Back to Black (2024)

VOM WERT DES WELTRUHMS

6,5/10


backtoblack2© 2024 Dean Rogers, STUDIOCANAL SAS


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE: SAM TAYLOR-JOHNSON

DREHBUCH: MATT GREENHALGH

CAST: MARISA ABELA, LESLEY MANVILLE, EDDIE MARSAN, JACK O’CONNELL, JULIET COWAN, BRONSON WEBB, ANSU KABIA, SAM BUCHANAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 2 MIN


Janis Joplin, Jim Morrisson, Jimi Hendrix – und Amy Winehouse. Sie alle gehören, mit einem gewissen Zynismus betrachtet, zum Klub 27. Sie haben ein Leben gelebt, das nicht mal drei Dekaden gedauert hat. Sie wurden weltberühmt, Fans lagen ihnen zu Füßen, Türen und Tore waren geöffnet, und dennoch scheiterten sie daran, das, worauf es ankam, halten zu können. Im Juni 2011 starb Amy Winehouse aufgrund einer Alkoholvergiftung nach einer längeren Phase der Enthaltsamkeit, wie uns am Ende des nun in den Kinos angelaufenen Biopics letzte Zeilen informieren. Eine große Stimme, unverwechselbare Musik, und dennoch ist das, was Menschen wie Winehouse in die Geschichte eingehen lässt, eben nicht das, was ein gutes Leben wohl ausmachen würde. Ein gutes Leben, das wäre Beständigkeit, Geborgenheit und Zusammenhalt, Liebe und Treue. Back to Black sieht sich als Künstlerinnendrama weniger in der Pflicht, eine Chronik des jähen Erfolgs abzuliefern als vielmehr, den Alltagsmenschen Amy Winehouse losgelöst von all diesem Tamtam rund um ihre Person darzustellen, in der Erzählform einer Charakterstudie, die ankommt.

Back to Black setzt da an, wo alle Welt beginnt, die Stimme von Amy Winehouse zu bewundern. Manager werden hellhörig und handeln Deals mit dem Label Island Records aus, es dauert nicht lange, da schwappt der Erfolg nach dem ersten Albums Frank mit titelgebendem Meisterwerk auch nach Übersee in die Staaten über. Und wer mal, das wissen wir seit Falco, dort die Nummer Eins in den Charts erklommen hat, kann höher nicht mehr steigen. Die Talfahrt muss irgendwann folgen, denn Wundernummern, die auf der ganzen Welt gleichermaßen ins Ohr gehen, lassen sich auch nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln. Was Amy Winehouse aber an diesem Punkt von allen anderen Künstlern unterscheidet, die am Leistungsdruck, den Erwartungen und all der Öffentlichkeit letztlich scheiterten, sind die gänzlich anderen Prioritäten, die Winehouse gesetzt hat. So platt und pseudoromantisch es auch klingen mag, hinter all dem Tun und den Treiben von Winehouse stand am Ende nur noch ein einziger Motor. Und dieser hieß: Lover Blake Fielder-Civil (Jack O’Connell). Diese nicht gerade hellste Kerze auf der Torte und ein Freund aller Substanzen, die man illegal inhalieren kann, sollte zur großen und einzig wahren Liebe des stimmmächtigen Soulstars werden. Und auch zu dessen größter Prüfung. Mit einem wie Blake lassen sich genussvoll toxische Beziehungen leben, und es ist ja nicht so, als wäre Winehouse ein einfacher Mensch gewesen. Newcomerin Marisa Abela scheint dafür bestens geeignet, dieser komplexen, stark nach Perfektion im Lebensglück fixierten jungen Frau mit all ihren Stärken und Schwächen gerecht zu werden. Und nicht nur das: Alle Musikstücke von Amy Winehouse hat Abela selbst eingesungen, und bewundernswerterweise kommt ihre Interpretation der Lieder der Originalstimme deutlich nah.

Sam Taylor-Johnson, die mit Nowhere Boy über die Anfänge der Kultband The Beatles bereits Musikgeschichte adaptiert hat, beißt sich zum Glück nicht daran fest, Winehouses Biographie klar zu strukturieren. Die Jahre ihres Erfolges und ihres privaten Unglücks fließen ineinander, niemals ist klar, wann was wo gerade stattfindet, es sind Szenen aus einem Leben, von welchem es Bilderalben voll von Paparazzi-Fotografien geben muss, so sehr rückte die Presse Winehouse auf die Pelle. Doch selbst das, und gerade das – Ruhm, Erfolg, Geld – blieb ihr zeit ihres kurzen Lebens egal. Stand by your Woman könnte man sagen, und dazu gehört auch, sich nicht mal in für andere womöglich peinlichen Situationen aus Suff und impulsivem Verhalten zu verstellen. So gesehen war diese Musikerin, wenn man Johnsons Portrait Glauben schenken will, ein Mensch der Extreme, der lieber Pech im Spiel und dafür Glück in der Liebe gehabt hätte.

Back to Black setzt Marisa Abela, mit Turmfrisur und Augenschminke, bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit ikonisch in Szene, es ist eine Hommage an eine Jahrhundertstimme, die Lieder für die Ewigkeit intonierte und noch so viel zustande hätte bringen können, wäre die Liebe ihres Lebens jemand anderer gewesen, jemand mit Beständigkeit. Vielleicht mag man dem Film vorhalten, sich zu sehr auf seine Hauptdarstellerin verlassen zu haben, und wenn nicht auf die Hauptdarstellerin, dann auf die Musik. Rechnet man diese Faktoren weg, bleibt eine handwerklich routinierte Regie übrig, und ein Film, über den man nicht reden wird, denn worüber man einzig und allein reden wird, ist Amy Winehouse – so, als hätte man einen Nachruf gelesen, dessen sprachliche Wucht vor dem emotional aufgeladenen biografischen Notizen wohl niemals verlangt werden wird.

Back to Black (2024)

Maria Montessori (2023)

DAS KIND BEIM NAMEN NENNEN

6/10


montessori© 2024 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: LA NOUVELLE FEMME

LAND / JAHR: FRANKREICH, ITALIEN 2023

REGIE / DREHBUCH: LÉA TODOROV

CAST: JASMINE TRINCA, LEÏLA BEKHTI, RAFFAELLE SONNEVILLE-CABY, RAFFAELE ESPOSITO, LAURA BORELLI, NANCY HUSTON, AGATHE BONITZER, SÉBASTIEN POUDEROUX U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Die Frau von morgen, angelehnt an den Originaltitel, wäre wohl treffender gewesen für einen Film, der die Mutter der modernen Pädagogik in den Mittelpunkt stellt. Stattdessen nennt der deutschsprachige Verleih das Kind gleich beim Namen: Maria Montessori. Ihren Leitsatz kennen gefühlt wohl alle Elternteile dieser Welt: Hilf mir, es selbst zu tun. In diesem Zitat steckt schon der ganze Mechanismus, das ganze Herzstück einer Methode des ehrgeizigen Selbsterlernens. Sie wird zum Abenteuer Entwicklung, bestehend aus kleinen Erfolgserlebnissen, die sehr viel mit kognitiver Wahrnehmung und sensorischer Integrationsfähigkeit zu tun haben. Mit Maria Montessori gehen aber auch jene Assoziationen einher, die mit einer gewissen militanten Missionspädagogik zu tun haben – mit einer Richtung, die alles Profane oder gar Kommerzielle vehement ausschließt und deren Verfechter wie Jesusjünger ein Dogma vertreten, das in seinem Purismus einer spaßbefreiten Konfession dient, die sich für besser hält als all die anderen, die ihren Kindern Barbie, Lego oder Transformers-Figuren schenken.

In Wahrheit aber ist dieser pädagogische Extremismus, der eine ganze Ideenwelt in Mitleidenschaft zieht, nur eine am Rande auftretende Unannehmlichkeit. Maria Montessori hat mit ihrer Sicht auf das formbare und entwicklungsdurstige Kind ganze Arbeit geleistet. In Léa Todorovs Film steht aber nicht ihr Werdegang vom Kindbett bis zur Beisetzung im Mittelpunkt, sondern, und das ist bei Filmbiographien immer ein willkommenes System, um Langeweile und der ausufernden Monotonie eines wahrheitsgetreuen Nachrufs zu entgehen, jener Wendepunkt in Maria Montessoris Leben, der wohl entscheidend dafür gewesen sein mag, dass sich der Name der italienischen Ärztin in aller Welt als beliebte erzieherische Richtung etablieren wird.

Zu tun hat dieser Entschluss, sich endgültig dem System Familie zu entsagen und ins lehrkundige Gefecht zu stürzen, mit Montessoris eigenem Filius, einem kleinen Jungen namens Mario. Der hat das Pech, nicht die Frucht einer beschlossenen Ehe zu sein, was damals, um die Jahrhundertwende, wohl bedeutet hat, zum „Baby non grata“ zu werden. Weder kann Montessori (Jasmine Trinca, Das Zimmer meines Sohnes) ihr Kind zu sich nehmen, weil die Eltern es verbieten, noch kann sich der leibliche Vater Guiseppe Montesano mit dem Knaben in der Gesellschaft blicken lassen. Eine Last, die Montessori mit sich herumschleppen muss. Doch es ist nicht sie allein, die mit dem Nachwuchs so ihre auferlegten Probleme hat. Zur selben Zeit lagert Lili d’Alengy (Leïla Bekhti), eine französische Varietekünstlerin, ihre eigene bislang verschmähte, weil geistig beeinträchtigte Tochter Tina in Montessoris Bildungseinrichtung aus, mit der Hoffnung, sie endgültig loszuwerden. So stehen sich zwei Frauen gegenüber – die eine, die ihr Kind gerne bei sich haben möchte, es aber nicht kann. Die andere, die ihr Kind bei sich haben könnte, es aber nicht will. Im Laufe der Handlung kommen sich beide näher, ihre Schicksale verbinden sich, Prioritäten und Prinzipien werden hinterfragt und über Bord geworfen. Die Stellung der Frau im sozialen Gefüge ist dabei nicht nur ein gern miteinbezogenes Attribut, sondern verdrängt gar die vom Publikum erwarteten Auseinandersetzungen mit der pädagogischen Materie.

Léa Todorov schafft hier ein durchaus kompaktes, auf wahren Begebenheiten beruhendes, geschmackvolles Melodram mit vor allem beeindruckenden Leistungen der hier gecasteten und offensichtlich tatsächlich gehandicapten jungen Menschen, die mit einem Selbstverständnis und einer Natürlichkeit einen Film bereichern, der sehr dazu neigt, sich einer erzählerischen Historienromantik hinzugeben. Diese dem Medium des Volkskinos geschuldete Vereinfachung von Moral und Integrität und dem ethischen Willen, das richtige zu tun, mag die tatsächlichen Ereignisse idealisieren. Wir wissen längst: Wissenschaft und Privatleben mögen sich gerne ausschließen, denn was tun Koryphäen nicht alles dafür, ihr geistiges Gut zu hegen und zu pflegen. Opfer werden auch in Maria Montessori gebracht, doch der Beweggrund schmeichelt.

Aufschlussreich und kompakt inszeniert ist das französisch-italienische Geschichtsdrama aber auf alle Fälle. Und auch wenn hier die gewisse Zündung fehlt, diese Lust an der kritischen Betrachtung, bleibt doch eine gewisse Atmosphäre zurück, die auf gefälligem und oft konventionellem Wege ein Gefühl dafür vermittelt, wie es gewesen sein könnte, als sich die Pädagogik und mit ihr einhergehend die Stellung der Frau neu definiert hat. Montessori war so gesehen Avantgarde. Der Film selbst ist es nicht.

Maria Montessori (2023)

Bob Marley: One Love (2024)

REGGAE ALS KATALYSATOR DER ZUVERSICHT

6/10


bobmarley© 2024 Constantin Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: REINALDO MARCUS GREEN

DREHBUCH: REINALDO MARCUS GREEN, TERENCE WINTER, FRANK E. FLOWERS & ZACH BAYLIN

CAST: KINGSLEY BEN-ADIR, LASHANA LYNCH, JAMES NORTON, ANTHONY WELSH, ASTON BARRETT JR., TOSIN COLE, HECTOR DONALD LEWIS, DAVID MARVIN KERR JR., STEFAN WADE, SEVANA, NAOMI COWAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Ich hätte schwören können, über Reggae-Gott Bob Marley gäbe es bereits ein Biopic, doch der Eindruck täuschte mich. Was mir so vorkam wie Marley, war womöglich Miles Davis oder James Brown – jedenfalls wundert es mich doch ein bisschen, dass Bob Marley: One Love zum allerersten Mal den Rastafari aus Jamaika auf die große Leinwand bringt. Rastafari – wer sind diese Leute überhaupt? Man kennt Dreadlocks, die gestrickten Mützen in den Nationalfarben Jamaikas, man kennt Haile Selassie, den äthiopischen Monarchen, man kennt den Löwen als Symbol und jede Menge Cannabis, das natürlich geraucht werden muss. Doch was genau hinter dieser Glaubensrichtung steht, spart Reinaldo Marcus Green, seines Zeichens Regisseur von King Richard, insofern aus, da er sein Publikum dazu motiviert, sich selbst auf Recherche zu begeben. Macht aber nichts, wozu gibt es Wikipedia, denn dort lässt sich herausfinden, dass dieser Haile Selassie als prophezeiter schwarzer Kaiser die Reinkarnation des Messias darstellt und die Befreiung Afrikas und all seine Kinder, die über den Erdball verstreut sind, bringen wird. Jah heisst deren Gott, und Bob Marley wird des Öfteren zu ihm beten und ihm huldigen, auch in seinen Liedern.

Rastafari sind friedliebend, vorwiegend gechillt und äußerst rhythmisch veranlagt. Nicht umsonst ist Reggae deren Musik, und dieser Reggae, der schafft es, auch all jene mitzureißen, die noch nie auf Jamaika waren und einen Joint geraucht haben. Reggae, das ist wie guter Stoff in Musikform, da fällt der Stress ab, da entspannt sich der ganze Körper, da bewegt man sich mit dem Flow der prägnanten Klänge, der Trommeln und der Gitarren. Es ist, als wäre man irgendwo am Strand am Meer und könnte die Seele baumeln lassen. Man bräuchte nur die Augen zu schließen und da ist er: Bob Marley, wild gestikulierend und dabei hüpfend wie ein Häschen, seine unverkennbare, einmalige Stimme ins Mikro jaulend und der dabei positiv, beschwichtigend und die Wogen glättend in die Zukunft blickt. Every little thing gonna be alright. Oh ja, so fühlt es sich an, wenn man Marley hört. Mit den Songs, angefangen von No Woman No Cry bis zu seinem Hit-Album Exodus, ist Reinaldo Greens Film ein Best of des Feelgood.

Dabei erweckt ihn Kingsley Ben-Adir tatsächlich zum Leben. Unter der Rasta-Mähne und dem Dreitagebart, mit den richtigen Moves und dem ganzen, womöglich akribisch abgeguckten Gehabe, vermag Adir zu überzeugen. An der Darstellung des VIPs gibt es nichts zu meckern, allerdings gibt es auch keinerlei Versuche, den Künstler umzuinterpretieren. Adir ist Bob Marley – dieser wäre glücklich darüber. Er wäre auch glücklich darüber, wie sorgfältig trapiert seine Hits einer nach dem anderen in diesem Biopic verteilt sind, als hätten wir ein One-Performer-Musical wie Rocketman, das die Kassen dank zahlreicher Evergreens, ausschließlich gesungen von Taron Egerton als Elton John, klingen lassen konnte. Bob Marley: One Love hätte etwas ähnliches werden können, ein Bob Marley-Musical, in welchem der Skipper höchstselbst anhand seiner Nummern über sein Leben sinniert. Da der Glamour eines Elton John einer eingerauchten, wohlwollenden Erdung weichen muss, ist die Form eines Musikfilms wie dieser immer noch am geeignetsten, verknüpft mit biographischen Eckpunkten, die rund um das legendäre Friedenskonzert 1978 in Jamaika angesiedelt sind.

Lässt sich da eine verdichtete Chronik eines Ruhms im Abendrot spinnen? Seltsamerweise wäre Bob Marley: One Love, hätte es all die wunderbaren Lieder nicht, die der mit 36 Jahren an Krebs verstorbene Künstler als ewiges Vermächtnis hinterlassen hat, eine müde Angelegenheit. Weniger straff, dafür etwas unentschlossen, geben szenische Einsprengseln manches aus der Jugend Marleys preis, manches beschäftigt sich wiederum mit der Entstehung des Albums Exodus und manches mit Jamaikas wüster Politik. Doch all diese Facetten wollen sich nur schwer bis gar nicht miteinander verbinden. Das dramaturgische Grundgerüst fällt auseinander, hat aber immer noch Ben-Adir in petto, der stets aufs Neue unbedingt zeigen muss, wie verblüffend gut er das Vorbild imitieren kann. Jedes Mal aufs Neue hängt man an seinen Lippen, wenn er so klingt, wie er klingen soll. Wenn er singt, was er singen soll und wir hören wollen. Die Musik ist letztlich der eigentliche Superkleber in diesem Film, der das Stückwerk notgedrungen zusammenhalten muss. Das ist kein Fehler, dafür gibt’s schließlich jede Menge Benefit: Die gechillten Rhythmen zeitlosen Reggae-Sounds, den richtigen Ohrenschmaus als Antidepressiva.

Bob Marley: One Love (2024)

Cassandro (2023)

BUNTER VOGEL OHNE STIMME

3,5/10


Cassandro© 2023 Amazon prime


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ROGER ROSS WILLIAMS

DREHBUCH: DAVID TEAGUE, ROGER ROSS WILLIAMS, JULIÁN HERBERT

CAST: GAEL GARCÍA BERNAL, ROBERTA COLINDREZ, PERLA DE LA ROSA, JOAQUÍN COSÍO, RAÚL CASTILLO, ANDREA PAZMINO, BAD BUNNY U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Ich muss zugeben, es hat mal auch für mich eine Zeit gegeben, da war die üppige Überdramatik akrobatischer Ringkämpfe ein Guilty Pleasure am Feierabend, der Eurosport-Kanal zumindest für ein paar Monate nicht nur eine unbeachtete Fußnote im Rahmen der Kabelkanäle. Da waren Kapazunder wie Adam Bomb, The Undertaker oder Yokozuna gern gesehene Rüpel oder heldenhafte Muskelprotze, die, schweißglänzend und die tobende Menge für sich einnehmend, andere Nullnummern oder manchmal gar ernstzunehmende Widersacher im Showdown aufs Kreuz legten. Auch Dwayne „The Rock“ Johnson war so jemand, oder Dave Bautista – beide nun im Filmgeschäft. In Lateinamerika, insbesondere in Mexiko, kennt man Saúl Armendáriz, genannt Cassandro. Der hat’s ebenfalls zum Film geschafft, allerdings auf andere Weise. Statt selbst in irgendein Genre der laufenden Bilder zu wechseln und dann dort groß aufzuspielen, wird er zur biographischen Gestalt, mit dem Gesicht von Gael García Bernal, der sich in hautenge Trikots zwängt und in permanenter Jubelstimmung nicht nur das queere Filmpublikum für sich einnimmt. Dieser Cassandro, der steht für Liberalismus, Akzeptanz und sexueller Freiheit. Für die zurecht ungenierte Zurschaustellung homosexueller Orientierung und dem Hinterfragen geschlechtlicher Rollenbilder, die vor allem im Showsport des Wrestlings gerne vor die Kameras gehalten werden, ohne den Status quo zu hinterfragen. Als Botschafter der willkommenen Andersartigkeit scheint der schräge Vogel zwar schmächtig, aber gewitzt. Und wie es beim Wrestling nun mal als Parameter gilt: je beliebter man als Fäuste schwingender Ringkämpfer wird, umso mehr und umso öfter müssen die Kontrahenten zurückstecken. Das ist abgemachte Sache, da passiert nichts zufällig. Auch wenn wir alle gerne so hätten, es wäre so.

Cassandro mausert sich in ungestümer Beharrlichkeit und allen zumindest anfangs laut werdenden Unkenrufen zum Trotz zum beliebten Außenseiter, der, obwohl er die Branche konterkariert, als Klasse für sich phobisches Gesellschaftsdenken aufbricht. Dieses Herzensprojekt des kernigen Texaners ist zweifelsohne lobenswert. Roger Ross Williams, der 2010 für seinen Dokumentar-Kurzfilm Music by Prudence gar einen Oscar gewann, taucht seine biographische Tragikomödie in schillernde Farben und setzt sie deutlich oft dem Rampenlicht aus. Die kreischenden Outfits sitzen perfekt, García Bernal strahlt über das ganze Gesicht. Dass Cassandros Werdegang auch mit einigen Schwierigkeiten verbunden war; dass das Emporkommen, der Widerstand aus dem Volk und gar der Tod der geliebten Mutter den Mann mit ziemlicher Sicherheit in ein Wechselbad der Gefühle gestoßen haben muss, lässt Williams niemals so recht spürbar werden. Es ist, als würde sein Avantgardist in permanent glückseligem Enthusiasmus sein Leben bestreiten, ganz ohne bewusstseinsverändernde Substanzen, was man kaum für möglich halten würde, wenn man es nicht besser wüsste. Es scheint, als lebe der von Bernal dargestellte Träumer und Idealist in einer Gemütsblase aus Verdrängung und bühnenhafter Oberfläche, auf der man gerade noch vor lauter Verzückung die Arme gen Publikum strecken kann, um jeden einzelnen in dieser zum Bersten vollen Sporthalle zu umarmen.

Diese beharrliche Erfolgslust flacht die biographische Figur allerdings deutlich ab. In die wahre Seele des Mannes durchzudringen, scheint hier unmöglich – da muss, da kann doch deutlich mehr gewesen sein als sich nur der Phrase Wenn du es willst, kannst du alles schaffen hingegeben zu haben. Als schier unglaubliches und gleichermaßen unglaubwürdiges Märchen stutzt sich Cassandro zu einem Testimonial zusammen, das wie ein Cartoon durch dessen eigene Lebenslagen stolziert, ohne innezuhalten und mehr von sich preiszugeben als nur den gelebten Traum. Diese Attitüde nutzt sich bald ab, das Drama wird belanglos, obwohl es das nicht sein sollte, denn die vermittelten Werte sind gut genug, um seine Zuseher emotional abzuholen. Aus all dem Potenzial nutzt Williams nicht viel mehr als die Rolle eines „Hans im Glück“, der aufgrund einer naiven Einstellung Liebkind eines Schicksals wird, das als fade erzähltes Gesellschafts- und Familienportrait kaum berührt.

Während Fighting with My Family, wohl einer der besten Wrestling-Filme, in welchem sogar Dwayne Johnson als er selbst der jungen Florence Pugh so einige Tipps gibt, wie man im Ring überlebt, die Balance zwischen Erfolgsgewieftheit und innerfamiliären Befindlichkeiten findet, und Aronofskys The Wrestler den destruktiven Abgesang zelebriert, findet Cassandro, anders als sein echtes Vorbild, nirgendwo seinen Platz.

Cassandro (2023)

Maestro (2023)

IM EIFER DER MUSIK

6/10


Maestro© 2023 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: BRADLEY COOPER

DREHBUCH: BRADLEY COOPER, JOSH SINGER

CAST: BRADLEY COOPER, CAREY MULLIGAN, MAYA HAWKE, MATT BOMER, VINCENZO AMATO, MIRIAM SHOR, SARAH SILVERMAN, MICHAEL URIE, BRIAN KLUGMAN, NICK BLAEMIRE, GIDEON GLICK U. A.

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


„Wie die Nase des Mannes, so ist sein…“ Ein selten dämlicher Spruch, doch den Eklat ums aufgepflanzte Riechorgan, um der Rolle des Leonard Bernstein auch optisch gerecht zu werden, wird der Film nicht mehr los. Wie bei Rami Maleks Freddy Mercury-Vorbiss, auf welchen manche nicht anders konnten, als diesen im Fokus zu haben, durchpflügt Bradley Coopers „Pfrnak“ den Film – mal mehr, mal weniger, je nach Licht und Perspektive der Kamera. Nun, tatsächlich ist diese angeblich diskriminierende Extension nur halb so dominant. Später, wenn Make Up-Artists immer mehr und mehr Maske anlegen müssen, stellt das Teil kein Problem mehr da. Das zunehmend zerfurchte und alternde Gesicht des Vollblutmusikers wird letztlich die Vorreiterrolle übernehmen. Es bleibt einem nur noch, ganz genau hinzusehen, um dahinter Bradley Cooper zu erkennen. Er verschwindet zwar nicht ganz so sehr wie Gary Oldman hinter Winston Churchill, aber dennoch: Gemeinsamkeiten mit seiner Rolle aus Hangover gibt es keine mehr.

Das Leben des New Yorker Dirigenten, Komponisten und Musik-Afficionados wird zu Coopers Herzensprojekt. Wichtigstes Ziel dabei: genauso auszusehen und sich zu geben wie Leonard Bernstein himself, ohne Abstriche, ohne freier Interpretation. Akribisch recherchiert, genauestens beobachtet und letztlich umgesetzt. Maestro nennt sich das auf Netflix erschienene Werk (das darüber hinaus auch in manchen Kinos lief, um dem Preisregen der Academy nicht zu entgehen) und begreift sich vor allem als filmgewordenes, teils jeweils in Schwarzweiß und in Farbe gedrehtes Denkmal, in welchem die Biographie selbst gar nicht mal so eine große Rolle spielt. Denn die ist, mit Ausnahme des tragischen Schicksals seiner Ehefrau Felicia Montealegre, im Grunde eine Aneinanderreihung ungestümer Kraftakte am Dirigentenpult, viele Stangen Zigaretten und ruhelosem Schaffen, dass den Musiker längst schon in ein Burnout hätte treiben können.

Bradley Coopers Bernstein legt eine fahrige Hyperaktivität an den Tag, die aufreibt. Dort eine Komposition, hier ein Auftritt, woanders wieder eine Lehrstunde an der Uni, dann ganz viel Society und wieder eine Komposition. In diesem Zyklus schraubt sich der Film von den Vierzigerjahren bis in die Achtzigerjahre. Lenny, wie er von Frau und Freunden genannt wird, sehen wir beim Älterwerden zu, bei seinem ersten Triumph bei den New Yorker Philharmonikern über seine Beziehung zur Schauspielerin Felicia bis hin zum schweißtreibenden Kraftakt in der britischen Kathedrale von Ely, in der Cooper all sein Können hineinlegt, um seinem Vorbild gerecht zu werden. Er schwingt den Taktstock zu Gustav Mahlers Auferstehungssymphonie, als gäbe es kein Morgen mehr, als würde in Kürze die Welt versinken. Er rudert mit den Armen, mit verzerrtem, schweißnassem Gesicht, längst schon in Ekstase. Der Zenit musikalischer Ausdrucksstärke ist erreicht, erschöpft sinkt unsereins wieder ins Sofa zurück – das war ein Moment, da kann sich Cate Blanchett als Tár noch so einiges abschauen.

Um diesen besonderen Auftritt herum weiß Cooper auch sonst ganz genau, wie er sich in Szene setzt. Niemand sollte ihm hierbei das Wasser reichen, nicht mal Carey Mulligan, die tut, was sie kann, um für das Bernstein-Lookalike stark genug zu sein. Ihre Leistung ist souverän, doch sie bleibt nur die zweite Reihe, auf irgendeinem Platz im Orchester, das Cooper dirigiert und dabei nur sich selbst filmt, unentwegt, in unterschiedlichstem Licht, in allen erdenklichen Posen, akkurat nachgestellt und herrlich selbstverliebt.

Zum Künstler und seinem bisexuellen Lebenswandel; zu seiner Familie und seiner ewigen Rastlosigkeit, fehlt dann doch der Zugang. Ein Mensch wie Bernstein, wie sehr muss er wohl das Dasein als von allen bewunderter Künstler genossen haben. Als einer, dem alles erlaubt schien, der alles durfte und so lebte, wonach ihm war. Als fleischgewordene Bereicherung für die Musikwelt darf einer wie er durchaus Tribute fordern, nur nicht an sich selbst. Das macht ihn nicht gerade sympathisch, doch das Staunen über so viel Obsession, deren Energie dahinter immer nur so viel verbrennt, wie gerade neue entsteht, übertüncht alles. Was bleibt, ist die One-Man-Show Coopers und die One-Man-Show Leonard Bernsteins. Zwischen diesen beiden Sichtweisen wechselt der Film, der außer der Darstellung einer Ikone zwar ein Leben erzählt, aber eines, dem man in seiner Hast und in seinen nur schwach ausgearbeiteten Stationen kaum folgen kann.

Maestro (2023)

Priscilla (2023)

SÜSSES NICHTSTUN AUF SCHLOSS GRACELAND

5,5/10


priscilla© 2024 Stadtkino Filmverleih


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: SOFIA COPPOLA

DREHBUCH: SOFIA COPPOLA, NACH DER BIOGRAFIE VON PRISCILLA PRESLEY & SANDRA HARMON

CAST: CAILEE SPAENY, JACOB ELORDI, TIM POST, LYNNE GRIFFIN, DAN BEIRNE, DAGMARA DOMINCZYK, ARI COHEN, RODRIGO FERNANDEZ-STOLL, EMILY MITCHELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Wer ist der bessere Elvis? Austin Butler oder Jacob Elordi? Wirklich schwer zu sagen. Am besten, man mixt beide Interpretationen zusammen – was dabei herauskommt, könnte dem wahren Wesen des King of Rock’n‘Roll schon ziemlich nahekommen. Während Butler sich ausgiebig auf die Bühnenperformance des Stars konzentrieren konnte, gibt ihm Elordi die private Breitseite. Sein nuschelnd dahingeschmissenes und für Nicht-Natives wirklich unverständliches Slang-Englisch klingt wie das Original und macht ihn allein schon dadurch zum souveränen Imitator. Wenn sich dann noch Elordis Profil im Halbschatten zu seiner „Cilla“ hinneigt, meint man in einigen Szenen, vollends verblüfft, dem 1977 verstorbenen Original zu begegnen. Und was ist mit Priscilla? Stimmt, Sofia Coppolas neues Werk will ja schließlich nicht ein weiteres Elvis-Biopic sein, sondern sich diesmal ganz und gar seiner besseren Hälfte widmen – der um viele Jahre jüngeren Lebens- und Leidensgenossin der in den Untergang gerittenen Musik-Ikone, die als lebendig begrabene, eierlegende Wollmilch-Rampensau in Las Vegas ihr Ende fand.

Priscilla hatte da schon einige Jahre früher, 1973 nämlich, die Reißleine gezogen und war ausgestiegen aus diesem schalen Promileben, bestehend aus Tabletten, Drogen und leidenschaftsloser Bühnenpräsenz. Die vom süßen, schüchternen Küken zur selbstbewussten Frau gewandelte Showbiz-Adelige fand ihr Heil in der Selbstfürsorge. Ein glückliches Eheleben war das längt schon keines mehr. Wie es dazu kam, wie Priscilla Presley ihr Leben an der Seite einer weltbewegenden Ikone wohl empfunden und gesehen haben mag – darüber gibt die mittlerweile stark geliftete Dame höchstselbst in ihrem Buch Elvis and Me reichlich Auskunft. Diesen Stoff hat Sofia Coppola nun verfilmt, streng aus der Sicht ebenjenes von heute auf morgen plötzlich privilegierten jungen, zerbrechlich und verletzbar wirkenden Mädchens, das wie Alice in ein Wunderland kam, in welchem man nicht sonderlich viel zu tun hatte ausser sich einlullen zu lassen vom Wohlstand, vom materiellen Glück und der fast schon väterlichen Kümmerung eines von allem Weiblichen vergötterten Idols, dem der Ruhm gar nicht mal so zu behagen schien. Der wie ein Thronfolger, der schließlich die Macht übernehmen muss, weil so vorgesehen, eben dieses Spiel zuspielen hatte  – kaum hinterfragend, warum das alles so weit hat kommen können. In diesem Herrscherhaus namens Graceland muss die aus Deutschland heimgeholte Priscilla nun das Spiel nach allen Regeln mitspielen – das scheint ihr anfangs alles recht, wenn sie doch nur an der Seite ihres Elvis sein kann. Doch früh schon quälen medial ausgeschlachtete Techtelmechtel des Stars und der viele verordnete Müßiggang, bestehend aus Warten und Harren und Shoppen, die junge Seele. Bis Elvis sich abermals bemüßigt fühlt, zu seinem Baby heimzukehren, um dann wieder zu verschwinden, für einen neuen Film. Und so weiter und so fort.

So, wie Priscilla vom Leben an der Seite eines Weltstars eingelullt und ruhiggehalten wird, so eingelullt und ruhiggehalten wird man auch als Zuseher. Während Baz Luhrman in seinem epischen Biopic ordentlich auf Emotionen setzt, mit den authentisch nachchoreographierten Gigs für die nötige Wucht sorgt und das Wort Drama ganz groß schreibt, gibt sich Sofia Coppola einem gemächlichen Makeup- und Styling-Pragmatismus hin. Alles ist akkurat nachempfunden, sogar die Fotos, die Hochzeit, all das, was Elvis-Fans längst von den echten bildlichen Dokumenten her kennen. Schmuck ausgestattet ist ihr Werk allemal, das sind sie immer. Hinter dieser Fassade eine Koexistenz aus Anhimmeln und Hinhalten, aus Wunschlosglücklichmachen und verhängtem Elvis-Dekret. Es plätschert, es knistern die Satinlacken, Cailee Spaeny mausert sich währenddessen vom traumverlorenen Sixties-Püppchen zum duldenden Eigentum mit hochdopierter Frisur. Der Wandel ist gut gespielt, wirklich viel Mut fasst sie in ihrem Spiel allerdings nie. Es bleibt bei wenigen Ausbrüchen, denen die Lust an der Reibung fehlt. Jacob Elordi hingegen ist das eigentlich Verblüffende an der ganzen, eigentlich redundanten Geschichte, die sich kaum weiterbewegt, obwohl sie es doch tut. Und plötzlich ist es da, das schmerzliche Ende der beiden, und ehe man sich versieht, ist es auch schon wieder vorbei. Fast schon als Fußnote oder filmisches Nachwort untergebracht, lässt Sofia Coppola auch hier kein Crescendo zu, zieht ihren ganzen Film im gleichen Rhythmus durch, ohne Höhen, ohne Tiefen, fast schon monoton, aber schön anzusehen.

Priscilla (2023)

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (2023)

SCHREIBEN UND LIEBEN

7/10


bachmanninderwueste© 2023 Alamode Film


LAND / JAHR: SCHWEIZ, ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, LUXEMBURG 2023

REGIE / DREHBUCH: MARGARETHE VON TROTTA

CAST: VICKY KRIEPS, RONALD ZEHRFELD, TOBIAS RESCH, BASIL EIDENBENZ, LUNA WEDLER, MARC LIMPACH, ROBERTO CARPENTIERI, KATHARINA SCHMALENBERG U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Ich sage es gleich vorweg – und ja, ich weiß – Bildungslücke: Ingeborg Bachmann ist mir natürlich ein Begriff, doch letztlich kenne ich nichts von ihr, weder Hörspiel noch Lyrik noch Prosa. Den Zugang zu ihren Werken fand ich nie, auch war mir Sartre ‘scher Expressionismus und das Absurde Theater deutlich näher als das Euvre der in Klagenfurt am Wörthersee geborenen literarischen Größe, die Zeit ihres Lebens bereits, und das kann man so sagen, Starruhm genoss. Was noch nicht war und ist, kann sich ändern – Der gute Gott von Manhattan, Bachmanns letztes Hörspiel, werde ich mir vermutlich demnächst zu Gemüte führen.

Wie Ingeborg Bachmann selbst gewesen sein mag? Die öffentliche Person kennt man ja, und ihre Briefwechsel mit anderen künstlerischen Größen wie Paul Celan sind längst verlegt und sogar schon, von Ruth Beckermann, unter dem Titel Die Geträumten, als semidokumentarische, szenische Lesung verfilmt worden. Ihre Beziehung zu Max Frisch? Für Margarethe von Trotta, bereits erfahren mit Portraits bekannter Frauenfiguren, ist diese Zeitspanne ihres Lebens und Leidens zumindest einen Film wert. Was dabei aber deutlich ins Auge fällt, ist der bekennende Umstand, nur bruchstückhaft in einer schriftstellerischen Zweisamkeit aufgeräumt zu haben. Viel wichtiger scheint es bereits am Anfang des Films oder sogar schon kurz nachdem Ronald Zehrfeld als Wuchtbrumme von Schriftsteller die Szene betritt, Ingeborg Bachmann selbst von allem loszulösen, was sie bedrängen könnte. Nur, um ihr ein Portrait zu widmen, ein ebenfalls nur fragmentarisches, dafür aber greifbares und dank des unaufdringlichen und zurückhaltenden Spiels von Vicky Krieps auch raumschaffendes Psychogramm, das zur passiven Mitarbeit des Zusehers einlädt. Immer wieder brechen Zitate aus Bachmanns Feder, wie zum Beispiel Es seien nicht immer die Mörder, sondern manchmal die Ermordeten schuldig oder Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar wie Leitsätze als etwas, das gehört werden sollte, ins Bild. Titel wie Die gestundete Zeit oder Das dreißigste Jahr, aus welchem Krieps alias Bachmann dann auch vorliest, dienen dem Film dazu, nicht nur den Charakter der Künstlerin zu umreissen, sondern diesen auch inmitten ihres Schaffens lose, aber doch, zu verankern.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste beginnt auch damit, die Autorin in die Wüste zu schicken, mitsamt ihres damaligen Freundes und auch Partners Adolf Opel, der später seine Erinnerungen an diese besondere Reise unter dem Titel Landschaft, für die Augen gemacht sind 1996 veröffentlichen wird. Dort soll sie sich vor allem von einer destruktiven Beziehung mit dem Schweizer Max Frisch erholen, der ihr anfangs noch das Blaue vom Himmel versprochen und sie später sitzen gelassen hat, vielleicht für eine andere, vielleicht aber auch, weil zwei Größen wie diese mit kaum übersehbarem Ego unter einem Dach kaum Platz finden. Leben, wie diese eben gewesen waren, aufteilen – und das Dasein als Künstlerin oder Künstler beschneiden, zur Ermöglichung einer harmonischen Zweisamkeit? Geht natürlich nicht, doch wo die Liebe und das Begehren hinfällt, hat der Alltag mal vorerst Sendepause. Irgendwann kehrt auch dieser zurück, und allmorgendlich muss Bachmann das quälende Hämmern Max Frischs in die Schreibmaschine über sich ergehen lassen. Mit diesem qualvollen Geklopfe beginnt auch der Anfang vom Ende – relativ früh zwar, aber dafür langsam, dahinsiechend, voller Eifersucht von Seiten des Mannes, voller Sehnsucht Bachmanns nach Rom, ihrem Elysium – für Frisch unmöglich, dort zu leben.

Das besitzergreifende, manische Wesen des formatfüllenden Zürcher Dramatikers mag von Ronald Zehrfeld vielleicht etwas ausufernd und überspitzt dargeboten sein – zumindest aus Bachmanns Sicht könnte diese subjektive Wahrnehmung ihres Partners diesem verzerrten Bild entsprechen. Bachmann selbst bleibt wie bereits erwähnt in kettenrauchender, leiser Melancholie – gleichzeitig unnahbar und dadurch faszinierend verführerisch. Im Interieur der Sechziger verharrend, mag manches einem Verhaltensmanierismus geschuldet sein, doch sind diese Oberflächlichkeiten nicht immer ein Fehler. Durch dieses Illustrieren gelingt der Zugang zu einer (zumindest für mich) unbekannten Persönlichkeit deutlich leichter. Von Trottas Film mag auch Bachmann für Anfänger sein – Literaten mit viel mehr auf der Habenseite werden sich vielleicht über die schlichte Struktur dieses Films wundern, für mich findet sich in Krieps Spiel Sehnsucht, Kummer und Leidenschaft einer komplexen, nicht einfachen Person, die ihrer Zeit weit voraus war und das Hausfrauenverständnis eines Max Frisch untergraben konnte – einfach, weil sie als unkorrumpierbare, unverbiegbare Avantgardistin sich selbst treu blieb und das Selbstbewusstsein einer Frau lebte, die wusste, wo und was ihre Stärken waren.

Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste (2023)

Ferrari (2023)

DER WITWENMACHER MIT DER SONNENBRILLE

5,5/10


ferrari© 2023 STX Entertainment


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: MICHAEL MANN

DREHBUCH: TROY KENNEDY-MARTIN, MICHAEL MANN

CAST: ADAM DRIVER, PENÉLOPE CRUZ, SHAILENE WOODLEY, SARAH GADON, PATRICK DEMPSEY, JACK O’CONNELL, GABRIEL LEONE, WYATT CARNEL, BRETT SMRZ, TOMMASO BASILI, SAMUEL HUBINETTE, LINO MUSELLI U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Adam Driver hat schon vieles gespielt. Vorzugsweise auch mal diverse Italiener, zuletzt gar den Unternehmer Maurizio Gucci in Ridley Scotts House of Gucci, einem wirtschaftsbiographischen Panoptikum aus schrägen Charakteren (Al Pacino, Jared Leto) und mit einer donnernden Lady Gaga in viel zu engen Stöckelschuhen. Von Mailand ist es nicht weit bis nach Modena – das Ergrauen von Adam Drivers Haar dauert zwar länger, doch wofür gibt’s Make up-Artisten? Dank dieser Fertigkeiten erhebt sich zu Beginn des Films ein in die Jahre gekommener, stocksteifer Enzo Ferrari aus seinen Laken, daneben liegt die Freundin, nicht die Ehefrau. Die beiden haben ein Kind, es heisst Piero und wird später Geschichte schreiben. Doch von ihm handelt der Film nicht in erster Linie. Viel wichtiger ist die ikonische Figur des Enzo, der, hochgewachsen, im schicken Anzug und stets mit Sonnenbrille (auch wenn nicht die Sonne scheint) als dritter, erst spät entdeckter Bruder der Blues Brothers auftreten hätte können. Selten umspielt ein Lächeln seine Lippen, denn die Lage ist ernst.

1957 war die Automarke mit dem aufbäumenden Pferd noch eine, die mühsam mit Konkurrenten wie Maserati mithalten musste. Racings unter Ferraris Teilnahme zeichneten sich zu dieser Zeit stets dadurch aus, im Anschluss ein Begräbnis auszurichten. Nicht umsonst nannte man den geschniegelten Unternehmer Witwenmacher, und auch nicht von irgendwoher ist die Leichtigkeit von Enzos Leben auch deshalb abhanden gekommen, da dieser bereits einen Sohn zu Grabe tragen musste. Eine Tragödie, die das Eheleben mit Laura Ferrari (erinnert an Sophia Loren: Penélope Cruz) auf eine Probe stellt, die nicht zu meistern ist. Die superfrustrierte Mitunternehmerin der Automobilwerke schießt gerne mal mit der Knarre an ihrem Noch-Gatten vorbei und ahnt auch bald mal etwas von finanziellen Zuwendungen einer Dame gegenüber, die sich Lina Lardi nennt. Diese Dreieckskonstellation nimmt Michael Mann schließlich als Kernstück seines Rennfahrerfilms auf, der jedoch keinerlei Pioniergeist versprüht wie James Mangolds Le Mans 66 – gegen jede Chance. Inspiration, Motivation und Feuer nicht nur im Vergaser, sondern auch im Hintern, sucht man in Ferrari vergebens. Was hier ausbrennt, ist eine Liebe. Was hier mühsam am Glimmern erhalten wird, die Beziehung mit Shailene Woodley irgendwo abseits der Stadt in einer rustikalen Villa.

Ferrari ist wie eine Momentaufnahme, der Auszug eines angekündigten Epos. In Wahrheit ein kleiner Film mit großem Egomanen, einem gelinde gesagt recht unsympathischen und auch unnahbaren Rationalisten, der in seinen Rennfahrern Werkzeuge sieht, mehr nicht. Gerade diese Gestalt dominiert in ausladender Prominenz, manchmal auch im Close Up, Michael Manns kühlen, enorm distanzierten Film, ohne seinem Publikum in irgendeiner Weise gefällig zu sein. Was muss Enzo Ferrari für ein Mensch gewesen sein? So ein harter Hund wie Adam Driver ihn darstellt? Womöglich, denn ohne über Leichen zu gehen erreicht man wohl kaum die schillernde Spitze eines weltumspannenden Erfolges, schon gar nicht im Rennsport. Michael Mann gelingt es allerdings nur teilweise, den öffentlichen Charakter zu durchbrechen. Es gelingt ihm auch nur teilweise, seine Beziehungsgeschichte mit randnotierter Unternehmenschronik so aufzubereiten, dass sie relevant genug erscheint.

Nach dem Weglassen von Innovation und packendem Pioniergeist bleibt nur noch der Blick auf die nicht sehr tangierenden Mechanismen einer Betriebswirtschaft. Und schließlich hochfliegende Rennwägen, nachdem diese entweder die Kurve nicht bekommen oder gegen den Meilenstein donnern. Es scheint, als würde Ferrari nur darauf warten, den Asphalt endlich zum Glühen zu bringen. Um dann den Crash des Jahrhunderts zu inszenieren – und tatsächlich fegt Alfonso de Portagos Wagen durch die wenigen Zuschauer am Straßenrand in einer unzensierten Direktheit, die verstört. Was für Energien so ein Unfall freilässt, ist sagenhaft. Ich wünschte, diese Energie hätte sich auch auf den Rest des Films übertragen.

Ferrari (2023)

Der Palast des Postboten (2018)

LEBEN IM MONUMENT

7,5/10


palastdespostboten© 2023 Polyfilm


LAND / JAHR: FRANKREICH 2018

REGIE: NILS TAVERNIER

DREHBUCH: LAURENT BERTONI, FANNY DESMARES, NILS TAVERNIER

CAST: JACQUES GAMBLIN, LAETITIA CASTA, BERNARD LE COQ, ZÉLIE RIXHON, NATACHA LINDINGER, LOUKA PETIT-TABORELLI, FLORENCE THOMASSIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Die einen bauen Luftschlösser, die anderen legen wirklich Hand an. Kaum zu glauben, dass sich diese Geschichte wirklich so zugetragen hat. Ein einfacher Postbote vom Land, der sich ohnehin schon sichtlich schwertut, sozial zu interagieren, setzt sich eines Tages in den Kopf, für seine Tochter einen Palast zu bauen. Natürlich, werden viele dieses Vorhaben nicht ohne Sarkasmus kommentieren. Gerne in der Sandkiste, werden andere sagen. So viel Schnapsidee kann nicht gut gehen, mit praktisch null Ahnung von der Materie lässt sich wohl kaum zur Tat schreiten. Joseph Ferdinand Cheval tut es trotzdem. Weil Schnapsideen die wahren Ideen sind. Weil das völlig Absurde, von welchem alle anderen, die meinen, mit beiden Beinen fest im Leben zu stehen und sich nach der Decke strecken zu müssen, tunlichst abraten, genau das ist, worauf es im Leben ankommt. Wäre Cheval bereits beim ersten Versuch seiner Liebsten, ihn davon abzubringen, tatsächlich ihrem Rat gefolgt, wäre die Welt um das einzige naive Baukunstwerk ärmer.

Wie hat Michelangelo noch gleich so treffend formuliert? Die Figur war schon in dem rohen Stein drin. Ich musste nur noch alles Überflüssige wegschlagen. Und Steine, die gibt es überall und kosten nichts. Auch Kalk und Wasser ist überall zu finden. Somit konnte es losgehen. Wir schreiben das Jahr 1873, und Cheval – der Inbegriff eines Postboten mit dichtem Schnauzer, korrektem Gang und einer Gewissenhaftigkeit, die ihresgleichen sucht – trifft auf seine zukünftige Geliebte Philomène, nachdem seine erste Frau gestorben und sein Sohn in die Obhut von Verwandten gebracht worden war. Mit Cheval warm zu werden, das würde sicherlich niemandem leichtfallen: Der Mann ist verschlossen, scheint autistisch veranlagt. Gefühle zu vermitteln scheint für ihn unmöglich, doch Philomène nimmt ihn, wie er ist. Auf Cheval ist schließlich Verlass. Und als Töchterchen Alice zur Welt kommt, kann der Postbote gar nicht anders, als seinen Triumph, Vater zu sein, in Form eines Bauwerks auszudrücken. Dabei entsteht etwas absolut Einmaliges: ein fantastisches, surreal anmutendes Schloss, inspiriert aus fünf verschiedenen Baustilen – ein Palast voller Fabelwesen, Zapfen, Tropfen, Figuren und Mosaiken. Mit verschlungenen Gängen, kleinen und großen Toren, Türmen, auf denen Türme sitzen. Ein Konstrukt, das so aussieht, als wäre es stetig in Bewegung, als wäre es amorph und würde neue Gestalten gebären, so viel lässt sich beim ersten Mal übersehen, was Cheval in den Sinn kommt, darzustellen. Es wird 33 Jahre brauchen, bis das Kunstwerk seine Vollendung findet. Jahrzehnte und die ganze Brutalität eines Lebens, das nicht bereit ist, Cheval mehr zu geben als die Möglichkeit, das Unmögliche zu realisieren.

So staunend und respektvoll wie jeder Besucher, der sich diesem in Hauterives im südlichen Frankreich gelegenen und immer noch zu besichtigenden Kunstwerks nähert, will auch Nils Tavernier über Cheval und sein Leben berichten. Biografien wie diese, die noch dazu zur Entstehungsgeschichte einer denkwürdigen Arbeit werden, haben es nicht notwendig, die kreativen Eskapaden eines Filmemachers auch noch mittragen zu müssen. Tavernier nimmt sich zurück und wird zu einem Fotografen des 19. Jahrhunderts, der sein Werk genauso gut in Schwarzweiß hätte drehen können. Seine Bilder sind unprätentiös und schlicht, die Dramaturgie folgt einer konventionellen Chronologie der Ereignisse und wagt dabei auch des Öfteren große Zeitsprünge, die für die Essenz der Geschichte legitim scheinen. Ein ganzes Leben in einen Film zu packen ist sowieso unmöglich. Und so hat Tavernier Mut, Dinge wegzulassen, seinen Film zu entschleunigen und Bilder zu vermitteln, die neben der verblüffenden Architektur einer Galerie historischer Aufnahmen gleichkommt, in welcher Jacques Gamblin als liebenswerter Sonderling mit Bravour zwischen Rain Man, Jaques Tati und der Verbissenheit legendärer Renaissancekünstler oszilliert.

Der Palast des Postboten ist aber nicht nur erfrischend klassisch in seiner Erzählweise, sondern auch, fernab jeglicher Sentimentalitäten oder gar des Kitsches, enorm berührend. Was Cheval ertragen muss, und womit er gleichzeitig beschenkt wird, lässt sich als beeindruckendes Plädoyer für die heilsame Kraft der Kreativität und des Schaffens verstehen.

Der Palast des Postboten (2018)

Weird: The Al Yankovic Story (2022)

GIGS MIT GAGS

6/10


weird-the-al-yankovic© 2022 The Roku Channel


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ERIC APPEL

DREHBUCH: ERIC APPEL, WEIRD AL YANKOVIC

CAST: DANIEL RADCLIFFE, EVAN RACHEL WOOD, RAINN WILSON, JULIANNE NICHOLSON, TOBY HUSS, WILL FORTE, SPENCER TREAT CLARK, WEIRD AL YANKOVIC, JACK BLACK U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Seit Curly Sue gab es keinen Lockenkopf mehr, der so sehr für Wirbel gesorgt hat. Und nein, es ist nicht Bob Ross, der entspannte Landschaftsmaler, der so viel Freude am Klecksen hat und bald durch Owen Wilson in einem Biopic verkörpert wird. Es ist Weird Al Yankovic, dem die Kräuselmähne zu Berge steht und dem Oberlippenbart gar zu einem Comeback verhilft. Bei Eric Appels biographischem Drama stellt sich natürlich die Frage: Wie sehr ist das Ganze hier überhaupt True Story und wie sehr auch nicht? Und wen juckt das eigentlich?

Madonna im Drogendschungel. Beat it von Michael Jackson scheint eine billige Kopie von Eat it zu sein. Wenn, wie der Film sagt, Alfred Matthew Yankovic alias Weird Al wirklich so berühmt war wie kaum ein zweiter Musiker in den Achtzigern – weshalb kannte ihn dann niemand in Übersee? Weil nur die Hälfte wahr ist von dem, was hier aufgetischt wird. Weil das Kino längst nicht mehr nur dem Anspruch gerecht werden muss, zu hundert Prozent wahrheitsgehaltvolle Geschichten zu erzählen. Tarantino hat hier längst das Tabu gebrochen – die biographischen Fakten über Sharon Tate, die ja tatsächlich der Manson-Family zum Opfer fiel, schlagen in seiner Hollywood-Märchenstunde eine wohlwollende Richtung ein. Weird Al Yankovic, immer noch unter den Atmenden, hat nicht so viel Glück. Aber schön der Reihe nach.

Der Mann, den der wunderbare und von mir sehr geschätzte Daniel Radcliffe mit einer Inbrunst verkörpert, als würde seine Kreditfähigkeit davon abhängen, hat in den Jahren seines Durchbruchs wohl auch nicht viel anderes getan als Otto Waalkes, der gerade wieder mit seinem Friesenjungen in den Charts steht: nämlich, Lieder zu parodieren. So wird My Sharona von The Knack zur Wurst-Hymne My Bologna, Queens Another One Bites the Dust zum Stegreif-Schmunzler Another One Rides the Bus. Und Eat it, der Song zum Gusto auf alles Verzehrbare, wird erst unter Michael Jackson zum Knüller. Klingt nach Satire, nach waschechter Satire. Ist es aber nicht. Also nur zum Teil. Dass Madonna (permanent kaugummikauend: Evan Rachel Wood) den impulsiv-naiven Al Yankovic als Sprungbrett für ihre eigene Karriere benutzt hat, muss erfunden sein. Aber was weiß man als unbedarfter Zuseher überhaupt schon genau. Allein schon die Art und Weise, wie Weird Al als Kind des glücklichen Zufalls plötzlich entdeckt wird, will man nicht glauben. Noch dazu von jemandem namens Dr. Demento, der ja an sich schon so was von erfunden und fiktiv wirkt, als würde man niemals vermuten, eine reale Person stünde dahinter.

Eric Appel, der gemeinsam mit Weird Al Yankovic diese Realsatire vom Stapel hat lassen, nimmt natürlich allerhand Klischees aufs Korn, die so einige Berühmtheiten vor allem in den USA für sich beanspruchen können. Plötzlich entdeckt zu werden ist eines dieser Dinge (doch wie viele davon sind wahr?). Der Ruhm, der sich auf Magazincover und Eskapaden auf der Bühne reduziert, ebenso. Die Linie zwischen Realität und Fiktion lässt sich nicht mehr ziehen, da die Versatzstücke einer Weltkarriere vor lauter Abgedroschenheit auf einen kuriosen Drogentrip wandern, der sie auch direkt in den kolumbianischen Dschungel bringt. War schon Forrest Gump eine fiktive Chronik der amerikanischen Geschichte, so ist Weird: The Al Yankovic Story das Blättern durch ein Klassenbuch der Allstars von damals, die in lockeren Parodien wie die Puppen eines Kasperletheaters wirken. Doch dieses Verschwimmen von Wahrheit, Lüge und Witzkiste; dieser krude, nicht sehr feinsinnige Mix aus alledem findet dadurch auch keinen eigenen Stil. So seltsam die Begebenheiten hier auch sind, so routiniert und uninspiriert bleibt die Umsetzung. Radcliffe ist natürlich eine Nummer für sich, der Underdog-Charme einer akkordeonklimpernden Rampensau für die Kleinbühne sitzt. Doch sobald das Ganze ausufert, findet der Film selbst, so wie seine von sich selbst sehr überzeugte Kunstfigur, keinen Halt mehr. Und fällt vom Hocker. Im Gegensatz zu mir.

Weird: The Al Yankovic Story (2022)