Drei (2010)

DIE ALGEBRA DES FLOTTEN DREIERS

7,5/10


drei© 2010 The Match Factory


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2010

REGIE / DREHBUCH: TOM TYKWER

CAST: SOPHIE ROIS, SEBASTIAN SCHIPPER, DEVID STRIESOW, ANNEDORE KLEIST, ANGELA WINKLER, ALEXANDER HÖRBE, WINNIE BÖWE, HANS-UWE BAUER U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Lange nichts mehr von Tom Tykwer gehört. Zumindest nichts, was mit dem Kino zu tun hätte. Der Visionär aus dem Wuppertal trägt zumindest für die heimische Flimmerkiste ein Stück Fernsehgeschichte mit: Babylon Berlin geht mitunter auf sein Konto, den Ruhm für dieses einmalige Event muss er sich mit Achim von Borries und Henk Handloegten teilen. Macht doch nichts, Tykwer scheint mir einer zu sein, der kein Problem damit hat, im Team zu arbeiten – siehe Cloud Atlas. Gerade die Bereitschaft, Agenden aufzuteilen, um so zu einem besseren Ganzen zu gelangen, hat das multitemporäre Science-Fiction-Epos zu dem gemacht, was es ist: einem besonderen Meisterwerk, unterstützt durch die Wachowski-Geschwister, die seit Matrix auch nicht mehr das Gelbe vom Ei freilegen konnten.

Tykwer allerdings funktioniert auch auf Solopfaden bestens, und nicht erst seit seinem Stress-Thriller Lola rennt. Ganz besonders funktioniert Tom Tykwer auch, wenn die Reise in die zwischenmenschlichen Terra incognita führt. Wenn sich Männer und Frauen wechselwirkend aufeinander einlassen und nicht unbedingt nur zwei dazugehören, sondern eben – wie der Titel schon sagt – drei. Diese drei sind anfangs aber eben nur zwei, und da taucht plötzlich dieser eloquente, völlig gelassene und über allen Dingen stehende Adam auf – Stammzellenforscher und sowieso schon mal offen für Experimente aller Art, die die Physik des Daseins nutzen, um völlig Neues aufzudecken. Adam – der Name ist Programm. Devid Striesow darf sich als Erleuchtung bringende, wandelnde Institution erklären, die Liebenden das Feuer neuer Möglichkeiten bringt. Die Liebenden sind Hanna (die unvergleichliche Sophie Rois) und Simon (Sebastian Schipper). Simon pflegt seine krebskranke Mutter bis zu ihrem Ableben, während Hanna Adam kennenlernt – und mit ihm eine Beziehung anfängt. Zeitgleich erkrankt nun auch Simon. Da Hanna ihn liebt, bleibt sie an seiner Seite – letzten Endes heiraten sie. Adam jedoch wird für beide zum fixen Bestandteil ihres Lebens, denn der vom Krebs Genesende lernt diesen wiederum im Schwimmbad kennen. Da Adam sofort kein Hehl daraus macht, seine Bisexualität offen zu kolportieren, entdeckt auch Simon seine Lust am Manne. Denn, und das ist das Motto dieses komplexen und hochgradig amüsanten, aber niemals der seichten Unterhaltung dienenden Erotikfilms: Die Biologie deterministisch zu sehen, ist eine Ansicht, von der Mann und Frau sich lösen muss. Schließlich hält sie in petto, was möglich ist. Und somit natürlich.

Auch dieser wilde Dreier voller Leidenschaft. Spannend macht die Beziehungskiste vor allem die Tatsache, dass Hanna und Simon jeweils vom anderen nicht wissen, dass Adam längst Teil ihres Lebens ist. Dadurch gewinnt Drei eine zusätzliche beziehungskomödiantische Facette, die andernorts und vielleicht auch in Hollywood für einen ganzen Film reichen hätte kommen. Tykwer gibt sich mit dieser einen Dimension längst nicht zufrieden. Seine Ansätze sind gar wissenschaftlicher, sozialphilosophischer Natur – das begeisterte Spiel des Trios, ihre Hingabe und ihr erfrischender Mut, Nacktheit zu zeigen und womöglich auch ihrer eigenen Gesinnung entgegenlaufende Abenteuerlust völlig ungeniert darzustellen, lässt die auf mehreren Metaebenen laufende Dramödie nicht nur selbstbewusst als mathematische Formel in neonleuchtenden Schwimmbadlettern über allem strahlen. Wie dieses Dreiergespann aber in sich greift, wie jeder jedem und jede jedem und jeder jede um sein intimes Lebensglück aus Versuchung und Verlangen bereichert, ist fast schon ein vollendetes Verhaltensmuster.

Drei (2010)

Coconut Hero

DAS LEBEN ÜBERLEBEN

6,5/10


coconuthero© 2015 Majestic Filmverleih


LAND: DEUTSCHLAND, KANADA 2015

REGIE: FLORIAN COSSEN

CAST: ALEX OZEROV, BEA SANTOS, KRISTA BRIDGES, SEBASTIAN SCHIPPER, JIM ANNAN, UDO KIER U. A.

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Zum Glück gab´s in Hal Ashbys Harold & Maude-Verfilmung die gute alte Maude, um Harold von seinen Selbstmordfantasien abzubringen. In Coconut Hero kann Mike Tyson – ja, der junge Mann ist Namensvetter des berüchtigten Boxers und wird an seiner Schule auch entsprechend damit gehänselt – auf so einen Support erstmal nicht zurückgreifen. Mike will  sein noch so junges, gerade mal 16ähriges Leben beenden. Er tut dies auf unterschiedlichste Weise. Alle Versuche gehen schief. Zuletzt will er sich eine Kugel in den Kopf jagen – auch nur Platzpatronen. Später wird festgestellt, dass Mike an einem Gehirntumor erkrankt ist. Der könnte problemlos operativ entfernt werden – doch Tyson wird sich hüten, diese Nachricht an seine Mama weiterzugeben. Die ideale Methode, das Zeitliche zu segnen, wenn man den Tumor sich selbst überlässt. Blöd nur, dass Mike vom Staat ein Rehabilitationsprogramm aufgedrückt bekommt, um ihm die Suizidflausen auszutreiben. Und da lernt er die junge Miranda kennen, die überhaupt nicht in sein Konzept passt. Genauso wenig wie der plötzlich auftauchende Vater, der die Todesanzeige seines Sohnes in der Zeitung gelesen hat.

Coconut Hero geht als Coming of Age-Dramödie den Weg des geringsten Widerstandes. Independentkino, wie Independentkino sein muss. Ein Ensemble, das keiner kennt, was aber wiederum den Bonus des Authentischen mit sich bringt, da sich all diese Gesichter (bis auf Udo Kier in einer Minirolle) auf kaum einen anderen Film übertragen lassen. Der russisch-kanadische Schauspieler Alex Ozerov ist in seiner traurigen Gestalt eines todessehnsüchtigen Mieselsüchtlers treffend besetzt, Bud Cort aus Hal Ashbys kultiger Tragikomödie steht ihm da um nichts nach, nicht mal in Sachen Frisur. Die Mundwinkeln wandern selten nach oben, wie ein Buster Keaton eben, der den Jugendfilm entdeckt. Auch all die übrigen Co-Akteure sind von ausgesuchter Qualität, da lässt sich schon ein Film wie dieser zu einer Selbstfindung mausern, die mit einem stimmigen Soundtrack hinterlegt ist, wobei einige Songs davon wirklich eingängige New Country Balladen sind. Das passt sehr gut zu diesem Setting, zu dieser Geschichte aus elterlicher Spurensuche, Lebenssinn und dem Begriff der Sterblichkeit, der erst dann neu definiert wird, wenn genau diese Endlichkeit jemand ganz anderen trifft – nur nicht einen selbst.

Coconut Hero ist ein Stoff mit Give Away-Faktor, was so viel heißt wie: Erkenntnisse daraus könnten auch zum Gewinn werden fürs eigene Dasein. Natürlich, Deutschland 86-Filmer Florian Cossens Film ist in manchen dramaturgischen Wendungen von zu bequemer Naivität, und nicht unbedingt lässt sich die relativ vage beschriebene Beziehung zwischen Mike und Matilda angesichts ihrer späteren Gewichtigkeit wirklich nachvollziehen, aber dennoch: in seiner selbstvergessenen und wieder in Erinnerung gerufenen Selbstwahrnehmung ist das Teenie- und Familiendrama samt seiner leisen Ironie ein bisschen Balsam auf der Seele eines latent depressiven, nicht zwingend jungen Publikums.

Coconut Hero