Dahomey (2024)

WENN ARTEFAKTE REDEN KÖNNTEN

5/10


Dahomey© 2024 Stadtkino FIlmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, SENEGAL, BENIN 2024

REGIE / DREHBUCH: MATI DIOP

CAST: GILDAS ADANNOU, HABIB AHANDESSI, JOSÉA GUEDJE U. A.

MIT DER STIMME VON: MAKENZY ORCEL

LÄNGE: 1 STD 8 MIN


In den Kinos und exklusiv auf dem Arthouse-Streamer MUBI läuft derzeit der Goldene Bär 2024: Dahomey. Eine transzendente, metaphysische Dokumentation oder etwas ähnliches, ein filmischer Hybrid, der sich keinesfalls traditionellen Erzählformen unterwirft, obwohl es ganz viel um Tradition geht. Und um Gegenstände, die diese Tradition, möge sie auch noch so althergebracht sein, verkörpern. Wohl wenigen wird Mati Diop womöglich etwas sagen. Jenen, welche die französisch-senegalesische Filmemacherin noch nicht kennen, sei ihr allegorischer Zombiefilm Atlantique schwer ans Herz gelegt. Ein immersives, ungewöhnliches Drama rund um Hoffnung, Flucht und Scheitern, berührender und fesselnder als das themenverwandte Ich Capitano, weil ihm vorallem eines gelingt: zu überraschen. Überraschungen sind im Kino wichtiger denn je. Viele Geschichten sind schon viele Male auf ähnliche Art erzählt worden. Betroffenheit da, Betroffenheit dort. Realismus ist bei Dingen, die die Welt bewegen, gar nicht mehr gefragt, denn den bekommt man ohnehin über das tägliche Fernsehen präsentiert. Das Kino kann gerne viel öfter in Metaebenen herumstreunen, herumschürfen, und das Drama der Menschheit als phantastische Märchen präsentieren, die aber immer noch aus weltlicher Materie gemacht sind.

Mati Diop hat mit ihrem neuen Film Dahomey – der Titel geht zurück auf die Bezeichnung eines Königreichs im heutigen Benin – schon so einiges gewonnen. Diesjährig auf der Viennale war das Werk krönender Abschluss eines innovativen Festivals. Inhaltlich geht’s dabei um Restitution und Wiedergutmachung. Und auch, ob sich das Verständnis von Geschichte im eigenen Land dadurch ändert, wenn verlorene Artefakte ihren Weg zurück in die Heimat finden. Betrachtet man diese Restitution an wertvollen Schnitzereien im richtigen Verhältnis, so sind 26 Exemplare von insgesamt 7000 gestohlenen Arbeiten geradezu lächerlich. Andererseits: 26 Stücke sind nicht nichts. Da sind mannsgroßge Statuen vergangener Könige dabei, wie jene der Monarchen Ghézo, Glélé oder Behanzin. Einen davon, König Ghézo, den John Boyega im Film The Woman King verkörpert, lässt Mati Diop zu Wort kommen. Ein tiefes, gurgelndes Grollen ist zu hören, erst nach ein einigen Sekunden lässt sich dieses abyssale Grummeln als eine uralte Stimme wahrnehmen, gesprochen vom haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel. Ghézo berichtet von einer fast hundert Jahre währenden Nacht, umschreibt sein Empfinden, umschreibt mit blumigen, hochtrabend poetischen Worten die Ankunft daheim. Meist ertönt diese Stimme als Hörspiel, da sonst nichts zu sehen ist außer vielleicht das dunkle Innere einer dieser Holzkisten, mit denen die Artefakte nach Cotonou transportiert werden, direkt in den Präsidentenpalast, um später ins Volkskundemuseum in Abomey umgesiedelt zu werden.

Klar ist so eine Rückführung ein Bekräftigen des Nationalbewusstseins eines Landes, das wie fast jedes in Afrika unter europäischen Kolonialherren gelitten hat. Benin selbst wurde von den Franzosen unterworfen. Diese nahmen sich, was Ihnen gefiel. Eine Schande und eine Schuld natürlich, die, warum auch immer, nicht schon längst getilgt wurde. Doch auf Schätzen sitzt nicht nur ein Drache, sondern auch ein stolzes Volk wie das der Franzosen. Als Verbrechen sieht Mati Diop das Ganze eher weniger, vielmehr als das Nachwehen einer unglücklichen Vergangenheit. Zu einem ganz anderen, recht einfallslosen Stil gelangt ihr Film vorallem dann, wenn sie diesmal keine Statue, sondern die Studenten einer Uni zu Wort kommen lässt. Dort wird über das Damals und Heute diskutiert. Über Geschichte, kulturelle Identität und der Arroganz Europas. All das mag ja ganz interessant sein. Durch Ghézos Stimme auch ein bisschen metaphysisch. Doch diese etwas mehr als eine Stunde Film bleibt schal.

Dokumentieren kann natürlich bedeuten, Orte, Handlungen und Gespräche einfach nur abzufilmen. Im zeitgeistigen Dokfilm behält man sein Publikum informationstechnisch gerne im Ungewissen. Ein hoher Prozentsatz an Fakten darf sich der Zuseher proaktiv selbst organisieren, denn tut er das nicht, bleibt künstlerisches Halbwissen als Pseudodokumentation, die keine Wissensbasis schafft, nicht mal unter Verwendung von Archivmaterial, das zu verwenden gerade in Dahomey naheliegend gewesen wäre. Doch Mati Diop wählt, ähnlich wie Sarah Jessica Rinland in Monólogo Colectivo, die Form des subjektiven Essays, ohne einen Bildungsauftrag erfüllen zu wollen. Dies zu erreichen obliegt wohl eher dem konservativen Fernsehformat und nicht dem Kino. Im Kino fühlt sich der Dokumentarfilm keinen Aufgaben mehr verpflichtet, das Genre zerfasert und zerfranst Richtung assoziativer Collage mitsamt informativer Einsprengseln. Nahe kommt man der Thematik dabei kaum, die Diskussionsrunde der Studenten in der zweiten halben Stunde ist so prickelnd wie ein Vorlesung, deren Inhalt repetitiv wird. So bleibt Dahomey zwar ambitioniert, aber bruchstückhaft.

Dahomey (2024)

The Woman King

ES WAR EINMAL IN AFRIKA

7/10


thewomanking© 2021 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, KANADA 2022

BUCH / REGIE: GINA PRINCE-BYTHEWOOD

CAST: VIOLA DAVIS, THUSO MBEDU, LASHANA LYNCH, SHEILA ATIM, JOHN BOYEGA, JORDAN BOLGER, JAYME LAWSON, ZOZIBINI TUNZI, HERO FIENNES TIFFIN, ANGÉLIQUE KIDJO U. A. 

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Wie denn, es zeigt sich kaum jemand echauffiert, dass eine amerikanisch-salvadorianische Filmemacherin einen US-amerikanisch-kanadischen Film über historische afrikanische Ethnien dreht? Ja darf die denn das? Und wie sehr kann der afrikanische Spirit denn da überhaupt nachempfunden werden, wenn niemand, weder die Regie noch alle am Skript Beteiligten, keinen entsprechenden Background vorweisen können? Aber gut, ich will hier keine schlafenden Hunde wecken. Von mir aus kann sich jede und jeder jedem Thema annehmen, es braucht nur gut gemachte Hausaufgaben. Denn was natürlich niemand will, ist eine kolportierte Folklore, die jenes geklittete Bild von Afrika vermittelt, dass exotische Wilde zeigt, die man begaffen kann.

Gina Prince-Bythewood (The Old Guard) wäre nahezu lebensmüde gewesen, hätte sie bei ihrem Film nicht gewissenhaft recherchiert oder sich selbst einige Experten auf dem Gebiet der Völkerkunde zur Seite gestellt. Wir wissen, wie leicht man sich in dieser Thematik in die Nesseln setzen kann. Was sich aber kulturhistorisch bestätigen lässt: Das resolute Volk der Dahomey zeichnete sich aus durch etwas ganz Besonderes: den Agojie – ein Regiment an Kriegerinnen, die den Feinden das Fürchten lehrten. Martialische Heldinnen, bis zu den Haarwurzeln gestählt, trainiert und schlau; taktisch versiert und trotz der im Vergleich zu Männern geringeren Stärke kampftechnisch um Nasenlängen voraus.

Im Zentrum dieser Episode aus dem Jahr 1823 steht die Kriegerin und Kommandantin Nanisca, die unter der weitestgehend besonnenen Führung von König Gezo immer wieder nach neuen Rekrutinnen sucht, um ihre Einheit zu erweitern und zu stärken. Darunter findet sich die gerade mal volljährig gewordene Nawi, die, anstatt an einen reichen Miesepeter verheiratet zu werden, lieber den Weg der Kriegsnonne geht. Und ja, sie macht sich – trotz aufmüpfigen Verhaltens und eigenem Kopf. Wie das eben so ist, bei zukünftigen Heldinnen, die aus der Masse herausstechen werden, weil sie selbst denken, statt nur Befehle zu befolgen. Dass es hier Spielraum geben muss, beweist der Erfolg. Oder das Retten so mancher Gefährtin aus misslichen Lebenslagen. Während an der Küste des heutigen Benin die Portugiesen ihre Sklaven kaufen, droht die Gefahr des Gegners in Gestalt der berittenen Oyo. Dafür muss trainiert, dafür muss alles gegeben werden. Während wir also zusehen, wie Nawi zur toughen Frau heranreift und Nanisca mit ihrer erschütternden Vergangenheit konfrontiert wird, offenbart sich ein ungewöhnliches und pittoreskes Stück afrikanischer Geschichte. Einer Geschichte, die in den Schulen wohl kaum unterrichtet wird, und die wir proaktiv womöglich auch nie nachgelesen hätten, die aber so richtig Aufschluss gibt über ein Afrika, das abgesehen von Hungersnöten, islamischem Terrorismus, Armut und Genozide ausnahmsweise mal stolz erhobenen Hauptes auf Ahnen wie diese zurückblicken kann.

Natürlich ist The Woman King kein afrikanischer Film. Wäre er dies, hätte er ein ganz anderes Vokabular verwendet, wäre auch tiefer in Glauben und Gebräuche lokaler Völker eingedrungen. Wäre metaphysisch geworden, während dieser Film hier jene kulturellen Eigenheiten herausfiltert, die profan genug sind, damit sie überall vertraut erscheinen. The Woman King wird dadurch etwas generisch, steht aber mit beiden Beinen fest am Boden eines repräsentativen Afrikas früher Reisender. The Woman King ist ein amerikanischer Film und folgt einem ganz klassischen, hollywood‘schen Erzählduktus, bei dem ich manchmal nicht weiß, ob mir dieser nicht manchmal zu gefällig wird. Es fällt aber schwer, trotz einiger weniger Längen, die sich aus einem bemühten Plot-Konstrukt ergeben oder John Boyegas schwachbrüstigen Auftritt Bythewoods Film nicht trotzdem als schauspierisches Schwergewicht zu betrachten und als einen Historienfilm, der diesmal nicht die epische Polfilter-Handschrift eines Ridley Scott trägt, sondern lieber seine Heldinnengeschichte ohne kinematographische Extras in den blutbesudelten Staub zeichnet. Viola Davis, Lashana Lynch (der ich stundenlang zusehen könnte) und allen voran Thuso Mbedu als Nawi rauben einem den Atem. Kraftstrotzend, vital und sinnlich sind sie. Intelligent und faszinierend. Von Mbedu (The Underground Railroad) wird man zukünftig noch mehr sehen, ich hoffe es inständig. Sie lässt ihre Rolle in stetigem Fluss, entwickelt sich und reift heran. Hier ist nichts, was nicht in ihre Biografie passt. Ein starkes Stück, das sie hier abliefert. Und ein starkes Stück von allen hier Beteiligten, die sich mit flippernden Zungen ins Gefecht stürzen, mit geölten Körpern und geschliffenen Macheten. Unterstützt von den Trommeln im Score, schmettert der Film mit resonanter Wucht eine Performance auf die Leinwand, die erkennen lässt, wo die Marvel-KriegerInnen aus Wakanda ihren Ursprung haben. Dort, im Königreich Dahomey, liegt der eigentliche Quell des Black Panther.

The Woman King