Nosferatu – Der Untote (2024)

BEIM SCHNAUZER DES STRIGOI

4/10


nosferatu-untote2© 2024 Focus Features LLC


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ROBERT EGGERS

DREHBUCH: ROBERT EGGERS, NACH DEM SKRIPT VON HENRIK GALEEN UND DEM ROMAN VON BRAM STOKER

CAST: BILL SKARSGÅRD, LILY-ROSE DEPP, NICHOLAS HOULT, AARON TAYLOR-JOHNSON, EMMA CORRIN, WILLEM DAFOE, RALPH INESON, SIMON MCBURNEY U. A.

LÄNGE: 2 STD 12 MIN


Da Friedrich Wilhelm Murnau in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts beim Erlangen der Rechte für Bram Stokers Roman durch die Finger schauen musste, erdachte sich Henrik Galeen eine filmtaugliche Geschichte, die lose an die wohl kultigste Gothic Novel aller Zeiten erinnert: Nosferatu. Verfilmt hat dieses Skript Murnau mit einem Schauspieler, der selbst schon ein Mysterium für sich gewesen sein mag: Max Schreck, sein Name war Programm, das augenzwinkernde Gerücht um ihn herum, dass dieser wohl tatsächlich ein Vampir gewesen sein mag, ergab im Jahr 2000 den Film Shadow of the Vampire mit John Malkovich als Murnau und Willem Dafoe als Schreck oder auch Graf Orlok selbst, keiner wusste das so genau. Letzterer, nämlich Dafoe, findet sich auch in Robert Eggers ambitionierter Neuverfilmung des Stummfilmklassikers wieder, der bis heute zu den Sternstunden des expressionistischen und des Horrorkinos schlechthin gilt. Kein Vampir war jemals gruseliger und albtraumhafter. Kein Vampir ein solches bleiches Schreckgespenst wie nicht von dieser Welt, starrend und schmachtend und bizarr wie selten eine Kreatur aus dem Reich der Untoten.

Werner Herzog hat einige Jahrzehnte später die erste Neuverfilmung gewagt – er hat dafür natürlich Klaus Kinski besetzt, denn der war von einem Kaliber wie der damalige Max Schreck: Exzentrisch, gespenstisch, unberechenbar: Ein Enfant Terrible des deutschen Films, der von sich selbst behauptet hat, diese Rolle des Nosferatu spielen zu müssen, da dieser sowieso schon längste Zeit in ihm selbst gelebt haben musste. Herzogs Nosferatu – Phantom der Nacht ist ein somnambuler, ätherischer Filmtraum geworden. Langsam, träge, abgehoben und wie im Wachschlaf herumgeisternd. Kinski asthmatisch und ewig jammernd, furchtbar verloren und furchtbar perfide gleichermaßen. Und welch ein Glück: Isabelle Adjani, die im Film als Lucy Harker jene Rolle einnimmt, die jetzt Lily-Rose Depp verkörpert, nur mit andrem Namen, ist nicht minder gespenstisch als der bleiche Kahlkopf. Ihre schreckgeweiteten Augen und das dem Wahnsinn verfallene, ebenfalls totenbleiche Antlitz der Französin begegnet der Ikone des Vampirfilms auf Augenhöhe. Ein Kunststück, das in Robert Eggers Versuch einer Neuinterpretation keinem auch nur ansatzweise gelingen will.

In Nosferatu – Der Untote sind die Namen der Figuren wieder jene, die bis auf eine Ausnahme (nämlich Dafoe als Dr. von Franz) Murnau schon verwendet hat. Das Setting eines düsteren Deutschlands aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schreit richtiggehend danach, dass man es in einem Stummfilm verwenden möge. Liebevoll errichtete, knorrige Gebäude, die enge Straßen säumen, darin das Volk, bestehend aus unterschiedlichen Klassen, von der Magd bis zum Aristokraten mit Zylinder, alles sorgsam kostümiert und noch nicht ahnend, was alsbald auf sie zukommen möge. Denn er wird kommen, das weiß schon Lily-Rose Depp als Medium Ellen, die mit dem Grafen Orlok mental bereits im Bunde steht. Thomas Hutter (Nicholas Hoult, bereits in Renfield Teil des Stokerverse), der Ehemann, der für einen Häusermakler arbeitet, verspricht sich gutes Geld, wenn er den Auftrag annimmt, in die Karpaten zu reisen, um einem geheimnisvollen Grafen den Vertrag für einen Hauskauf in Wisborg zu unterbreiten.

Soweit ist in diesem gediegenen Historienhorror noch alles auf dem richtigen Weg. Bilder, die eine Hommage an Murnaus Werk sind, wechseln von blassen Erdfarben zu kontrastreichem, grobkörnigem Schwarzweiß. Überhaupt steckt jedes zweite Bild im welchem Dunst auch immer, ist es nun Regen, Nebel, Kerzenrauch in der Taverne oder das fahle Licht, das gerade mal vage das Antlitz des Blaublütigen beleuchtet, der mit Befehlsstimme den armen Jungen Mann zum Dableiben nötigt. Schon weicht im Kinositz die Lümmelposition einer aufrechten Haltung, da irgendetwas nicht stimmt. Ganz klar ist dieses Individuum, dieser Schlossbesitzer, keinesfalls verwandt mit Schreck oder Kinski, geschweige denn mit Orlok. Dieser Dämon trägt Fellmütze und einen dichten Schnauzer unter einer krummen Hakennase. Er sieht wohl eher aus wie die fahle Fotografie eines Kosaken, der mit Borat verwandt sein mag. Die grimmigen Augen sind nicht jene eines Vampirs, sondern die eines Zauberers wie Saruman. Untot mag der Geselle zwar sein, aber er ist alles andere als das, was zu erwarten ich mir erhofft hatte.

Weder wohnt dem bis zur Unkenntlichkeit überschminkten Bill Skarsgård das unterschätzbar  Mysteriöse inne, noch ein sehnsüchtiger, gieriger Schrecken. Der Charakter des Unnahbaren – diese unheimliche, bleiche, androgyne Entität, die sich gerne in Alpträume nistet, ist verschwunden. Das personifizierte Verhängnis zeigt sich als derber, bodenständiger Waldschrat mit Rotzbremse, der keine Emotionen auslöst. Der Reiz des Unheimlichen ist dahin, der Grusel sowieso, spätestens beim verbalen Schlagabtausch mit Opferbraut Ellen ist die Stimmung endgültig verflogen, denn mit Graf Orlok streitet man nicht. Apropos Ellen: Lily-Rose Depp sieht man an, wie sehr sie sich abmüht – gewachsen ist sie ihrer Rolle nicht, da hat Isabella Adjani mit traumtänzerischer Leichtigkeit die depressive Schwere eines Besessenen wie keine Zweite in den Film gewoben. Depp ist lediglich hysterisch, windet sich wie Linda Blair in Der Exorzist in ihrem Bett, hat aber harte Arbeit dabei. Der Wahnsinn enerviert, und Willem Dafoe hat alle Hände voll zu tun, die Verfilmung am Laufen zu halten, die sich ohnehin dabei schwertut, eine Entscheidung zu treffen: Will ich nun Hommage sein oder Neuinterpretation? Lieber Schwarzweiß oder Farbe? Lieber diffuses Schattentheater oder stocksteifer Kostümschinken? Steif sind nicht nur die Dialoge, von denen es jede Menge zu viel gibt.

Dadurch, dass Robert Eggers mit einer vampirgleichen Sehnsucht diesen Stoff auf die Leinwand bringen wollte, so sehr stolpert er auch über seine eigenen Ambitionen und seinen Vorsatz, um Gottes Willen nicht nur zu kopieren, sondern auch Eigenständiges zum Thema beizutragen. Leider tut er das an der falschen Stelle. An Orlok selbst Hand anzulegen und ihn als ungeschlachten, muskelbepackten Zombie-Magier auftreten zu lassen, der wie all die Vampire aus Twilight nicht mal die spitzen Beisserchen besitzt, grenzt fast schon an ein Sakrileg. Orlok ist eine Ikone des Schreckens, eine expressionistische Gestalt zwischen Edvard Munch und Alfred Kubin. Figuren wie diese sind schwer veränderbar. Und niemand sonst außer Eggers würde auf die Idee kommen, das Filetstück einer vollkommenen Vampirgestalt außer Acht zu lassen. Was er daraus gemacht hat, tut weh.

Nosferatu – Der Untote (2024)

Nosferatu – Phantom der Nacht (1979)

JAMMERN NACH BLUT

6/10


nosferatu© 1979 20th Century Fox


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 1979

REGIE / DREHBUCH: WERNER HERZOG

CAST: KLAUS KINSKI, ISABELLE ADJANI, BRUNO GANZ, ROLAND TOPOR, WALTER LADENGAST, DAN VAN HUSEN, JAN GROTH, CARSTEN BODINUS, MARTJE GROHMANN, RIJK DE GOOYER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Er war Werner Herzogs liebster Feind, er war cholerisch, polemisch und unberechenbar: Das Enfant Terrible Klaus Kinski, Gesamtkunstwerk und menschlicher Aktionismus, Fitzcarraldo oder der Zorn Gottes, und letztlich auch die kultigste Grusel-Ikone schlechthin: Nosferatu. Ob er den Untoten mit dem Wahnsinnigen besetzt, ich denke, dafür hat Werner Herzog nicht lange überlegen brauchen. Seine unverwechselbare Gesichtsphysiognomie mit den hervortretenden Augen, diese immer am Rande des Überschnappens befindliche Fistelstimme, mit welcher sehr gerne andere beleidigt wurden – da brauchte es gar nicht mal so viel Zeit in der Maske. Ein kahler Kopf, dunkle Augenringe und die spitzen Schneidezähne, die natürlich an Max Schreck erinnern sollen, an jenen aus Friedrich Wilhelm Murnaus Original aus der Stummfilmzeit, von dem man gerne behauptet, er sei tatsächlich ein Vampir gewesen. Dieses gespenstische Gerücht fand gar seine Manifestation in der Making Of- Mystery Shadow of the Vampire mit John Malkovich und Willem Dafoe als undurchsichtigen Akteur mit dem Hang zu Verhaltensmustern, die nur den blutliebenden Untoten zuzuschreiben gewesen wären.

Vielleicht war Klaus Kinski gar nicht mal wirklich so. Vielleicht fand er einfach nur Gefallen daran, sich selbst als Set-, Party- und Bühnenschreck zu verkaufen, weil ihm diese Allüren so wahnsinnig gut von der Hand gingen. Lange lässt sich so ein abnormes Verhalten gar nicht aufrechterhalten, was das alles für Energie und Mühe kostet, wegen jeder Kleinigkeit so dermaßen in den Saft zu gehen. Als Nosferatu musste er all diese Eskapaden zurückschrauben, denn da war er der immer müde, jammernde, chronisch unglückliche Herr der Finsternis, der aus dem Schatten tritt und dem Seufzen der ewig Lebenden zu neuer Ausdauer verhalf. Als kraftlos Sehnsüchtigen setzt Herzog dem transsilvanischen Fürsten ein farbenfrohes Siebzigerjahre-Denkmal, ohne aber die Ikone neu zu definieren. Das machen sehr viel später andere, darunter Claes Bang als klassisch-diabolischer Dracula, die durch einen dramaturgisch freigeistigen Kniff ins Informationszeitalter katapultiert wird. Bei Herzog war das noch nicht der Fall. Sein Remake orientiert sich doch recht stark an Murnaus ewigen Klassiker, das Expressionistische kommt dabei aber abhanden. Was nun dominiert, ist viel mehr postmoderner Gothic-Grusel, in dem die Gondeln Trauer tragen und die Nächte seltsam erleuchtet sind, als gäbe es keine lichtstarken Kameras. Dieser Retro-Charme hat etwas für sich, auch die herbstkalte Schauerromantik weiß zu überzeugen. Was man aber letztlich kaum für möglich gehalten hätte, ist, dass Klaus Kinski, so sehr in seiner Rolle als bissfester Jammerlappen verfangen, fast schon zur unfreiwilligen Karikatur einer Schreckensgestalt gerät, während die blutjunge Isabelle Adjani wirklich allen in diesem Reigen aus Verlangen, Furcht und Psychose die Show stiehlt – sieht man von Roland Topors geistig völlig zerrütteter Renfield-Interpretation ab, die mit ihrem gespenstisch grotesken Lachen in die Abgründe kosmischen Horrors à la Poe schielt. Doch Adjanis völlig entrückte Wahrnehmung der Welt, ihre den gesellschaftlichen Dogmen des neunzehnten Jahrhunderts unterworfenen Manierismen, ihr langsamer Verfall in die Umnachtung, ausgestattet mit weit aufgerissenen Augen und einem verschreckten Antlitz, das den Stummfilmgrößen ihrer Zeit um nichts nachsteht, sondern ganz im Gegenteil, diese fast vorgestrig erscheinen lässt , verkörpert im Grunde genommen den eigentlichen Schrecken einer dem Metaphysischen ausgelieferten Seele, die wie die weiße Frau in der Megaklaue des King Kong nur noch hilflos wimmern kann und auf die Gunst des Monsters angewiesen ist.

Das Monster, in diesem Fall Kinski, lässt sich von seiner Sehnsucht und dem Selbstmitleid, als untote Kreatur ewig zu leben, so sehr übermannen, dass das Ächzen und Stöhnen letztlich alles ist, was bleibt. Die Optik stimmt, Kinski ist ein Hingucker, und so, wie er die Rolle anlegt, das Zerrbild einer gequälten Seele, die niemals Befriedigung findet. Wäre der Schauspieler nicht so sehr dem in Melancholie ertrinkendem Dandy nachempfunden, hätte sich Nosferatu etwas mehr von seiner geheimnisvollen, unberechenbaren Aura bewahrt, hätte Nosferatu – Phantom der Nacht ein Gothic-Meisterwerk werden können. Herzogs Regie, und den Stil kennt man aus all seinen Dschungel-Abenteuern, verkopft sich gerne in gedankenverlorener Kontemplation, die in der Wiederholung ähnlicher Szenen ihren Ausdruck findet. So ist die Ikonografie des Vampirs und seinem Objekt der Begierde wie ein atmosphärisches Bilderbuch mit verpeilten Längen, ein Seufzen quer über den europäischen Kontinent.

Nosferatu – Phantom der Nacht (1979)