Madame Web (2024)

IM NETZ DER VORSEHUNG

5/10


madamwweb© 2024 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: S. J. CLARKSON

DREHBUCH: MATT SAZAMA, BURK SHARPLESS, CLAIRE PARKER, S. J. CLARKSON

CAST: DAKOTA JOHNSON, SYDNEY SWEENEY, CELESTE O‘ CONNOR, ISABELA MERCED, TAHAR RAHIM, ADAM SCOTT, EMMA ROBERTS, MIKE EPPS, JOSÉ MARIA YAZPIK, ZOSIA MAMET, JILL HENNESSY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Es pfeifen die Spatzen schon von den Dächern: Superheldenfilme sind in der Krise, der Hype ist abgeflaut, das Publikum hat alles schon gesehen und das wiederum mehrfach. Helden- und Heldinnengenesen lassen sich kaum mehr voneinander unterscheiden, die Antagonisten sind austauschbar. Das epochale Gewitter des Infinity-Krieges, qualitativer Höhepunkt des Genres, liegt lange zurück. Was danach kam, waren ambitionierte Spielereien in den Rauchschwaden längst abgeschossener Knüller-Raketen. Die lobenswerte und engagierte Grundidee, Marvel-Serien mit Filmen zu verbinden und so einen noch komplexeren roten Faden zu erschaffen, war ob des viel zu hohen Anspruchs leider ein Schuss in den Ofen. Ist man Fan genug, und zwar ein solcher, der sich alles antut, von Kinofilmen bis zur Streaming-Featurette, mag die Rechnung vielleicht aufgehen. Doch Leute wie diese sind nicht die breite Masse. Filme wie The Marvels, der eigentlich nur dann funktioniert, wenn man auch all den anderen Content kennt, können bei Gelegenheits-Kinobesuchern, die einen in sich geschlossenen Content konsumieren wollen, kaum punkten. Disneys Marvel steckt in einer Art Pensionsschock, denn die alte Riege hat ausgedient, die Luft ist draußen, umdenken ist angesagt.

Sony macht die Sache ganz anders. Sony hat das SSU, das Sony’s Spider-Man Universe und bringt originelle Animationsfilme ins Kino, die kein Vorwissen brauchen. Sonst muss sich das Studio eigentlich nur mit Venom herumschlagen, während sich der Junge aus der Nachbarschaft bei Marvel herumtreibt. Luft genug also, um Mauerblümchen wie Morbius oder gar Madame Web auf die Leinwand zu bringen. Madame Web? Wer ist das nun wieder? Gwen Stacy im weißen Spinnen-Overall? Irgendeine der vielen Alternativen aus dem Multiversum? Mitnichten. Diese Madame Web ist neu und gar nicht mal so auf Superheldin gebürstet wie sonst. Sie hat die Gabe, in die nahe Zukunft zu blicken. Und sonst? Das wäre alles. Doch zu wenig ist das prinzipiell mal nicht.

Cassandra Webb ist anfangs mal eine, die zwar nicht als Super-, aber als Alltagsheldin durchgeht: Sie ist Sanitäterin. Ihre Superkräfte liegen im sozial kompetenten Umgang mit Unfallopfern und Sterbenden, sie rettet Leben auf menschliche und nicht übermenschliche Weise. Cassandra wird urplötzlich von Déjà-vus heimgesucht, die, wenn sie eintreten, gar nicht als solche zu erkennen sind, sondern erst dann, wenn sich Szenen auf seltsame Weise wiederholen. Erst nach ein paar Anfangsschwierigkeiten schnallt sie die Lage: Sie kann vorab sehen, was in den nächsten Minuten passieren wird. Und noch ein bisschen später erkennt sie, dass das, was sie sieht, keinem Determinismus unterworfen, sondern veränderbar ist. Die nächstmögliche Zukunft ist das, was sie als Waffe in der Hand hat, um den finsteren und zugegeben recht eindimensional platzierten Superschurken Ezechiel Sims (Tahar Rahim) im schwarz-roten Spiderman-Kostüm in seine Schranken zu weisen. Der ist nämlich scharf auf drei Teenager, die ihn laut eines prophetischen Traums irgendwann einmal in die ewigen Jagdgründe verbannen werden. So folgt eines aufs andere und das Dreimäderlhaus, das sich hinten und vorne kaum auskennt, gerät unter die Obhut Madame Webs, die in dieser Origin-Story gar nicht mal so weit kommt, um ihre ganzen Asse auszuspielen. J. K. Clarkson inszeniert den Anfang von etwas, der womöglich nie kommen wird, weil Madame Web weit, weit hinter den finanziellen Erwartungen und einem ansehnlichen IMDB-Ranking zurückfällt.

Einen Flop par excellence hat sich Sony da eingetreten. Das tut weh. Weniger aber schmerzt der Film selbst, dem man eine gewisse konstruierte Belanglosgkeit schwer absprechen kann, der aber im Grunde das bisschen, was er zu bieten hat, nämlich weniger Superhelden-Action als vielmehr Teenager-Abenteuer mit phantastischen Tendenzen, solide verpackt. Ist Madame Web also eine Themenverfehlung? Sagen wir so: Der Film ist mehr Begleitwerk als zentrales Zugpferd für ein halbgares Franchise, das Sony einfach nicht so hinbekommen kann wie schon die längste Zeit Marvel Studios, das vieles ausprobiert hat, auch auf die Gefahr hin, zu versagen. Madame Web hat ein funktionierendes Ensemble auf der Habenseite, bestehend aus Sidney Sweeney, Isabel Merced, Celeste O’Connor (derzeit mit Ghostbusters: Frozen Empire im Kino) und natürlich Dakota Johnson, die ihre Arbeit ernst nimmt und mit dem, was ihr in die Hand gegeben wird, zufrieden scheint. Alle vier arbeiten im Teamwork, und sie stehen auch im Schulterschluss verhaltensauffälligen Szenen gegenüber, welche die Stimmungslage des Films auf irritierende Weise umstoßen.

Das kann man nachsehen. Und den Film trotz allem auf eine Weise genießen, wie man eskapistisches und anspruchsloses Effekte-Kino eben genießen kann, ohne viel zu hinterfragen. Das Superheldenkino wird es nicht weiterbringen oder gar retten. Dafür ist das Abenteuer zu kleinlaut.

Madame Web (2024)

The Book of Clarence (2023)

UNGEHORSAM IM BIBLISCHEN HARLEM

5/10


the-book-of-clarence© 2023 Sony Pictures 


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: JEYMES SAMUEL

CAST: LAKEITH STANFIELD, RJ CYLER, BABS OLUSANMOKUN, JAMES MCAVOY, BENEDICT CUMBERBATCH, DAVID OYELOWO, ALFRE WOODARD, OMAR SY, CALEB MCLAUGHLIN, TEYANA TAYLOR, NICHOLAS PINNOCK, TOM VAUGHAN-LAWLOR U. A. 

LÄNGE: 2 STD 9 MIN


Alle Jahre wieder ist es Zeit, um Ostern herum dem Bibelfilm zu frönen. Wer alle möglichen Interpretationen und Klassiker bereits durch hat, kann entweder bereits Gesehenes nochmal reviewen oder sich auf brandneue Werke wie auf jenes von Jeymes Samuel stürzen, der ein paar Jahre zuvor das Genre des Western zu einem astreinen Black Cinema-Shootout hat werden lassen: The Harder They Fall mit Regina King als schwarzgekleidete Bandida und Eisenbahn-Piratin, stylish schwer in Ordnung, dramaturgisch noch ausbaufähig. Nun hat es den Bibelfilm erwischt, er wird zur Bühne für ein Gleichnis amerikanischer Missstände, Unterdrückung und schreckgespenstischem Weißer-Mann-Rassismus, wenn grindige Kolonialeuropäer in römischer Montur ihre sadistischen Freuden an eine jüdische Bevölkerung ausleben, die allesamt People of Color sind, darunter natürlich auch die zwölf Apostel und ein Möchtegern-Dreizehnter namens Clarence, der dem Wirken des Jesus von Nazareth nur neidvoll zusehen kann, ohne selbst etwas auf die Reihe zu bekommen. Nicht mal im Wagenrennen als Wettstreit mit einer martialischen Maria Magdalena, die wir in derartiger Interpretation noch nie zuvor zu Gesicht bekommen haben und die das Stereotyp eines zerbrechlichen weiblichen Jesus-Fans mit Schmacht-Faktor konterkariert. Clarence ist in seiner ihm gewidmeten filmischen Neo-Apokryphe ein Gelegenheitsgauner und Lebenskünstler. Einer, der bis über beide Ohren in Schulden steckt und diese nicht irgendwem zurückzahlen muss, sondern einem Patriarchen der Jerusalemer Unterwelt. Hat er die Menge an Schekel nicht in knapp 30 Tagen auf dessen Tisch gelegt, droht ihm Schlimmeres als nur eine Kreuzigung. Da Jesus gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort vorbeischneit und mit seinen Weisheiten beeindruckt, hat Clarence die Idee: Warum nicht auch predigen und Wunder vollbringen? Was der Nazarener zaubern kann, lässt sich sicher erlernen. Was der gute Lakeith Stanfield in einer Doppelrolle allerdings völlig übersieht: Rund um die Zeit der Passionsgeschichte waren selbsternannte Messiasse rote Tücher in den Augen der Römer. Ein solches Schicksal bleibt letzten Endes auch Clarence womöglich nicht erspart – ganz so wie dem guten alten, uns allen wohlbekannten Brian, der unter der Regie von Terry Jones nur dank einer großzügigen Spende von einem der Beatles das Licht der Leinwand erblickte und gar nicht wollte, dass andere ihm folgen, während Clarence hinter dem Eifer des Zusammenraffens spendabler Jünger unter anderem auch das nötige Kleingeld vermutet.

Um Betrug und Erleuchtung, um Trittbrettfahrerei und viel Gesellschaftspolitik geht es in The Book of Clarence, und anders als bei Das Leben des Brian wird bei Samuels Werk wohl keine sonstwie geartete Glaubensgemeinschaft einen Baum aufstellen, in dem sie „Skandal“ schreit. In Zeiten der politischen Korrektheit und woken Moral darf Jesus von Nazareth völlig ungeschoren plötzlich der sein, der letzten Endes gar nicht am Kreuz landet. Eine originelle Sichtweise, die der Film hier einnimmt. Mutig und vielleicht sogar radikal, wenn man genauer hinsieht. Wie es dazu kommt, ist eine Chronik an Verwechslungen und einem Ausleben an Stereotypen, die sich Farbige eben gezwungen sehen, kolportieren zu müssen. Es ist die Rapper-Coolness, der Konsum von Drogen und die schiefe Bahn. Es ist all das, was Cord Jefferson in seiner oscarnominierten Satire American Fiction zwar nicht durch den Kakao zieht, aber kritisch betrachtet, und zwar durch Jeffrey Wright, der sich davor scheut, dieses Narrativ zur massentauglichen Verbreitung seiner Schriftstücke anzuwenden. Jeymes Samuel tut das dennoch. Er gefällt sich in dieser Rolle; er liebt es, sein Ensemble in einer Opferrolle positioniert zu sehen. Kann das problematisch werden?

So viel Skandalpotenzial und kein Aufschrei der Kirche? Vielleicht, weil The Book of Clarence in erster Linie weder Parodie noch Satire ist, sondern vielmehr eine Versuchsanordnung zur Erörterung eines schwarzen neuen Testaments und der Frage, wie viel dieser kleine andere Umstand an der frohen Botschaft etwas ändert. Dennoch, und trotz dieses Mutes, vieles „umzufärben“, greift The Book of Clarence oft ins Leere und hält sich viel zu lange mit erlernten Verhaltensmustern auf, die Farbigen angedichtet werden. Es mögen mehrere Messiasse das Passionsspiel etwas verwirren, und es mögen gar illustre Namen wie Benedict Cumberbatch fast schon unter dem Radar laufen, weil so dermaßen lieblos auf die Seite gestellt. Viel Luft nach oben gibt es in manchen Szenen, die weniger Handlung setzen als vielmehr wortreich des neutestamentarischen Who is Who erörtern. Oft tritt der Film auf der Stelle, tut sich schwer dabei, voranzukommen oder frischen Wind durch die Gassen eines alternativen Jerusalem wehen zu lassen. Am meistern schmerzt die über den Kamm geschorene Schwarzweißmalerei, deren Plakativität gar nicht notwendig gewesen wäre und die letzten Endes welchen Jesus auch immer mit erhobenem Zeigefinger ans Kreuz nagelt.

The Book of Clarence (2023)

Ghostbusters: Frozen Empire (2024)

ZEIT-GEISTER, DIE MAN NICHT LOSWIRD

4,5/10


ghostbustersfrozenempire© 2024 Sony Pictures 


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: GIL KENAN

DREHBUCH: GIL KENAN, JASON REITMAN

CAST: PAUL RUDD, CARRIE COON, MCKENNA GRACE, FINN WOLFHARD, KUMAIL NANJIANI, DAN AYKROYD, ERNIE HUDSON, BILL MURRAY, PATTON OSWALT, CELESTE O’CONNOR, ANNIE POTTS, LOGAN KIM, WILLIAM ATHERTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN 


Könnte es sein, dass das Ghostbusters-Franchise aus was für Gründen auch immer einfach nicht mehr in die Zeit passt? Dass Ghostbusters als Kind der Achtziger-Jahre einen Triumph feiern konnte, lag vor allem auch daran, mit seinen Special Effects am Zenit des Machbaren gestanden zu haben; es lag auch daran, dass Komiker der alten Schule, Blues Brother Dan Aykroyd und Bill Murray als einer, der sich sowieso nie an irgendetwas gehalten hat und mit seinen Improvisationen den Filmen auch seinen Stempel aufdrückte, in der Blüte ihres Erfolges standen. Es lag auch daran, dass Komödienspezialist Ivan Reitman einfach ein Gespür dafür hatte, wie ein Franchise wie dieses entstehen hätte können und was es in den Filmen gebraucht hat, um eine Balance zwischen bunten Budenzauber, Gänsehaut-Mystery und herzlichem Teamwork zu finden. Mehrere Jahrzehnte später sind Reitmans Sohn Jason und Co-Autor sowie Regisseur Gil Kenan an einem Punkt angelangt, an dem es so wirkt, als sei das Geisterjäger-Universum auf unheilsame Weise vom Fanservice besessen. Ghostbusters: Frozen Empire ist, und da muss man dem Spuk ins Auge sehen, wohl der schwächste Teil der Reihe. Er ist sogar noch schwächer als die Mädels-Crew von Paul Feig, die zumindest versucht hatten, die Bekämpfung des Paranormalen mit Frauenpower neu aufzuziehen.

Doch der Versuch, Ghostbusters in einem anderen Kontext zu betrachten, hat nichts bewirkt. Der Film wurde ein Flop, also alles nochmal von vorne, und zwar mit der Aufgabe, das Narrativ der Achtziger keinesfalls zu verändern. Mit Ghostbusters: Legacy hat das ganz gut funktioniert. Hier gab’s so gut wie alles, was wir auch im Original zu sehen bekamen. Die Next Generation durfte den Ungeheuern des Gottes Gozer nochmal ihre Protonen-Blitze entgegenschleudern, am Ende kamen gar – wir waren den Tränen nahe – die alte Riege in einem fast schon verschenkten Cameo zum Einsatz, ohne viel zum Plot beizutragen. Das hatte gereicht, um Jason Reitmans Neustart eine Chance zu geben. Nur: hat er diese genutzt? Hat er frischen Wind ins New York der 2020er-Jahre wehen lassen – in einer Stadt, die bereits vom Marshmallow Man und dann von einer wandelnden Freiheitsstatue heimgesucht wurde? Leider nein. Was hier weht, ist die abgestandene Luft einer ausgedienten Filmhistorie, die nach bewährtem Muster Bewährtes auf eine generische Zivilbevölkerung loslässt, die alles schon gesehen und erlebt zu haben scheint, die mit Geistern als Alltagsbürde ihren Frieden geschlossen hat, da machen selbst zu Eis erstarrte Straßenzüge keinen Eindruck.

Wir haben nun im fünften Film ein diverses, viel zu großes Team an Geisterjägern und Möchtegern-Nerds fürs Paranormale. Alte, neue und welche dazwischen. Es gibt einen Dämon, der zugegeben sehr geschmackvoll aussieht und entsprechend glücklich animiert ist. Es gibt die Finsternis über dem Big Apple und statt eines Schlüsselmeister einen Feuerwächter, dargestellt vom Comedian Kumal Nanjiani, der den gelangweilten Bill Murray an die Wand spielt und fast schon im Alleingang versucht, eine gewisse kindliche Neugier ins Spiel zu bringen. Gesellschaft leistet ihm Dan Aykroyd, dem die leidenschaftliche Begeisterung für sein ersonnenes Franchise in jeder Szene, in der er auftritt, ins Gesicht geschrieben steht. Die beiden rocken den Laden, und alle anderen – derer sind es zu viele – bleiben auf ihren Plätzen, zitieren sich selbst oder ergehen sich in einer unausgegorenen Patchwork-Familienproblematik, die man eben aussitzt, in Erwartung einer komplexen Apokalypse, die durch verrückte Improvisationen gerade nochmal vereitelt werden wird.

Gerade jenen Aspekt, der die Ghostbusters eigentlich ausmacht, lassen Reitman und Kenan außen vor: den kreativen Gig, Himmelfahrtskommando brüllende Bad Batch-Wagnisse, um das Übernatürliche auszuforschen und abzuwehren. Was bleibt, ist Altbewährtes, verdrängt durch Zwischenmenschliches, das nichts mit Geistern zu tun hat, und die Belastung durch horrende Logiklöcher, die als Wendepunkte im Drehbuch fungieren müssen, um die Story überhaupt voranzubringen. Wenn sich an ihnen alles andere aufhängt, gerät Ghostbusters: Frozen Empire in eine von allen guten Geistern verlassene Schräglage, die überdeutlich macht, wie sehr sich Reitman und Kenan von den Vorbildern knebeln haben lassen, und welche Agenden sie unbedingt durchbringen mussten, um den Studios den dank vieler Analysen prognostizierten Erfolg zu bescheren.

Die Geister sind müde geworden, die alten Geisterjäger (bis auf Aykroyd) ebenso, die Jungen haben nicht mehr den Pioniergeist wie die alten und schlagen sich mit Generation Z-Problemen herum, die den Kult-Spuk verwässern. Doch spätestens am Ende, wenn Ray Parker Jr. wieder ertönt und Ecto-1 wieder um die Ecke kurvt, während die jaulende Sirene ertönt, wird das Fanservice dann doch nochmal dankend angenommen, ganz so wie der zugesteckte Zwanziger von Oma, wenn man zu Besuch war. Im Grunde aber reicht Parkers One-Hit-Wonder auf Youtube, um genauso erfüllt zu sein wie nach zwei Stunden Dacapo-Budenzauber im Kino.

Ghostbusters: Frozen Empire (2024)

The Equalizer 3 – The Final Chapter (2023)

BÖSEN MENSCHEN BÖSES TUN

5/10


Denzel Washington (Finalized)© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ANTOINE FUQUA

DREHBUCH: RICHARD WENK

CAST: DENZEL WASHINGTON, DAKOTA FANNING, REMO GIRONE, ANDREA SCARDUZIO, SONIA BEN AMMAR, DAVID DENMAN, EUGENIO MASTRANDREA, GAIA SCODELLARO, ANDREA DODERO U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Bei Terry Pratchett gibt es einen literarischen Moment, da will Gevatter Tod seine Profession an den Nagel hängen. Was, wenn der Sensenmann seine Seelen nicht mehr holt? Darf die Ratte dann dessen Arbeit verrichten? Und wenn nicht die Ratte, dann Denzel Washington? Wobei sich Gevatter Tod vielleicht darüber echauffieren könnte, dass ihm einer wie Robert McCall so dermaßen den Rang abläuft –entsprechend radikal geht der Equalizer ans Werk. Der Tod ist ein gerechter Mann, heißt es anderswo auch. Hier allerdings ist Gerechtigkeit etwas, die mit Gut und Böse zu tun hat. Und so ist dieser auf Erden wandelnde Beschützer der Witwen und Waisen nur darauf aus, sich ein Plätzchen zu suchen, an welchem er vielleicht in Frieden sterben kann. Umgeben von netten Leuten, die seine ultrabrutale Auffassung von Ordnung nicht zu fürchten brauchen, da sie so weißwestig sind wie Unschuldslämmer.

Diesen Ort findet McCall in dem äußerst malerischen, italienischen Städtchen Altamonte (das de facto natürlich nicht existiert und aus diversen architektonischen Elementen der Besiedelungen an der Amalfiküste zusammengesetzt wurde) seine innere wie äußere Ruhe und frönt alsbald einer peniblen Regelmäßigkeit des Alltags, nachdem er bereits im entfernten Sizilien eine Spur der blutigen Verwüstung durch ein Weingut gezogen hat. Schon in der ersten Szene führt eine gschmeidige Kamerafahrt an brutal hingerichteten Leibern vorbei, die in schwarzrotem Körpersaft tümpeln. Wer sowas anstellt, könnte ein Psychopath reinster Güte sein. Einer, der Spaß am Meucheln hat. Kennt man aber Denzel Washington, und weiß, wofür er all das Blut verspritzt, lässt man den Psychopathen vielleicht außen vor und billigt ohne Zaudern, wenn diverse Küchenutensilien ihren Weg in die Köpfe böser Buben gefunden haben. Doch das alles – all die unschönen Momente – sind angesichts eines mediterranen Kitschs fürs Reiseprospekt für potenzielle Italienurlauber längst vergessen. Der Equalizer muss schließlich auch selbst genesen, denn ganz unverletzt ist auch er nicht aus der Sache herausgekommen. Wie es aber bei einem Action-Franchise meist zugeht, wartet der nächste Ärger gleich um die Ecke und braust mit schwer brummendem Zweirad heran: Die Schlägertrupps der verhassten Camorra – einem Verbrechersyndikat, so verwoben mit Italien wie ein Pilzgeflecht mit dem Waldboden. Schwer auszumerzen – meist ist es besser, sich damit zu arrangieren.

Nicht aber bei Denzel. Der sieht sofort, dass die unguten Jungs auch nach höflicher Aufforderung seinerseits keine Ruhe geben werden – finster und gnadenlos genug stellt Antoine Fuqua sie auch in Szene, damit die Wut und der Hass des Zuschauers für all die Verbrecher schnell genug die rote Linie erreicht. Und wieder wird das Bauchgefühl der Vergeltung mobilisiert, wie es bei Filmen über Selbstjustiz meist der Fall ist. Wo, wenn nicht im Kino, darf das Gefühl der Satisfaktion angesichts reueloser Bestrafung auch ausgelebt werden? Und je perfider und diabolischer das Böse ist, umso schärfer darf die Sense schwingen – und zwar schön sichtbar für die Kamera, denn Ballern mit dem Kaliber ist längst was für schlipstragende Versteckspieler, zu denen Denzel Washington eben nicht gehört, denn für ihn ist der Angriff die beste Verteidigung.

Für seinen dritten Akt setzt ihn Fuqua als einen im Schatten wandelnden Todesengel in Szene, der allein schon mit seinen Blicken anderen signalisiert, dass die Tage gezählt sind. Der Tod trägt schwarz, spricht im Flüsterton, stiert den Sterbenden an, so, als würde er ihm Absolution erteilen. Doch die Hölle braucht nachher nicht zu warten – der Equalizer erteilt sie an Ort und Stelle. Mit Brechstange, Schürhaken, Messer und sonstigem Hausrat. Natürlich auch mit Projektilwaffen, denn alles andere wäre zu sehr Michael Myers. Equalizer 3 – The Final Chapter schnauft dabei deutlich mehr als die vorhergehenden beiden Teile. Die Sehnsucht nach Ruhe lässt den letzten Akt auf gemächliche Weise zur Gewaltbereitschaft auffahren, eine im Hintergrund vernetzte CIA-Story soll einem ansonsten sehr banalen Plot etwas mehr Pepp verleihen, Dakota Fanning die Frauenquote erfüllen. Denn wenn ein Mann nur Männer murkst, könnte es langweilig werden.

Und das wird es auch. Das Farewell für den Gutmenschen-Psychopathen ist der schwächste Teil der Reihe, hat nebst den obligaten superbrutalen Einsprengseln weit weniger Augenzwinkern zu bieten als ein John Wick, der aber schließlich nur die eigene Ruhe sucht, und nicht die der anderen. Der Equalizer ist ein unbarmherziger Samariter, der den Bösen Böses tut, als gäb‘s kein Morgen mehr. Wenn aber schon das Psychogramm einer kaputten Killerseele die Massen straflos ins Jenseits befördert und durchaus ambivalent auftritt, wäre das Wühlen im Film Noir wünschenswert gewesen; wäre es an der Zeit gewesen, dass sich McCall ein bisschen mehr die Zähne ausbeißt an einem Gegenüber, dass ihn fordert. Da der Meister nicht gefunden wird, bleibt das glückliche Märchen eines Schlächters richtiggehend schal, weil das Salz in der Blutsuppe fehlt. Jenes, dass der wahre Tod vielleicht gestreut hätte, denn das Niedermähen ist immer noch sein Job. Und nicht der eines jeder Richtbarkeit erhabenen Moralmörders.

The Equalizer 3 – The Final Chapter (2023)

No Hard Feelings (2023)

EIN KÖDER FÜR DEN MILCHBUBEN

4/10


Jennifer Lawrence (Pending);Andrew Barth Feldman (Finalized)© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: GENE STUPNITSKY

DREHBUCH: JOHN PHILLIPS, GENE STUPNITSKY

CAST: JENNIFER LAWRENCE, ANDREW BARTH FELDMAN, MATTHEW BRODERICK, LAURA BENANTI, NATALIE MORALES, SCOTT MCARTHUR, EBON MOSS-BACHRACH U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Genug von bedeutungsschwerem Betroffenheitskino. Genug der Tribute, genug der Ensemblefilme eines David O. Russel. Jennifer Lawrence will nun endlich Komödie. Und zwar so eine, wie es sie früher gegeben hat. So eine, wie sie Bill Murray oder Sean Penn groß gemacht haben. Ein Stück des American Pie solls sein, aber nur so viel, dass man nachher noch sittenvoll dinieren kann. Was es gar nicht sein soll, ist eine Sexklamotte im Fahrwasser von Eis am Stiel. Lieber ein Mix zischen John Hughes Young Adult-Kino und Leichter Frivolität, die maximal so weit geht, dass pubertierende Kids mit ihren Eltern sich gerade mal nicht fremdschämen müssen, wenn sie gemeinsam im Kino sitzen sollten.

Dabei wünscht man sich, dass all die fiktiven Begebenheiten im Film nicht den realen des Publikums entsprechen. Im Film wird die in Geldnöten befindliche Maddie nämlich von den Eltern des 19jährigen Percy rekrutiert, um dem in Liebesdingen uninteressierten Schlaukopf das ABC heterosexueller Intimitäten beizubringen. Dabei muss das ganze mal mit einem Date beginnen, doch so einfach ist das nicht. Percy hat gewisse Wertvorstellungen, was Sex anbelangt – Maddie hat die nicht. Sie denkt nur an den Gratis-Buik, den sie bekommen wird, sollte sie ihre Mission erfüllen.

Als Familienfilm geht No Hard Feelings (auf Deutsch: Nichts für ungut) gerade noch durch – das bisschen vulgäre Sprache möge man verzeihen oder am besten im Nachhinein gar nicht kommentieren. Worüber man aber reden könnte, ist der beharrliche Willen eines über die Maßen verdienenden Stars, in seinem mitproduzierten Film all das umgesetzt zu bekommen, was ihm so vorschwebt. Das ist zum Beispiel eine Nacktszene am Strand, in welcher sich Lawrence prügelt, als wäre sie eine Martial Arts-Ikone. Schließlich will sie sich nicht nachsagen lassen, übertrieben prüde zu sein. Alle anderen Szenen aber, die Nacktheit logischerweise erfordern würde, sind dann aber außen vor. Wie auch immer: konsequent ist das nicht.

Konsequenz lässt sich auch sonst vermissen. Gene Stupnitsky, der in seiner Bubenkomödie Good Boys stets einen gewissen komödiantischen Rhythmus beibehält, ohne in übertriebenen Klamauk auszuschlagen oder ins Melancholische abzukippen (wozu es auch niemals einen Grund gegeben hätte), will natürlich allen Anforderungen gerecht werden, verkrampft sich aber bei seinem Spagat zwischen sozialkritisch angehauchter Melodramatik und komödiantischen Slapstick-Szenen, die fast schon an Bobby Farrellys Grotesken erinnern – mit dem einzigen Unterschied, dass sie kaum jemals unter die Gürtellinie treffen. Das wäre auch nicht das Niveau von Jennifer Lawrence, doch ein bisschen Pikantes geht immer. Dabei weiß sie selbst auch nicht, wie sie ihre Figur anlegen soll. Als promiskuitives Gelegenheitsflittchen, als hemdsärmeliges Prügelmädel? Als eine von Jugend auf traumatisiertes Sozialopfer, das ihr Leben nicht im Griff hat? Eine ruhige Hand, um ihre Rolle glaubhaft zu formen, hat Lawrence nicht. Da spielt sie Andrew Barth Feldmann in seinem Debüt fast schon an die Wand.

Klamaukige Liebeskomödien, die gerne auch nachdenklich sein wollen, haben es sichtlich schwer, weil sie einerseits nicht vorhersehbar sein wollen, und andererseits den Übergang zwischen Laut und Leise wiederholt hinbekommen wollen. In No Hard Feelings geht der Plan nicht auf. Selten passen die aufeinanderfolgenden Szenen in ihrer Tonalität zusammen. Man weiß nach den ersten fünf Minuten, wie der ganze Spaß enden; man weiß auch, dass die Situationskomik sehr bald nur noch in Outtakes vorhanden sein wird. Aus einem vielversprechenden, durchaus witzigen Beginn, der manche Klischees auch verdreht, lähmt die moralische Ordnung und der Wille zum auserzählten Happy End jegliche Inspiration. Lawrence und Feldmann haben sich eigentlich nichts zu sagen, tun es aber trotzdem. Und das ist dann meistens langweilig.

No Hard Feelings (2023)

Escape Room (2019)

ADRENALINKICKS ZUM GRUPPENRABATT

5/10


escaperoom© 2018 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: ADAM ROBITEL

DREHBUCH: BRAGI F. SCHUT, MARIA MELNIK

CAST: TAYLOR RUSSELL, LOGAN MILLER, DEBORAH ANN WOLL, TYLER LABINE, JAY ELLIS, NIK DODANI, JESSICA SUTTON, KENNETH FOK U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Ich weiß, kein Grund zur Panik, aber wenn mir die Vorstellung, aus einem geschlossenen Raum nicht mehr herauszukommen, ohne meinen Intellekt anzustrengen, Stress verursacht – auf die Gefahr hin, ich werde dumm sterben – dann sollte ich womöglich keinen Escape Room aufsuchen. Natürlich sind das irrationale Ängste, man kann auf diesen Spielplätzen jederzeit w.o. geben und der Spielleiter führt dich milde und etwas abschätzig lächelnd aus dem Erwachsenen-Parkour. Doch latente Klaustrophobie muss nicht unbedingt gefördert werden – es gibt ja schließlich noch andere nette Dinge, die man in seiner Freizeit tun kann. Und wenn schon Escape Room, dann vielleicht einer der bereits zuhauf angebotenen Einweg-Gesellschaftsspiele, in denen es nur ums Rätselknacken geht. Ganz ohne Fluchtinstinkt.

Sich diesem zu unterwerfen, liegt allerdings ganz im Sinne von sechs Kandidatinnen und Kandidaten, die allesamt eine mysteriöse Einladung zu einem herausfordernden Mindgame erhalten haben. Kurz gesagt: zu einem Escape Room für Fortgeschrittene und Out of the Box-Denker. Die sechs jungen Leute sind sich untereinander nicht wirklich bekannt – den Fokus des Filmes setzt Regisseur Adam Robitel (Insidious: The Last Key) dabei auf Taylor Russel (zuletzt in Bones and All), welche die etwas introvertierte Zoey gibt, die aber mit einem Intellekt punkten kann, bei welchem all die anderen fünf nur neidvoll zu ihr aufblicken können. Das tun sie aber nicht, denn jeder der Anwesenden hat so seine Stärken. Und Schwächen. Die unbekannten Game-Master wissen das. Woher, bleibt schleierhaft. Und dann geht’s auch schon los, als sich alle im Wartebereich eines ominösen Hochhauses eingefunden haben – und der erste Verdacht aufkommt, dass etwas nicht stimmt, als die Dame im Sekretariat immer dieselben Worthülsen von sich gibt. Hier ist nichts so, wie es scheint. Als alle vermuten, die Wartezeit zum Startschuss gehört selbst bereits zum Spiel, wird es ungemütlich warm. Und die sechs müssen so schnell wie möglich einen Ausweg finden, um nicht gegrillt zu werden.

Das ist allerdings nur das erste Zimmer von so einigen, die da noch kommen mögen. Und eines fieser als das andere. Diese zu bewältigen ist auch alles, was es in diesem Film zu tun gibt. So gesehen fühlt sich Escape Room ein bisschen so an wie eine unmoderierte Unterhaltungsshow mit unter anderem gesundheitsgefährdendem Ausgang für so manche, die sich etwas schwertun, die Dinge vorauszusehen. Hat sich David Finchers The Game mit Michael Douglas längst nicht nur damit begnügt, Zimmernummern zu vergeben, irritierte Vincento Natali in seiner Horror-SciFi Cube mit einem Labyrinth identer Räume, in denen perfide Fallen wussten, wie sie zuzuschnappen hatten. Auch in Escape Room kommt manches unerwartet, und dabei ist man froh, sich nicht selbst diesem Risiko aussetzen zu müssen, sondern einfach nur zusehen und mitraten zu dürfen, wo nun beim nächsten Mal der Haken an der Sache aus der Wand schnellt. Natürlich mischt der biographische Background eines jeden hier Anwesenden selbst nochmal die Karten durch, und tatsächlich lässt sich mit den psychologischen Grundmustern der Spieler so einiges anfangen. Nur im letzten Drittel wird’s banal, wenn nicht gar einfallslos. In manchen Filmen mag die Ergründung des Ganzen eine wichtige Rolle spielen – hier hingegen nicht.

Wie viel stimmiger wäre es gewesen, dem Mysterium des Spiels nicht auf die Spur kommen zu müssen. Obwohl einiges nach wie vor einer physikalischen Unmöglichkeit unterliegt und zumindest in diesen Bereichen noch sein Geheimnis behält – wie das Herumrätseln an einem Zaubertrick, der unmöglich sein kann – werden sozialphilosophische Beweggründe bemüht, die wenig überzeugen und einem Appendix gleich als dramaturgisches Anhängsel dem Film noch mehr Tiefe und Story verleihen sollen. Um ein Sequel anzustückeln, meinetwegen. Sonst aber wäre das Herunterbrechen auf einen trivialen Thriller-Plot wie ein eigener Raum, der maximal als Vorzimmer dient.

Escape Room (2019)

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

HIERARCHIEN IM SPINNENNEST

6,5/10


spider-man_acrossthespiderverse© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JOAQUIM DOS SANTOS, KEMP POWERS, JUSTIN K. THOMPSON

DREHBUCH: PHIL LORD, CHRISTOPHER MILLER, DAVID CALLAHAM

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL):  SHAMEIK MOORE, HAILEE STEINFELD, JAKE JOHNSON, OSCAR ISAAC, ISSA RAE, DANIEL KALUUYA, KARAN SONI, GRETA LEE, JASON SCHWARTZMAN, BRIAN TYREE HENRY, SHEA WIGHAM U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Ob Marvel oder DC – die weltgrößten Comic-Franchises mussten sich einfach irgendwann mit dem Clou der Multiversum-Theorie auseinandersetzen, um genügend frischen Wind in die Denk- und Zeichenstudios wehen zu lassen; um genügend Stoff zu lukrieren, damit die guten alten Helden niemals sterben müssen. Das Multiversum bietet vieles – ungeahnte Möglichkeiten, zahlreiche Welten, viele viele Alternativen. Und ein Ende ist nicht absehbar. Ja, sie haben es sich gerichtet – Marvel und DC.

Von einem Multiversum ins nächste zu hirschen besagt aber nicht, auch mit der Zeit herumzuspielen. Zumindest nicht zwingend. Der gute Loki, nordischer Gott des Schabernacks, hielt sich in gleichnamiger Serie nicht nur in diversen Nachbardimensionen auf, er beehrte auch längst vergangene Zeiten, um sich hinter lokalen Apokalypsen wie dem Unglück von Pompeij vor der TVA zu verstecken. Spider-Man Miles Morales tut das nicht, auch nicht Peter Parker in den Live Act Filmen, obwohl er vorgehabt hat, mithilfe von Dr. Strange genau das zu tun: Die Welt vergessen zu lassen, welche Identität hinter der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft steht (siehe Spider-Man: No Way Home). In beiden Fällen überlappen sich allerdings die Dimensionen, und wir, gemeinsam mit den Spider-Mens, kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie viele Alternativen es von der eigenen Realität nur geben kann.

Das Konzept dahinter ist ja schön und gut. Und bietet eine gigantische Bühne für skurrile bis groteske Erscheinungsformen, absurden Konstellationen und unbegrenzten Möglichkeiten. Wie lange aber lässt sich diese reizvolle Idee noch interpretieren, damit das Publikum immer noch staunen kann? Wie lange lässt sich damit noch herumspielen, ohne dass sich so mancher Twist wiederholt oder die gesetzten Pointen auf der Stelle treten? DC fängt mit seinem Multiversum rund um Flash, basierend auf dem Comic Flashpoint, gerade erst an. Marvel hat da schon einige Kilometer hinter sich. Und hängt mit dem Sequel zu Spider Man: A New Universe noch ganz viel Spider-Versen hintendran. Es eröffnen sich in diesem mit über zwei Stunden Spielzeit auffallend und deutlich zu langen Animationsabenteuer Welten über Welten, in denen Spinnenmänner, -frauen und sonstige Kreaturen die Rollen von Morales oder Parker einnehmen. Ist schließlich vielfältig und kurios und auch sehr unterhaltsam, das alles zu sehen. Dabei ist es gut, im Kinosaal entsprechend weit hinten zu sitzen, um die Farb- und Stilkaskaden eines ausufernden Comic-Tornados auch wirklich in seinem Variantenreichtum aufnehmen zu können. Das Auge ermüdet dabei schnell, kalmierende Sequenzen rund um innerfamiliäre Probleme der Superheldinnen und -helden sorgen für die Eindämmung gnadenloser Reizüberflutung und bringen den Ausgleich. Obwohl weder das eine noch das andere niemals etwas ist, was neue Impulse bringt.

Überraschend wenig lassen sich Phil Lord, Christopher Miller und David Callahan zum Thema Multiversum einfallen. Außer dass es viele Versionen vom gleichen gibt. Die Stärken von Spider-Man: Across the Spider-Verse liegen also keinesfalls im diesmaligen Plot, der den quantentechnisch ziemlich zerlegten Wissenschaftler Jonathan Ohnn als Antagonisten ins Zentrum stellt, der als Spot zum im wahrsten Sinne des Wortes unfassbaren Verbrecher mutiert, der Löcher schafft, wo keine sind. Die Stärke liegt zweifelsohne in der Charakterisierung von Miles Morales, der im Laufe seiner unglaublichen Reise zu einem ernstzunehmenden jungen Erwachsenen heranreift, der den Weltenwahnsinn zu verstehen versucht.

Schon wieder Coming of Age? Im Grunde haben wir das alles schon durch: Eltern, die keinen Schimmer davon haben, was ihre Kids anstellen, und diese wiederum aufgrund ihrer Geheimnistuerei den Draht zu ihnen verlieren, Wen wundert’s – und wen überrascht auch noch das innerfamiliäre Pathos, das die USA so sehr so oft und immer wieder ähnlich aufs Neue aufwärmt. Im Marvel-Kosmos ist hinsichtlich dessen schon alles gesagt, und dennoch verstehen es die Macher nur zu gut, das Ganze nochmal so aufzubereiten, dass man gerne hinhört und mit Spannung darauf wartet, ob Morales nun die Karten auf den Tisch legt oder nicht.

Mit weniger Spannung verwöhnt uns der schnell und schwungvoll geschnittene Streifen mit Sprung-, Flug- und akrobatischer Sequenzen, die je nach Dimension in einen anderen Animationsstil eintauchen. Der Mix daraus ist unvermeidlich, die Übersicht dabei zu behalten eine Challenge. Mir als Grafiker gefällt natürlich, was ich da sehe – all die lebendig gewordenen Panels, hinterlegt mit den Dots charakteristischer Siebdruckraster. Versetzte Farbkanäle im Hintergrund erzeugen Unschärfe und folglich Tiefe; nichts bleibt hier flach. Und je mehr all die multiuniversalen Spinnen hin und her huschen und sich selbst überholen, je eher nähert sich das Ende eines halben Abenteuers. Der Cliffhanger ist enorm, doch keine Sorge: Im März nächsten Jahres startet Spider-Man: Beyond the Spider-Verse. Bis dahin werde ich vermutlich alle Details wieder vergessen haben. Manches wird in Erinnerung bleiben. Wie im ersten Teil das Schwein. Hier im zweiten Teil ist es vielleicht der Dino.

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

Ein Mann namens Otto (2022)

AUCH GRANTLER HABEN NACHBARN

6/10


Tom Hanks (Finalized);Manuel Garcia Rulfo (Finalized);Cameron Britton (Finalized);Juanita Jennings  (Finalized);Mariana Trevino (Finalized)© 2022 CTMG, Inc. All rights reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: MARC FORSTER

BUCH: DAVID MAGEE, NACH DEM ROMAN VON FREDRIK BACKMAN

CAST: TOM HANKS, MARIANA TREVIÑO, MANUEL GARCIA-RULFO, TRUMAN HANKS, RACHEL KELLER, CAMERON BRITTON, JUANITA JENNINGS, PETER LAWSON JONES, MACK BAYDA, MIKE BIRBIGLIA U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Den Amerikanern, die ungern Filme mit Untertiteln sehen (denn englische Synchronisationen gibt es keine – das würde sich auch kaum rentieren), darf man Geschichten wie diese, die von einem Griesgram handeln, der zum nächstenliebenden Menschen wird, nicht vorenthalten. Dafür gibt’s eine einfache, aber kostspielige Methode: Man inszeniert den Film komplett neu, und zwar auf amerikanischem Boden und in englischer Sprache. Und um wirklich genug Leute ins Kino zu locken, setzt man ganz vorne einen bewährten Publikumsliebling hin, der schließlich wirklich etwas kann und seine Sache auch gut macht. Derart amerikanisierte Versionen diverser originärer Klassiker gibt es eine Menge. Zum Beispiel Michael Hanekes Funny Games. Oder Drei Männer und ein Baby. Auch Ziemlich beste Freunde wurde zwar nicht „geschwedet“ (siehe Abgedreht – Be Kind Rewind), sondern für’s amerikanische Publikum neu aufgelegt. Meist sind diese Sprachkopien nicht viel besser als das ohnehin schon vollendete Original. Aber das Kino dankt, und das sowieso viel kinoaffinere US-Publikum dankt es mit stolzen Besucherzahlen.

Ein Mann namens Ove, nach dem gleichnamigen Roman von Fredrik Backman und von Hannes Holm 2015 auf die Leinwand gebracht, war darauffolgendes Jahr für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert. Zweifelsohne hat diese Geschichte rund um Menschlichkeit und Nächstenliebe seinen Platz im europäischen Filmolymp verdient. Rolf Lassgård gibt der anfangs miesgelaunten Figur Tiefe und eine nachvollziehbare Biografie mit auf den Weg. Er lässt sie Sehnsucht, Trauer und Verlustschmerz verspüren. Er lässt sie darauffolgend aufblühen, hoffen und einen Sinn im Leben sehen. Dank fürsorglicher und offenherziger Nachbarn, die sofort erkennen, dass dieser unhöfliche Prinzipienreiter sehr wohl noch ein großes Herz hat – im wahrsten Sinne des Wortes.

In der Neuverfilmung quält sich Tom Hanks als hagerer, ergrauter und knorriger Misanthrop mit der Sinnlosigkeit seines Restlebens herum und will dem ein Ende setzen. Alles beginnt mit dem Kauf von eineinhalb Metern Seil, was gleich zu Diskussionen an der Baumarktkassa führt. Mit dieser Szene führt der Star mit der Qualitätsgarantie eine Figur ein, die sich vielleicht nur äußerlich von jener des Rolf Lassgård unterscheidet. Bei Tom Hanks wissen wir aber auch: Der Mann kann kein schlechter Mensch sein, weil Hanks meist zu den Guten gehört (mit einigen wenigen latenten Ausnahmen, wie in The Circle oder Elvis). Daher bemüht er sich manchmal zu offensichtlich – und das ist auch fürs Publikum nicht zu übersehen – seine Mundwinkel tunlichst der Schwerkraft auszusetzen, denn so missmutig dreinzublicken ist so gar nicht sein Stil. Alles in allem aber gibt er in den Momenten, wenn er sein Umfeld anpöbelt oder einsam daheim aus dem Fenster blickt, wieder mal Lichtblicke seines künstlerischen Schaffens wider. Auch der Rundum-Cast – allen voran Mariana Treviño als die gutherzige Nachbarin Marisol – füllt seine Rollen bis in jede Charakter-Ecke aus. Ja, die Verfilmung von Marc Forster fühlt sich gefällig und geschmeidig an. Ist aber für Kinogeher, die gerne auch Europäisches mit Untertiteln wertschätzen, kein Muss mehr.

Ein Mann namens Otto ist aber nicht besser als die Originalverfilmung. Und prinzipiell auch nicht schlechter. Doch der schwedische Streifen war zuerst da. Forsters Remake ist also weder besser noch schlechter, aber auch nicht anders. Denn eine Geschichte wie diese kann man auch nicht wirklich anders interpretieren. Theaterstücke, vor allem Klassiker, kann man in die Neuzeit verfrachten, man kann sie mit den unterschiedlichsten Requisiten bestücken und ihnen dank der Möglichkeit variabler Bühnengestaltung unterschiedliche Handschriften verleihen. Bei Ein Mann namens Otto wüsste ich nicht, wo man ansetzen könnte. Also spricht Otto die gleiche Sprache wie Ove, das Szenario vermittelt die gleichen Emotionen, die gleiche Atmosphäre, es ist tatsächlich eine amerikanisierte Kopie. Wäre Forsters Arbeit die erste Verfilmung des Romans, er wäre wahrlich beachtenswert gewesen. So aber hatten wir das alles schon, und ja, es ist solide und gut gespielt, aber als Remake, das eigenständig sein will, relativ uninspiriert. Was nicht heißen soll, dass Amerika den Film nicht dankend annehmen wird. Ich hingegen hab‘ ihn bereits gekannt.

Ein Mann namens Otto (2022)

65 (2023)

JURASSIC OHNE PARK

4/10


65© 2023 Sony Pictures Entertainment


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE / PRODUKTION: SCOTT BECK, BRYAN WOODS

CAST: ADAM DRIVER, ARIANA GREENBLATT, CHLOE COLEMAN, NIKA KING U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Simpler lässt sich ein Film kaum stricken. Doch das sollte Im Genre des Action- und Abenteuerfilms kein Grund dafür sein, deswegen verwundert die Augenbrauen hochzuziehen. Hier geht’s vor allem darum, spektakuläre Stunts in Szene zu setzen und Schauwerte zu liefern. Die Protagonisten in Bedrängnis zu bringen, aus der sie sich meistens wieder befreien können, es sei denn einer wie John Boorman sitzt am Regiestuhl, um jeden beim Sterben den ersten sein zu lassen. Wenn Adam Driver durchs Gemüse stolpert, vorzugsweise durch einen 65 Millionen Jahre zurückliegenden Sumpf- und Nebelwald unseres Planeten, braucht man nicht darauf spekulieren, dass dieser Mann es nicht schaffen würde, seinen Hintern zu retten. Vor allem dann, wenn an seiner Seite ein verwaistes Mädel, das noch dazu eine gänzlich andere Sprache spricht als Mr. Kylo Ren selbst, hinter ihm herläuft. Da haben wir es wieder: Den väterlichen Beschützer und das schutzbedürftige Kind. Woran erinnert das? Klar, an so gut wie gefühlt hundert andere Plots, aber aktuell natürlich an The Last of Us. Da wie dort wird die Metaebene eines kaum verschmerzbaren Verlustes errichtet, welche durch den zufälligen Neuzugang diesen zwar nicht ersetzen, aber weitestgehend lindern kann.

Es ist nicht so, wie ich anfangs vermutet hätte, dass Adam Driver einen auf Charlton Heston macht und als Erdlings-Astronaut der Zukunft ohne es zu wissen zeitverschoben wieder zurück an den Start gelangt. Driver ist kein Mann von Übermorgen, sondern einer aus der weit weit entfernten Vergangenheit. Und nicht vom Planeten Terra, sondern von irgendeinem anderen erdähnlichen Himmelskörper – und gerade unterwegs durchs All Richtung Heimat, mit einigen im Kryoschlaf befindlichen Passagieren an Bord, die von A nach B wollen. Dummerweise gerät der kleine Kreuzer in ein Asteroidenfeld und kracht daraufhin auf unseren lieben Planeten – und zwar in den letzten Tagen der Dinosaurier, ganz späte Kreide. Der Yucatan-Asteroid strahlt bereits wie der Stern vom Betlehem vom Himmel. Und das ist nicht die einzige Tatsache, die Adam Driver Stress macht. Während das Schiff auseinanderbricht und alle bis auf ein Mädchen das Zeitliche segnen, muss er dieses zur 15km entfernt niedergegangenen Rettungskapsel bringen. Mit dem High-Tech-Gewehr im Anschlag arbeiten sich beide durch eine sehr vertraut wirkende, bedrohliche Wildnis. Und kein Elektrozaun, kein Jeep oder Chris Pratts Handauflegen können die wie aus der hintersten Gosse wirkenden Grunge-Dinos daran hindern, sich das Lätzchen umzubinden.

Während im Jurassic Park-Franchise die Megafauna noch so aussieht wie aus einer fachgerechten Jugend-Enzyklopädie über die Urzeit, motzen hier nun seltsam deformierte, entstellte und eigentlich hässliche Halloween-Kreaturen herum – als wollten Scott Beck und Bryan Woods ganz bewusst – und daher auch allzu gewollt – Rufmord an einer von Buben heißgeliebten Saurier-Idealwelt begehen. Klar sind diese Viecher grandios animiert – für die Finsternis, die sie in sich tragen, gibt’s jedoch keinerlei Grund. Abgesehen von diesen Schauwerten der zweifelhaften Art hat 65 einen Plot zu bieten, dessen Background-Story wie ein Platzhalter wirkt. Der darauf errichtete Survivaltrip ist so vorhersehbar wie der baldige Untergang der geschuppten Kolosse, die Emotionen banal und die Szenarien vor allem am Ende so fragwürdig, dass sich manch verwöhnter Genre-Nerd plötzlich gerne an Bryce Dallas Howards Stöckelschuh-Run in Jurassic World erinnert.

Es war beim Trailer schon klar: Dieser Film hat eine 50/50-Chance. Entweder ist das plakative Abenteuer so schneidig wie A Quiet Place – oder so trivial, dass es gut ins Netflix-Sortiment für im Vorfeld aufgegebene Studiofilme passt. Trotz Adam Driver, der eben seine Arbeit tut, aber auch nicht mehr, und einer prähistorischen Endzeitstimmung, wie sie Emmerich wohl nicht besser eingefangen hätte, bleibt der Thriller dennoch schal. Wenn doch nur jemand mal den Mut hätte, als diese Formeln neu umzuschreiben. Die Zielgruppe wäre erpicht darauf – SONY war es leider nicht.

65 (2023)

The Woman King

ES WAR EINMAL IN AFRIKA

7/10


thewomanking© 2021 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, KANADA 2022

BUCH / REGIE: GINA PRINCE-BYTHEWOOD

CAST: VIOLA DAVIS, THUSO MBEDU, LASHANA LYNCH, SHEILA ATIM, JOHN BOYEGA, JORDAN BOLGER, JAYME LAWSON, ZOZIBINI TUNZI, HERO FIENNES TIFFIN, ANGÉLIQUE KIDJO U. A. 

LÄNGE: 2 STD 15 MIN


Wie denn, es zeigt sich kaum jemand echauffiert, dass eine amerikanisch-salvadorianische Filmemacherin einen US-amerikanisch-kanadischen Film über historische afrikanische Ethnien dreht? Ja darf die denn das? Und wie sehr kann der afrikanische Spirit denn da überhaupt nachempfunden werden, wenn niemand, weder die Regie noch alle am Skript Beteiligten, keinen entsprechenden Background vorweisen können? Aber gut, ich will hier keine schlafenden Hunde wecken. Von mir aus kann sich jede und jeder jedem Thema annehmen, es braucht nur gut gemachte Hausaufgaben. Denn was natürlich niemand will, ist eine kolportierte Folklore, die jenes geklittete Bild von Afrika vermittelt, dass exotische Wilde zeigt, die man begaffen kann.

Gina Prince-Bythewood (The Old Guard) wäre nahezu lebensmüde gewesen, hätte sie bei ihrem Film nicht gewissenhaft recherchiert oder sich selbst einige Experten auf dem Gebiet der Völkerkunde zur Seite gestellt. Wir wissen, wie leicht man sich in dieser Thematik in die Nesseln setzen kann. Was sich aber kulturhistorisch bestätigen lässt: Das resolute Volk der Dahomey zeichnete sich aus durch etwas ganz Besonderes: den Agojie – ein Regiment an Kriegerinnen, die den Feinden das Fürchten lehrten. Martialische Heldinnen, bis zu den Haarwurzeln gestählt, trainiert und schlau; taktisch versiert und trotz der im Vergleich zu Männern geringeren Stärke kampftechnisch um Nasenlängen voraus.

Im Zentrum dieser Episode aus dem Jahr 1823 steht die Kriegerin und Kommandantin Nanisca, die unter der weitestgehend besonnenen Führung von König Gezo immer wieder nach neuen Rekrutinnen sucht, um ihre Einheit zu erweitern und zu stärken. Darunter findet sich die gerade mal volljährig gewordene Nawi, die, anstatt an einen reichen Miesepeter verheiratet zu werden, lieber den Weg der Kriegsnonne geht. Und ja, sie macht sich – trotz aufmüpfigen Verhaltens und eigenem Kopf. Wie das eben so ist, bei zukünftigen Heldinnen, die aus der Masse herausstechen werden, weil sie selbst denken, statt nur Befehle zu befolgen. Dass es hier Spielraum geben muss, beweist der Erfolg. Oder das Retten so mancher Gefährtin aus misslichen Lebenslagen. Während an der Küste des heutigen Benin die Portugiesen ihre Sklaven kaufen, droht die Gefahr des Gegners in Gestalt der berittenen Oyo. Dafür muss trainiert, dafür muss alles gegeben werden. Während wir also zusehen, wie Nawi zur toughen Frau heranreift und Nanisca mit ihrer erschütternden Vergangenheit konfrontiert wird, offenbart sich ein ungewöhnliches und pittoreskes Stück afrikanischer Geschichte. Einer Geschichte, die in den Schulen wohl kaum unterrichtet wird, und die wir proaktiv womöglich auch nie nachgelesen hätten, die aber so richtig Aufschluss gibt über ein Afrika, das abgesehen von Hungersnöten, islamischem Terrorismus, Armut und Genozide ausnahmsweise mal stolz erhobenen Hauptes auf Ahnen wie diese zurückblicken kann.

Natürlich ist The Woman King kein afrikanischer Film. Wäre er dies, hätte er ein ganz anderes Vokabular verwendet, wäre auch tiefer in Glauben und Gebräuche lokaler Völker eingedrungen. Wäre metaphysisch geworden, während dieser Film hier jene kulturellen Eigenheiten herausfiltert, die profan genug sind, damit sie überall vertraut erscheinen. The Woman King wird dadurch etwas generisch, steht aber mit beiden Beinen fest am Boden eines repräsentativen Afrikas früher Reisender. The Woman King ist ein amerikanischer Film und folgt einem ganz klassischen, hollywood‘schen Erzählduktus, bei dem ich manchmal nicht weiß, ob mir dieser nicht manchmal zu gefällig wird. Es fällt aber schwer, trotz einiger weniger Längen, die sich aus einem bemühten Plot-Konstrukt ergeben oder John Boyegas schwachbrüstigen Auftritt Bythewoods Film nicht trotzdem als schauspierisches Schwergewicht zu betrachten und als einen Historienfilm, der diesmal nicht die epische Polfilter-Handschrift eines Ridley Scott trägt, sondern lieber seine Heldinnengeschichte ohne kinematographische Extras in den blutbesudelten Staub zeichnet. Viola Davis, Lashana Lynch (der ich stundenlang zusehen könnte) und allen voran Thuso Mbedu als Nawi rauben einem den Atem. Kraftstrotzend, vital und sinnlich sind sie. Intelligent und faszinierend. Von Mbedu (The Underground Railroad) wird man zukünftig noch mehr sehen, ich hoffe es inständig. Sie lässt ihre Rolle in stetigem Fluss, entwickelt sich und reift heran. Hier ist nichts, was nicht in ihre Biografie passt. Ein starkes Stück, das sie hier abliefert. Und ein starkes Stück von allen hier Beteiligten, die sich mit flippernden Zungen ins Gefecht stürzen, mit geölten Körpern und geschliffenen Macheten. Unterstützt von den Trommeln im Score, schmettert der Film mit resonanter Wucht eine Performance auf die Leinwand, die erkennen lässt, wo die Marvel-KriegerInnen aus Wakanda ihren Ursprung haben. Dort, im Königreich Dahomey, liegt der eigentliche Quell des Black Panther.

The Woman King