Der Pfad (2022)

DIE ZUVERSICHT JUNGER UNBEUGSAMER

6/10


derpfad© 2022 Warner Bros. Deutschland


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, SPANIEN 2022

REGIE: TOBIAS WIEMANN

BUCH: RÜDIGER BERTRAM, JYETTE-MERLE BÖHRNSEN

CAST: JULIUS WECKAUF, NONNA CARDONER, VOLKER BRUCH, JYETTE-MERLE BÖHRNSEN, LUCAS PRISOR, BRUNA CUSÍ, ANNA MARIA MÜHE U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Älteren Kindern und Jugendlichen die verheerende Zeit des Nazi-Regimes näherzubringen, ist eine noble und auch äußerst wichtige Sache, welche das Kino der Gegenwart als seine Pflicht ansieht, hier ab und an auch den belehrenden und erkenntnisfördernden Part zu übernehmen. Vor vier Jahren flimmerte die Verfilmung des Buches Als Hitler das rosa Kaninchen stahl ebenfalls schon über die Leinwand – und ja, solide inszeniert und in gewissem Maße schonend für jugendliche Gemüter hat Caroline Link hier das Drama von Flucht, permanenter Angst und Heimatverlust auf ein vernünftiges Maß an Intensität heruntergebrochen. Verständlich, nachvollziehbar, für Kinder das Abenteuer eines Ausnahmezustandes, der Stress verursacht.

Der Pfad von Tobias Wiemann (u. a. Amelie rennt) ist ebenfalls so ein Film, gemacht für Jugendliche, gefällig in seinem Drama und auffallend gnadenlos hinsichtlich einer omnipräsenten Bedrohung, die den beiden Kindern gefühlt aus allen Richtungen auf die Pelle rückt. Sehr bald auf sich allein gestellt, müssen sie einen Zustand meistern, den man normalerweise nur aus Fantasyromanen kennt, und dort ist es das Abenteuer des Guten gegen das Böse, mit offensichtlichem Erfolg für ersteres, denn wir leben in einer Welt der Moral in Märchen und Fiktion. Die Realität, die Geschichte Europas, sieht natürlich anders aus. Und so mag das Abenteuer stellvertretend für Gräuel stehen, die nicht mal noch Halbwüchsigen nicht nur die Familie, sondern auch das Leben entreißen will. Dagegen stemmt sich Rolf (Julius Weckauf, großer Durchbruch mit Der Junge muss an die frische Luft – und zwar zu Recht) mit seinem Vater Ludwig (Volker Bruch, Kommissar Gideon Rath aus Babylon Berlin), der als kritischer Journalist Anfang der Vierzigerjahre auf die Abschussliste gerät. Bis nach Paris und dann nach Marseille haben sich beide durchgeschlagen, jetzt heißt es noch über die Pyrenäen und dann an die Küste, wo ein Flüchtlingsschiff wartet und beide in die USA bringen soll, wo bereits die Mutter wartet. Im Rucksack hat Rolf stets ein Buch Erich Kästners: Der 35. Mai. Eine Geschichte, in der alles möglich und auf den Kopf gestellt scheint – in Zeiten wie diesen ein trostspendender, mentaler Support. Mithilfe von Nuria, einer ortsansässigen Bergführerin und selbst noch nicht mal ein Teenager, gelangen sie ins Gebirge – wo das Schicksal sich wenden wird. Und Rolf von seinem Vater Abschied nehmen muss.

Ähnlich wie Wie zwischen Himmel und Erde, Maria Blumencrons selbst verfilmte Erlebnisse einer Flucht aus dem kommunistischen China über den Himalaya will Der Pfad sich ganz sicher nicht nur auf den Survival-Trip zweier Kinder konzentrieren, sondern auch den politischen Aspekt betrachten. Von Menschenschmugglern und Fluchtrouten ist die Rede, von Deals und Bestechung zur Befreiung von Rebellen, die für die gute Sache kämpfen. Und von der Akzeptanz des Unmöglichen, die einhergeht mit dem zwangsläufig viel zu früh geführten Schritt aus der Welt der Kindheit in eine ernüchternd-brutale Realität. Wie Julius Weckauf „erwachsen“ werden muss, weil ihm sonst nichts anderes übrigbleibt, weil auch die Obhut der Eltern fehlt, zeigt sich als stark gespieltes Jugendkino mit dem Herzen am rechten Fleck und einer wunderbaren Chemie zwischen den beiden Jungstars, die zwischen lakonischem Humor und Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit stets die Contenance der Unbeugsamen wahren.

Der Pfad (2022)

Emancipation (2022)

DER MEUTE EINS AUSGEWISCHT

6,5/10


emancipation© 2022 AppleTV+


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: ANTOINE FUQUA

BUCH: WILLIAM N. COLLAGE

CAST: WILL SMITH, BEN FOSTER, STEVEN OGG, CHARMAINE BINGWA, GILBERT OWUOR, MUSTAFA SHAKIR, GRANT HARVEY, RONNIE GENE BLEVINS, TIMOTHY HUTTON U. A. 

LÄNGE: 2 STD 12 MIN


Nach dem Watschen-Eklat bei der letzten Oscar-Verleihung 2022 (ob er wohl heuer tatsächlich nicht eingeladen wird, trotz sichtbarer Reue?) präsentiert sich Will Smith erstmals wieder in einem Film aus dem Sortiment des Streamingdienstes AppleTV+ – weit, weit entfernt von seiner exaltierten Kunstfigur des Prinzen von Bel Air, dem Buddy aus Bad Boys oder dem Date Doctor, der Kevin James das richtige Werkzeug fürs Anbaggern in die Hände gelegt hat. Seit seinem Oscar-Triumph für King Richard – und auch schon längst davor – sieht der impulsive Charaktermime nur in wirklich ernsten, tieftragischen und verzweifelten Rollen die wahre und einzige Wiege guter Schauspielkunst. So wird auch das von Antoine Fuqua inszenierte Abenteuer- und Historienepos für Will Smith eine Rolle vorgesehen haben, die durch die Hölle gegangen sein muss und immer noch geht, die sich aber dadurch auszeichnet, dass sie wirklich allen Gräueln dieser Welt, allen Zumutungen und Entbehrungen letztlich widerstehen kann, einzig und allein durch den unerschütterlichen Glauben an einen gnadenvollen Gott der Christenheit.

Das klingt pathetisch, das klingt nach Märtyrer zur Zeit der Christenverfolgung, und in gewisser Weise scheint Emancipation auch so ein Film zu sein, der für die historische Figur des Whipped Peter, der aufgrund einer 1863 entstandenen Fotografie seines von Peitschenhieben vernarbten Rückens zu weltweiter Bekanntheit gelangte, eine Art Seligsprechung auszurufen gedenkt. Ein Vorhaben, dem Will Smith, womöglich selbst strenggläubig, nur zu gerne zum Ziel verhelfen mochte. Diesem Peter also, welchem die Flucht aus dem Arbeitslager tatsächlich gelang, folgt Emancipation auf historisch akkurate Weise, ohne scheinbar viel zu verfälschen. Um die Schrecken der Sklaverei auch zu übermitteln, wie es seinerzeit schon Steve McQueen mit Twelve Years A Slave getan hat, legt Fuqua enorm viel Wert auf Opulenz und Ausstattung, gönnt seinem Publikum großzügige Panoramabilder und elegante Drohnenfahrten über den Sumpf. Alles in so stark entsättigten Bildern, dass die Frage aufkommt, warum nicht von vornherein in Schwarzweiß gedreht wurde, wenn schon das bisschen Farbe überhaupt keine Notwendigkeit mehr hat. Das Grün der Vegetation des Sumpfes oder die Gesichter des Sklaven im Schein der Lagerfeuer erscheinen dann doch wie handkoloriert – ein Effekt, den man selten sieht, der für die Wahl der Optik aber ein Grund sein kann. Durch das Weglassen der Farbe bekommt aber auch die dargestellte Gewalt der weißen Herren den Farbigen gegenüber eine andere Dimension. Es entsteht ein Eindruck, als wäre man nicht in den USA, sondern in einem Konzentrationslager der Nazis – Assoziationen mit Schindlers Liste drängen sich auf, und Co-Star Ben Foster, der als wortkarger und gefährlich ruhiger Chefaufseher die bösartige Selbstverständlichkeit eines Amon Göth widerspiegelt, der als Morgensport mit dem Gewehr auf Häftlinge zielt, pfeift seine Hunde zum Halali. Doch hier, in dieser Hölle auf Erden, ist ein Schindler leider fünf Tagesmärsche durch den Sumpf entfernt – nämlich dort, wo Lincoln seine Armeen hat: in Baton Rouge. Peter gelingt es zu fliehen, mit ihm ein paar andere. Ihnen nach: eine vierpfotige Meute, die mit erstaunlicher Genauigkeit die Positionen der Flüchtlinge erschnüffeln kann. Oben im Sattel: Ben Foster, ebenfalls hinterher. Alle treibt es durch die Wildnis, und so sehr sich Peter auch bemüht, seine Verfolger abzuhängen – immer wieder kreuzen sich deren Wege.     

Ja, Will Smith ächzt und stöhnt wie Leonardo DiCaprio in Iñárritus The Revenant. Seine Gesichtszüge verraten Panik, Angst, Stress und Wut. Das Entsetzen und der Irrsinn des nackten Überlebens trägt Smith in dezentem Overacting zur Schau. Eine geschundene, aber willensstarke Seele, doch immer wie eine, die sich in einer Challenge mit der Wildnis messen mag. Fuqua will mit diesem Denkmal für eine Ikone der Emanzipation und dem Ende der Sklaverei aber nicht nur dessen Schicksal zelebrieren, sondern auch den Sezessionskrieg in prächtiger Ausstattung heraufbeschwören – was ihm gelingt. Zwar nicht spiefilmlang, sondern als letztes Kapitel, und von einem martialischen Naturalismus, welcher in der aktuellen deutschen Oscar-Hoffnung Im Westen nichts Neues seinen stilistischen Meister gefunden hat. Emancipation hat also alles, was es für ein Drama aus der finstersten Epoche der USA eigentlich braucht. Und tatsächlich gelingt es Fuqua, eine packende Geschichtslektion zu erteilen, wenn auch das christliche Pathos zu viel dem lieben Gott verdanken will.

Emancipation (2022)

Beckett

GRIECHENLAND SEHEN… UND STERBEN

7/10


beckett© 2021 Netflix


LAND / JAHR: ITALIEN, BRASILIEN, GRIECHENLAND, USA 2021

BUCH / REGIE: FERDINANDO CITO FILOMARINO, NACH DEM ROMAN VON DENNIS ALLAN

CAST: JOHN DAVID WASHINGTON, ALICIA VIKANDER, BOYD HOLBROOK, VICKY KRIEPS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Becketts gibt es viele. Samuel Beckett, der Schriftsteller. Tobias Beckett aus dem Star Wars-Universum. Thomas Becket (nur mit einem t), der ehemalige Erzbischof von Canterbury, verewigt in Jean Anouilhs Klassiker Becket oder die Ehre Gottes. Von Gott scheint in dieser vorliegenden Netflix-Premiere ein ganz neuer, taufrischer Beckett allerdings so ziemlich verlassen zu sein. Denn der ist schlicht und ergreifend zur falschen Zeit am falschen Ort, wobei die Koordinaten gar nicht mal so schlecht gesetzt sind. Schauplatz ist nämlich Griechenland, nicht erst seit STS der Inbegriff von Urlaub und Ausstieg aus der Norm. Wo man gut und gerne mal irgendwann dortbleiben würde, um die Füße in den weißen Sand zu stecken, vorzugsweise mit einer Flasche Rotwein in der Hand (an meine Leser, die den Austropop-Klassiker nicht kennen – Sorry an dieser Stelle). Dieser Beckett, gespielt von John David Washington, ist jedoch weit davon entfernt, sich an den Strand zu setzen. Rund um Athen ist dieser nämlich mit seiner Flamme April (Alicia Vikander) per Auto unterwegs, um in der kühleren Nebensaison eben genau das zu machen, wofür die Griechen nebst Wiege der Antike bekannt sind: Urlaub. Der findet alsbald eine tragische Wendung, als Beckett beim Sekundenschlaf in eine Hauswand kracht. Die Freundin segnet das Zeitliche, Beckett schält sich aus den Trümmern, ruft um Hilfe, sieht Personen im Haus, die eigentlich gar nicht da sein dürften. Als er dies später zu Protokoll gibt, beginnt eigentlich erst der wirkliche Horror – obwohl man meinen könnte, ein Unfall mit Todesfolge bietet schon genug davon. Nein – Beckett soll nämlich, gejagt von Unbekannten, ebenfalls ins Gras beißen. Also ist er auf der Flucht – für den Rest des Films.

Klingt simpel – ist es prinzipiell auch. Ein Mann auf der Flucht ist ein wiederholtes Szenario, birgt aber scheinbar unerschöpfliches Potenzial und endlose Details, mit denen man den eigentlichem Plot ausschmücken kann. Dem Italiener Ferdinando Cito Filomarino waren die Möglichkeiten anscheinend bewusst. Entsprechend rastlos setzt er seinen Star aus Tenet und BlacKkKlansman in Szene, der schließlich auch weiß, dass er als Gehetzter alles geben muss: Blut, Schweiß und Tränen. Und die absolute Erschöpfung. Das macht er dann auch. Er blutet, schwitzt und weint, stets am Rande der Verzweiflung. So desperat haben wir den toughen Amerikaner noch nie gesehen. Und wieder bestätigt sich, was sich bereits bei Tenet offenbart hat: John David Washington wäre der ideale James Bond. Nicht nur, weil er im Anzug und Krawatte das Bild von einem kompetenten Professionisten abgibt, sondern weil er – ob als Flüchtender, Jagender oder Improvisator – einen langen Atem hat. Den braucht man im Geheimdienst ihrer Majestät. Und da sind allerhand Blessuren inbegriffen. Auch die bekommt Washington reichlich. Dennoch schiebt er sich mehr schlecht als recht durch den Karst und durch das Chaos einer von politischen Unruhen heimgesuchten, griechischen Hauptstadt.

Beckett ist ein energischer Europa-Thriller im Stile von Mörderischer Vorsprung mit Sidney Poitier oder den Bourne-Filmen von Paul Greengrass. Die von Mitteleuropäern heißgeliebte Schatzkiste an Inseln und Kultur zeigt uns allerdings bewusst die kalte Schulter. Im Land der Sommersonne ist es stets grau, kalt und voller Wolken. Athen ein Moloch baufälliger Häuser, als wäre man in der dritten Welt. Auch das ist Griechenland, ungefähr so ungeschönt wie in Alexis Sorbas. Da konnte Anthony Quinn zumindest die Stehaufmännchen-Mentalität kreativer heimischer Überlebenskünstler im weltvergessenen Sirtaki-Tanz honorieren. In Beckett tanzt kein Grieche, sondern wettert und protestiert. Der mit der Überlebenskunst ist diesmal ein Amerikaner, der irgendwann mal vom MI6 Post bekommen könnte.

Beckett

Adú

JUNGE, KOMM NIE WIEDER NACH HAUS

5,5/10

 

Adu© 2020 Netflix

 

LAND: SPANIEN 2019

REGIE: SALVADOR CALVO

CAST: MOUSTAPHA OUMAROU, LUIS TOSAR, ANNA CASTILLO, ÁLVARO CERVANTES, JESÚS CARROZA U. A. 

 

Im Gegensatz zu Oliver Twist aus Charles Dickens´ Fortsetzungsroman weiß der kleine Adú immerhin, woher er kommt: aus einer Holzhütte über den Wassern irgendwo in Kamerun. Dort lebt er mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester, und oft führt der Weg nach Hause auf dem familieneigenen Fahrrad quer durch den Dschungel des Ebo Reservats. Wie es in Afrika nun mal so zum Alltag gehört, liegen Verbrechen und ein argloses Leben in Armut eng beieinander. Eines Tages werden die beiden Kinder Zeuge, wie Wilderer einen Elefanten zerlegen – und werden prompt entdeckt. Kein gutes Timing. Was folgt, ist ähnlich ernüchternd wie das Schicksal des Dickhäuters. Die Zeugen sind bald eruiert. Was bleibt, ist die Flucht durch Nacht und Nebel. Mutterlos, obdachlos. Eine Odyssee in den Norden beginnt, während der sich Adú bald im Alleingang durchkämpfen muss – bis ans Nordufer des afrikanischen Kontinents.

Das klingt natürlich nach einer spannenden, immens aufwühlenden und auch erschütternden Überlebens- und Leidensgeschichte. Nach einem Flüchtlingsdrama, das betroffen macht. Vielleicht klingt das auch ein bisschen nach Abenteuer. Aber Flucht ist niemals so heldenromantisch wie sich Abenteuer nicht selten outen. Diese Flucht ist eine Notwendigkeit – und der Drang, der Druck nach vorne, diesen Willen, sich durchzuarbeiten und sich notgedrungen mit anderen zusammenzuschließen, die ein ähnliches Schicksal teilen, das weiß Regisseur Salvador Calvo in staubgetunkten Afrikabildern vom Dschungel bis in die Berge Marokkos ganz gut einzufangen. Wobei er allerdings gut daran getan hätte, auf den Fersen des kleinen Adú zu bleiben. Stattdessen fächert er das Thema auf zwei weitere Episoden auf, die nur lose mit dem Schicksal des Waisenjungen verknüpft sind. Ziemlich lose sogar.

Zum einen ist das die Geschichte rund um den NGO-Wildtierschützer Gonzalo, der nicht nur seine Position im Kampf gegen Elfenbein vor den Einheimischen verteidigen, sondern nebenbei noch seine Rolle als Vater einer Tochter wahrnehmen muss, die ihre Drogensucht am Äquator auszukurieren gedenkt. Zum anderen ist das ein tödlicher Zwischenfall am Grenzzaun zur spanischen Enklave Mallila nahe Marokko, für welchen sich einige Grenzschutzbeamte verantworten müssen. Adú tangieren diese scheinbar willkürlich gestreuten Zusatzepisoden überhaupt nicht. Den Zuseher genausowenig. In Alejandro Gonzáles Iñárritus Film Babel haben erstens alle Episoden einen gemeinsamen Nenner, und zweitens sind diese in ähnlicher ausgewogener Relevanz zu sehen. In Adú schenkt Calvo natürlich der Geschichte des Jungen die meiste Aufmerksamkeit und auch Spielzeit. Die zwei anderen Episoden sind schale Anhängsel und erfüllen nicht wirklich ihren Zweck. Dafür sind sie zu wenig definiert, fast schon beliebig, was die Wahl verwandter Themen betrifft, die rund um den gordischen Knoten namens Flüchtlingskrise treiben. Was nicht heißt, dass diese beliebigen Themen auch miteinander verknüpft werden können. Man wartet also, während man Adú zusieht, wie er ums Überleben strampelt, inwiefern die Stories sowohl des Tier- als auch des Grenzschützers wohl zur Entwicklung von Adús Story beitragen können. Nun ja – nichts.

Adú ist sicher ambitioniert. Letzten Endes aber erinnert Adú an das ereifernde Aufzeigen eines heimgekehrten Globetrotters, der seinen Good Will aktiv umsetzen möchte und daher bei der Suche nach freiwilligen Helfern enthusiastisch den Arm in die Höhe reckt. Natürlich eine feine Sache, doch sobald es ernst wird, bleibt die lähmende Ohnmacht, kaum etwas verändern zu können, da die Politik den erfahrungsreichen Globetrotter von links nicht erhört. Womit wir vielleicht doch bei einem gemeinsamen Nenner wären. Unterm Strich nämlich, da schlägt die Skala zur Veränderung der Gesamtsituation nur dann aus, wenn der, den es betrifft, sein Leben selbst in die Hand nimmt. Die Zukunft bleibt dabei selbstverständlich ungewiss. Und die Flucht nach Europa unabdingbar.

Adú

The Promise

DIE EPIK EINES GENOZIDS

6,5/10

 

thepromise© capelight pictures 2004-2017

 

LAND: USA, SPANIEN 2017

REGIE: TERRY GEORGE

CAST: OSCAR ISAAC, CHRISTIAN BALE, CHARLOTTE LE BON, ANGELA SARAFYAN, TOM HOLLANDER, JAMES CROMWELL, JEAN RENO U. A. 

 

18 Jahre nach den Ereignissen im damaligen Osmanischen Reich hat der begnadete Schriftsteller Franz Werfel 1933 einen epischen Roman verfasst, welcher an den Widerstand der Armenier gegen die Türken am Berg Musa Dagh im September 1915 erinnert. Damals, nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, hatte das osmanische Komitee für Einheit und Fortschritt – welcher Zynismus! – nichts anderes zu tun gehabt, als das Volk der Armenier zu vertreiben und massenhaft zu töten. Ein Völkermord, wie er im Schwarzbuch steht. Fast hätte ich vermutet, vorliegendes Werk ist Werfels Tausendseiter im Filmformat. Falsch gedacht – der irische, politisch motivierte Regisseur Terry George, der 2004 mit Hotel Ruanda bereits einen ganz anderen Genozid zum Thema hatte und die Geschichte eines schwarzafrikanischen Oscar Schindler auf bewegende Weise erzählen konnte, erinnert sich nun an das Genre epischer Monumental- und Cinemascope-Filme wie Vom Winde verweht oder an wuchtige literarische Werke wie Tolstoi´s Krieg und Frieden, um eine fiktive Dreiecksgeschichte zu erzählen, die vor dem Hintergrund der systematischen Auslöschung der Armenier erzählt wird.

The Promise bot schon im Vorfeld, bevor der Film überhaupt noch in den Kinos anlief oder von irgendeinem Publikum gesehen wurde, genug Stoff, um sowohl von den militanten Leugnern als auch von den Verfechtern der Aufklärung hitzig diskutiert zu werden. Da lässt sich wieder mal deutlich erkennen, wie sehr Journalismus menschliches Verhalten beeinflussen kann, vor allem wenn nichts Greifbares zugrundeliegt, sondern nur die Tatsache, dass das Schicksal der Armenier Thema eines Filmes werden wird. Allerdings lockte The Promise auch nach der Premiere nur wenige Menschen ins Kino – das haben womöglich Filme über Minderheiten so an sich. Grausamkeiten von Menschen an Menschen locken anscheinend nur, wenn es fiktiver Horror ist, weniger geschichtliche Tatsache, wobei Terry George alles daransetzt, nicht nur das Grauen in explizit arrangierten Szenen nachzustellen, sondern auch eine prosaische Liebesgeschichte zu erzählen, die von Sehnsucht, Eifersucht, Versprechen und Leidenschaft geprägt ist. Eine durchaus romantische Konstellation theatralischen Ausmaßes erwächst zwischen dem armenischen Medizinstudenten Michael, einem amerikanischen Reporter namens Chris und dessen armenischer, allerdings in Paris aufgewachsener Freundin Ana. Erschwerend hinzu kommt, dass Michael sich unsterblich in Ana verliebt, während daheim in der Provinz die Verlobte mit der Mitgift wartet, die letzten Endes das Studium finanzieren soll. Das alleine wäre schon heikel genug, allerdings von relativ trivialer Natur – wären nicht alle drei Kinder ihrer Zeit, nämlich Zeitzeugen der erstarkenden Endzeit des ersten Weltkriegs. Wie die Hutus in Ruanda haben auch die Osmanen in Kleinasien nur auf das Signal gewartet, um zuzuschlagen. Die Vertreibung der christlichen Armenier soll angeblich in den Wirren eines Krieges untergehen – gäbe es nicht Kriegsberichterstatter wie Chris, angenehm zurückhaltend gespielt von Christian Bale, die über die schändliche Ausnahmepolitik der dortigen Regierung berichten.

Terry George findet mit seinem Kameramann Javier Aguirresarobe und all seinen Ausstattern beeindruckende Bilder aus einer vergangenen Epoche, die sowohl die Schönheit des Landes, den orientalischen Zauber Konstantinopels als auch die Tragödie der Vernichtung in farbintensiven Bildern einfangen. Menschenschlangen ziehen durch die Ödnis, ganz so, wie Fotografien von damals die Verbrechen bezeugen. Die Schlacht am Musa Dagh am Ende des Filmes hat dann schon bibelgleiche Ausmaße. Große Gefühle sind hier nun Thema, das Beklagen der Toten und das Wiederfinden der Geliebten. Historisches Pathos in Reinkultur, professionell inszeniert, auch wenn das Schicksal von „Poe Dameron“ Oscar Isaac gegen Ende vielleicht etwas über die Maßen strapaziert wird.

The Promise lässt sicher nicht kalt, das große Drama packt den Gerechtigkeitssinn, der uns Wohlerzogenen innewohnt, gehörig und schmerzhaft am Schopf. Sehgewohnheiten neu zu definieren ist aber ebensowenig die Absicht des Films wie ein junges Publikum abzuholen – George´s Epos ist ein Zugeständnis an Traditionalisten älteren Semesters. Das ist immerhin noch malerisches, bestens gelerntes Breitwandkino im Stile Spielfilmlängen sprengender Klassiker – und selbst wie aus einem anderen, vergangenen Jahrhundert.

The Promise

Sweet Country

TRISTESSE IM BUSCH

6/10

 

sweetcountry© Grandfilm 2017

 

LAND: AUSTRALIEN 2017

REGIE: WARWICK THORNTON

CAST: HAMILTON MORRIS, SAM NEILL, BRYAN BROWN, EWAN LESLIE U. A.

 

Wenn vom Weltuntergang die Rede ist, dann ist das für viele sicherlich irgendeine kataklysmische Einwirkung aus dem Weltall. Dass die Vernichtungen ganzer Kulturkreise, die ihre eigenen Welten hatten, bereits stattgefunden haben, wird mangels globaler Relevanz gerne vergessen. Das Schwarzbuch der Menschheit kann hier Abhilfe schaffen. Oder eben Filme. Wie zum Beispiel Sweet Country. Dieser sagen wir mal Western aus Down Under ist ein Drama, das eine reale postapokalpytische Welt beschreibt, und zwar für jene, die uns allen als das Volk der Aborigines geläufig ist. Das Urvolk Australiens braucht eigentlich nicht mehr auf Armageddon zu warten. Genauso wenig die Ureinwohner Tasmaniens, wurden die doch komplett ausgelöscht. Diese historische Tendenz zur Volksvernichtung und ein spätes (Unter)bewusstsein für Verantwortung könnte womöglich auch der Grund sein, warum australische Filmschaffende gerne auf postapokalyptische Szenarien zurückgreifen. Mad Max zum Beispiel, die Kult-Endzeit schlechthin. Oder das Netflix-Zombiedrama Cargo. Gerne als Geheimtipp gehandelt: The Rover von David Michôd mit Robert Pattinson. Düster, düsterer – australische Zukunft. Sweet Country spielt zwar nicht in der Zukunft, fühlt sich aber genauso an. Was genau denn, so fragen kritische Stimmen, soll man gesellschaftlich Erbauliches aus der Terra incognita eigentlich berichten? Die Fauna und Flora, ja, die ist einzigartig, keine Frage. Die Wüsten, das Outback und vor allem die Küsten im Westen, vorzugsweise menschenleer.

In Warwick Thorntons grimmigem Anti-Heimatfilm sind viele der Ureinwohner devote Helfer der Weißen, nur ein Hungerlohn unterscheidet sie vom Dasein als Sklaven. Die Weißen – die sind bis auf wenige Ausnahmen hässliche, raue Männer, die keine Liebe kennen, keine Achtung und keinen Respekt. Thorntons weiße Männer sind Monster, quälen den Unterdrückten, berauben ihn der Freiheit und keifen ihn zu einem Häufchen Elend zusammen wie einen Hund, der vom Napf des Herrchens kostet. Szenenweise erinnert Sweet Country an 12 Years a Slave – vor allem in seiner Schilderung der zeternden Tyrannen, die niemandem Rechenschaft schulden und die in ihrem Glauben an das Faustrecht des Stärkeren denken, alle Rechte der Welt zu besitzen, auch die für Mord und Missbrauch. Das ist gesetzlose Anarchie nach dem Zusammenbruch einer staatlichen Ordnung. Oder dort, wo gar keine hinkommt, ähnlich wie im wilden Westen, wo der Arm des Gesetzes kurz ist. Nur – in Australien ist die Weite nur bedingt erschließbar, der Busch undurchdringlich, und das, was erschließbar ist, radikaler gesäubert oder assimiliert. Jenseits davon – das Niemandsland für das letzte Häufchen Einwohner, die dem Faustrecht ohnmächtig gegenüberstehen.

Sam Neill als eremitischer Farmer ist in Sweet Country aber einer der Guten. Allerdings der einzige. Bei ihm haben die Aborigines Sam, dessen Frau und beider Nichte ein gutes Auskommen als manch ein Indigener anderswo. Doch die Revierherren angrenzender Territorien ticken da ganz anders, schnorren Farmer Neill für ein paar Tage das Personal ab und behandeln dieses natürlich wie den letzten Dreck. Als die drei zurückkehren, hetzt einer der herrischen Unmenschen ihnen nach, um sie wegen dem Verschwinden eines anderen Knechts zu belangen – und eröffnet das Feuer. In dieser brenzligen Situation greift Sam selbst zur Waffe – und knallt den Weißen ab. Folglich ist dieser Freiwild, und das Gesetz, oder das, was von ihm übrig ist, folgt dem Flüchtenden hinterher. Allerdings wohl mehr aus einem rassistisch geprägten Impuls und aus Rache als aus einem Bewusstsein für Recht und Ordnung. Tief ins Outback hinein führt die Suche nach jemandem, der nur aus Notwehr gehandelt hat.

Die Aussichten für den indigenen Australier Sam sehen schlecht aus, das spürt man als Zuseher in jeder Sekunde. Der Hass auf jene, denen das Land gehört, verflucht den Boden unter deren Füßen. Was daraus wuchert, ist körperliches wie seelisches Leid. Der Australier John Hillcoat hat 2005 einen nicht weniger zermürbenden Hexenkessel zwischen bröckelnder Zivilisation und Wildnis geschaffen – The Proposition mit Guy Pearce lässt das Blut zwar noch mehr in den staubtrockenen Boden sickern als Sweet Country – der nihilistische Grundtonus ist bei beiden Filmen aber ähnlich. Ein Spaziergang ist diese Art des Western Noir wirklich nicht, schon gar nicht, wenn es letzten Endes nicht mal mehr Hoffnung gibt. Hillcoat sowie in diesem Fall Thornton zeichnen ein hoffnungsloses Bild jenseits von Känguru, Uluru und Bumerang, auch wenn die menschenfeindliche Natur als dramaturgischer Joker in die Karten der verfeindeten Parteien gemischt wird. Die Tristesse dieses ethnischen Schicksals legt sich in bleierner Resignation wie ein grauer Schleier über den Film, der jegliche Zuversicht filtert – selbst das Abendrot birgt bereits die Bürde des kommenden Morgens. Der wird für einige nicht mehr anbrechen, was angesichts dieser kaputten Koexistenz zwischen Whitefellas und Blackfellas vielleicht sogar das geringere Übel ist.

Sweet Country