Kind gleich beim Namen: Maria Montessori. Ihren Leitsatz kennen gefühlt wohl alle Elternteile dieser Welt: Hilf mir, es selbst zu tun. In diesem Zitat steckt schon der ganze Mechanismus, das ganze Herzstück einer Methode des ehrgeizigen Selbsterlernens. Sie wird zum Abenteuer Entwicklung, bestehend aus kleinen Erfolgserlebnissen, die sehr viel mit kognitiver Wahrnehmung und sensorischer Integrationsfähigkeit zu tun haben. Mit Maria Montessori gehen aber auch jene Assoziationen einher, die mit einer gewissen militanten Missionspädagogik zu tun haben – mit einer Richtung, die alles Profane oder gar Kommerzielle vehement ausschließt und deren Verfechter wie Jesusjünger ein Dogma vertreten, das in seinem Purismus einer spaßbefreiten Konfession dient, die sich für besser hält als all die anderen, die ihren Kindern Barbie, Lego oder Transformers-Figuren schenken.

In Wahrheit aber ist dieser pädagogische Extremismus, der eine ganze Ideenwelt in Mitleidenschaft zieht, nur eine am Rande auftretende Unannehmlichkeit. Maria Montessori hat mit ihrer Sicht auf das formbare und entwicklungsdurstige Kind ganze Arbeit geleistet. In Léa Todorovs Film steht aber nicht ihr Werdegang vom Kindbett bis zur Beisetzung im Mittelpunkt, sondern, und das ist bei Filmbiographien immer ein willkommenes System, um Langeweile und der ausufernden Monotonie eines wahrheitsgetreuen Nachrufs zu entgehen, jener Wendepunkt in Maria Montessoris Leben, der wohl entscheidend dafür gewesen sein mag, dass sich der Name der italienischen Ärztin in aller Welt als beliebte erzieherische Richtung etablieren wird.

Zu tun hat dieser Entschluss, sich endgültig dem System Familie zu entsagen und ins lehrkundige Gefecht zu stürzen, mit Montessoris eigenem Filius, einem kleinen Jungen namens Mario. Der hat das Pech, nicht die Frucht einer beschlossenen Ehe zu sein, was damals, um die Jahrhundertwende, wohl bedeutet hat, zum „Baby non grata“ zu werden. Weder kann Montessori (Jasmine Trinca, Das Zimmer meines Sohnes) ihr Kind zu sich nehmen, weil die Eltern es verbieten, noch kann sich der leibliche Vater Guiseppe Montesano mit dem Knaben in der Gesellschaft blicken lassen. Eine Last, die Montessori mit sich herumschleppen muss. Doch es ist nicht sie allein, die mit dem Nachwuchs so ihre auferlegten Probleme hat. Zur selben Zeit lagert Lili d’Alengy (Leïla Bekhti), eine französische Varietekünstlerin, ihre eigene bislang verschmähte, weil geistig beeinträchtigte Tochter Tina in Montessoris Bildungseinrichtung aus, mit der Hoffnung, sie endgültig loszuwerden. So stehen sich zwei Frauen gegenüber – die eine, die ihr Kind gerne bei sich haben möchte, es aber nicht kann. Die andere, die ihr Kind bei sich haben könnte, es aber nicht will. Im Laufe der Handlung kommen sich beide näher, ihre Schicksale verbinden sich, Prioritäten und Prinzipien werden hinterfragt und über Bord geworfen. Die Stellung der Frau im sozialen Gefüge ist dabei nicht nur ein gern miteinbezogenes Attribut, sondern verdrängt gar die vom Publikum erwarteten Auseinandersetzungen mit der pädagogischen Materie.

Léa Todorov schafft hier ein durchaus kompaktes, auf wahren Begebenheiten beruhendes, geschmackvolles Melodram mit vor allem beeindruckenden Leistungen der hier gecasteten und offensichtlich tatsächlich gehandicapten jungen Menschen, die mit einem Selbstverständnis und einer Natürlichkeit einen Film bereichern, der sehr dazu neigt, sich einer erzählerischen Historienromantik hinzugeben. Diese dem Medium des Volkskinos geschuldete Vereinfachung von Moral und Integrität und dem ethischen Willen, das richtige zu tun, mag die tatsächlichen Ereignisse idealisieren. Wir wissen längst: Wissenschaft und Privatleben mögen sich gerne ausschließen, denn was tun Koryphäen nicht alles dafür, ihr geistiges Gut zu hegen und zu pflegen. Opfer werden auch in Maria Montessori gebracht, doch der Beweggrund schmeichelt.

Aufschlussreich und kompakt inszeniert ist das französisch-italienische Geschichtsdrama aber auf alle Fälle. Und auch wenn hier die gewisse Zündung fehlt, diese Lust an der kritischen Betrachtung, bleibt doch eine gewisse Atmosphäre zurück, die auf gefälligem und oft konventionellem Wege ein Gefühl dafür vermittelt, wie es gewesen sein könnte, als sich die Pädagogik und mit ihr einhergehend die Stellung der Frau neu definiert hat. Montessori war so gesehen Avantgarde. Der Film selbst ist es nicht.

Maria Montessori (2023)

Marie Curie – Elemente des Lebens

HIN UND WEG VOM GRÜNEN LEUCHTEN

5,5/10

 

MarieCurie2020© 2020 Studiocanal GmbH / Laurie Sparham

 

LAND: FRANKREICH, GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: MARJANE SATRAPI

CAST: ROSAMUNDE PIKE, SAM RILEY, ANEURIN BARNARD, ANYA TAYLOR-JOY, SIMON RUSSELL BEALE U. A. 

 

Biographien bekannter Persönlichkeiten können unterschiedlicher nicht betrachtet werden. Da gibt es die grundkonventionelle, chronologische Erzählweise von der Kindheit bis zum Tod. Das kann aber auch anhand einer einmaligen Episode aus dem Leben der beschriebenen Person gut funktionieren, meist aus der Sicht eines Außenstehenden (z.B. Life oder My Week with Marylin) und erzielt mit seinem Fokus auf diesen einen Moment einen viel stärkeren Impact. Kein Vergleich zu einer Biopic also, die das ganze Leben auswalzen will. So eine Vita kann aber auch nur assoziativ erzählt werden, aus Erinnerungen und Gefühlen bestehen. Regisseurin Marjane Satrapi versucht, letzteres mit ersterem zu kombinieren – und erliegt dabei einer recht scheuen Erzählweise, die ermüdend beginnt, gegen Ende aber glücklicherweise doch noch etwas an Fahrt aufnimmt.

Dabei liegt es natürlich nicht am nuancierten Spiel von Rosamunde Pike. Sie verleiht ihrer Interpretation der Physikerin und Chemikerin Marie Curie unterschiedliche Gemütsbilder von enthusiastischem Entdeckerdrang bis zur stillen, fast schon zynischen Resignation. Satrapi will sowohl von der wissenschaftshistorischen als auch von der privaten Figur der Marie Curie so gut wie alles wissen. Pike bemüht sich, dem gerecht zu werden. Wird manchmal, was etwas zu prätentiös wirkt, zur engelsgleichen Ikone hochstilisiert, dann wieder sind es die klassischen Elemente einer fast muffigen Halbdokumentation, wenn die gebürtige Polin gemeinsam mit ihrem Lebensmenschen Pierre Curie die beiden Elemente Radium und Polonium entdeckt. Das ist klassisches Schulfernsehen aus dem Archiv, so stellt man sich das natürlich vor. Satrapis Film ist somit gänzlich anders als jener der Französin Marie Noëlle aus dem Jahr 2016, der erst ansetzt, nachdem Ehemann Pierre Curie bei einem Kutschenunfall ums Leben kommt. Die uneheliche Liebschaft mit dem verheirateten Freund Paul Langevin und dem daraus resultierenden Shitstorm aus der Gesellschaft, ganz ohne Social Media, ist das eigentliche Thema ihres Films. Eine ausformulierte Betrachtung, die Curies preiswürdiges Schaffen nicht nochmal durchnimmt, sondern einen ganz anderen Aspekt, vor allem einen, der in Zeiten starken weiblichen Selbstbewusstseins relevant scheint, hervorarbeitet. Noëlles Film (siehe Marie Curie) ist zutiefst feministisch, einfach weil er den Fokus richtig setzt. Dieser Film hier ist fast schon zu allgemein.

Man merkt, Marjane Satrapi kommt aus dem Comic-Fach (Persepolis). Genauso wie Marie Curie fasziniert auch sie das grüne Leuchten des strahlenden Radiums – und Grün ist auch eine immer wiederkehrende Farbe in ihren Bildern. Wenn Comics schon so eine Art gezeichnete Filme sind, umso leichter dürfte ihr das Inszenieren von selbigen fallen, was aber hier nicht den Eindruck erweckt: Marie Curie – Elemente des Lebens (oder im Original einfach nur Radioactive) bleibt geschmackvolle Konvention, die erfrischende Innovationen vermissen lässt. So sehr Marie Curie auch inspiriert worden war durch all das Wirken der Chemie und den verborgenen Elementen – der Film selbst lässt sich davon kaum mitreißen. Leider sehr viel später erst beginnt Satrapi irgendwie aufzutauen, aus sich herauszugehen, liefert Sichtweisen in Bezug auf die Entdeckungen der Curies und verknüpft diese mit den historischen Eckpunkten zur Geschichte der Radioaktivität in Menschenhand – von Hiroshima bis Tschernobyl kann das Publikum in die vergangene Zukunft reisen und Einblick nehmen in ein ambivalentes Vermächtnis, das jeden von uns bereits längst tangiert hat. So wird Marie Curie doch noch zu einer greifbareren Gestalt, die bis in die Gegenwart hindurchwirkt.

Marie Curie – Elemente des Lebens

Colette

HOSEN FÜR DIE DAME

6,5/10

 

colette© 2018 DCM

 

LAND: USA 2018

REGIE: WASH WESTMORELAND

CAST: KEIRA KNIGHTLEY, DOMINIC WEST, ELEONOR TOMLINSON, FIONA SHAW U. A.

 

Wo ein Willy, da ein Weg. Zumindest war das damals so, gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Und zwar in Paris. Unter dem Pseudonym Willy konnten nämlich begabte Autoren, die sonst keinen Weg gefunden hätten, um sich selbst zu veröffentlichen, ihr Erdachtes, Geschriebenes und gern Pikantes an die gehobene Gesellschaft der mondänen Hauptstadt bringen. Willy, wie sich Henry Hauthier-Villars offiziell nannte, war selbst kein Meister seiner Zunft, aber ein Meister, wenn es darum ging, die Werbetrommel zu rühren und die Werke anderer zu publizieren. Denn Willy, das zog. Der Name des Adabeis war in aller Munde, jeder kannte Willy, auf noblen Partys und am Theater. Die Seitenblicke hätten sich da um ein paar Minuten des Small Talks womöglich gerne geprügelt. Willy war ein Mann, wie er damals zu sein hat. Jovial, charmant, belesen und – elegant chauvinistisch.  In Wash Westmoreland´s gediegener Biografie spielt der von Dominic West souverän verkörperte Mann von Welt eine nicht untergeordnete Rolle. Ganz im Gegenteil: ohne Willy wäre Sidonie-Gabrielle Colette nicht zu der Art von Frau geworden, wie sie zur Zeit des Fin de Siecle noch als relatives Panoptikum angesehen wurde.

In Antiquariaten und Büchermärkten sind mir die gebundenen Hardcover-Schmöker ihres Namens relativ häufig unter die Finger gekommen. Von Claudine erwacht über Claudine in Paris bishin zu Gigi (wohl die bekannteste Verfilmung von Colettes Werken, Regie: Vincente Minnelli) hätte ich einen Grossteil ihres Repertoires im besten Wortsinn abstauben können. Mein Interesse lag aber damals eher beim Expressionismus, weniger bei den Coming of Age-Erzählungen eines Mädchens vom Lande. Doch was ich bisher noch nicht wusste und mich auch verblüffte, war, dass sich die Figur der Claudine damals zu einem regelrechten Hype entwickelt hat. Dem vermögensverprassenden Willy, der gerne ins Casino ging und allerhand sündteure Antiquitäten in die eheliche Wohnung karrte, gelang mit Colettes Werken ein regelrecht literarischer Blockbuster, obwohl er den damaligen Zeitgeist nicht sofort mit den verfassten Inhalten Colettes in Verbindung bringen konnte. Die Künstlerin blieb weiterhin ungenannt. Colette stand anfangs noch im Schatten ihres Gatten, und dass eine Frau künstlerisch gesehen und abgesehen von anzüglichen Auftritten im Variete den Nerv der Zeit hätte treffen können, daran dachte damals niemand. Was sich aber logischerweise änderte, sonst gäbe es die Filmbiografie von Colette nicht, lässt sich der Trend biographischer Frauenfiguren, die das Ringen um Gender-Gleichheit schon Dekaden früher vorwegnahmen, im Kino doch klar erkennen.

Colette kam in erster Linie aufgrund von Keira Knightley auf meine Watchlist. Die so vielseitige wie engagierte Schauspielerin ist nicht nur als heranreifendes Autorentalent ideal besetzt – die Entdeckung ihrer sexuellen Identität und die gesellschaftliche Auswilderung ihres intellektuellen Bewusstseins waren biographische Wendepunkte, denen auch Knightley meinungsmäßig, wie es scheint, beigepflichtet haben könnte. Colette selbst wäre womöglich recht stolz auf ihre Interpretation. Was aber nur die halbe Miete des Filmes ist. Auf der anderen Seite steht Dominic West – auch er meistert den Lebemann und Hedonisten mit selbstverständlichem Hang zur zärtlichen Unterdrückung. Beide, Knightley wie West, harmonieren in der ganzen Bandbreite ihrer Diskrepanzen und Intimitäten in einem gefälligen, gegenseitig den Ball zuspielenden Rhythmus. Die Chemie stimmt also außerordentlich – und der Film selbst? Der ruht im Setzkasten klassischer Filmbiographien. Liebevoll ausgestattet, ein Streifzug durch die Geschichte ausgesuchter Mode, welche die Haute volée wohl gerne so getragen hat. Bis sich der Stil bei Colette selbst komplett ändert – und sie aus der schicken Bourgeoisie trendsetzend heraus- und auffällt.

Etwas schwer tut sich Colette – also der Film – vor allem anfangs. Da flaniert das elegante Biopic sonnenschirmdrehend vor sich hin, ohne dem Kern der Geschichte näherzukommen. Das sind Längen, schön gefilmt zwar, aber relativ ereignislos. Bis Colette – nun die Person – sich selbst entdeckt, und das ist gefühlt im letzten Drittel des Films. Bis dahin heißt es: Sitzfleisch bewahren, denn es zahlt sich durchaus aus, etwas über das Schicksal einer Persönlichkeit zu erfahren, die als die größte Schriftstellerin Frankreichs gilt. Wissenslücken werden mit Colette geschlossen. Und Claudine, sofern es mir wieder mal in die Hände fällt, aufmerksamer durchgeblättert.

Colette

The Ballad of Lefty Brown

NUR EIN MANN UND KEIN BEFEHL

6/10

 

x-default© 2018 EuroVideo

 

LAND: USA 2018

REGIE: JARED MOSHÉ

CAST: BILL PULLMAN, KATHY BAKER, JIM CAVIEZEL, PETER FONDA, TOMMY FLANAGAN, DIEGO JOSEF U. A.

 

Er zieht bei Weitem nicht schneller als sein Schatten, seine Stiefel sind bar jeglicher Blutspuren und wenn man so will, so hat der Teufel mit diesem Mann zwei linke Hände: der ewige Zweite, der Sancho Pansa des Wilden Westens, der devote Diener seines Herrn, das ist Lefty Brown. Allein auf weiter Flur ein Taugenichts, der immerhin nicht vom Pferd fällt uns ganz gut schießen kann. Lefty Brown ist eine treue Seele, die zwar daran scheitert, Verantwortung zu übernehmen, die aber zu Stelle ist, wenn Not am Mann ist, wenn Lynchjustiz mal wieder spruchreif wird oder ruchlose Mörder gefasst werden müssen. Der Gang zum Gericht ist dann eher etwas für Zimperliche – an der Seite von Altstar Peter Fonda (wann habe ich ihn zuletzt wohl in einem Film gesehen?) wird das Strafmaß an Ort und Stelle verhängt und exekutiert. Dieser Peter Fonda, ein Querkopf mit latent aggressiver Moral, darf dann auch nur nicht mehr als einen Gastauftritt absolvieren, denn so jemand, der Tacheles redet, irgendwo im Outback, der bleibt nicht lange gesund. Lefty Brown sitzt plötzlich alleine im Sattel und weiß vor lauter Eigenverantwortung nicht mehr, wo beim Pferd vorne und hinten ist.

Es darf geahnt werden, dass die Erfolgstangente von Zero to Hero relativ planmäßig gezogen wird, nicht umsonst nennt sich vorliegender Western The Ballad of Lefty Brown, denn eine Ballade, die rezitieren kommende Generationen auch nur dann, wenn Ruhm und Ehre auf den Schultern des Besungenen liegen. Der stets verschlafen wirkende Gammler mit dem ungepflegten Franz-Josef-Gedächtnisbart hat also freie Bühne, um zu beweisen, dass auch er trotz fälligen Ruhestands noch dazulernen und so manches, was bislang in so einem patscherten Leben alles schiefgelaufen war, wieder geradebiegen kann. Diese Rolle des gutherzigen, verschrobenen und anfangs relativ unselbständigen Verlierers, die hat der ewig als Nebendarsteller gebrandmarkte Bill Pullman übernommen. Gut, es gibt manches Filmwerk, da hat Pullman durchaus mehr zu sagen, zum Beispiel Lost Highway. Sogar als Präsident im alieninvasorischen Independence Day konnte er lautstark das Volk gegen den Aggressor mobilisieren. Als Lefty Brown zieht der Charaktermime aber alle Register seines Könnens und darf zumindest im Heimkino wohl die beste Performance seiner Karriere vorlegen.

Es ist vor allem Pullman´s Mimik, die unruhigen Blicke, das fahrige Gebärden. Sein Lefty Brown ist ein konfuser Chaot, der angesichts des Schicksals mit rudernden Armen versucht, die innere Mitte zu finden. Klarheit über das eigene, verpfuschte Leben, das plötzlich Sinn macht. Darstellerisch ist das großes, psychologisches Kino, und das in einem eher biederen Rachewestern, der naturgemäß und auf konventionelle Parameter bedacht Schwarz und Weiß malt, und nur scheinbar zufällig Grautöne mit hineinmischt. Klar, dass der gestelzte Manschettenträger Jim Caviezel, den man auch erst auf dem zweiten Blick erkennt, gehörig Dreck am Stecken hat. Auch wenn so manch Gutmensch der Prärie mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen hat – unter ihrem plakativen Pathos lassen sie sich alle relativ leicht zuordnen. Independentfilmer Jared Moshé findet für seinen selbst geschriebenen Selbstjustizwestern Bildnisse ockerfarbener Wildnis bis hin zu ausgewaschenem Gelb. Dazwischen eine Farm im Nirgendwo, und das obligate Kaff, in dem sich Recht und Unrecht die Flinte zuwirft. Lefty Brown, obwohl er mit sich selbst genug zu hadern hat, scheint es plötzlich mit der ganzen Welt aufzunehmen, wie ein plötzlich erleuchteter Don Quixote im Unterkleid und mit nichts als der idealen Vorstellung von Gerechtigkeit im zauseligen Hinterkopf.

The Ballad of Lefty Brown bequemt sich als Western alter Tradition, ist ein Abgesang auf den Sturm und Drang draufgängerischer Junghelden und ein Loblied auf das alte Eisen, das dem Pferd immer noch die Sporen gibt, wenn es denn sein muss. Über allem die einnehmende Solo-Performance Bill Pullman´s, die den Film überhaupt erst richtig sehenswert macht.

The Ballad of Lefty Brown