The Fabelmans (2022)

DER HORIZONT DES FILMEMACHERS

7,5/10


thefabelmans2© 2022 Storyteller Distribution Co., LLC. All Rights Reserved


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: STEVEN SPIELBERG

BUCH: STEVEN SPIELBERG, TONY KUSHNER

CAST: GABRIEL LABELLE, MICHELLE WILLIAMS, PAUL DANO, SETH ROGEN, JULIA BUTTERS, KEELEY KARSTEN, JUDD HIRSCH, DAVID LYNCH, JEANNIE BERLIN, OAKES FEGLEY, GABRIEL BATEMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 31 MIN


Wie coacht man eigentlich die eigene Meinung zu einem Film, der bei Publikum und Kritikern bereits als Klassiker hofiert wird? Ist es da überhaupt möglich, die eigene, vielleicht gänzlich andere Meinung für sich selbst zu akzeptieren, wenn der Druck von außen, das Werk gut finden zu müssen, langsam unerträglich wird? Leicht ist das nicht, sich von all dem loszulösen, was in der Meinungsfindung befangen macht oder die Sicht auf das gerade Sehende beeinflusst. Am besten nichts mitbekommen, doch das klappt nur selten. Zwischen Das muss auch mir wahnsinnig gut gefallen und Das gefällt mir genau deswegen nicht mag die Treibjagd der eigenen Meinung losbrechen. Objektiv subjektiv zu bleiben: vergesst es.

Wie man auch zu welchem Entschluss kommt – es geht schließlich nur um Filme. Doch Filme können ein Leben sein. Oder das Leben beeinflussen. Auf jeden Fall sind sie leicht das Objekt einer – wie zum Beispiel meiner – Leidenschaft. Oder die des Steven Spielberg – nur vom anderen Ende aus betrachtet, vom anderen Punkt am Horizont, der tunlichst nicht in der Mitte liegen darf, denn sonst ist es „scheißlangweilig“.

Spielberg zählt für mich zu den aktuell besten Regisseuren der Welt. Ich würde sogar so weit gehen, ihn als ein Universalgenie zu bezeichnen, ein bisschen wie ein Leonardo, der nichts unversucht lässt; der sich in jedes Genre wagt, auch wenn es nicht unbedingt sein Steckenpferd ist. Der aber mit einem natürlichen Gespür für die goldene Mitte des Regieführens so gut wie immer überzeugt. Außer bei 1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood vielleicht. Doch auch sowas macht einen Virtuosen wie ihn nur menschlich.

So menschlich wie virtuos ist auch The Fabelmans – Spielbergs Autobiografie in Bildern und ganz vielen erhellenden Worten, die damals wohl so oder ähnlich gefallen sind. Sie haben ihn die Dinge so sehen lassen, wie er sie vielleicht heute noch sieht. Sie haben ihn erkennen lassen, was Kunst eigentlich ist und wo ein Künstler seine Prioritäten setzen muss, um ganz oben anzukommen. Ruhm und Ehre sind dabei willkommene Türöffner, die das nötige Kleingeld lukrieren, um das geliebte Handwerk auch zu leben. Ein Handwerk, dass beim Super8 Film beginnt – bei der kleinen, tonlosen Kamera, die alles einfängt, was es wert ist, festgehalten zu werden: Zum Beispiel eine glückliche Familie.

Den Fabelmans scheint ja anfangs die Sonne aus dem Allerwertesten, dass es fast schon kitschig wirkt. Oder als hätte Wanda Maximoff eine neue Realität erschaffen. Doch wie so meistens trügt auch hier der Schein einer heilen Welt – all die Risse ziehen sich erst nach und nach durch dieses turbulente Harmoniebedürfnis, welches vor allem Mama Mitzi Fabelman (Michelle Williams) wie ein Zepter ganz hochhält – ist sie doch diejenige, die mit den meisten Dämonen zu kämpfen hat. Neben drei quirligen Schwestern und einem beruflich zukunftsorientierten Papa (Paul Dano) bleibt dem jungen Sammy (eine Entdeckung: Gabriel LaBelle) die früh entdeckte Leidenschaft für die inszenierte Illusion, für den Special Effect und all die Tricks, als wäre er sein eigenes ILM-Studio. Mit dieser Begeisterung hat er bald eine ganze Crew am Start – die Freude am Tun endet aber jäh, als Sammy hinter ein Geheimnis kommt, welches die ganze Familie wohl in ihren Grundfesten erschüttern wird.

Anfangs ist die scheinbar biedere Fifties-Handschrift Spielbergs ja geradezu regressiv. Doch auch ein Meister wie er braucht so seine Zeit des Warm-Ups, um gerade einen Stoff, der ihn persönlich mit allerlei Emotionen wird aufgeladen haben, in gewohnter Professionalität umzusetzen. Und dann, wenn die ersten Filme über die hauseigene Leinwand flimmern, beseelt Spielberg seine Reise ins frühe Ich mit ganz viel Esprit, Gefühl und weisem Verstand. Und Respekt vor allen, die ihn zu dem gemacht haben, der er heute ist. Seine geliebte Mutter, sein geliebter Vater – The Fabelmans ist eine Widmung an sie beide. Und vielleicht auch an John Ford, der ihm diesen einen Moment der Erleuchtung beschert. The Fabelmans ist eine Danksagung an all die Umstände, auch an all die Entbehrungen, aber auch an all das Glück, getan haben zu dürfen, wonach ihm der Sinn stand.

In der gewohnten, aber unverwechselbaren Bildsprache Janusz Kamińskis ist ein sensibles, sehr privates Werk entstanden, ohne jegliches Tamtam aus Fantasy, History oder Science-Fiction. Fast schon mutet The Fabelmans wie ein Independentwerk an, so ungefällig kommt es daher, so intim mutet es an. Und manchmal wäre es dem Film lieber, er liefe unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur im Kreise der Familie. Das muss nicht sein: Spielberg kompromittiert oder beschämt niemanden. Seine Erinnerungen sind voller Anstand, aber auch voller Selbsterkenntnis. Zum Beispiel jener, selbst ein Egoist zu sein. Falco hat mit seinem Song wohl recht gehabt, zum Egoisten muss man taugen, auch wenn es schmerzt. Diese ehrliche Kritik ans Ego zeugt von Reife. Auch die Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion, und wie sich das Medium Film ausnutzen und benutzen lässt. Das ist Weisheit vom Fach, irgendwo zwischen American Graffiti und Wunderbare Jahre, nur ohne Stimme aus dem Off.

Auch wenn Filme wie Babylon – Rausch der Ekstase, Final Cut of the Dead oder Pan Nalins Das Licht, aus dem die Träume sind die Essenz des Filmemachens oder die Geschichte des Kinos zelebrieren, ist The Fabelmans doch nicht darauf aus, mit Getöse, flirrenden Bildern und üppiger Nostalgie einem globalen Kulturphänomen zu huldigen. Spielbergs Film ist Besinnung, eine innere Einkehr. Zu und für sich selbst, und nicht für das große Ganze.

The Fabelmans (2022)

Judas and the Black Messiah

VERRAT AM VOLKSZORN

7/10


judasblackmessiah© 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved


LAND / JAHR: USA 2020

REGIE: SHAKA KING

CAST: DANIEL KALUUYA, LAKEITH STANFIELD, JERMAINE FOWLER, JESSE PLEMONS, DOMINIQUE FISHBACK, DARRELL BRITT-GIBSON, MARTIN SHEEN, ASHTON SANDERS U. A.

LÄNGE: 2 STD 6 MIN


Es kommt nicht oft vor, dass Academy Award-Filme, insbesondere, wenn sie für den besten Film nominiert sind, sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden und zumindest hierzulande in Österreich nicht mal einen Kino-Release wahrnehmen können. Daran hat natürlich auch Corona Schuld, doch nichtsdestotrotz hätte sich das zumindest mit zwei Trophäen geadelte Werk eine große Leinwand verdient. Ich kann mich noch erinnern, da war The Hurt Locker von Kathryn Bigelow längst auf Silberscheibe draußen, gabs erst nach dessen großem Triumph die bemüßigung, diesen Film nochmal in die Lichtspielhäuser zu bringen. Aber ich kann auch verstehen – angesichts dieser aufgrund des Rückstaus angehäuften Schwemme an Filmen kann der eine oder andere nicht mal mehr als vermisst gelten, weil es ohnehin (fast) niemandem auffällt.

Judas and the Black Messiah lässt sich nunmehr relativ bequem streamen, und wie erwartet tischt Regisseur Shaka King uns interessiertem Publikum eine durchaus packende Kriminaltragödie auf, die im weiteren Sinne Konflikte Bahn brechen lässt, die wir unter anderem aus Departed – Unter Feinden kennen. Es geht um Treue und Verrat, um Idealismus und Politik. Es geht zum Glück weniger um Ehre, denn die ist für ein Vaterland, das in seiner schnöden Version einer subversiven Apartheid Andersfarbige zumindest politisch unterdrückt, praktisch nicht vorhanden. Das wussten Leute wie Martin Luther King oder Malcolm X, bevor sie ermordet wurden. Und das weiß auch Fred Hampton, Bürgerrechtler und Aktivist für die Black Panther Party, die dem FBI schon seit längerem ein Dorn im Auge scheint. Wir schreiben Ende der 60er Jahre, und wie es der Zufall so will, findet FBI-Agent Mitchell (gefährlich jovial: Jesse Plemons) in dem findigen Autodieb William den richtigen Spitzel, um näher an den „Black Messiah“ ranzukommen. Zwischen diesem und Hampton entwickelt sich so etwas wie eine Freundschaft auf Vertrauensbasis, die Ideale für Black Panther werden selbst für William zur ernstzunehmenden Agenda, jedoch hindern ihn diese nicht daran, einen folgenschweren Verrat zu begehen.

Freundschaft, Feindschaft und die Sache mit Judas. Um bei diesem Vergleich zu bleiben: in der Bibel war dem Jünger der Verrat an seinem Herrn einen Beutel voll Silberlinge wert. Wer weiß, unter welchem Zugzwang der Mann wohl noch gestanden hat. Tatsächlich erinnert die neutestamentarische Figur an den ebenfalls von Reue, Angst und Idealismus gebeutelten Afroamerikaner William O’Neal – auch dieser wird sich einige Zeit später das Leben nehmen. Lakeith Stanfield (Knives Out, Der schwarze Diamant), genauso als Nebendarsteller für den Oscar nominiert wie Daniel Kayuula, der ihn ja schließlich erhalten hat, lässt das eigene Heil über volksvereinigenden Idealismus obsiegen, dabei ist ihm ersteres, so wie er es darstellt, nicht zur Last zu legen. Das inkonsistente Changieren der Black Panther zwischen unverhohlenen Terror-Ambitionen, Revolutionsgedanken und sozialem Engagement hat es damals nicht leicht gemacht, das eigene Leben unter eine militanten Linie zu stellen. Daniel Kayuula, seit Get Out im Kino nicht mehr wegzudenken, hat nicht weniger Charisma als Che Guevara, trägt auch artig das Barett und wettert gegen Polizisten – eine starke Performance. Gemeinsam meistern die beiden einen Film, der im Vergleich zu anderen derartigen Politfilmen ungewohnt ausdauernd beim Thema bleibt. Natürlich alles in gewohnten inszenatorischen Bahnen, mit reichlich Zeitkolorit und Privatem dazwischen. Doch Shaka Kings Film wirkt neben seinen rekapitulierenden Auftrag auch in Anbetracht gegenwärtiger Umstände nicht wenig empört.

Judas and the Black Messiah

Der Spion

IM OSTEN WAS NEUES

7/10


derspion© 2021 24 Bilder


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: DOMINIC COOKE

CAST: BENEDICT CUMBERBATCH, MERAB NINIDZE, RACHEL BROSNAHAN, JAMES SCHOFIELD, JESSIE BUCKLEY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Ein Grund zum Jubeln für alle Cumberbitches: der idealen Besetzung sowohl für den neuzeitlichen Superdetektiven als auch für Marvels Dr. Strange gelingt auch der Spionagefilm mit links. Hier gibt sie einen, der geheime Informationen aus dem Osten in den Westen schmuggelt. Mit Hut, Mantel und Oberlippennbart ist Benedict Cumberbatch die Inkarnation des rückgratvollen Geheimniskrämers, und das ist auch der Grund, warum Der Spion (im Original: The Courier) nicht nur ein weiterer Geschichtsfilm nach üblichem Schema geworden ist. Hier würzt der charismatische Schauspieler mit seinem unverwechselbarem Timbre und prägnantem Konterfei die Chroniken eines politischen Kraftakts mit darstellerischer Raffinesse. Ein Job, der wohl zu seinen bislang besten gehört.

Cumberbatch schlüpft in die Rolle des unbescholtenen und durchschnittlichen Geschäftsmann Greville Wynne, der im Osten das große Geld wittert, und, ehe er zweimal Russland sagen kann, plötzlich am Tisch mit dem MI6 und der CIA Platz nimmt, die ihn, und gerade ihn, unbedingt als Kurier engagieren wollen. Garantiert würde er sich dabei schadlos halten. Der russische Geheimdienst würde keinen Verdacht schöpfen, wenn Wynne nur so tut, als würde er mit Oleg Penkowski, einem Wissenschaftsoffizier, diese oder jene Verträge abschließen. In Wahrheit aber soll Penkowski seinem neuen Geschäftspartner alle möglichen Informationen übermitteln, die hinter dem Säbelrasseln der Russen stecken. Irgendwann ist dann auch die Sache mit Kuba mit dabei. Brandheisse Informationen also, die zu beschaffen natürlichen ihren Tribut fordern.

Filme über die Kuba-Krise gibt es so einige. In erster Linie natürlich Thirteen Days, Roger Donaldsons eingängige Aufbereitung der Fakten aus Sicht der Amerikaner. Als feines Ergänzungsprogramm lohnen sich nun Dominic Cookes Betrachtungen von der anderen Seite des Atlantiks. Und es passiert eigentlich zeitgleich, zumindest in manchen Momenten des Films, der eine ganz schöne Zeitspanne abdeckt, bis kurz vor dem großen Knöpfedrücken, das damals, in den 60er Jahren, über Ende und Verbleib unserer Zivilisation entschieden hat.

Dominic Cooke, im Grunde Theaterregisseur, hat schon mit der Literaturverfilmung Am Strand (mit Saoirse Ronan in der Titelrolle) viel Gespür für das Zusammenspiel von Charakteren bewiesen. Diese Gabe macht eben auch Der Spion sehenswert, denn es ist nicht nur Cumberbatch, der groß aufspielt und der (vermutlich mit reichlich CGI nachgeholfen) gehörig an Gewicht verliert, was für die Biographie von Wynne leider unentbehrlich bleibt. Dabei teilt er seine Figur in drei emotionale Landschaften, die aber fließend ineinander übergehen. Anfangs gibt er sich ängstlich, naiv und bürgerlich, später übt er sich als Kurier par excellence, den der Jagdinstinkt antreibt – und am Ende gibt er als Insasse im russischen Gefängnis den ungebrochenen, aber traumatisierten Gepeinigten. Da sieht man wieder, was der Mann alles kann. Ihm zur Seite steht Merab Ninidze als einer, der fast schon zu Wynnes Freund wird: Verschlossen, freundlich, gleichermaßen besorgt. Ein erbauliches Gespann, diese beiden. Und letzten Endes erstaunlich, was das für Leute waren, die mitgeholfen hatten, die Welt zu retten.

Der Spion

One Night in Miami…

REFLEXIONEN ZUM FEIERABEND

7,5/10


onenightinmiami© 2020 Amazon Studios


LAND: USA 2020

REGIE: REGINA KING

CAST: ELI GOREE, KINGSLEY BEN-ADIR, LESLIE ODOM JR., ALDIS HODGE, BEAU BRIDGES, LANCE REDDICK U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Gestern, am 22. Jänner, wäre Soul-Legende Sam Cooke 90 Jahre alt geworden. Doch der Mann, der ist schon lange tot. Er wurde erschossen, angeblich in Notwehr, im Alter von gerade mal 33 Jahren. So einen Tod musste Malcolm X ebenfalls erleiden. Am 25. Februar 1964 allerdings wussten beide noch nichts von ihrem tragischen Schicksal, als sie mit Cassius Clay aka Muhammed Ali und dem Football Star Jim Brown auf den Sieg des berühmten Boxers gegen Sonny Liston anstoßen wollen. In einem Hotel in Miami, irgendwann spätnachts. Dieses Treffen hat allerdings nie wirklich stattgefunden, es ist rein fiktiv. Gekannt haben sich die vier Schwarzen aber schon. Vor allem Malcolm X und Ali waren gute Freunde, und ersterer konnte den Boxer letzten Endes auch zum Islam bekehren. Die vier treffen sich also in einem Hotelzimmer, und nicht an einer Bar, um zu feiern. Warum? Weil Malcolm X jede Sekunde fürchten muss, von Rassisten attackiert oder gar ermordet zu werden (was schließlich auch eintrat – aber nicht durch Rassisten, sondern durch Mitglieder der Nation of Islam. Doch das nur am Rande). In diesem Zimmer treffen vier unterschiedliche Lebenskonzepte und Einstellungen aufeinander, es wird gelacht, es wird aus früheren Zeiten erzählt, es wird gestritten, getrotzt und sich wieder versöhnt. Diese Nacht, die ist fast schon zu ideal, um wahr zu sein. Und dennoch wird sie unter der Regie von Schauspielerin Regina King (Oscar für If Beale Street Could Talk) zu einem vor allem textlich beeindruckenden Come Together.

Sowas passiert auch nur, weil One Night in Miami… ein Theaterstück ist. Dramen für die Bühne sind ausgesucht dialogstark, ausgefeilt bis zum letzten Punkt, die Atempausen akkurat gesetzt. Das war auch schon bei Ma Rainey’s Black Bottom so, ein verbal wuchtiger Film. Oder The Boys in the Band – Jim Parsons Einladung zum Geburtstag. Alles Werke, die mit sicherer Hand und geradezu vorbildlich für das Kino adaptiert wurden. Doch leider nur fürs Streamingkino, denn alle drei Werke wären auch visuell erste Sahne. One Night in Miami… punktet daher mit edler Ausstattung und ordentlich 60er-Kolorit. Was das Dialogdrama aber noch mehr zu einer ganz besonderen Gesprächsrunde werden lässt, ist am wenigsten dessen Plot, denn viel passiert hier nicht. Was diese Nacht bietet, ist ein Innehalten und Reflektieren, ein Abwägen des Status Quo und ein Sinnen über die Zukunft. Was den Film also so besonders werden lässt, dass ist das gemeinsame Agieren von vier recht unbekannten Künstlern, die in ihren inszenierten Alter Egos ihren Meister gefunden haben. Kingsley Ben-Adir entwirft einen sowohl scharfsinnigen als auch provokanten, obsessiven Malcolm X. Eli Goree ist als Cassius Clay der resolute Muskelprotz von nebenan, Aldis Hodge der wohl rationalste der vier und Musicalstar Leslie Odom Jr. setzt als leidenschaftlicher Soulsänger Sam Cooke mit einer detailliert manieristischen Performance dem Schauspielabend die Krone auf. Regina King  hat mit dem durchdachten Theaterstück schon vieles auf der Habenseite – mit dem seit langem wohl am besten aufeinander eingestimmten Ensemble in einem Film ist ihr damit ein wortgewandter, sehr empathischer und auch ernstzunehmend gesellschaftskritischer Wurf gelungen, der, ähnlich wie Ma Rainey’s Black Bottom, Kämpfer, Verbündete und Opportunisten im Kampf der Schwarzen um gleiches Recht sichtet und dabei in eine aufwühlende Vergangenheit blickt.

One Night in Miami…

Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel

DER STAAT BIN ICH

7/10


roseninsel© 2020 Netflix


LAND: ITALIEN 2020

REGIE: SYDNEY SIBILIA

CAST: ELIO GERMANO, MATILDA DE ANGELIS, TOM WLASCHIHA, LEONARDO LIDI, LUCA ZINGARETTI, FRANÇOIS CLUZET U. A. 

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


„Warum haben sie das überhaupt gemacht?“ wird Gorgio Rosa während des Films gefragt? „Genau aus dem Grund“, antwortet der, „warum ein Hund seine Hoden leckt.“ Wie bitte? Na ja, einfach weil’s geht. Sollte das Grund genug sein? Etwas zu tun, nur weil’s machbar ist? Oder juckt es nur in den Fingern, herauszufinden, ob der Traum Realität werden kann? So wie manche Berge deshalb bestiegen wurden, weil sie einfach da sind, lässt sich auch ein Staat gründen, mitten am Meer, weil erstens niemand diese Gegend politisch beanspruchen kann und zweitens der Mensch stetig nach Freiheit strebt. Aber wie frei kann man sein, auf einer Plattform von sagen wir mal der Größe eines weitläufigen Schrebergartens, auf der eigentlich null Infrastruktur existiert und die als Staat ohnehin nicht überleben kann, gäbe es nicht das Mutterland Italien, das diese Insel der Seligen mit allerlei Notwendigem versorgt?

Die Roseninsel (nicht zu verwechseln mit jener im Starnberger See) war das tatsächliche Projekt des „Querdenkers“, Ingenieurs und Erfinders Giorgio Rosa, der in den 60ern für nicht mal ein Jahr dort als Mikronation seine Fahne hissen durfte. Rosa, das muss ein ziemlicher Aussteiger gewesen sein, aber begeisterungsfähig und stets voller Hummeln im Hintern. Einer, der sich eingestand, einfach anders zu sein. Schön, dass es immer wieder solche Menschen gibt. Schön, wenn diese ihr Ding wirklich durchziehen. Dabei mutet bereits die Art und Weise, wie die Roseninsel errichtet wurde, als eine recht unglaubwürdige, weil weit hergeholte und fast schon phantastische Anekdote an. Doch es scheint tatsächlich so gewesen zu sein. Diese Plattform also mit ein paar Häusern drauf war einen Sommer lang die Partyinsel schlechthin und große Konkurrenz zu Riminis Stränden. Ballermann im Kleinformat, mit Musik, Tanz und Barbetrieb – die einzige wirtschaftliche Einnahmequelle einer geographischen Singularität, die bereits eine eigene Währung, Briefmarken und eine Sprache ins Habenfeld verschieben konnte. Anträge für die Staatsbürgerschaft gab’s dann auch noch zuhauf. Doch mehr als aufmüpfiger Aktionismus hätte dieses Projekt, wäre es nicht von Italien im besten Wortsinn „abgeschossen“ worden, ohne Wahrnehmung relevanter gesellschaftlicher Aufgaben sowieso nie sein können. Eine Spielerei, ein Zungenzeig vor einer erbosten italienischen Regierung, die sich auf den Schlips getreten fühlte, und in der Sorge vor Nachahmungstätern dem Ganzen mit Italiens einziger Invasion in der Geschichte ein Ende setzte.

Sidney Sibilia hat dieses ganze obskure Geschehnis in einem erfrischend sommerlichen, aufgeweckten und typisch für italienische Verhältnisse sehr lautstarken Film gepackt, der aufgrund der Fakten alleine schon verblüfft. Die grauen Eminenzen im italienischen Parlament bekommen in süffisanten Karikaturen ihr Fett weg. Das mediterrane Ambiente und die kauzigen Figuren sorgen zusätzlich für gute Laune, auch wenn die Geschichte für alle Beteiligten nicht ganz so ausgeht, wie sie sich das vielleicht erhofft hätten. Netflix hat mit der Unglaublichen Geschichte der Roseninsel eine inspirierende Tragikomödie ins Sortiment aufgenommen, die voller Tatendrang steckt und in detailgenauer Beobachtungsgabe gegen den Strom geschwommene Lebenskonzepte nicht belächelt, sondern wohlwollend abnickt. Trotz Niederlage, aus der immerhin noch abstrakte Dinge wie Hartnäckigkeit, Erfindungsgeist und Leidenschaft zu bergen wären.

Als themenverwandte Ergänzung empfehle ich – entweder vor oder nach diesem Film – die österreichische Doku Empire Me von Paul Poet, der einige solcher Mikrostaaten besucht hat. Und die, gut verborgen, immer noch vor sich hin existieren.

Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel

Nurejew – The White Crow

AUS DER REIHE GETANZT

5,5/10

 

EF6B7528.CR2© 2019 Alamode

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: RALPH FIENNES

CAST: RALPH FIENNES, OLEG IVENKO, LOUIS HOFMAN, ADÈLE EXARCHOPOULOS U. A. 

 

Nennt mir fünf Filme, die Ballet zum Thema haben. Würdet ihr diese Challenge meistern, ohne nachzusehen? Ich glaube ich würde es schaffen. Billy Elliot, Black Swan, Girl… Wenn der deutsche Kinofilm Anna nach der gleichnamigen Fernsehserie auch noch zählt, hätte ich mit Nurejew – The White Crow gerade mal eine Hand voll. Ralph Fiennes hat hierzu keinen unwesentlichen Beitrag geleistet, denn die teils kuriose Biographie des russischen Meistertänzers Rudolf Nurejew, die geht auf sein Konto. Nicht nur als Schauspieler und Produzent, sondern auch als Regisseur, wobei, wenn ich die Regiearbeiten des Briten genauer betrachte, ich nicht umhin komme festzustellen, dass der von mir sehr geschätzte Akteur ein kultureller Feingeist sein muss. Shakespeares Coriolanus – ja, der war ein bisschen ungelenk, sehr wuchtig und prätentiös. Wie eine Oper eben. In die Oper dürfte Fiennes wohl auch gerne gehen. Und da dürfte ihm die Idee zu Nurejew gekommen sein. Zur Eleganz des Ballett und zum kalten Krieg. Zu staatlicher Paranoia, Geheimdienst und Überwachung.

Alles beginnt mit Einblicken in eine recht elende Kindheit irgendwo in der russischen Provinz, farblich entsättigt, damit das Verständnis für Zeitebenen gesichert bleibt. Der Junge schafft es mit viel Glück auf die Ballettschule und, wie Kenner der Materie wissen, in die zweitberühmteste Ballettgruppe Russlands neben dem Bolschoi – ins Kirow-Ensemble. Ballett verlangt natürlich eiserne Disziplin, intensivstes Training, nicht zwingend Fanatismus wie bei Black Swan, aber schaden würde das in dieser Branche wahrscheinlich nie. Einen Körper so zu beherrschen, das ist große Kunst. Das Ballett Spartacus damals in der Wiener Staatsoper ist mir nicht nur wegen Rimski-Korsakows Musik noch lebhaft in Erinnerung. Nurejew war also auch so einer, ein Star unter den Professionisten – mit der Aussicht, in den 60ern ein Gastspiel in Paris zu absolvieren. Das passiert dann auch, doch nur unter strengen Auflagen. Westen und Osten können sich nämlich nicht riechen, und der Feind lauert überall. Nur: Auflagen sind Nurejew so ziemlich egal. Er knüpft Kontakte, wohin auch immer. Und stellt fest: müsste er noch mal zurück nach Russland, müsste er für immer dort bleiben,

Nurejew – The White Crow (Weiße Krähe als Synonym für jemanden, der aus der Reihe tanzt, oder einfach anders ist) ist wider Erwarten doch nicht allzu viel mehr als ein Ballettfilm. Für diese formelle Tanzkunst muss man sich schon ansatzweise interessieren, oder zumindest für Extreme der Körperbeherrschung. Für Ehrgeiz natürlich auch. Und erst peripher für den Kalten Krieg. Mit den Schwierigkeiten, die dieser politische Frost mit sich brachte, hat Nurejew erst später zu tun. Bis dahin ist es eine Erfolgsstory, eine schön schimmernde Hommage in der braunstichigen Optik verblassender Papierbilder. Mittendrin sehr zurückhaltend, in elitärem Nachdenkmodus und etwas introvertiert: Ralph Fiennes als Ballettlehrer Alexander Puschkin, mit Halbglatze und Strickweste. Ja, Puschkin wird wohl so gewesen sein, zurückhaltend und distinguiert. Auch Nurejew selbst wird womöglich ziemlich gut getroffen worden sein, auch wenn es danach aussieht, als müsste es Zeit seines Lebens nicht einfach gewesen sein, mit ihm auf Augenhöhe zu kommunizieren. Oleg Iwenko, tatsächlich auch Ballettänzer, bleibt als der Bühnenstar unnahbar und arrogant. Ein Egozentriker aus Fleiß und der Lust am Ruhm. Aber immerhin einer, dem nichts in die Wiege gelegt wurde. Damit kann man sich anfreunden oder nicht. Interessant, wenn auch etwas tanzlastig, ist das ganze Szenario, das Fiennes hier rekonstruiert hat, trotzdem, plätschert aber bis zum alles entscheidenden Wendepunkt in Nurejews Leben eher recht hausbacken vor sich hin. Immerhin: das Sinnbild offener Türen, die in die Zukunft weisen, findet seine realhistorische Entsprechung.

Nurejew – The White Crow

Judy

GOODYBE, YELLOW BRICK ROAD

8/10

 

judy© 2019 eOne Germany

 

LAND: GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: RUPERT GOOLD

CAST: RENÉE ZELLWEGER, JESSIE BUCKLEY, RUFUS SEWELL, MICHAEL GAMBON, FINN WITTROCK U. A.

 

„Ein Herz wird nicht danach beurteilt, wie viele du liebst, sondern danach, von wie vielen du geliebt wirst.“ Das sagt der Zauberer von Oz zum Blechmann im gleichnamigen Film aus den 30er Jahren, in welchem Judy Garland zu dem geworden war, was sie Zeit ihres Lebens geblieben ist: einerseits ein Star aus Bühne und Film, und andererseits jemand, dessen Seele für Ruhm und Mammon verkauft worden war. Das eingangs erwähnte Zitat sagt doch schon alles: Ist man wirklich so weit gekommen, sein Herz danach beurteilen zu lassen, von wie vielen man geliebt wird, dann ist das die wohl euphemistischste Einladung zu einer bedingungslosen Abhängigkeit von all jenen, die es in der Hand haben, das Lebensglück eines Künstlers zu steuern. Dieses Zitat – es erscheint auch im Abspann von Rupert Goolds biographischem Drama Judy – lässt erkennen, aus welchen Gründen Garlands Leben eigentlich zum Scheitern verurteilt war, trotz all des Ruhms und der Anerkennung. Der Preis für so ein Leben war so hoch, den konnte die junge Judy damals gar nicht erfassen. Um diesem Druck am Set standzuhalten und nonstop zu drehen, dafür hatten die Verantwortlichen unter Studioboss Louis B. Mayer, der auf seine Art wohl um kein Haar besser war als Harvey Weinstein, einen Bauchladen voll der diversesten Drogen zu verteilen. Auch ein Umstand, den ein Kind nicht abschätzen kann, und bis zuletzt dessen Geissel blieb. Diese Sehnsucht nach einem verlorenen Leben und der Ruhelosigkeit in einem Hamsterrad namens Showbiz verkörpert Renée Zellweger mit nie dagewesener Intensität und lässt den strauchelnden Star für ein beeindruckendes Da Capo wieder auferstehen.

Es gibt Schauspieler und Schauspielerinnen, denen es gelingt, hinter ihrer Rolle vollends zu verschwinden. Das war zum Teil bei Rami Malek als Freddy Mercury in Bohemian Rhapsody so. Das war bei Gary Oldman als Winston Churchill so, da konnte aber jede Menge Makeup unterstützend zu diesem Status quo beigetragen haben. Renée Zellweger verschwindet hinter Judy Garland zur Gänze. Mit Judy kann sie ihrem Publikum zeigen, was ihr schauspieltechnisch alles möglich ist. In jeder noch so kleinen Geste, in jeder Mimik und jedem Blick liegt die wehmütige, bittere Erkenntnis, einen fordernden Traum gelebt zu haben, eine Vision mit viel zu vielen Ecken und Kanten. In alkohol- und tablettenbedingtem Rausch absolviert die leidgeprüfte Glamour-Queen einen Auftrittsparcour in Übersee, hat dabei Schwierigkeiten, als integre Geschäftspartnerin ihre Shows zu absolvieren. Ist unpässlich, ausfallend, im Grunde eine Katastrophe für Crew und Publikum. In diesem letzten Jahr ihres Lebens, welches Goold auf Basis eines Bühnenstücks mit dem Titel End of the Rainbow in den Fokus rückt, hat man das Gefühl, neben der Künstlerin zu stehen, genau wie diese beiden treuen Fans, die in einer der schönsten Szenen des Films Garland in den eigenen vier Wänden zu bewirten gedenken. Zellweger erlaubt es sich, dass wir uns der Person Judy auf unverstellte, freundschaftliche Weise nähern. Dafür lässt sie das Publikum sehr nah an sich heran, offenbart ihren Kummer und gesteht sich all ihre Fehler ein. Diese händeringende Lust an der Nähe ist es dann, die teilweise sogar das gesamte Drumherum einer Realität jenseits des Kinosaals vergessen lässt. Faszinierend, diese bedingungslose Sympathie für einen Menschen, der, zermalmt zwischen dem Räderwerk eines scheinheiligen Despotismus, als Opfer der Traumfabrik schutzbietendes Mitgefühl weckt.

Judy zählt für mich zur größten Überraschung unter den diesjährigen Oscar-Kandidaten, und wundern würde es mich sehr, würde Zellweger diesmal leer ausgehen. Goolds Film wird durch ihre Performance zu einem elegant inszenierten, einnehmenden Solo, irgendwo zwischen Terrence McNallys Bühnenstück Meisterklasse Maria Callas und Marion Cottillards Edith Piaf-Triumph La Vie en Rose. Ein stimmiges Portrait, melodisch, unaufdringlich, genau beobachtet. Und als Hommage an eine Legende auf dezente Weise mit narrativen Freiheiten dekoriert. Das hätte Judy Garland sicher gefallen. Auch, dass das Ende des Regenbogens wieder dorthin führt, wo alles begonnen hat. Bei der kleinen Dorothy, die sie im Grunde immer geblieben war.

Judy

Bad Times at the El Royale

FREIES SPIEL DER GÄSTE

7/10

 

elroyale© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2018

REGIE: DREW GODDARD

CAST: JEFF BRIDGES, CHRIS HEMSWORTH, DAKOTA JOHNSON, JON HAMM, CYNTHIA EVIRO, LEWIS PULLMANN U. A.

 

In diesem Film werden ganz klar die Grenzen überschritten: Denn das besagte Hotel El Royale, das liegt genau auf einer roten Linie, die Kalifornien von Nevada trennt. Wie originell, muss ich zugeben. Einmal ist man im sonnigen Westen, dann wieder im Land des Glücksspiels. Da lässt sich hin und her hüpfen oder direkt auf dem Grat entlang balancieren, wenn man nichts getrunken hat. Dieses Hotel, das liegt wie The Cabin in the Woods völlig abgelegen im forstlichen Nirgendwo, umgeben von Tannen, und überhaupt ist gerade wahrlich keine Hochsaison. Die Gäste sind an einer Hand abzuzählen: Ein katholischer Priester, eine Sängerin, ein Staubsaugervertreter und ein Hippie-Girl, denn wir schreiben ja die 60er, die Quentin Tarantino auch so gerne zelebriert. Der Verdacht liegt nahe, dass alle irgendetwas gemeinsam haben. Und dass der Concierge des Hauses – übrigens die einzige Belegschaft des Etablissements – Seltsames im Schilde führt. Oder etwa nicht? Vielleicht ist jeder der Gäste nur zufällig hier. Vielleicht hat gar nichts davon irgendetwas mit der Prologsequenz des Filmes zu tun, die auf vorwitzige Art von verstecktem Diebesgut erzählt. Nichts Genaues weiß man als Zuseher also nicht. In diesem Alles-Ist-Möglich-Zustand spielt das Kammerspiel von Drew Goddard (wie schon erwähnt: The Cabin in the Woods) seine besten Karten aus.

Es ist, als würde man The Hateful Eight mit den literarischen Gewitternächten eines Agatha Christie-Krimis kombinieren. Spontan betrachtet eine feine Mischung. Auch bei näherem Hinsehen immer noch knackig genug, um dranzubleiben. Bad Times at the El Royale gliedert sich wie in Tarantinos Hateful Eight in mehrere Kapitel, welche die Geschehnisse immer wieder aus einem anderen Blickwinkel neu aufrollen. Jede der Figuren bekommt seine eigene knappe Sequenz, und trotz einer Spielfilmlänge von knapp zweieinhalb Stunden verliert sich Goddards Drehbuch nie in ausufernden Kurzbiografien. Da reichen assoziative Skizzen und ungefähre Andeutungen, die der aufmerksame Zuseher im Geiste schnell ergänzt. Das macht den Thriller zu einem Puzzlespiel mit zwar mindestens tausend Steinen, dessen Motiv erstrahlt aber in farbenfroher Abwechslung und erleichtert des Rätsels Lösung auf gefällige Weise. Wenn es dann schüttet wie aus Schaffeln, und die Leuchtröhrenlettern des El Royale-Schriftzuges ihr verruchtes Rot in den Nachthimmel werfen, kommt eines zum anderen, und die Falschen zum Handkuss. Dabei gebärdet sich „Thor“ Chris Hemsworth in brustfreiem Outfit gerade mal so, als hätte er nie Thor gespielt, und jeglicher Marvel-Manierismus ist spurlos verschwunden. Auch Jeff Bridges lässt sich in diesem „krummen Haus“ nur zu gerne auf einen Drink einladen, wobei die Abgründe wie bei David Lynch eigentlich gleich ums Eck liegen, oder hinter der nächsten Mauer.

Bad Times at the El Royale ist eine liebevoll ausgestattete Fingerübung in Sachen Suspense, in kräftige Farben und voller klassischer Kniffe. Das Hotel selbst ist mit all seinem perlenden Retrocharme atemberaubend ausgestattet, natürlich eine Bühne par excellence, und tatsächlich diente für den Dreh ein Hotel, nämlich die Cal Neva Lodge, die wiederum tatsächlich an der Grenze der beiden Bundesstaaten liegt. Erwartungshaltungen werden zwar unterwandert, allerdings nicht so  verblüffend weiträumig wie ich vielleicht vermutet hätte. Dafür entschädigt ein satter Soundtrack mit alten Hadern von Deep Purple bis zu den Righteous Brothers mit Unchained Melody, interpretiert von Cynthia Eviro, die tatsächlich einiges aus ihrem Repertoire zum Besten gibt. Dabei beweist Goddard in seiner Auswahl zeitgenössischer Klassiker und der Idee, eine der Hauptfiguren auch selbst singen zu lassen, genauso ein feines Händchen wie der viel (und – versprochen – zum letzten Mal) zitierte Tarantino, wenn nicht gar um eine Plattennadel feiner. Musik ist in Bad Times at the El Royale also ein wichtiges Tool, Musik und Ausstattung, und der Quotient aus beidem ist Stimmung, die ganz allein aus dem Verqueren, dass in der aufgeladenen Gewitterluft liegt, genussvolle Spannung produziert. Ein cooles Stück Krimi also – theatralisch, dramatisch und verhängnisvoll.

Bad Times at the El Royale

Green Book – Eine besondere Freundschaft

FAHR´ MA, EUER GNADEN!

9/10

 

greenbook© 2019 eOne Germany

 

LAND: USA 2018

REGIE: PETER FARRELLY

CAST: VIGGO MORTENSEN, MAHERSHALA ALI, LINDA CARDELLINI U. A.

 

Angeblich soll Albert Einstein einmal gesagt haben: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Dass die menschliche Dummheit wirklich keine Grenzen kennt, das belegt wieder mal die Existenz das in den 60er Jahren unter der schwarzen Bevölkerung Amerikas verbreitete Green Book. In diesem sagen wir mal Heftchen sind alle Etablissements, Hotels und Tankstellen verzeichnet, die Schwarze betreten dürfen. Mit diesem Green Book konnte man damals unter der Präsidentschaft von John F. Kennedy relativ problemlos die vom Rassismus geprägten Südstaaten bereisen, ohne belästigt, beschimpft oder geprügelt zu werden. Das es so etwas wie das Green Book überhaupt geben muss, ist eine Schande. Andererseits kann ein Reiseführer wie dieser Bad Vibrations relativ gut abwenden. Dass man sich damit aber mit der gesellschaftspolitischen Situation von damals eher arrangiert hat als diese zu verändern, war wohl auch klar. Nichtsdestotrotz hat der schwarze Jazzpianist Dr. Don Shirley, ein distinguierter Gentleman, das Druckwerk jedenfalls mit dabei, auf seiner Konzerttournee bis tief in die südlichen Sümpfe der Gesellschaft, um vielleicht doch etwas zu verändern. Zumindest seinen Standpunkt zu vertreten – und ein Exempel zu statuieren. Dazu braucht es Mut. Und einen Fahrer. Der wiederum gehört zum Sicherheitspersonal eines Nachtclubs, und da dieser gerade wegen Umbaus geschlossen hat, wittert der Italoamerikaner Tony Lip das große Geld. Immerhin sind es zwei Monate Support in Belangen nicht nur des Kutschierens von A nach B, sondern auch, Probleme, die Shirleys Auftritten im Weg stehen könnten, aus dem Weg zu räumen.

Unterschiedlicher können die beiden Zeitgenossen nicht sein, wirklich nicht. Tony Lip ist ein Gourmand unter der amerikanischen Sonne, einer der (wett)essen kann, wie der Tag lang ist. Der im Grunde zwar auch keine Schwarzen mag, aber warum eigentlich? Der Tacheles redet, angeblich nie lügt und gerne mal aufbrausend Fäuste unter unliebsame Nasen hält. Und Don Shirley – schon die erste Begegnung der Beiden wirkt wie eine Audienz vor einem afrikanischen Monarchen. Der belesene Snob ist eloquent, leicht affektiert und unlocker vom Scheitel bis zur Sohle. Wen wundert’s, in so unbequemen Zeiten wie diesen, wo du als Schwarzer einfach wissen musst, wer du bist, um nicht unter die Absätze nationalistischer Weiße zu geraten. Somit ist Shirley auch keiner, mit dem man schnell warm wird. Tony Lip aber wird das ändern.

Natürlich gibt es jede Menge Buddy-Movies wie dieses. Zwei, die unterschiedlicher nicht sein können, sind unterwegs von A nach B und raufen sich zusammen. Da hat selbst das Problem-Filmland Österreich einen Klassiker in petto – nämlich Indien. Kabarettkino ja, auf den ersten Blick, tatsächlich aber voller Tiefe und sehr berührend. Green Book hat, den österreichischen Witz mal außer Acht gelassen, ähnliche Szenen zu bieten. Wenn der beharrliche Tony Lip Pianist Doc Shirley unterwegs ein Ohr abkaut oder ihm Kentucky Fried Chicken unter die Nase hält, dann sind das Doppelconferencen erster Güte. Der Film wäre aber längst nicht so ein Bringer, wäre Tony Lip anders besetzt worden als mit Viggo Mortensen. Nichts ist mehr übrig aus seinen Zeiten als Aragorn. Wunderbar, wie wandlungsfähig der Mann ist – und als leicht korpulenter, appetitvoller Türsteher, der nicht gerade zu den Intellektuellen zählt, aber das Herz am rechten Fleck hat, den Film trägt wie kein zweiter. Auch, weil er in seiner straighten, aber unzementierten Weltanschauung fähig ist, seinen eigenen und den Standpunk des intellektuellen Shirley nachhaltig zu hinterfragen. Mahershala Ali als kultivierter Feingeist und Klaviervirtuose ist ein wunderbarer Gegenpart zu Mortensens feixendem, gemütlichem Auftreten. Seine Vorsicht vor den Menschen, sein expliziter Sinn für Anstand und mit der meist auf Verteidigung angelegten Verfechtung seiner Würde ist der einsamen Seele in feinstem Maßanzug auf den Leib geschneidert. Fast schon legendär, wie sich beide ergänzen, wie sie voneinander lernen und wie sie zusammen dieses Roadmovie meistern, scheinbar völlig als Selbstläufer, ohne viel Input von außen. Peter Farrelly, bekannt als Macher zotigen Klamauks jenseits des guten Geschmacks, hat sich hier wohl in die leinerne Rückenlehne seines Regiestuhl lehnen können – die beiden Buddies schaukeln den Film, als wäre es ihr echtes Leben. Das macht Green Book eigentlich auf nahezu vollkommene Weise zu einem der besten Wohlfühlfilme seit langem, zu einem filmischen Grundstein einer lebenslangen Freundschaft, die tatsächlich mit dieser abenteuerlich-erkenntnsireichen Fahrt in den Süden ihren Anfang genommen hat. So eine Freundschaft wünschen wir uns alle, nur allzu selten passiert sowas tatsächlich. Umso schöner ist dann ein Film wie dieser, der zeigt, wie´s gehen kann.

Green Book – Eine besondere Freundschaft

Spacewalker

SCHRITT INS LEERE

7/10

 

spacewalker© 2017 capelight pictures

 

LAND: RUSSLAND 2017

REGIE: DIMITRI KISSELJOW

CAST: JEWGENI MIRONOW, KONSTANTIN CHABENSKI, WLADIMIR ILJIN, JELENA PANOWA U. A.

 

Ich kann mich noch sehr gut an Ron Howard´s filmgewordenes Tatsachen-Abenteuer eines gescheiterten Mondfluges erinnern – Apollo 13 mit Tom Hanks und Bill Paxton, ein perfekt skizziertes Stück Zeitgeschichte, eine Hommage an all die Wagemutigen, die auf diesen verhängnisvollen Trip gegangen – und mit einer ganzen Meute an Schutzengeln wieder zurückgekehrt sind. Viel früher noch, im Jahr 1983, inszenierte der Filmemacher Philip Kaufman ein dichtes, über drei Stunden langes Epos zur amerikanischen Geschichte der Raumfahrt – Der Stoff aus dem die Helden sind mit Ed Harris und Sam Shepard. Ein epischer und höchst aufschlussreicher Film. Und in Kürze wird Ryan Gosling in die Rolle von Neil Armstrong schlüpfen, um endlich auch fürs Kino den Mond zu betreten, und zwar ohne Aliens, Klone und sonstiger Bedrohungen. Gosling wird einfach nur der Mann sein, der als erster den kleinen Schritt für sich und den großen für die Menschheit gewagt hat. Ein Werk, welches ganz oben auf meiner Watchlist steht.

In Anbetracht dieses kleinen kinematographischen Rück- und Ausblicks könnte man ja fast meinen, dass die Erkundung des Weltalls bislang ein rein amerikanisches Unterfangen war. Natürlich stimmt das nicht, das wissen wir. Natürlich war der Russe Juri Gagarin der erste Mensch im Weltraum. Vor ihm als erstes Lebewesen sogar noch Schäferhündin Laika. Von Aleksej Leonow und Pawel Beljajew haben bislang womöglich nur die wenigsten gehört. Da nehme ich mich nicht aus, da muss mir der Mikromann gar nicht erst auf den Schlips treten, das hätte ich auch nach reiflicher Überlegung nicht gewusst, zumindest nicht vor Sichtung des russischen Tatsachendramas Spacewalker.

Für alle, die sich für die Eroberung des Weltalls und überhaupt für den technischen Wettlauf zwischen den USA und der UDSSR im Fahrtwind des kalten Krieges interessieren, sei Spacewalker oder Die Zeit der Ersten, wie sich das perfekt ausgestattete Epos im Original nennt, fast schon als Pflichtprogramm ans Herz gelegt, vor allem auch, wenn eingangs genannte Filme Gefallen gefunden haben. Das, was der großzügig budgetierte Film erzählt, ist die Mission des im März 1965 ins All beförderten Raumschiffs Woschod 2. Die metallische Kugel mit ausfahrbarer Luftschleuse war das Sprungbrett für den ersten Allspaziergang des Homo sapiens. Dabei war der Spacewalk mehr ein Schweben im Nichts, angeleint an die schützende Hülle russischer Technik. Wie es so weit kam, und mit welchen Schwierigkeiten diese Mission zu kämpfen hatte, das beschreibt Regisseur Dimitri Kisseljow in handwerklicher Perfektion und steht alten Hasen wie Ron Howard dabei um nichts nach. Die True Story der beiden wagemutigen Piloten  hätte natürlich auch semidokumentarischer, schlüssig recherchierter Purismus werden können, doch das wäre für diese gleichsam unaufgeregte wie mitreißende Heldenverehrung wohl zu wenig großes Kino gewesen.

Spacewalker setzt Astronaut Leonow gezielt in den Fokus, blickt zurück in irrlichternde Fragmente kindlicher Erfahrungen, verklärt die Sehnsucht des kleinen Aleksej in teilweise surrealer Poesie. Dazwischen das zugeknöpfte, äußerlich stoische Weltraumkommando im russischen Ground Control, fiebernd, bangend und um Lösungen ringend. Den größten Impact aber erwirken die Szenen im Weltall, die an Gravity erinnern, und sogar das abschließende Kapitel nach dem Wiedereintritt in die Atmosphäre ist von verblüffender, unberechenbarer Dramatik, die sich in der eiskalten Wildnis Sachalins abspielt.

Spacewalker ist eine akkurate Geschichtsstunde der Kosmonautik in klassisch-chronologischem Aufbau, klug getimt, spannend und nachvollziehbar. Die Mission: Impossible dieser Ausnahmepioniere macht in seiner Detailtreue und narrativen Klarheit der geschilderten Ereignisse Lust auf die unmittelbare Terra incognita jenseits unserer Stratosphäre, mit all seinen Anstrengungen, den Moonboot in der Tür zu lassen. Science-Fiction auf der Habenseite, ganz so, wie sie früher einmal war – und längst schon sich selbst überholende Realität ist.

Spacewalker