Nanny (2022)

DIE KINDER ANDERER LEUTE

5/10


nanny© 2022 Amazon Studios


LAND / JAHR: USA 2022

DREHBUCH / REGIE: NIKYATU JUSU

CAST: ANNA DIOP, ROSE DECKER, MICHELLE MONAGHAN, MORGAN SPECTOR, LESLIE UGGAMS, SINQUA WALLS, OLAMIDE CANDIDE-JOHNSON, JAHLEEL KAMARA U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Eine Kinoauswertung für diesen Film gab’s trotz Prämierung keine: Kaum bei den Sundance Filmfestspielen gewonnen, landete zumindest hier in Europa das metaphysische Drama Nanny direkt auf amazon prime – Netflix war da wohl nicht schnell genug. Wäre es aber schade darum gewesen, wenn Nanny sang- und klanglos im Nirvana festival-existenter Independent-Produktionen verschwunden wäre? Man kann auf solche Fragen nicht wirklich eine Antwort geben. Jedes filmische Kunstwerk sollte die Chance haben, für ein größeres Publikum ausgewertet zu werden. Schließlich steckt da eine Idee dahinter, schließlich sind hier Wochen, Monate, wenn nicht gar Jahre investiert worden, um eine Geschichte zu erzählen, die noch dazu filmtechnisch State of the Art sein will.

Nikyatu Jusu erzählt schließlich nicht irgendeine Geschichte. Sie kurbelt schließlich keinen Wühlkorb-Reißer herunter, sondern bringt eine ordentliche Meta-Ebene mit in ihr Projekt. Da Jusu selbst afrikanischer Herkunft ist, in Atlanta allerdings geboren wurde, ist naheliegend, dass sie weiß, wovon sie geschrieben hat. Und das fast ein ganzes Jahrzehnt lang, immer wieder, bis ihr Skript auf die Blacklist der besten noch nicht verfilmten Drehbücher kam. Dann aber war’s so weit. Und ein Film mit so viel Herzblut, den darf man ganz einfach nicht irgendwo abstellen. Der hätte ins Kino kommen sollen, und er hätte geteilte Meinungen über ihn sicher gut vertragen. Denn das Konzept hinter Nanny ist zweifelsohne spannend, die Umsetzung selbst hat mich nicht ganz so überzeugt. Doch das werden andere sicher anders sehen. Wie gesagt: Filmkunst ist subjektiv. Und ja, so gesehen wäre es schade darum gewesen, wenn sich keiner der Streamer diesem Werk angenommen hätte.

Im Zentrum des genreübergreifenden Dramas steht Anna Diop als Senegalesin Aisha, die bei ihrer Tante wohnt und nicht nur als Fremdsprachenlehrerin, sondern in ihrer freien Zeit noch als Kindermädchen arbeitet. Warum sie sich keinerlei Verschnaufpause gönnt? Um ihren kleinen Sohn Malik in die Vereinigten Staaten zu holen, braucht es jede Menge Kapital. Das lässt sich nur dann lukrieren, wenn neureiche Familien mit liberaler Einstellung jemanden wie Aisha einzustellen gedenken. In diesem Fall sind es Amy und Adam (Michelle Monaghan und Morgan Spector), die eine kleine Tochter haben, womöglich in dem Alter wie Aishas Nachwuchs. Bevor also das eigene Fleisch und Blut umsorgt werden kann, kommen die Kinder anderer Leute in den Genuss von Aishas betreuerischer Kompetenz. Nur leider ist das Ehepaar zwar begeistert von deren Arbeit, andererseits erliegen sie der Versuchung, jemanden Angewiesenen wie sie auch gehörig auszunutzen, während die Bezahlung vieler Stunden auf sich warten lässt. Dann wird auch noch der Ehemann übergriffig und zu allem Übel plagen Aisha Erscheinungen westafrikanischer Mythen, allen voran der Wassergeist Mami Wata und Anansi, der als Spinne manifestierte Gott des Schabernacks, die ihr seltsame Botschaften übermitteln, die wiederum mit dem Ertrinken zu tun haben.

Der als Horrorfilm beworbene Film ist natürlich nur bedingt diesem Genre zuzuordnen. Die Sorge, sich bei dessen Sichtung zu erschrecken, ist eher unbegründet – viel mehr aber ist die Stimmung darin eine bedrückende. Nanny braucht lange, um in die Gänge zu kommen und erzählt etwas zu behutsam und zögerlich von den Hoffnungen immigrierter Afrikaner, die sich in den Staaten die große Chance erhoffen. So schwer, wie diese Träume in die Realität umzusetzen sind, so sehr stemmt sich der Film gegen eine entgegengesetzte Strömung. Was Jusu vielleicht niemals wollte, ist, hier zu sehr in eine angstmachende Metaphysik zu kippen. Da ist es wohl besser, sich zurückzunehmen, und nur immer wieder mal die Heimsuchung aus anderen Welten einzustreuen. Durch diese gestrenge Selbstzügelung kann Nanny nicht die Wucht ihres Potenzials ausspielen. Die einnehmende Erscheinung Anna Diops reicht dann leider nicht aus, um sich mit dem Strom eines zu erwarteten Schicksals mitreißen zu lassen.

Nanny (2022)

Boston Strangler (2023)

EIN KILLER FÜR DIE ZEITUNG

5/10


BOSTON STRANGLER© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE: MATT RUSKIN

CAST: KEIRA KNIGHTLEY, CARRIE COON, CHRIS COOPER, ALESSANDRO NIVOLA, RORY COCHRANE, DAVID DASTMALCHIAN, PETER GERETY, ROBERT JOHN BURKE, MORGAN SPECTOR U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


True Crime ist im Thrillergenre nicht immer besser, denn dabei müssen sich alle, die am Drehbuch beteiligt sind, an die Fakten halten. Sonst wäre es schließlich kein True Crime, sondern nur irgendeine Kriminalgeschichte, die sich ausgewählte authentische Aspekte zum Würzen der eigenen fiktiven Geschichte herauspickt. Boston Strangler von Matt Ruskin will nicht improvisieren oder dazuerfinden, sondern Fakten liefern. Um aber mehr als nur die Eckpunkte der Geschichte abzuhandeln, engagiert er Keira Knightley, eine wunderbare und hochbegabte Schauspielerin, die aber wider Erwarten selbst hier, in diesem trockenen Umfeld aus abgewohntem 60er-Jahre-Flair, Wählscheibentelefon und bekritzelten Notizblöcken nicht mehr in ihre Rolle investiert als Matt Ruskin selbst schon aus der Biografie von Reporterin Loretta McLaughlin extrahiert hat. Gemeinsam mit Kollegin Jean Cole ist sie dem vermeintlichen Serienkiller, der für die alle nach dem gleichen Schema abgelaufenen Frauenmorde verantwortlich gewesen sein muss, auf der Spur. Im Boston der damaligen Zeit haben diese Gräueltaten wohl keine weibliche Seele in Ruhe schlafen lassen – Mitschuld hatten da auch die Medien, die dieses Thema am liebsten täglich zur Schlagzeile machten. Maßgeblich daran beteiligt waren da auch die eben erwähnten Investigativ-Journalistinnen, von denen nur eine wirklich Praxis besaß, während die andere nur wirklich gut schreiben konnte. Diese andere, McLaughlin, packt der journalistische Ehrgeiz und sie entpuppt sich als Naturtalent. Nach und nach kommen – auch dank mitteilsamer Polizei – so einige obskure Gestalten in Frage. Manche haben ein Alibi, manche nicht. Und irgendwie laufen die Ermittlungen alle auf einen gemeinsamen Nenner zusammen, welcher in einer Nervenklinik zu finden ist, in der alle Verdächtigen zumindest für eine kurze Zeitspanne gemeinsam einsaßen.

Den Film The Boston Strangler gab’s schon einmal, nämlich 1968. Inszeniert wurde dieser von Vielfilmer Richard Fleischer, mit Tony Curtis als Killer, Henry Fonda und George Kennedy in weiteren Rollen. Das Thema ist das gleiche – Der Würger von Boston. Nur: Dieser Film stellt die Ermittlungen der Kriminalpolizei in den Vordergrund, nicht die unterstützende Arbeit der Zeitung. Bei Raskin ist es genau umgekehrt – und natürlich zeitgemäßer. Denn es sind nicht Männer, die die Sache aufklären, sondern eben Frauen mit Mut, Durchhaltevermögen und Selbstbewusstsein. Und dennoch springt der entscheidende Funke in diesem Film nicht über.

Wir haben das Problem, um jeden Preis True Crime sein zu wollen. Und so bewegt sich das Kriminal- und Reportage-Drama von einem Namen zum nächsten, es werden Schauplätze aufgesucht und Leute interviewt. Klar, das gehört alles zum Plot und auch zur Story, doch wäre ein Film wie dieser als Reportage in einem Fachjournal besser aufgehoben gewesen als bei Keira Knightley im zugeknöpften Sixties-Look, die ihre Rolle wie schon erwähnt nicht entwickeln kann. Ebenso setzt Boston Strangler weder auf eine spielerische Herangehensweise noch lockert er seine Aktenparade mit interessanten und von mir aus auch spekulativen psychologischen Interpretationen auf, die das lahmende Drama erfrischt hätten. Wäre es dann kein True Crime mehr? Dem Willen zu diesem Wagnis hatte ich nachgegeben, denn sonst bleibt angesichts dieser pragmatischen Nummer, angereichert mit halbherzigen Einblicken ins Privatleben der Protagonistin, das freie Spiel kreativer Kräfte bei einem Fall fiktiver Natur weitaus attraktiver.

Boston Strangler (2023)