Gunda

DIE SAU RAUSLASSEN

5/10


gunda© 2021 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: NORWEGEN, USA 2020

REGIE: VICTOR KOSSAKOVSKI

BUCH: VICTOR KOSSAKOVSKI, AINARA VERA

KAMERA: EGIL HÅSKJOLD LARSEN, VICTOR KOSSAKOVSKI 

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Ich fröne ja nur ungern fremdsprachigen Filmen im Original, dessen Sprache und Dialekt ich nicht mal ansatzweise verstehe, die aber auch nicht untertitelt sind. Gut, man könnte sich mehr schlecht als recht den Plot zusammenreimen, jedoch zum Filmgenuss gedeiht diese Sichtung nicht wirklich. Ist es allerdings ein fremdsprachiger Film im Original, für den es ganz einfach keine Untertitel gibt, da die Sprache niemand versteht, wäre das ein bisschen etwas anderes. In Gunda zum Beispiel lässt sich die Sprache – meist grunzend, guttural oder grölend – zwar nicht im Mindesten verstehen, dafür aber lässt sich schon aufgrund das tierischen Verhaltens so manche Bedeutung ableiten. Und zugegeben: so komplex ist die Handlung des vorliegenden Dokumentarfilms auch nicht, um durcheinanderzugeraten.

Das Beste an Gunda ist, neben all der künstlerischen Optik, dass die Bühne dieses Films voll und ganz den Tieren gehört, und diese grunzen, gurren und grölen, wie der Tag lang ist, ohne von einem Erklärbär aus dem Off auf die Protagonisten eines weiterbildenden Schulfernsehens getrimmt zu werden. Der Mensch hat hier nur im weitesten Sinn Bedeutung, alle anderen Einflüsse bleiben außen vor. So sehen wir, wie die Sau Gunda zu Beginn des Films ihre Jungtiere zur Welt bringt – und wie diese dann im Laufe der Zeit älter, größer, vorlauter werden, immer noch quirlig und treu der Mama folgend, an Zitzen saugend, quengelnd. Als Intermezzi dienen Hühner (darunter eine einbeinige Virtuosin) und Rinder. Wie das allerdings so läuft auf einer Farm, ist dem Vieh, das dort lebt, etwas ganz anders bestimmt als ein ruhiger Lebensabend. Auch das widerfährt der Familie Sus scrofa domesticus, und plötzlich wirken die für uns von kleinauf vertrauten Fleischlieferanten in ihrer Trauer und Ratlosigkeit gar nicht mal mehr so unmenschlich. Am Ende gibt Gunda zu denken – doch das in die Länge gezogene Davor tarnt den Content für einen beeindruckenden Kurzfilm mit dem Selbstbewusstsein eines abendfüllenden Leinwanderlebnisses.

So niedlich und gleichermaßen faszinierend die jungen Trüffeldinger auch sind, so prachtvoll Victor Kossakovski diesen Alltag zwischen Hof und Wald auch eingefangen hat, mit schönen Unschärfezooms und Weitwinkel-Tableaus, so kurzatmig gibt sich die Collage an Szenen, die wiederholt stets das gleiche tierische Verhalten beobachten. Auf die Dauer ist das zwar immer noch schön fotografiert und süß – Mehrwert bringt es keinen mehr. Einen Urlaub am Bauernhof dagegengesetzt, wäre der zwar nicht schwarzweiß, aber immerhin aufschlussreicher, weil dort womöglich das Interagieren verschiedenster Tierarten gegeben wäre, die ich in Gunda allerdings vermisse. Darüber hinaus wurde die von allem artifiziellen Beiwerk befreite Doku an drei verschiedenen Orten gefilmt. Das ergibt weniger Sinn als würde sich Kossakovski auf einen Ort des Zusammenlebens konzentrieren.

Würde man Kuh und Huhn weglassen – die ebenfalls nicht viel Aufschluss bieten – und würde man viel zu lange Takes etwas kürzen; würde man die glücklichen Stunden der Ferkel vielmehr auf wesentliche Momente reduzieren, stünde einem Bravo für einen tierrechtlich relevanten, intensiven Kurzfilm in einer Sprache, die wir nicht kennen, nichts mehr im Wege.

Gunda

Unterwegs mit Jaqueline

WIE DIE KUH VOR DEM TOR

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jaqueline

Irgendwo im Niemandsland in der algerischen Hochlandwüste, in einem Dorf aus Lehmhäusern und staubigen Pisten. Aber immerhin mit Kontakt zur Außenwelt via Internet. Denn das World Wide Web ist überall. Vorausgesetzt, das Mobiltelefon schaltet auf Empfang. Und so kann es sein, dass man sehr schnell, und ehe die Kuh einmal Muh sagen kann, aus Hintertupfing in die große weite Welt hinausmarschiert. Nichts Anderes gelingt dem Bauern Fatah, der nichts lieber tun würde als mit seiner Kuh Jaqueline, einem Taranteser Rind, bei der Landwirtschaftsausstellung in Paris aufzutreten. Kaum zu glauben, aber dank seiner Hartnäckigkeit, dem Glauben an sich selbst, an seinen Wiederkäuer und dem Good Will vor allem der französischen Bevölkerung, macht er sich dank einer Einladung bald schon auf den Weg. Quer durch Frankreich. Und zu Fuß, wohlgemerkt.

Das klingt unglaublich, fast schon wie eine Geschichte von Walt Disney. Und unweigerlich muss man an Ferdinand den Stier denken, der dem Duft der Blumen nicht wiederstehen kann. In Mohamed Hamidis Film ist es aber eher der Bauer Fatah, der die Rolle des Ferdinand einnimmt. Die Kuh bleibt eine Kuh, ein tierischer Siedekick. Der Bauer allerdings schafft es, in seiner unendlichen Gutgläubigkeit und Naivität sogar die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen. Als Star von Facebook und Co werden ihm Tür und Tor geöffnet. Ja klar, ein paar Steine müssen dem beherzten Farmer allein schon handlungsmäßig in den Weg gelegt werden, sonst würde der Film nur allzu realitätsfern vor sich hinplätschern. Was er die meiste Zeit leider auch tut. So, als wären wir im französischen Komödienkino der 50er Jahre gelandet. Ein risikobereiter Held, so selbstbewusst, draufgängerisch und glücksbeseelt, dass man diese Rolle auch gut mit Louis De Funès, Heinz Rühmann oder ähnlichen Komödianten von damals besetzen hätte können. Gut, beides keine Algerier, da hätte man im Drehbuch etwas tricksen müssen.

Das Universum scheint es gut mit dem Mann und seiner Kuh zu meinen. Schon allein wegen Algerien, ehemalige französische Ex-Kolonie und Fußabtreter eines machthungrigen Establishments, dass in diesem nordafrikanischen Land, ähnlich wie Belgien im Kongo, genug angerichtet hat, um niemals auch nur annähernd seine Schuldigkeit getilgt zu haben. So wünscht man dem Algerier, der nichts besitzt außer einer Kuh, jede Menge geschenkte Aufmerksamkeit, erobert dieser doch im Alleingang als Symbol eines vormals unterdrückten Volkes die Herzen einer neuen Generation von Franzosen, die nichts lieber tun würden als die Vergangenheit ungeschehen zu machen. Das wehende algerische Banner hat sich Regisseur Hamidi aber verkniffen. Gut so, denn das wäre viel zu plakativ gewesen.

Unterwegs mit Jaqueline ist ein argloses, naives Märchen kindlichen Gemüts, voller Gutgläubigkeit, aber auch voller Zuversicht im Sinne von Völkerverständigung und Gleichberechtigung. Seine biedere Erzählweise wirkt zwar oftmals sehr betulich und zaghaft, die Idee hinter der schlichten Parabel ist aber durchaus lobenswert. Wenig beeindruckendes, aber gefälliges Multikulti-Kino für Optimisten.

Unterwegs mit Jaqueline