Leonora im Morgenlicht (2024)

DA LACHEN DIE HYÄNEN

6/10


© 2024 Alamode Film

ORIGINALTITEL: LEONORA IN THE MORNING LIGHT

LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, MEXIKO, RUMÄNIEN, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2024

REGIE / DREHBUCH: THORSTEN KLEIN, LENA VURMA 

KAMERA: TUDOR VLADIMIR PANDURU

CAST: OLIVIA VINALL, ALEXANDER SCHEER, RYAN GAGE, LUIS GERARDO MÉNDEZ, ISTVÁN TÉGLÁS, CASSANDRA CIANGHEROTTI, DENIS EYRIEY, WREN STEMBRIDGE U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Warum Leonora Carrington bisher so sang- und klanglos an mir, der in Sachen Kunstgeschichte durchaus seine Hausaufgaben gemacht hat, vorübergegangen ist, lässt sich nicht erklären. Carrington schuf schließlich Kunst, die sich zwischen der nordischen Renaissance eines Hieronymus Bosch und den progressiven Formen eines Marc Chagall widerfindet. Die schließlich auch mit den Mythen Mittelamerikas kokettierte und so einiges aus dieser alten Kultur in ihre Werke hat einfließen lassen. Bemerkenswert sind ihre Arbeiten aus jener Zeit, in der sie mit dem deutschen Surrealisten Max Ernst liiert war, der wiederum in den Dunstkreis von André Breton agierte, selbstredend in Paris, denn dort trafen sich stets alle, die sich Künstler nennen durften, da sie auch schon Renommee genug hatten, um sich in Szene zu setzen. Carrington war da auch mit dabei, als von allen vergötterte Muse. Selbst hat sie sich nicht so gesehen. Sondern Zeit ihres Lebens wohl eher als Tier empfunden, insbesondere als Pferd. Als Kind wollte sie schon die Hufe schwingen, doch ihr gestrenger, erzkonservativer Vater hat das unterbunden. So viel zur Freiheit der Entwicklung im Elternhaus nach der Jahrhundertwende.

Was da an Murks einem späteren Leben mitgegeben wurde, lässt sich längst nicht auf nur eine Leinwand pinseln. Sind deshalb so auffallend viele Künstlerseelen gleichzeitig auch gebrochene? Van Gogh, Alfred Kubin, Niki de Saint Phalle, Leonora Carrington – eine kleine Auswahl nur unter all jenen, die ihre eigene Weltsicht einem psychosozialen Defizit zu verdanken haben, das sie nicht selten in die geschlossene Anstalt brachte. So auch Leonora. Worunter sie genau litt, ist nicht so ganz klar. Schizoides Verhalten oder doch „nur“ ein Nervenzusammenbruch aufgrund der plötzlichen Trennung von Max Ernst, der kurz vor dem Einmarsch der Nazis in Frankreich als verdächtiger Deutscher verhaftet wurde? Laut vorliegendem Film hat Leonora ihren Lebensmenschen nie wieder gesehen. Ob das nicht genau der Trigger war, um verschüttete Traumata aus der Kindheit hochkochen zu lassen?

Üppiger Film, schwerer Zugang

Thorsten Klein und Lena Vurma schenken diesem psychologischen Wendepunkt ihre meiste Aufmerksamkeit, finden aber genauso schwer ihren Weg in den Kopf einer Surrealistin wie meine Wenigkeit in den Film. Viel, sehr viel Geduld ist ratsam, wenn man Leonora Carrington nahekommen will. Spät, fast schon zu spät, knackt das Regie-Duo die holzige Nuss einer biografischen Skizze, die sich genauso wenig formen und beherrschen lassen will wie die dargestellte Künstlerin kurz vor ihrer Elektroschock-Therapie, die damals gang und gäbe war und von der man nicht wirklich sagen kann, sie hätte einen medizinischen Nutzen gehabt. Mit Olivia Vinall, die ich erstmals auf dem Schirm habe, und Alexander Scheer (enttäuschend unbeteiligt) fügen sich zwei Darsteller in ein formelhaftes Konzept biografischer Szenen, ohne aus ihrer Zweidimensionalität hervorzutreten. Weder Max Ernst noch Leonora selbst werden erfahrbar – je länger der Film läuft, desto weiter distanzieren sie sich. Einnehmend interessant kann man beide nicht nennen, wohl eher introvertiert. In ihrer elitären Künsterblase hockend, wollen sie nichts davon wissen, in einem Film zu spielen, der kunstgeschichtliche Lücken füllt. Und dann erhasche ich einen Blick auf ein Werk Carringtons, alleine ihre Bilder wecken mein Interesse. Und dann das: Die Wende, vor allem erzählerisch. Die Szene, in der Carrington in einen verschlossenen Raum der Heilanstalt vordringt, gleichzusetzen mit einer Reise in ihr Unterbewusstsein, sprengt endlich die Grenzen zwischen drögem, chronologischem Vortragskino und surreal anmutendem Psychodrama. Die Nuss ist geknackt, die Hyäne lacht, begleitet von Buschtrommeln. Der üppige mexikanische Regenwald, inmitten Vinalls verlorene und wiedergefundene Figur, lässt nun, in der letzten halben Stunde, die Kreativität fließen.

Ich kann Leonora im Morgenlicht wohl nicht als perfekten Film bezeichnen – zu viel geht anfangs schief. Und dennoch bleiben die Leinwände nicht weiß, die Künstlerin namens Carrington nicht unbekannt. Unsereins lotst sie am Ende in ein ungelenk präsentiertes, aber neugierig machendes Euvre einer viel zu unbekannten Individualistin.

Leonora im Morgenlicht (2024)

Der dunkle Kristall

PHANTASTISCHE TIERWESEN UND WO SIE ZU FINDEN WAREN

7/10

 

darkcrystal@1982 Universal Studios

 

LAND: USA 1982

REGIE: JIM HENSON, FRANK OZ

MIT DEN STIMMEN VON: STEPHEN GARLICK, LISA MAXWELL, BILLIE WHITELAW, BARRY DENNEN U. A.

 

Gab es eigentlich ein Leben vor CGI, Motion-Capture und 3D-Modelling am Computer? Ja, die gab es. Und da müssen wir gar nicht mal viel recherchieren, Material dazu findet sich allein schon in der klassischen Kerntrilogie von Star Wars. Ohne Yoda wäre nämlich dieses Universum um einiges ärmer. Dieser kleine, aber mächtige Wichtel mit Spitzohren und schütterem Haar war allerdings weder Maske noch Kostüm, sondern ganz einfach eine Marionette, die sich aufgrund ausgeklügelter Mechanik zu artikulieren verstand und bis heute noch verblüffend echt wirkt. Da kommt die animierte Version des Jedi-Meisters aus Episode I-III bei Weitem nicht an diese authentische, physische Qualität heran. So richtig Yoda ist das Wesen nur in Episode V und VI. Vielleicht noch in Die letzten Jedi, denn da hat Frank Oz abermals und nur bedingt erfolgreich probiert, dem Charme der analogen Tricktechnik zu einem Revival zu verhelfen. 1982 also, als Oz erstmals seine Puppe in der weit entfernten Galaxis hat tanzen lassen, war die Probe aufs Exempel so sehr geglückt, dass der kreative Kopf und spätere Regisseur von Filmen wie Was ist mit Bob? gemeinsam mit Muppets-Erfinder Jim Henson gleich einen ganzen Film auf diese Art gestalten wollte.

Der Titel dieses aufwändigen Mammutprojektes ist Der dunkle Kristall, ein Fantasymärchen mit ganz viel Magie, dunklen Mächten und geheimnisvollen Landschaften. Die Produktionszeit dauerte um die fünf Jahre – kein Wunder, wenn man all die Kreaturen betrachtet, die hier in seltsam surrealen Biotopen aus ihren Verstecken kriechen, zwinkern und funkeln. Allesamt animatronisch, als Hand-, Stab- oder Ganzkörperpuppen. Mit und ohne Fell, schuppig, pflanzenähnlich oder insektoid. Hensons bislang aufwändigstes Werk wirkt stellenweise wie ein lebendig gewordenes Bild des Malers Max Ernst, gar so phantastisch-realistisch wie bei Ernst Fuchs. Die kargen, von zerklüfteten Bergen flankierten Ebenen, die das teerartige Gespinst eines Palastes beherbergen, das wiederum aus dem Ideenfundus eines Michael Ende hätte kommen können, sind das einzige, was irgendwie an unseren Planeten erinnert. Sonst. so scheint es, feierte das phantastische Kino in der Zeit zwischen Krieg der Sterne und der Unendlichen Geschichte einen vorläufigen Höhepunkt entrückter Absonderlichkeit, die realitätsferner kaum sein kann.

Der dunkle, weil beschädigte Kristall dominiert eine Welt, in der die geierähnlichen Skeksen in barockem Ornat ein absolutistisches Regime führen und das elfenartige Volk der Gelflinge zu willenlosen Sklaven gehirnwaschen. Auf der anderen Seite versuchen die gebeugten, schildkrötenartigen Mystics, das dualistische Gleichgewicht ihrr Welt zu halten, was ihnen aber mehr schlecht als recht gelingt. Und wenn sich nicht bald die Prophezeiung erfüllt, in welcher ein Gerfling einst den dunklen Kristall mit dem fehlenden Splitter heilen wird, und das während der Konjunktion der drei Sonnen, die da am Himmel diese fremden Planeten stehen, wird es keine Rettung mehr geben. Dieser Gerfling, der erinnert nicht ungefähr an Tolkien´s kleinen Hobbit Frodo, der den Ring in das Feuer von Mordor befördern muss. Die narrative Dynamik beider Geschichten ist ziemlich ähnlich. Henson und Oz können dem Konzept vom schwachen Element, dass das Mächtige bezwingt, scheinbar jede Menge abgewinnen – und so bleibt der Fortgang des Abenteuers natürlich wenig überraschend. Klar wird dem kleinen Jen das Unterfangen gelingen, auch wenn es manchmal so aussieht, als wäre das Schicksal auf der Seite der dekadenten Spitzschnäbel. Düster ist das ganze Szenario auf jeden Fall, traumartig versponnen und teilweise gar gespenstisch, vor allem dann, wenn Individuen des unterdrückten Volkes zwangslobotomiert werden. Nichts für die ganz Kleinen also, da Der dunkle Kristall obendrein eine bedrückende Schwermut mit sich herumträgt, die vielleicht von all den gebeugten, gepeinigten und bizarren Gestalten herrührt, die diese Dimension bevölkern. Newt Scamander aus der Wizarding World Rowling´s hätte mit der Welt des dunklen Kristalls seine helle Freude – all die phantastischen Tierwesen, die der Magizoologe Jahrzehnte später in seinem Koffer herumträgt, die waren zu Beginn der 80er im Universum eines Jim Henson zu finden, der eine organische Grottenbahnfahrt auf die Leinwand gezaubert hat, deren Biomasse evlutionsadäquates Nischendasein fast schon ad absurdum führt. Und das nur mit Puppen, die jeweils von zwei Personen belebt werden und die, auch wenn der extravagante Film schon einige Jahrzehnte am gekrümmten Buckel hat, immer noch verblüffend lebendig wirken. Vielleicht, weil der Vergleich mit echten Personen einfach fehlt und so der üppige Kosmos in sich geschlossen fast schon zeitlos funktioniert.

Der dunkle Kristall, der als so eigenwillige wie einzigartige Puppet-Show seinen Platz in der Filmgeschichte fristlos reserviert hat, ist eine Sternstunde an Creature-Design und Ausstattung. Ein Must-See für Nostalgiker analoger Tricktechnik, für Guckkastentheater- und Requisiten-Nerds, die den psychedelischen Retro-Charme an Matte-Painting und Studio-Settings leuchtenden Auges zu schätzen wissen. Von einer Neuverfilmung oder einer Fortsetzung der Zaubermär würde ich absehen – die Gefahr. dass all die Kreaturen ihren CGI-Tod sterben, ist einfach zu groß. Vor allem, weil sie lebendiger wie hier ohnehin nicht mehr werden können.

Der dunkle Kristall