Lawrence von Arabien (1962)

EIN HAUFEN REITENDER MÄNNER

7,5/10


lawrence-of-arabia© 1962 Columbia Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 1962

REGIE: DAID LEAN

DREHBUCH: ROBERT BOLT, MICHAEL WILSON, NACH DEM AUTOBIOGRAPHISCHEN BERICHT VON T. E. LAWRENCE

CAST: PETER O’TOOLE, ALEC GUINNESS, ANTHONY QUINN, OMAR SHARIF, JACK HAWKINS, CLAUDE RAINS, ANTHONY QUAYLE, ARTHUR KENNEDY, JOSÉ FERRER, DONALD WOLFIT U. A.

LÄNGE: 3 STD 47 MIN


Alte Schinken nochmal neu sichten – das könnte und sollte man als Cineast durchaus immer wieder mal in Betracht ziehen. Auch wenn die eigene Watchlist mit allen Neuerscheinungen schon rammelvoll ist, mag ein Blick zurück auf die Meilensteine einer über hundert Jahre währenden Erfolgsgeschichte eben des Kinos momentane Trends mit Leichtigkeit relativieren. Es lässt sich erkennen, worauf es früher wohl ankam, welche Stilmittel gern gesehen waren, welcher Aufwand nicht zu groß war und wie unterm Strich dem Massengemüt des Publikums zu entsprechen war. Bild, Ton, Dramaturgie, politische Korrektheit und die Handhabung mit Tabus: Alles eine Frage der Zeit, der Weltpolitik, der Geldgeber und der Studios. In den Sechzigern, da herrschte das Genre des Monumental- oder Sandalenfilms nebst dem Genre des Westerns fast schon als Monopol und über ein Jahrzehnt lang über den lokalen Kinospiegel. Gern Gesehenes war also der Gegenwart Unverwandtes, weit Entferntes und Entrücktes und mit den Problemen der Gesellschaft kaum in Berührung kommend. Man saß im Kino und glotzte Quo Vadis (Anfang der 50er), Ben Hur mit seinem christlichen Einschlag. Spartacus, Exodus und El Cid, später Cleopatra und Doktor Schiwago. Mehrere Stunden lang, aber mit Pausen, gab man sich dem Kostüm- und Kulissenrausch hin, mitunter an Originalschaupoltzen gefilmt und ohne Massenszenen aus dem Rechner, sondern analog und wahrhaftig. Gigantische Zweckbauten für nur ein paar Szenen ließen staunen, anschließend verließ man das Kino mit dem Wissen, nicht nur unterhalten worden zu sein, sondern auch, bezüglich der Geschichte der Welt, weitergebildet.

Eines dieser Werke war schließlich auch, im Jahre 1962 Lawrence von Arabien, eine britische Wüstenoper mit Sonne, Sand und Beduinen und die biographischen Eckpunkte eines Mannes erzählend, der die Beduinenstämme aus den Tiefen der Halbinsel Saudi-Arabiens vor die Fronten der Osmanen führte, um den Nahen Osten zurückzugewinnen. Seinen Bericht hat er damals unter dem Titel Die sieben Säulen der Weisheit niedergeschrieben, David Lean, im Kino-Gigantismus bereits mit dem schier zeitlosen Antikriegsdrama Die Brücke am Kwai erfahren und entsprechend ausgezeichnet, hat sich an dessen Erinnerungen angelehnt, um den noch unbekannten Peter O’Toole in Szene zu setzen, der gentlemenlike und auf unverwüstliche Weise sturen Idealen folgend, zum Abenteurer und Geschichtsreformator werden soll. Als ehrgeiziger britischer Offizier Thomas Edward Lawrence (der O’Toole auch verblüffend ähnlich sieht – oder umgekehrt) bekommt er zur Zeit des ersten Weltkriegs den Auftrag, dem Araber-Prinzen Faisal einen Besuch abzustatten und sich über dessen Agenda zu informieren, um gegebenenfalls im Kampf gegen die Osmanen ihre Unterstützung zu erlangen. Logischerweise entspricht die Theorie dieser Mission nicht der Praxis, denn Araber sind das eine, die verfeindeten Beduinenstämme das andere. Unter einen Nenner lassen sich diese Völker alle nicht bringen, zumindest scheint es so. Doch Lawrence gelingt das scheinbar Unmögliche, auch wenn er mitunter über Leichen gehen muss.

Abenteuerliche Geschichtsfilme wie diese gibt es heutzutage wohl keine mehr, es sei denn, Ridley Scott hat wieder mal tief in die Geldkiste gegriffen, um Kreuzzüge, napoleonische Schlachten oder den Auszug der Israeliten aus Ägypten zu verfilmen. Geht dieser Mann irgendwann einmal den Weg allen Fleisches, wird das Genre, so fürchte ich, aussterben. Erinnern wird man sich nicht nur an seine Werke, sondern auch an jene, die ihm vielleicht als Vorbild dienten. Dieses hier ist so eines: ein unter enormem Aufwand verfilmtes Epos von fast vier Stunden, in dem Frauen keinerlei Rollen spielen und Männer so sind, wie Männer sein wollen. In dem Männer tun, was sie tun müssen. Die Welt ist in David Leans Werk und vielleicht auch aus Lawrences Sicht ein notgedrungenes Patriarchat, dessen Schicksal von Männern gesteuert, entschieden und vereitelt wird. Nun, genau das, diese Mentalität dieser filmischen Monumentalarbeit, erscheint aus der Zeit gefallen und so angestaubt wie ein Beduinenzelt nach dem Wüstensturm. Ein riesiger Haufen reitender Männer prescht über Dünen, säbelschwingend ihrem Ziel entgegen. Irgendwann verfällt auch der scheinbar pazifistische Lawrence, dem bald die Gewalt und der Tod näherkommt als ihm lieb ist, einem Blutrausch und Peter O’Tools irrer Blick prägt sich nachhaltig ins Gedächtnis. Hauptsächlich in Jordanien, Marokko und auch Spanien gedreht, wird die Wüste zum Schminktisch für den Helden. Neben ihm brillieren Anthony Quinn als Beduinenführer Auda Abu Tayi und natürlich der bereits von David Lean erprobte Alex Guinness als charismatischer Prinz Faisal. Ihr schauspielerisches Stelldichein wird zu Kinonostalgie pur, sie zelebrieren weit weg von kultureller Aneignung und wokem Stirnrunzeln die Fähigkeit des Schauspielers, in Rollen zu schlüpfen, die ihrer eigenen Biografie fremd sind. Ein Film wie Lawrence von Arabien ist heutzutage auf diese Weise wohl nicht mehr zu inszenieren. Und doch trägt dieser nur scheinbar wüstenheisse Gewalt-Exkurs jene Wahrheit in sich, die so lange gilt, solange es Menschen gibt: Wer zum Schwert greift, wird nicht durchs Schwert sterben, dafür aber bestimmt er die Weltgeschichte. Leider.

Lawrence von Arabien (1962)

The Promise

DIE EPIK EINES GENOZIDS

6,5/10

 

thepromise© capelight pictures 2004-2017

 

LAND: USA, SPANIEN 2017

REGIE: TERRY GEORGE

CAST: OSCAR ISAAC, CHRISTIAN BALE, CHARLOTTE LE BON, ANGELA SARAFYAN, TOM HOLLANDER, JAMES CROMWELL, JEAN RENO U. A. 

 

18 Jahre nach den Ereignissen im damaligen Osmanischen Reich hat der begnadete Schriftsteller Franz Werfel 1933 einen epischen Roman verfasst, welcher an den Widerstand der Armenier gegen die Türken am Berg Musa Dagh im September 1915 erinnert. Damals, nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, hatte das osmanische Komitee für Einheit und Fortschritt – welcher Zynismus! – nichts anderes zu tun gehabt, als das Volk der Armenier zu vertreiben und massenhaft zu töten. Ein Völkermord, wie er im Schwarzbuch steht. Fast hätte ich vermutet, vorliegendes Werk ist Werfels Tausendseiter im Filmformat. Falsch gedacht – der irische, politisch motivierte Regisseur Terry George, der 2004 mit Hotel Ruanda bereits einen ganz anderen Genozid zum Thema hatte und die Geschichte eines schwarzafrikanischen Oscar Schindler auf bewegende Weise erzählen konnte, erinnert sich nun an das Genre epischer Monumental- und Cinemascope-Filme wie Vom Winde verweht oder an wuchtige literarische Werke wie Tolstoi´s Krieg und Frieden, um eine fiktive Dreiecksgeschichte zu erzählen, die vor dem Hintergrund der systematischen Auslöschung der Armenier erzählt wird.

The Promise bot schon im Vorfeld, bevor der Film überhaupt noch in den Kinos anlief oder von irgendeinem Publikum gesehen wurde, genug Stoff, um sowohl von den militanten Leugnern als auch von den Verfechtern der Aufklärung hitzig diskutiert zu werden. Da lässt sich wieder mal deutlich erkennen, wie sehr Journalismus menschliches Verhalten beeinflussen kann, vor allem wenn nichts Greifbares zugrundeliegt, sondern nur die Tatsache, dass das Schicksal der Armenier Thema eines Filmes werden wird. Allerdings lockte The Promise auch nach der Premiere nur wenige Menschen ins Kino – das haben womöglich Filme über Minderheiten so an sich. Grausamkeiten von Menschen an Menschen locken anscheinend nur, wenn es fiktiver Horror ist, weniger geschichtliche Tatsache, wobei Terry George alles daransetzt, nicht nur das Grauen in explizit arrangierten Szenen nachzustellen, sondern auch eine prosaische Liebesgeschichte zu erzählen, die von Sehnsucht, Eifersucht, Versprechen und Leidenschaft geprägt ist. Eine durchaus romantische Konstellation theatralischen Ausmaßes erwächst zwischen dem armenischen Medizinstudenten Michael, einem amerikanischen Reporter namens Chris und dessen armenischer, allerdings in Paris aufgewachsener Freundin Ana. Erschwerend hinzu kommt, dass Michael sich unsterblich in Ana verliebt, während daheim in der Provinz die Verlobte mit der Mitgift wartet, die letzten Endes das Studium finanzieren soll. Das alleine wäre schon heikel genug, allerdings von relativ trivialer Natur – wären nicht alle drei Kinder ihrer Zeit, nämlich Zeitzeugen der erstarkenden Endzeit des ersten Weltkriegs. Wie die Hutus in Ruanda haben auch die Osmanen in Kleinasien nur auf das Signal gewartet, um zuzuschlagen. Die Vertreibung der christlichen Armenier soll angeblich in den Wirren eines Krieges untergehen – gäbe es nicht Kriegsberichterstatter wie Chris, angenehm zurückhaltend gespielt von Christian Bale, die über die schändliche Ausnahmepolitik der dortigen Regierung berichten.

Terry George findet mit seinem Kameramann Javier Aguirresarobe und all seinen Ausstattern beeindruckende Bilder aus einer vergangenen Epoche, die sowohl die Schönheit des Landes, den orientalischen Zauber Konstantinopels als auch die Tragödie der Vernichtung in farbintensiven Bildern einfangen. Menschenschlangen ziehen durch die Ödnis, ganz so, wie Fotografien von damals die Verbrechen bezeugen. Die Schlacht am Musa Dagh am Ende des Filmes hat dann schon bibelgleiche Ausmaße. Große Gefühle sind hier nun Thema, das Beklagen der Toten und das Wiederfinden der Geliebten. Historisches Pathos in Reinkultur, professionell inszeniert, auch wenn das Schicksal von „Poe Dameron“ Oscar Isaac gegen Ende vielleicht etwas über die Maßen strapaziert wird.

The Promise lässt sicher nicht kalt, das große Drama packt den Gerechtigkeitssinn, der uns Wohlerzogenen innewohnt, gehörig und schmerzhaft am Schopf. Sehgewohnheiten neu zu definieren ist aber ebensowenig die Absicht des Films wie ein junges Publikum abzuholen – George´s Epos ist ein Zugeständnis an Traditionalisten älteren Semesters. Das ist immerhin noch malerisches, bestens gelerntes Breitwandkino im Stile Spielfilmlängen sprengender Klassiker – und selbst wie aus einem anderen, vergangenen Jahrhundert.

The Promise