Homo Sapiens

WAS WIND, WASSER UND LICHT ERZÄHLEN

5/10

 

Homo Sapiens© 2016 Geyrhalter Film

 

LAND: ÖSTERREICH 2016

REGIE: NIKOLAUS GEYRHALTER

DREHBUCH: NIKOLAUS GEYRHALTER

KAMERA: NIKOLAUS GEYRHALTER

 

Im Buch Die Welt ohne uns beschreibt Autor Alan Weisman sachlich und mit sehr viel Vorstellungskraft, was wohl wäre, wenn Homo sapiens von einem Moment auf den anderen verschwinden würde. Wie lange würden die Relikte unserer Zivilisation noch sichtbar bleiben? Was wird nur sehr langsam verschwinden, was gar nicht? Diese Lektüre hat etwas Befreiendes, tröstendes, zumindest für unsere geknechtete Mutter Erde, wenn sie lesen könnte. Ist aber auch beklemmend genug, wenn es darum geht, was mit all den Atommüll-Endlagern letzten Endes passiert. Oder wer als letzter das Licht in den AKWS abschaltet. Dabei kommt die Geißel des Plastikmülls als langanhaltender Atem tatsächlich zu guter Letzt. Die Erde, die muss sich angesichts dessen beeilen, wenn sie nicht mehr an den Menschen erinnert werden will. Ob sich das noch ausgeht, bis die Sonne zum roten Riesen mutiert, bleibt dahingestellt. Der Mensch ist eben ein so nachhaltiges wie nachlässiges Wesen. Was morgen ist, kommt nach der Sintflut – oder so ähnlich.

Dieses Morgen hat sich Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter mal so richtig zur Brust genommen – und Orte aufgesucht, die der Mensch bereits hinter sich gelassen hat. Die Welt ohne uns nach Alan Weisman existiert in entropischen Enklaven bereits jetzt schon. Das themenverwandte Werk Homo sapiens ist darüber hinaus ein Film, der die Grenzen des gewählten Mediums auslotet – und dennoch ein Film bleiben muss. Geyrhalter´s Meditation auf den Verfall ist wohl einer von ganz wenigen Werken, die gänzlich ohne Sprache auskommen. Filme ohne Menschen, das ist keine Seltenheit. Ohne Verbalisieren irgendeines Zustandes oder eines Bedürfnisses – das ist schon gewagt, von einem fehlenden Score mal ganz zu schweigen. Das würde ja schließlich den Menschen wieder ins Spiel bringen. Und um den Menschen einmal ganz wegzudenken, braucht es  – gar nichts. Nur einen einzigen Blick auf das Ganze, auf den Untergang, auf die Rückeroberung der Elemente. Was zu hören ist, und zwar in fabelhaftem Sound, ist der Wind und das Wasser, die mit Staubpartikel reflektierendem Licht Fragmente des Erfassten bewegen, stören, sukzessive verändern. So radikal wie Homo sapiens ist selten ein Film, das ist eine Konsequenz, die Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Das ist eine Ablehnung des Fortschritts in seiner Reinkultur. Das Ende ist hier wie ein neuer Anfang, eine neue Ordnung der Natur, der Welt und seinen Gesetzen, die es auch ohne den Menschen geben muss. Geyrhalter´s Film klammert den egozentrischen Zweibeiner aber nicht ganz aus – er bleibt Betrachter. Denn ohne Betrachtung existiert nicht mal dieser Film – oder doch?

Genug des Philosophierens, das übernimmt Homo sapiens ohnehin und entlässt seinen Betrachter in sachte Bewegtbilder des Vergänglichen. Irgendwo hüpft eine Kröte durchs Bild, und Tauben flattern ein und aus, zwischen all dem entsorgungsreifen Vermächtnis ohne Nutzen. Zu gerne hätte ich gewusst, wo Nikolaus Geyrhalter unterwegs war. Die einzelnen Orte sind unterteilt durch Blackouts, ohne zu verraten, wohin die nächste Reise geht. Ehrlich gestanden ist mir trotz aller Achtbarkeit für Geyrhalter´s Konzept die Enthaltung jeglicher Information zu wenig. In Michael Glawogger´s grandiosem Filmvermächtnis Untitled gibt es ähnliche Szenen, die allerdings mit Worten aus dem Off erst so richtig Sinn machen und eigene Gedanken zum Laufen bringen. Gerne hätte ich gewusst, wo die Welt ohne uns bereits existiert, wo kein Mensch mehr irgendetwas verloren zu haben scheint, wo sich das Leben neu erfinden muss. Geschichten hinter dem Ende, und wären es nur Textzeilen gewesen – schade um das sekundenlange Dunkel dazwischen.

Panorama-Tableaus aneinanderzureihen, wie Homo sapiens es macht, das langt für eine Multimedia-Installation für Kunstkammern der Moderne, dem 21er Haus oder für das Mumok in Wien. An die Wand projiziert und im Endlos-Loop. Großartig fotografiert und trotz seiner gerümpelhaften Statik unerwartet intensiv, ist das Doku-Essay fürs Kino nach meinen Begriffen viel zu enthaltsam und geizt mit Informationen, die dem interessiert selbstreflektierenden Betrachter allerdings zugestanden wären.

Homo Sapiens

Another Earth

BACKUP FÜRS LEBEN

7,5/10

 

anotherearth© 2011 20th Century Fox

 

LAND: USA 2011

REGIE: MIKE CAHILL

MIT BRIT MARLING, WILLIAM MAPOTHER, MATTHEW-LEE ERLBACH, MEGGAN LENNON U. A.

 

Schade, dass Mike Cahill seit 2014 keinen Film mehr gemacht hat. Dabei zählt der Bilderstürmer für mich seit I Origins – Im Auge des Ursprungs zu den führenden Philosophen des Kinos, visionär im Denken und mutig in der Ausführung ersonnener Gedankenspiele, die an die durchdachten Ideen eines Jaco van Dormael erinnern. Was war I Origins nicht für ein inspirierendes Erlebnis. Die ungestüme Schicksalssymphonie Another Earth war drei Jahre zuvor Cahill´s erster Langspielfilm, realisiert für wohlfeile 200 000 Dollar, und gemeinsam mit Lebensgefährtin Brit Marling, die sich in diesem anmutigen bizarren Hirngespinst einfügt wie Klimt´s Adele in die Ornamentik ihres Schöpfers.

Marling ist’s, die die junge Studentin Rhoda spielt, die einen Verkehrsunfall verursacht – weil am Himmel eine zweite Erde sichtbar ist. Mit Kontinenten und Meeren, das kann man vom Boden aus mit freiem Auge gut erkennen, vor allem nachts. Dass nicht nur Smartphones im Straßenverkehr meist schreckliche Konsequenzen nach sich ziehen – das erfährt die traumverlorene Blonde aus erster Hand. Frau und Kind des gerammten Fahrzeugs sind tot, der Vater überlebt. Weder Sie noch der trauernde Witwer bekommen ihr Leben von nun an wieder in den Griff. Niemandem würde es anders ergehen. Wenn das Schicksal mit eherner Faust zuschlägt, wünscht man sich, die Zeit zurückdrehen zu können. In Ermangelung dessen hilft nur noch Absolution. Rhoda macht den Witwer ausfindig, tarnt sich als Putzfrau und fängt an, ins Leben und in die Wohnung des völlig verwahrlosten Musikers wieder Ordnung reinzubringen. Die zweite Erde, die rückt derweil immer näher. Wenig später der erste Kontakt – und die Gewissheit, dass der Planet eine Spiegelung der eigentlichen Erde ist. Oder die eigentliche Erde eine Spiegelung des mobilen Trabanten. Eine Tatsache, die plötzlich möglich macht, was bislang unvorstellbar war.

Mike Cahill´s Vision von einer zweiten Chance, die sich allen physikalischen Gesetzen zum Trotz am Himmel manifestiert, ist ein assoziativ skizziertes Philosophikum, grobkörnig schraffiert, in einigen Momenten haarfein detailliert, dann wieder wie ein Found Footage-Video. Impulsiv gefilmt, aus dem Bauch heraus und spröde, nah an den Personen. Dann aus der Distanz und manchmal sogar in ikonografischer Apotheose. Ein Preludium für gequälte Seelen, die plötzlich auf das Backup ihres Lebens zurückgreifen können, gemäß der Hypothese paralleler Welten, die im Grunde genau so sind wie die unsere, die sich aber stetig und bis in die unendlichste Variation hin anders entwickeln als jene Realität, der wir inhärent sind. Was aber, wenn eines dieser Universen mit dem unsrigen überlappt? Was wäre dort anders als hier? Was besser? Und würden die Toten dort noch leben?

Another Earth ist wie ein abgehobener Traum, und vielleicht hat Mike Cahill tatsächlich einen solchen geträumt. Belegende Bilder dafür hat er zumindest geschaffen, und seine Überlegung führt zu einem Ende, das den Betrachter weiterdenken lässt als der Film andauert. Mit kreativen Leerräumen, um Unausgesprochenes für uns selbst zu artikulieren. Another Earth funktioniert nicht allein, dafür braucht es die Welt im Kopf seines Publikums. Solche Filme sind viel zu selten, um sie zu ignorieren. Das ist Kino, das weiterwill und nicht aufhören wird, Fragen zu stellen und neue aufzuwerfen.

Another Earth