Abigail (2024)

UNGEHEUER IM GEMÄUER

7/10


abigail© 2024 Universal Studios


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: MATT BETTINELLI-OLPIN & TYLER GILLETT

DREHBUCH: GUY BUSICK, STEPHEN SHIELDS

CAST: ALISHA WEIR, MELISSA BARRERA, DAN STEVENS, KATHRYN NEWTON, KEVIN DURAND, ANGUS CLOUD, WILLIAM CATLETT, GIANCARLO ESPOSITO, MATTHEW GOODE U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Eine Handvoll Krimineller, deren Ableben aus moralischer Sicht vertretbar wäre, in irgendeine Immobilie zu stecken und zusehen, was passiert: ein gern gesehenes Narrativ Im Thriller- und Horrorgenre. Und obwohl dieses Konzept schon so abgedroschen wirkt, ist der Clinch mit dem einschätzbaren Aggressor immer wieder so genussvoll wie eine Tüte Chips, denn auch da weiß man, was drin ist: Fett und Salz machen den Unterschied. Blut und Suspense den anderen. Der höchst erfolgreiche Knüller Don’t Breathe hat es bewiesen: Ein paar windschiefe Typen laufen einem blinden, alten Kriegsveteranen mitten ins Messer. Verdient haben diese das grausige Ableben nicht, doch allein wie sie sich anstellen, um Opa Herr zu werden, verdient eine Abreibung. Ähnlich draufgängerisch gebärdet sich in Abigail eine Bande Kidnapper, die für satte Millionen gerne mal ein unschuldiges Kind entführen, das einfach nur vom Ballett-Training nachhause will, um einen anstrengenden Tag in Ruhe ausklingen zu lassen. Doch nichts da: Die Entführung ist von langer Hand geplant, die Kleine betäubt, eingesackt und abgeliefert. Auftraggeber ist der undurchsichtige Lambert (Giancarlo Esposito), der das sechsköpfige Team nach eigentlich getaner Arbeit noch zum Babysitten verdonnert, und zwar die nächsten vierundzwanzig Stunden, denn dann winkt der große Reibach. Kann nicht schwierig werden, denkt sich die Bande – und wird dann schon bald eines Besseren belehrt. Denn Abigail – das kennen wir schon aus dem Trailer – ist alles andere als ein schüchternes, ängstliches, wimmernden Mädchen. Sie ist ein Vampir und zeigt alsbald Zähne, die zielsicher in den Hälsen so mancher menschlicher Individuen landen, die zur falschen Zeit am falschen Ort aufschlagen. Die Kacke ist am Dampfen, der Körpersaft am Spritzen: Es geht um Leben, Tod und ewiges Leben – je nachdem, auf welche Seite man sich schlägt. Die einen haben es mehr verdient, die anderen weniger. Die Erwartungen der Zuseher werden dabei keineswegs untergraben. Denn Gott behüte – man könnte Gewohntes ja konterkarieren.

Diese Vorhersehbarkeit, die fast genauso wehtut wie den spitzen Zahn zu fühlen, ist der einzige Schwachpunkt in diesem lustvollen Survival-Horror frei nach Agatha Christies Abzählreim-Roman. Dass nicht alle in diesem Sechs-Gänge-Menü für blutleckende Untote in zynischem Eigennutz agieren, ist sofort klar – und genauso klar ist, ob, und wenn ja, wer von den Eingesperrten letztlich überleben wird. Das nimmt Abigail dann doch etwas die Überraschung, doch man kann darüber hinwegsehen, genauso wie über konfuses Zeitverständnis und die Länge eines Tages oder einer Nacht. Wie es das Drehbuch benötigt, wird die Zeit zum lästigen Anhängsel, dem man am liebsten einen Pflock ins Herz treiben möchte. Die Uhren laufen anders in diesem Gemäuer, das sich, sobald der Spaß beginnt, hermetisch von der Außenwelt abriegelt. Dabei flitzt Abigail wie ein von der Tarantel gestochenes kleines Ungeheuer die Stufen rauf, die Stufen runter, dreht zwischendurch ein paar Pirouetten und hat ihre kindliche Freude daran, ihre Opfer vorzuführen.

Das Regieduo Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, verantwortlich für das etwas aus den Fugen geratene Hochzeitsbankett Ready or Not, zu welchem gerade die Braut herself auf Teufel komm raus von der Sippe des Bräutigams durch deren Anwesen gejagt wird, variieren ihren augenzwinkernden Splatter-Thriller aus dem Jahre 2019 wenn man es genau nimmt nur ein bisschen. Anderen Filmemachern könnte man vorwerfen, sich selbst zu kopieren – bei diesen beiden hier könnte man in Versuchung geraten, more of the same sehen zu wollen. Denn das, genau das, können Bettinelli-Olpin und Gillett richtig gut. Sowohl Ready Or Not als auch Abigail sind weniger Horror als viel mehr rasante Actionfilme, die mit dem Genre des Phantastischen kokettieren. So, wie sie Lebende und Untote von der Leine lassen, damit sie sich gegenseitig zerfleischen, macht formelhaftes Escape-House-Thrillerkino richtig Spaß. Eine bodenständige Energie entlädt sich – und ich denke, seit Buffy und Angel hat man Vampire nicht mehr so kämpfen sehen, schon gar nicht jemanden wie Alisha Weir (eben auch in Kleine schmutzige Briefe zu sehen), die im Ausleben ihrer anarchischen Rolle ein Engagement an den Tag legt, welches das ganze Ensemble mitreisst. Dan Stevens und Kevin Durand fluchen und rennen um die Wette, am Ende dreht sich das Spiel wie im Roulette, und die Frage, wer die Farbe des Todes und die des Blutes trägt, bleibt gelegentlich offen. Diese Verve der akrobatischen und fein getricksten Actionszenen machen Abigail zum Hingucker, das Blutbad wird zur selbstironischen Übertreibung wie schon bei Ready or Not und lässt das Treiben im Titty Twister aus From Tusk Till Dawn manchesmal anämisch aussehen. Am Ende könnte man seine Liebe zu den Vampiren neu entdecken, zum Glück haben diese gleich zehnfach doppelt so viele spitze Zähne wie Twilight-Vampire keine haben. Nebenbei bemerkt ein Unding, dass ich diesem Franchise nie verzeihen werde.

Abigail (2024)

El Conde (2023)

DIKTATOR DER HERZEN

3,5/10


elconde© 2023 Netflix Inc. 


LAND / JAHR: CHILE 2023

REGIE: PABLO LARRAÍN

DREHBUCH: GUILLERMO CALDERÓN, PABLO LARRAÍN

CAST: JAIME VADELL, GLORIA MÜNCHMEYER, ALFREDO CASTRO, PAULA LUCHSINGER, STELLA GONET, CATALINA GUERRA, AMPARO NOGUERA, DIEGO MUÑOZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Was habe ich Pablo Larraín nicht dafür verehrt – und tue es immer noch – dafür, dass er mir und allen anderen einen Film wie Spencer vor die Füße gelegt hat. Rückblickend der für mich beste Film des Jahres 2022, der biographische Notizen mit einem frei interpretierten Psychogramm über das Leben und Leiden der allseits geliebten Lady Diana so anspruchsvoll miteinander verwoben hat, dass es einem den Atem raubt. Mir zumindest. Das bewusst wenig akkurate, Fakten weitgehend ignorierende Portrait bietet natürlich genug weite Fläche für Anti- und Sympathie. Für Wohlwollen oder Ablehnung. So zu polarisieren liegt Larraín im Blut. Ganz besonders gelingt ihm das bei seinen Portraits, allerdings auch bei schwer definierbaren, erotisch aufgeladenen, wüsten Liebesgeschichten, wie er sie mit Ema geschaffen hat. Erst kürzlich lief sein neuestes Werk bei den Filmfestspielen von Venedig – kaum ein, zwei Wochen später landet seine wiederum komplett anders geartete Satire auf Netflix.

Diesmal dreht sich sein Film um die ewig währende Diabolik eines berühmten Chilenen, der sein ganzes Land und insbesondere sein Volk ins Verderben gestürzt hat: Augusto Pinochet. Und nein, es ist keine Biografie. Auch keine Geschichtsstunde, kein Psychogramm (nicht wirklich), im Grunde eigentlich nur die sarkastische Verzerrung eines Diktators außer Dienst, der das Schwarzbuch der Menschheit um mehrere Kapiteln dicker gemacht hat. Larraín verformt diesen Diktator nicht etwa zur clownesken Witzfigur wie Charlie Chaplin oder Literat Timur Vermes (Er ist wieder da) es mit Adolf Hitler getan haben, wo einem dennoch das Lachen im Halse stecken bleibt bei so viel Wahrheit über das kollektive Menschsein, dass uns da entgegengeschleudert wird wie ein nasser Lappen. Larraín verformt ihn zu einer Art Christopher Lee; zu einem Vampir, der schon 250 Jahre auf dem Buckel hat und bereits Marie Antoinette im Frankreich der Revolution dabei zugesehen hat, wie sie den Kopf verliert. Diesen klemmt sich der damals noch auf den Rufnamen Claude Pinoche hörende Untote unter den Arm, um fast eineinhalb Jahrhunderte später in Chile beim Militär einzurücken – und vom stinknormalen Gefreiten zum supermächtigen General aufzusteigen, der Präsident Allende später stürzen wird. Dabei ist das Blut durch alle Schichten der Bevölkerung essenziell. Am besten aber sind immer noch die Herzen, die er den Opfern aus der Brust reißt, sie mixt und den Muskelshake dann hinunterkippt.

Dieser nun als Augusto Pinochet bereits offiziell verstorbene Tyrann lebt im Geheimen irgendwo am Arsch von Chile sein nun nicht mehr ganz so prunkvolles Leben weiter – an seiner Seite ein russischer Diener, den man durchaus mit Renfield vergleichen kann, und Gattin Lucia. Irgendwann hat auch ein Vampir genug von dem ganzen Morden, und so versucht er, das Zeitliche zu segnen – gegen den Willen seiner fünf nichtsnutzigen Kinder, die eines Tages antanzen und vor Papa darauf bestehen, doch seine geheimen Ersparnisse offenzulegen. Um diesem Chaos an Unterlagen Herr zu werden, die aus dem Keller befördert werden, betritt die reizende Carmencita die Szene – für alle anderen Buchhalterin, im Geheimen aber Exorzisten-Nonne, die dem Vampir den Garaus machen will.

Trotzdem El Conde (zu Deutsch: Der Graf) mit einer ausgesuchten Kameraführung und bestechenden Schwarzweißbildern punktet, die jeweils als Standbild der Kunstfotografie zuzuordnen wären, gelingt es Larraín weder, die Abrechnung mit dem Polittrauma pointiert in Worte und Bilder zu fassen, noch, sich in seiner Art des Erzählens verständlich zu artikulieren. Am deutlichsten erkennbar ist diese Konfusion genau dort, wenn das gesprochene Wort nicht zur folgenden Handlung passt. Die Figuren verkommen zu stereotypen Annahmen politisch-historischer Gestalten fern ihres Kontextes, der Mythos des Vampirs reduziert sich auf einen Flattermann in Uniform, der sonst keinen vampirischen Eigenschaften mehr unterliegt, außer dass das Kennzeichen als Blutsauger eine kaum originelle Metapher für den Raubbau am Volk darstellt. Nichts in El Conde folgt strikt einem geplanten Vorgehen, die Figuren machen, was sie wollen, insbesondere Paula Luchsinger als „Warrior Nun“ entzieht sich in ihrem Handeln jeglicher Nachvollziehbarkeit und tribt die Handlung wider Erwarten kein bisschen voran.

Die paar brutalen Spitzen, in denen nicht mal das Blutrot zur Geltung kommt, lassen die satirische Abrechnung mit dem Bösen auch nicht wirkungsvoller erscheinen. Genau dieser Umstand des allzu gewollt polemischen Auftretens aller, in dem kaum irgendwelche klugen Erkenntnisse stecken, macht El Conde zu einem der langweiligsten Filme des Jahres; zu einer schwer durchzubringenden Trübsal, für deren Twists ich womöglich nicht intellektuell genug bin, um sie zu verstehen.

El Conde (2023)

Renfield (2023)

DER DESCHEK DES GRAFEN

6/10


renfield© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: CHRIS MCKAY

DREHBUCH: RYAN RIDLEY

CAST: NICHOLAS HOULT, NICOLAS CAGE, AWKWAFINA, BEN SCHWARTZ, SHOHREH AGHDASHLOO, CAMILLE CHEN, CAROLINE WILLIAMS, BRANDON SCOTT JONES U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Könnt Ihr euch noch an die eine, damals tricktechnisch bemerkenswerte Szene in Forrest Gump erinnern, in welcher Tom Hanks dem Altbundespräsidenten John F. Kennedy die Hand schüttelt? In Renfield, sehr frei nach Bram Stoker, gibt‘s zu Beginn eine ähnliche Szene. Und zwar eine aus dem guten alten (erschreckend unblutigen) Gruselklassiker von Universal – the one and only Dracula, Baujahr 1931. Statt Dwight Frye als der Immobilienmakler, der zum Handkuss kommt, steht im Schloss des Grafen Nicholas Hoult. Statt den eindringlichen Blicken Lugosis glupscht ihm diesmal Nicolas Cage entgegen, in edlem Zwirn und noch ganz charmant den neuen Besucher umgarnend, der natürlich noch nicht weiß, dass er alsbald in der Klapsmühle landen und Insekten fressen wird. Wie das Schicksal des armen, geistig umnachteten Mannes ausgeht, weiß man entweder aus der literarischen Vorlage – oder man sichtet auf Netflix den feinen Dreiteiler mit Claes Bang. Nur sind dort einige (Geschlechter)rollen vertauscht, und das in die Gegenwart verfrachtete Szenario hat ordentlich Pepp.

Renfield spielt genauso in der Jetztzeit. Hier ist der titelgebende Deschek zwar weder suizidgefährdet noch dem Wahnsinn verfallen, aber immer noch das Mädchen für Alles für den ewig lebenden Gierschlund und Möchtegern-Weltenherrscher, der es sich in einem alten, leerstehenden Krankenhauskomplex bequem gemacht hat und den junggebliebenen Gesellen dorthin und dahin dirigiert, um ihm Frischfleisch zu beschaffen. Am besten junge, unschuldiges Körper, und bitte keine Verbrecher, denn Blut mit Bad Karma erquickt nicht so richtig. Allerdings ist die Zeit gekommen, und der gute Renfield hat endgültig genug davon, sich herumkommandieren zu lassen. „Raus aus der Abhängigkeit“ lautet nun die neue Agenda des ewigen Lakaien. Eine Selbsthilfegruppe soll den Mut bringen, dem Grafen endlich mal zu sagen, was Sache ist. Bei einer Legende mit so strengem Charisma unterliegt die Praxis der Theorie – und schon wieder muss der dank Insektenverzehr mit Superkräften ausgestattete Mann fürs Grobe Ausschau nach Nonnen und Cheerleaderinnen halten. Dabei queren die Handlanger einer bösen Unterwelt-Lady seine To-do-Liste – und die verzweifelt für Recht und Ordnung sorgende Polizistin Rebecca (so richtig herzig, wenn sie wütend ist: Awkwafina) erhält Renfields Aufmerksamkeit.

Die Emanzipation und darauffolgende Image-Kur einer halbherzig bemitleideten Romanfigur sind die Grunddynamiken eines zugegeben wirren Mischmaschs aus Neuzeit-Vampirhorror, Actionkomödie und Splatterspaß. Das ruhende Auge inmitten des Getöses verkörpert Nicolas Cage – er ist Zentrum des Geschehens und so überzeugend in seinem Auftreten, so genussvoll aufspielend und auf einer ganzen Klaviatur diverser Gesichtsausdrücke spielend, dass sich der Vergleich mit Altmeister Christopher Lee mühelos auch mal für Cage ausgehen könnte. Mit nadelspitzer Kauleiste, süffisantem Gerede und gierigem Gelächter ist der Schauspieler, der sich für nichts in der Filmwelt zu schade ist, eine regelrechte Attraktion, als wäre er das Highlight einer Zirkusshow, ein immer wiederkehrender Conférencier, der all das übrige Ensemble stets daran erinnert, dass das Böse (nicht) nur untertags schläft.

Hat Cage die Kamera mal nicht für sich, dominiert dahingeschludertes Komödienkino mit Psycho-Touch, das sich auf die Metaebene aus Abhängigkeit und Lossagung viel zu wenig konzentrieren kann, da die recht banale Komponente rund um Verbrecherfürstin Shohreh Aghdashloo (bekannt aus The Expanse) das ganze Gefühl für eine urbane Gothic-Mär mit Lebenshilfe-Bonus immer wieder und recht plump an den Rand drängt. Aufgemotzt wird das Ganze mit deftigen Splatter-Einlagen, in denen das Kunstblut (und man sieht, es ist Kunstblut) literweise spritzt. Das passt zu ansatzweise fein geführtem, meist auch schwarzem Humor ganz und gar nicht. Doch wir haben nun mal einen mit abgerissenen Extremitäten um sich schlagenden Hoult, der sich nochmal an seine Rolle aus Warm Bodies erinnert, so leicht entrückt stellt er sich seinem Lebenssinn. Manchmal trifft der von Chris McKay (u. a. The Tomorrow War) inszenierte Universal-Streifen dabei direkt mit dem Pflock ins Herz, manchmal versäumt er dabei so einige Möglichkeiten, um der so saftigen wie versponnenen Blutoperette doch noch eine Runde vampirphilosophische, nihilistische Schwermut zu verleihen, die dieser Dämonologie doch so gut zum blassen Gesicht steht. Am Ende ist ihm die Konsequenz, die sich wohl ein jeder denkt, nicht mal eine Szene zwischen den Credits wert.

Renfield (2023)

The Invitation – Bis dass der Tod uns scheidet

FAMILIENFESTE UND ANDERE GRAUSAMKEITEN

5,5/10


theinvitation© 2022 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JESSICA M. THOMPSON

BUCH: BLAIR BUTLER

CAST: NATHALIE EMMANUEL, THOMAS DOHERTY, ALANA BODEN, STEPHANIE CORNELIUSSEN, HUGH SKINNER, SEAN PERTWEE, VIRAG BARANY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Wenn sie nur gewusst hätte, worauf sie sich da eingelassen hat! Oft weiß man es nicht, und wenn man es dann weiß, ist es schon zu spät: Familienfeiern können die reinste Tortur sein, vor allem Familienfeiern mit Leuten, die man vielleicht einmal in zehn Jahren auf irgendeiner Beerdigung trifft oder wenn sich jemand mal in den Kopf gesetzt hat, unbedingt wissen zu wollen, wer nun alles gerade noch als Familie gilt. Der Schwager vom Großcousin väterlicherseits oder der angeheiratete Großonkel von der Tante aus Siegheilkirchen – irgendwie gehören wir dann doch alle zusammen, und das Gemeinschaftsgefühl macht es aus, dass nicht jeder jedem gleich am ersten Tag an die Gurgel geht. Es kann auch anders laufen, es kann auch alles harmonisch sein. Das Risiko einzugehen ist eine Challenge, aber wenn Frau – wie in diesem Fall Evie (Nathalie Emmanuel, als Melisandre in Game of Thrones allseits bekannt geworden) – sowieso gar keine Familie hat und sich auf Spurensuche begibt, um dann wenige Wochen später mit einem neu entdeckten Cousin beim Kaffee zu sitzen, dann scheint das etwas anderes zu sein. Dieser zeigt sich freudig und engagiert, zeigt sich höflich und charmant. Was Besseres kann einem familientechnisch überhaupt nicht passieren. Oder doch? Kann es: Besagter Cousin lädt Evie sogleich zur ersten großen Sause ein: zu den Hochzeitsfeierlichkeiten eines betuchten Adeligen, der all die neugierigen Verwandten auch gleich mit auf der Gästeliste hat. Besser sofort als nie mit all der dazugewonnenen Sippschaft warm werden. Also willigt Evie ein – und ist froh, ihrer Einsamkeit entrinnen zu können. Woraus sie allerdings bald nicht mehr entkommt, dass ist der Herrensitz, auf welchem es bald nicht mit rechten Dingen zugeht, vor allem nachts. Irgendwas oder irgendwer ist da plötzlich in ihrem Zimmer. Seltsame Schreie kommen aus den Stallungen jenseits des Gartens. Und mit der Zeit verschwinden auch die Bediensteten.

Mit The Invitation – Bis dass der Tod uns scheidet haben wir es mit einem erstaunlich altmodischen, fast schon selbstbewusst geradlinigen Gruselwochenende zu tun, das sich ein bisschen so anfühlt wie eine der vielen Themenversionen des beliebten Einweg-Spiels EXIT, welches das Konzept des Escape Rooms durch Vorlesen diverser Karten in den Köpfen der Mitspielenden entstehen lassen soll. So viel kreativer Anstrengung bedarf es hier nicht, und es reicht, sich einfach darauf einzulassen, wenn Nathalie Emmanuel ein hübsches Kleid nach dem anderen anprobiert und dem undurchsichtigen Hausherren, dem man dank seines Anbagger-Grinsens keinen Millimeter weit über den Weg trauen sollte, schöne Augen macht. Ein Lover würde aber dennoch gerade recht kommen, und so lässt sich der attraktive Star auch sofort auf Intimitäten ein. Andererseits: Mit dem, was dann passiert, rechnet Fau auch nicht. Es sei denn, man heißt Buffy. Doch da die Jägerin indisponiert bleibt, muss Emmanuel allein klarkommen. Bis es so weit kommt und endgültig Panik ausbricht, weiß Regisseurin Jessica M. Thompson, die geheimnisvolle Stimmung, die sich an einem Schauplatz wie diesem ganz gut entfachen lässt, hochzudrehen. Das gelingt mit einigen smarten Schreckmomenten, die fruchtbaren Boden für Spekulationen bieten. Die anfängliche Suspense ist etwas, womit man als Zuseher auch gerne arbeiten will. Welches dunkle Geheimnis verbirgt die ganze Gästeschar? Oder sind die ganzen gefälligen Typen das dunkle Geheimnis selbst?

Ist der Schleier mal gelüftet, sind auch die gut gemeinten Ansätze mehr oder weniger zum Fenster raus. Mit untotem Gesocks hat man schon viele blaue Wunder erlebt, siehe Day Shift mit Jamie Foxx. Man könnte ja das Genre konterkarieren und neue Impulse abgewinnen. The Invitation zeigt diesbezüglich nicht die geringsten Ambitionen. Nicht mal das Wortspiel bezüglich des Namens des Gastgebers – De Ville – scheint abgedroschen genug zu sein, um sich dessen nicht zu bedienen. Doch bei einer so charmanten Protagonistin wie Emmanuel, die bis zuletzt alles mit einer verbalen Schlagfertigkeit kontert, was noch zu kontern ist, bleibt das hämoglobinhaltige, aber meist unoriginelle Familienfest nicht deswegen ganz unterhaltsam, weil es das Storytelling neu erfunden hat, sondern weil es auch dem letzten moralisch verpeilten Drehbuchautor kaum einfallen würde, der jungen, klugen Dame die Gunst zu entziehen.

The Invitation – Bis dass der Tod uns scheidet

Day Shift

WURZELBEHANDLUNG FÜR VAMPIRE

2/10


dayshift© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: JJ PERRY

CAST: JAMIE FOXX, DAVE FRANCO, SNOOP DOGG, KARLA SOUZA, NATASHA LIU BORDIZZO, MEGAN GOOD, SCOTT ADKINS, OLIVER MASUCCI U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Obwohl Netflix allerlei Weltkino in seinem Bauchladen herumträgt und auch sämtliche Festivalperlen das Sortiment aufschmücken, schenkt der Konzern seinen Eventfilmen und deren Qualität am wenigsten Aufmerksamkeit. Was hier oft zusammenkommt, sind Starvehikel mit Oscarpreisträgern und Quotengaranten, die sich in einem Plot wiederfinden, der so wenig durchdacht ist, dass man sich als Konsument das eine oder andere Mal über den Tisch gezogen fühlt. Filme wie Red Notice sind ja gerade nochmal mit dem blauen Auge davongekommen und drehen sich, bevor sie in der Versenkung verschwinden, nochmal um und rufen „Hey, ich war immerhin sauteuer!“. Schön für den Film, langweilig für uns. Um The Man from Toronto habe ich trotz des immer wieder gern gesehenen Woody Harrelson einen großen Bogen gemacht, dank durchaus nachvollziehbarer Kritiken von anderswo. Bei Day Shift habe ich dann doch Halt gemacht. Lust auf Horroraction im Stile von Daybreakers? Gerne! Dass der trotz lichtscheuen Vampiren sonnendurchflutete Film mit Jamie Foxx, auch Mitglied des Haus- und Hof-Ensembles von Netflix (siehe Project Power), wohl kaum tiefgründiges Patschenkino werden wird, war zu erwarten. Doch es muss nicht immer nachhaltig sein, es darf auch so manches Junk-Food mit auf die Watchlist, denn immer wieder sind da kernige Guilty Pleasures dabei.

Day Shift von Regiedebütant JJ Perry gehört definitiv nicht dazu. Qualitätskino? Nein. Nachhaltig auch nicht. Tiefgründig sowieso nicht. Und Guilty Pleasure? Zumindest Night Teeth, der letzte urbane Vampirfilm auf Netflix mit einem geschmackvollen Cameo von Megan Fox als Untote mit Potenzial, hätte die Bezeichnung unter Bauchweh verdient. Day Shift ist weder knackig noch mitreißend, wenn man zumindest von der ersten Actionsequenz des Filmes absieht. Da lässt man gar kurzzeitig die Finger über der Popcornschüssel ruhen, wenn Jamie Foxx als angeblicher Poolreiniger den Bungalow eines Blutsaugers infiltriert und mit einer zähnefletschenden Oma aneinandergerät, die sich so verbiegen kann wie die Schlangenmenschen des Cirque du Soleil (welche dann auch wirklich für den Film engagiert wurden) und dem Vampirjäger ordentlich Paroli bietet. Sieh einer an, denke ich mir. Das sieht vielversprechend aus. Nach diesem Schlagabtausch hat der Film allerdings sein As bereits aus dem Ärmel gezogen. Der Rest ist liebloser Pfusch, schlecht gespielt und von der Story her so sehr zerfahren, dass diese in der Belanglosigkeit versinkt und einzig Jamie Foxx, der es nicht schafft, so zu tun, als würde er sich für die präpubertären Zoten von Dave Franco interessieren, durch einen Actionfilm stolpert, der wirklich nur dazu da ist, restverwertet zu werden, bevor das verantwortliche Studio ihn eingestampft hätte.

Worum es geht? Anscheinend gibt es in dieser phantastischen Version der USA eine Gewerkschaft, die sich mit dem Jagen und Eliminieren von Vampiren beschäftigt. Jamie Foxx als sorgender Papa müsste mitansehen, wie seine Tochter samt geschiedener Mama nach Florida zieht, hätte er nicht innerhalb weniger Tage ein schönes Sümmchen an Dollar zur Verfügung, um seine Alimente zu zahlen. Dafür fleht er um Wiederaufnahme in die Vampirjägergilde, die ihm auch gewährt wird, allerdings mit Aufpasser Franco an seiner Seite, der keine Ahnung vom Außendienst hat. Und da ist dann noch irgendeine Obervampirin, die sich für den Tod an eingangs erwähnter Oma rächen will.

Selten hatten Vampire so wenig Charisma wie hier. Was daran liegt, dass das Skript falsche Prioritäten setzt. Um eine Welt zu schaffen, in der Untote wie diese inhärent sind, braucht es einen erklärenden Unterbau, der viel zu spät aufpoppt – und zwar dann, wenn sich niemand mehr dafür interessiert. Die Blutsauger, darunter Oliver Masucci, der sich womöglich aufgrund guten Geldes dazu hinreißen ließ, eine Dreiwortsatzrolle wie diese anzunehmen, sind fade und uninteressant, die Effekte billig und schal. Day Shift ist trotz diverser spitzer Zähne, die auf dem Schwarzmarkt landen, so zahnlos wie schlafende Vampire mit verschriebenen Dritten, die, würden sie von diesem Film wissen, wütend darüber wären, wie nachlässig mit ihrem Mythos umgegangen wird.

Day Shift

30 Days of Night

SCHNEEFREI NUR FÜR VAMPIRE

4/10


30-days-of-night© 2007 SND


LAND / JAHR: USA, NEUSEELAND 2007

REGIE: DAVID SLADE

CAST: JOSH HARTNETT, MELISSA GEORGE, DANNY HUSTON, BEN FOSTER, PUA MAGASIVA, MANU BENNETT, MARK RENDALL U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Heute dürfte es hier in Wien so winterlich sein wie im nördlichsten Kaff der USA, in Barrow. Wenn wo der Arsch der Welt ist, dann unter Umständen dort. Im Sommer geht dort die Sonne zwar auch nicht unter, im Gegensatz dazu aber bleibt im Winter die Sonnenbrille zwei Monate lang im Handschuhfach, denn da reicht es gerade mal für eine Dämmerung. Untote Austauschstudenten, die das Sonnenlicht meiden müssen, würden Barrow vielleicht als Eldorado wähnen. Ein bisschen kalt vielleicht, aber kalt sind sie selber. Und so können sich die paar Bewohner dieses eigentlich am Meer gelegenen Städtchens über ungewöhnlich viel Fremdenverkehr freuen. Was sie weniger freut, ist der Blutzoll, den sie dafür zahlen müssen. Denn die Vampire, die per Schiff angereist sind, und einen seltsamen osteuropäisch anmutenden, für den Film erfundenen Kauderwelsch reden, sind dezidiert ausgehungert. Obendrein sind sie schnell, wendig und überhaupt nicht charmant wie vielleicht ihr transsilvanisches Vorbild. Wie sie da so mit der Tür ins Haus fallen – darauf ist niemand vorbereitet. Folglich wird ein Blutbad eingelassen, in welches Cop Josh Hartnett, seine Freundin Melissa George (ebenfalls Cop) und eine Handvoll integrer Gestalten überhaupt nicht hineinsteigen wollen. Blöd nur, dass es finster bleibt. Sowohl aus meteorologischer Sicht als auch in Sachen Erfolgschance.

Die erste Schwierigkeit in David Slades blutigem Spitzzahn-Slasher, der gerne auf Actionfilm tut (was ja nicht verkehrt ist), ist die Inkonsistenz in seinem Setting. Und darüber hinaus generell in der Zeit. Das Drehbuch verlangt, dass wir hier einem Zeitraum von 30 Tagen beiwohnen müssen, damit am Ende die Rechnung aufgeht. Warum auch immer, ist 30 Days of Night aber so konzipiert, dass es ganz klar nur an einer Nacht spielen kann. Verwunderung macht sich breit ob eines Inserts, dass darauf hinweist, bereits 18 Tage lang beim Versteckspiel unserer Helden zugesehen zu haben. Fragt sich, wie diese so lange in den gleichen Klamotten und ohne nennenswerte Nahrung überlebt haben konnten. Und warum die Vampire eigentlich nicht weitergezogen sind, wenn sie doch solchen Hunger haben und das Buffet nur mehr Krümel übrig hat. Was eben auch nicht funktioniert, ist die Sache mit dem Schnee. Es ist ja durchaus in Ordnung, temperaturunempfindlichen Kunstschnee zu verwenden, solange dieser die Szene adrett ausschmückt. Da lässt sich das völlig unsinnige Verhalten, wie der Schnee eben fällt, von mir aus ignorieren. Und den Vergleich zum tatsächlichen gefrorenen Wasser hätten wir auch nicht. Wenn man beides aber mixt, wird’s peinlich. Somit protzt Slade einerseits mit echtem Winter, andererseits ist ihm womöglich das Tauwetter dazwischengekommen. Sieht leider bescheuert aus.

Weniger bescheuert sind zumindest die Vampire mit ihren blutverschmierten Kauleisten und den dunklen Augen, ihrem enervierenden Geschrei und ihrer raubtierhaften Akrobatik. Das Make-up ist ein Hingucker – das übrige Szenario will sich aber leider nicht an gewisse Regeln halten, die die Basis für einen Actionfilm garantieren sollen, der in sich selbst logisch sein muss, um überhaupt zu packen.

30 Days of Night

Night Teeth

ZÄHNEFLETSCHEN AM RÜCKSITZ

5,5/10


nightteeth© 2021 Netflix

LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: ADAM RANDALL

CAST: JORGE LENDEBORG JR., DEBBY RYAN, LUCY FRY, ALFIE ALLEN, RAÚL CASTILLO, ALEXANDER LUDWIG, MEGAN FOX U. A. 

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Längst sind sie da, wir wissen es nur nicht: Vampire – verfluchte Untote mit Stil, Tischmanieren und Intellekt.Urvater Dracula legt natürlich die Latte hoch. Der war schließlich ein Graf und klug genug, sich stets Vorteile zu verschaffen. Oder eben Kompromisse einzugehen. So einen Pakt schlossen in diesem erst kürzlich auf Netflix veröffentlichten Eckzahn-Thriller Blutsauger mit Menschen bereits schon vor 100 Jahren. Bislang haben sich noch beide Parteien an die Abmachungen gehalten, ganz nach dem Motto: du kommst mir nicht in die Quere, und ich dir nicht. Und ja, wir wissen auch – es reicht immer ein Einzelner, um das ganze mühsam errichtete Gefüge zum Einsturz zu bringen. Dieser Einzelne ist Vampir Victor, der sich als möglicher Clanleader hintergangen fühlt und aus Trotz und Eitelkeit gleich die ganze Stadt übernehmen will. Hierfür schickt er zwei seiner Mädels in den nächtlichen Großstadtdschungel, um den partyfeiernden, blutschlürfenden Pöbel, der ihm in die Quere kommen könnte, auszumerzen. Die wiederum buchen dafür einen Chauffeur, der zufällig auch den Menschenclan vertritt: der Mexikaner Jay. Dumm nur, dass Jay an diesem Abend ganz andere Termine wahrnehmen muss, währen der kleine Bruder Benny die ganze rote Blutsuppe alleine auslöffeln muss, sehr zu seinem Missfallen.

Bei Night Teeth schien man wohl recht unschlüssig, für welches Zielpublikum diese teils handzahme, teils ganz vergnügliche, teils ein bisschen blutige Neu- und Uminterpretation von Michael Manns Taxi-Thriller Collateral mit Tom Cruise wohl geeignet sein kann. In diesem Bemühen, das breite Spektrum der Young-Adults abzudecken, gerät der Film in eine unausgegorene Zwangslage: nämlich dem Wunsch, zu zeigen, was man nicht zeigen darf, auf unwillige, aber resignative Weise zu wiederstehen. Ach würde man doch den Blutkonsum so ausufernd zelebrieren können wie im handfesten Reißer Daybreakers oder im eiskalten Polarnacht-Horror 30 Days of Night. Zumindest aber dürfen Vampire ihrem klassischen Steckbrief mehr entsprechen als die im Sonnenlicht glitzernden Convenience-Vampire aus Twilight. Bis heute lässt sich diese Blutverdünnung nur schwer verzeihen.

Die beiden Darstellerinnen Debby Ryan (Letztendlich sind wir dem Universum egal) und Lucy Fr, die bereits mit Vampire Academy Erfahrung im Blutsaugergenre sammeln konnte, schwören auf ihre zudringlichen Skills und präsentieren auch auf recht elegante Weise ihren Bonus an der Kauleiste. Ihre Rollen verkörpern sie tatsächlich mit Spaß am Spiel, irgendwo zwischen Joss Whedons Buffyverse und Teenieromanze. Fragen wie: Was würdest du tun, wenn es deine letzte Nacht wäre, kokettieren mit Zweideutigkeiten und lenken das urbane Roadmovie in die entsprechende Richtung. Wuschelkopf Jorge Lendeborg (Bumblebee) tut was er kann, um verzweifelt zu wirken, während er versucht, den Mut eines Slackers aus dem Hut zu zaubern. Das Dreieck stimmt, alles andere ist halbgar, vom Lack- und Lederfetischismus aus den Underworld-Filmen gibt es keine Spur, denn die Vampire, die haben sich eben noch besser in den Alltag integriert als in Beckinsales strenger Kammer. Vieles sonst scheint fehlbesetzt, wie zum Beispiel Alfie Allen, der gerne die Rolle mit Megan Fox hätte tauschen sollen. Ihr überraschend kurzer, schicker Cameo enthält das Potenzial für einen ganzen Film. Sie als Endgegnerin hätte man als Gutmensch zwar nicht haben wollen, wäre aber für die Qualität des Films die bessere Option gewesen.

Night Teeth

Blood Red Sky

NOSFERATU FLIEGT ECONOMY

5,5/10


bloodredsky2© 2021 Netflix


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

REGIE: PETER THORWARTH

CAST: PERI BAUMEISTER, CARL ANTON KOCH, ALEXANDER SCHEER, KAIS SETTI, DOMINIC PURCELL, ROLAND MØLLER, GRAHAM MCTAVISH U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


So eine Anreise mit dem Flugzeug ist oft langwierig, vor allem, wenn man von Europa aus nach Übersee will. Ereignisreich ist was anderes, es sei denn, man hat Flugangst, was natürlich nichts ist, was sich auszuleben lohnt. Während man also im Halbschlaf auf Stand-by verweilt, bleibt genug Gelegenheit, darüber nachzusinnieren, was in einem Flieger, kilometerhoch über den Wolken, sonst noch alles passieren könnte. Wie wär’s zum Beispiel mit Snakes on a Plane? Samuel L. Jackson weiß nun, wie sich hochgiftige Reptilien fern ihres Habitats nicht zu benehmen wissen. Terroristen on a Plane ist leider ein allzu realistisches Szenario, da denkt man lieber gleich weiter und wünscht sich Liam Neeson dazu – Non-Stop gefällig? Zombies fahren da lieber Zug (Train to Busan), doch wie wäre es mit Vampiren, die nach einer Bloody Mary in der Economy Class plötzlich unruhig werden? Guillermo del Toro und Chuck Hogan lassen ihre Vampirsaga The Strain ebenfalls in einem Flugzeug beginnen, doch dieses war da schon am Boden. In Blood Red Sky können wir, exklusiv auf Netflix, den ganzen Flug hautnah miterleben. Und wie es ist, nicht auszukönnen, wenn die Blutgier keine Klassenunterschiede mehr macht.

Im Zentrum des recht geradlinigen Geschehens steht Nadja – natürlich eine Vampirin, die aber immer noch die Pflichten einer Mutter lebt. An ihrer Seite ein kleiner Junge, der über Mamas Befinden natürlich Bescheid weiß. Nadja durchlebt dank spezieller Medikamente, die das Böse unterdrücken, ein halbwegs normales Leben, doch auf Dauer kann das so nicht weitergehen. In den USA verspricht ein Experte neue Hoffnung – also alles zusammenpacken und rein in den Flieger. Nur: so viel Pech muss man mal haben. Dieser Transatlantikflug wird von einer duschgeknallten Räuberbande übernommen, die mit dem Absturz der Maschine über London die Börsenkurse durcheinanderbringen und damit groß absahnen will. Alle Hausaufgaben haben die Jungs allerdings nicht gemacht, die eigenen Leute schießen buchstäblich quer – und entfesseln in Nadja ihr dunkles Geheimnis.

Voller Ungeduld wartet der Zuschauer natürlich auf das Hereinbrechen der panikmachenden Ausnahmesituation, die Motivation hinter jedem Katastrophenfilm. Viel anders als bei allen anderen Filmen, in denen es um entführte Flugzeuge geht, läuft dieses Szenario auch nicht ab. Bis eben Peri Baumeister, deren Schicksal in knackigen Rückblenden aufgearbeitet wird, ihre entsprechende Wandlung durchmacht und plötzlich so aussieht wie Max Schreck aus Nosferatu. Die Maske hat ganze Arbeit geleistet. Das Aussehen, kombiniert mit dem expressiven Gebaren eines solchen Dämons, der – halb Tier, halb Mensch – fauchend und zähnefletschend durch die schmalen Gänge tigert, ist die eigentliche Attraktion des von Peter Thorwarth inszenierten Horror-Actionthrillers, um dessen Realisierung dieser eine gefühlte Ewigkeit lang werben hat müssen. Weder hat, wie versprochen, Universal den Film unter seine Fittiche genommen, noch hat die Covid-Krise die Umsetzung des Projekts in die Gänge gebracht. Letzten Endes hat sich Netflix erbarmt, und nach vielem Hin und Her ist Thorwarths Herzensprojekt endlich Wirklichkeit geworden.

Die Idee ist ja prinzipiell eine gute – sieht auch hübsch aus, und das Volk der Nacht darf sich auch ausgiebigst am menschlichen Buffet gütlich tun. Wirklich auf Zug ist Blood Red Sky aber nicht inszeniert. Zu fahrig und zwischendurch in seiner Spannungskurve absackend, scheint sich der Plot des Reißers immer wieder neu orientieren zu müssen, so, als hätte er die Übersicht verloren. Der Horror gerät ins Stocken, ergötzt sich manchmal zu viel an blutverschmierten Mündern, und dann fragt man sich gar, wo denn Buffy eigentlich bleibt. Doch wie auch immer: Thorwarth führt seinen Flug der Verdammnis dann doch noch souverän bis an sein wie auch immer geartetes Ziel, und Peri Baumeisters so monströses wie verschrecktes Konterfei bleibt nachhaltig, aber interessanterweise nicht unangenehm, in Erinnerung.

Blood Red Sky

Vampires vs. the Bronx

UNSERE TEUFLISCHEN NACHBARN

3/10


vampiresvsthebronx© 2020 Netflix


LAND: USA 2020

REGIE: OSMANY RODRIGUEZ

CAST: JADEN MICHAEL, GERALD W. JONES III, GREGORY DIAZ IV, COCO JONES, SHEA WHIGHAM, SARAH GADON,  U. A. 

LÄNGE: 1 STD 25 MIN


Halloween naht, das macht sich überall bemerkbar. Auch Netflix hat da wohl recht vorausschauend damit angefangen, sämtliches mitunter auch familientaugliches Material an Grusel und wohlig schauriger Fantasy ins Sortiment zu quetschen, was gerade bei drei nicht bei anderen Anbietern gelandet ist. Manches hat Netflix auch bestellt, und wie es scheint auch nur, um ein saisonmäßiges Angebot zu selektieren, dass Jung und Alt auf die Nacht der Toten einstimmt. Vampires vs. The Bronx ist schon etwas länger im Sortiment, ist ein urbanes Teenie-Abenteuer und versucht, mit dem Stranger Things-Konzept – nerdige Jungspunde treten gegen das Unerklärliche, Metaphysische an – das Prädikat „sehenswert“ zu erhalten. Allein: dieser Film ist alles andere als das.

Schon klar, das Minderheiten-Konzept geht bei Netflix voll auf – das ist schön. Wir haben hier sämtliche Kids mit Migrationshintergrund – in der Bronx genauso wie in den Vororten von Paris. Und wir haben auch eine Handvoll schräger Erwachsener, die eindeutig nicht von hier sind und seltsamerweise nur bei Dunkelheit das Haus verlassen. Was kann da wohl dran sein? Ein weiteres Indiz: diese Fremden arbeiten für Murnau, einer Immobiliengesellschaft, die ganze Straßenstriche des Grätzels aufkauft – um sie wiederzuverkaufen. Gentrifizierung nennt man das, aber die geht womöglich nach hinten los. Denn die Kids, die merken bald, dass mit den spitzzahnigen Untoten etwas in ihrer Nachbarschaft sickert, das ungesunde Folgen haben könnte. Da fragt sich natürlich: Wo bleibt Buffy, the Vampire Slayer? Denn das hier wäre genau ihr Fall. Leider nebbich, ist das falsche Universum. Also müssen die Freunde selber ran, mit Knoblauch, Holzpflöcken und was das Handbuch für Vampire sonst noch so hergibt.

Obwohl die Dämonen hier recht bissfreudig sind – Vampires vs. The Bronx fehlt es an Biss, und zwar an allen Eck- und Durchhäusern. Das größte Problem ist die Dynamik. Es will nichts so recht in die Gänge kommen, das Drehbuch wirkt unausgegoren und provisorisch, wie die Vorfassung eines viel besseren Films. Schauspielerisch hangeln sich die Jungdarsteller von Textzeile zu Textzeile, anfangs wird Zoe Saldana in einem Cameo noch vor ihrem namentlichen Erscheinen im Vorspann verheizt, und der schiefnasige Obervampir ist meilenweit von dem Kaliber eines Spike, ebenfalls aus Buffy, entfernt. Sarah Gadon ist die einzige aus dem recht austauschbaren Dramatis Personae, gegen die es wert ist, das Kruzifix unter dem T-Shirt hervorzuholen. Sonst aber bleibt Vampires vs. The Bronx ein schwächelndes Stück vorhersehbare Routinearbeit ohne Nervenkitzel, scheinbar gemacht für wenig Budget und unter Zeitdruck hingehudelt.

Vampires vs. the Bronx

The Last Man on Earth

ÜBERLEBEN HAT SEINEN PRICE

6,5/10

 

lastmanonearth© 1964

 

LAND: USA, ITALIEN 1964

REGIE: SIDNEY SALKCOW, UBALDO RAGONA

CAST: VINCENT PRICE, FRANCA BETTOIA, EMMA DANIELI, GIACOMO ROSSI-STEWART, UMBERTO RAHO U. A. 

 

„Das Virus ist neu, dessen Verhalten gänzlich unbekannt, aber eines ganz gewiss: extrem ansteckend.“ – „Die Labore der Welt arbeiten fieberhaft an einem Gegenmittel“ – „Jeder Verdachtsfall muss gemeldet werden“. Phrasen, die uns irgendwie bekannt vorkommen? So oder sehr ähnlich lassen sich diese Zeilen aus vorliegendem Filmwerk extrahieren, das da heißt: The Last Man on Earth. Der knallharte Höhepunkt des frühlingshaften Lockdowns rief zwangsläufig pessimistische Worst Case-Visionen auf den Plan, mochten sie auch noch so abstrus sein. Natürlich verliert man sich da manchmal gar im Reich der Fantasie, und kurzerhand weckt so manches in diesem Film vage Erinnerungen daran.  Wie zum Beispiel dieses Virus hier, das es nicht dabei belässt, den Exitus herbeizuführen, nein – es verwandelt die Toten in Vampire. Sind es denn Vampire? Nein, eher Zombies. Oder irgendwas dazwischen. Relativ antriebslose Kreaturen von blaugrauer Hautfarbe und satten Ringen unter den Augen, die in untoter Phlegmatik an die Tür von Horrorikone Vincent Price klopfen. Ja genau, dieser Mann hat als einziger die Apokalypse überlebt. Und sich zugegebenermaßen recht kommod arrangiert. Das Haus ist vampirsicher, und die Pflicht des Tages: Vampire töten. Damit macht er unserer geliebten Buffy wirklich ernsthafte Konkurrenz. Jahrzehnte vor Joss Whedons Kultserie hat schon jemand ganz anderer zum Holzpflock gegriffen, um seinem Tagwerk nachzugehen, und damit meine ich nicht Van Helsing. Räumungsdienst Price ackert im Planquadrat die Straßen ab, und all die schlafenden Ungeheuer, die er zu fassen bekommt, werden gepfählt und entsorgt. So weit so trostlos, hat der ältere Herr doch seine ganze Familie zu Grabe getragen, darüber hinaus seine Frau zweimal beerdigt, weil sie zum Wiedergänger wurde.

Zugegeben, all die Momentaufnahmen aus der postapokalyptischen Urbanität mit all den kreuz und quer herumliegenden Toten hat etwas leicht Verstörendes. Und obwohl The Last Man on Earth als typisches B-Movie daherkommt, hat dieses einen gar nicht mal so trivialen Plot. Filmkenner wissen längst: der italienisch-amerikanische Science-Fiction-Grusel basiert auf dem Roman Ich bin Legende von Richard Matheson und – ganz genau – selbiger war auch Vorlage sowohl für den Omega-Mann mit Charlton Heston als auch für den Will Smith-Streifen I Am Legend. Tatsächlich aber trifft der Titel der Buchvorlage viel eher den Charakter des Vincent Price-Erstlings. Und siehe da, nicht nur was die plausible Legendenbildung des einsamen Ordnungshüters betrifft, liegt The Last Man on Earth in seiner Erklärung weiter vorne, sondern auch in der Prämisse des Filmes überhaupt, den ein ganz anderer Zombiefilm sozusagen weiterspinnt: The Girl with all the Gifts.

Ich bin fast versucht, The Last Man on Earth mit all seiner Technicolor-Optik und dem naiven Raumschiff-Enterprise-60er-Kolorit als Trash-Perle zu bezeichnen, die sowohl all die ratlose Panik vor dem Virus vorwegnimmt als auch in seinen Endzeit-Gedanken überraschend konsequent bleibt.

The Last Man on Earth