Tausend Zeilen (2022)

LÜGEN WIE GEDRUCKT

7/10


tausendzeilen© 2022 Warner Bros. Deutschland / Marco Nagel


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2022

REGIE: MICHAEL HERBIG

DREHBUCH: HERMANN FLORIN

CAST: ELYAS M’BAREK, JONAS NAY, MICHAEL OSTROWSKI, MICHAEL MAERTENS, JÖRG HARTMANN, MARIE BURCHARD, SARA FAZILAT, IBRAHIM AL-KHALIL, DAVID BAALCKE U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Man soll nicht immer glauben, was man sieht. In Zeiten von Deepfake und Midjourney gilt dieser Leitsatz mehr denn je. Man soll aber auch nicht immer glauben, was in den Zeitungen steht. Schon gar nicht irgendwelche Reportagen, die vorgeben, Monate an Recherche damit zugebracht zu haben, um an jene Erkenntnis zu gelangen, die uns Lesern die Sprache verschlägt. Durchs Querchecken über mehrere Medien hinweg könnte man unter Umständen einen gemeinsamen Nenner und somit die Wahrheit finden. Alles andere wird schwierig oder ist eine Sache des Vertrauens für das Magazin unserer Wahl.

Wenn die Stories schmissig, spektakulär genug und einen gewissen Unterhaltungswert besitzen, fragt man sich wohl kaum, wie gut recherchiert das Ganze wohl gewesen sein muss. Auch bei Baron von Münchhausen hingen gespannt lauschende Zeitgenossen an dessen Lippen, um dem Ritt mit der Kanonenkugel zu folgen. So etwas gibt’s auch heute noch. Und mehr denn je, vor allem aus politischer Motivation heraus, um mit Desinformation vielleicht gar einen Krieg zu gewinnen. Dieser vorliegende, von Michael (Bully) Herbig verfilmte und namentlich leicht veränderte Fall hat ungefähr so stattgefunden. Statt des Magazins Der Spiegel hört hier das Medium auf Die Chronik. Statt Claas Relotius nennt sich der Hochstapler hier Lars Bogenius. Und Aufdecker Juan Moreno klingt mit Juan Romero fast schon so ähnlich wie das Original.

Es ist überraschend, dass Der Spiegel immer noch ein gewisses Vertrauen genießt, nach allem, was da 2018 so vorgefallen war. Wer den Spiegel liest, könnte doch mit einer irgendwie-prozentigen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, heißer zu essen als gekocht wurde. Wie zum Beispiel das Süppchen von Wunderkind Bogenius aka Relotius, das allen schmeckte. Denn es war wortgewaltig, schmissig und wie aus einem Guss. Sagenhafte Erkenntnisse gingen einher mit authentischen Schilderungen, die wirklich berührten. Die Folge: ein Preisregen nach dem anderen. Der Jungspund war und ist sich seiner Sache so sicher, dass er seine Methoden auch dann nicht ändert, als er erstmals mit einem Kollegen kooperieren muss, um eine Reportage über illegale Flüchtlinge aus Mittelamerika zu gestalten, die sich an der Grenze zu den USA mit rechtsextremen, selbsternannten Grenzhütern konfrontiert sehen. Während sich Juan Romero abrackert, um authentisches Material zusammenzubekommen, streckt Bogenius alle Viere von sich, genießt sein Leben im Luxus und inkognito und saugt sich seinen Teil der Story aus den Fingern. Romero kommt das Ganze aber sehr bald spanisch vor – und entdeckt einige Ungereimtheiten in den Schilderungen seines Kollegen. Dies also ist der Anfang vom Ende einer Traumkarriere auf Pulitzer-Preis-Niveau. Und die Wahrheit – die ist so bizarr und beschämend wie das Echtheitszertifikat sämtlicher Tagebücher eines ehemaligen Diktators.

Tausend Zeilen nennt sich Michael Herbigs Film. Und er ist weder klamaukig, noch besitzt er Schenkelklopfer-Humor, noch geht er mit seinem Thema so um, als wäre es eine leichte Komödie für zwischendurch. Nach dem knackigen DDR-Thriller Ballon ist dem Spaßmacher und Parodisten, dank welchem wir Winnetou und Spock mit anderen Augen sehen, abermals eine souveräne True Story gelungen, dem der situationsbezogene Humor nicht fremd ist und als schneidige Boulevard-Chronik dem Skandal-Kino eines Helmut Dietl um wirklich wenig bis gar nichts nachsteht.

Elyas M’Barek ist als Aufdecker eine Identifikationsfigur, der man gerne – und gemeinsam mit Michael Ostrowski als dessen Buddy – durch dick und dünn folgt, alles für einen guten Zweck. Wie sehr der Chefredaktion dann widerstrebt, der Wahrheit ins Auge zu sehen und ihr Steckenpferd auf den Prüfstand zu hieven, ist süffisantes und bisweilen auch augenzwinkerndes Unterhaltungskino mit Mehrwert. Zwar niemals tiefschürfend und das Credo der Wahrheitspflicht hinterfragend (aber das war Schtonk! auch nicht), dafür aber so unbeschwert von der Leber weg erzählt, dass einem die Spielzeit des Films nur so durch die Finger flutscht. Gut, etwas mehr als 90 Minuten sind keine Challenge. Dennoch weiß Herbig mit dem Drehbuch von Produzent Hermann Florin gut umzugehen und den Plot so straff zu halten, dass er runtergeht wie der gut geölte, vielleicht auch etwas aufgerüschte Aufmacherartikel einer renommierten Zeitschrift. Mehr davon!

Tausend Zeilen (2022)

The French Dispatch

DAS KLEINGEDRUCKTE IM FILM

5/10


frenchdispatch© The Walt Disney Company Germany


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, USA, FRANKREICH 2021

BUCH / REGIE: WES ANDERSON

CAST: BILL MURRAY, OWEN WILSON, BENICIO DEL TORO, LEA SEYDOUX, ADRIEN BRODY, FRANCES MCDORMAND, TILDA SWINTON, TIMOTHÉE CHALAMET, MATHIEU AMALRIC, EDWARD NORTON, WILLEM DAFOE, SAOIRSE RONAN, CHRISTOPH WALTZ U. A. 

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Die Gefahr, Wes Andersons Filme mit anderen zu verwechseln, geht gegen null. Werke wie diese nachzudrehen, erfordern außerdem viel zu viel Kleinarbeit. Der Einzige, der an diese Art des Filmemachens noch rankommt, ist der zumindest phonetisch namensgleiche Schwede Roy Andersson (zuletzt mit Über die Unendlichkeit im Kino). Beide verbindet die Liebe zum Tableau, zum akkuraten Arrangement, und zum genau kalkulierten, punktgenauen Auftreten der Figuren, die dann genauso punktgenau wieder die Bühne verlassen. Doch um ehrlich zu sein, findet im Gegensatz zu Wes Anderson Namensvetter Roy den richtigen Ausgleich zur visuellen Exzentrik – er reduziert das gesprochene Wort und lässt stattdessen seine Arrangements sprechen. Der andere Anderson hingegen tut das nicht, oder sagen wir: immer weniger. Sein neuestes Werk The French Dispatch begeht überdies den Fehler, keine durchgängige Geschichte zu erzählen, sondern in sich abgeschlossene Miniaturen zu errichten, die das Kleinteilige nochmal zerkleinern und sich als vollgestopfte Setzkästen in dafür vorgesehene Setzkästen sortieren. Eine Fülle, in der sich Menschen mit Sammlerwut vielleicht zurechtfinden können – alle anderen, die gerne sammeln, das aber nicht exzessiv betreiben, sind versucht, manches in diesem Film gar nicht mehr wahrnehmen zu wollen.

Die Handlung eines solchen Streifens lässt sich auch kaum in ein paar Sätze packen. Einerseits tut sich auffallend viel, andererseits sind das Ereignisse, die aufgrund ihrer durchaus eitlen, artifiziellen Darstellung auf der Stelle treten. Die Basis dieser Episodensammlung bildet das Verlagshaus der Zeitschrift The French Dispatch in der fiktiven französischen Stadt Ennui-sur-Blasé. Chefredakteur und Gründer Arthur Howitzer (gespielt von Bill Murray) ist eben verschieden. Seinem letzten Willen nach soll es der Verlag seinem Gründer gleichtun. Für eine letzte Ausgabe finden sich eine Handvoll Journalisten ein, die für Howitzer geschrieben haben – vom radfahrenden Reporter bis zum Schreiberling für kulinarische Kostbarkeiten. Bevor diese allerdings einen Nachruf formulieren können, zeigt uns Wes Anderson, wer von diesen Leuten genau was zu Papier gebracht hat, jeweils anhand eines Artikels. Der Film „liest“ sich dann auch dementsprechend, hat insgesamt 75 Seiten und behält seine vage rote Linie dadurch, dass zwischendurch immer wieder Szenen aus dem Verlagshaus durchsickern, die Howitzer beim Lesen des eben inszenierten Geschriebenen zeigen.

Wie schon im Film Grand Budapest Hotel, der zumindest eine stringente Geschichte erzählt und dadurch auch deutlich griffiger erscheint, stehen auch hier namhafte Stars allein schon für einen Cameoauftritt Schlange. Die Liste ist lang, und leicht lässt sich der eine oder die andere übersehen, weil der andauernde Kommentar aus dem Off niemals Ruhe gibt. Das sind gewaltig viele Worte, und gleichzeitig aber gewaltig viele detailreiche Bilder, die auch noch beachtet werden wollen. Kaum glaubt man, mit all dem Input à jour zu sein, bröckeln die Episoden ins Tausendste. The French Dispatch ist ein Film, der dazu verleitet, einiges, nach eigenem Ermessen für nicht sonderlich relevant Befundenes in Klammer zu setzen. Anderson treibt es auf die Spitze, denn sein exzentrisches Herumblättern ist nicht nur ein verfilmtes Magazin mit all seinen Beiträgen, sondern auch mitsamt des Glossars, den Fußnoten und dem Quellennachweis, den das Publikum auch noch lesen muss.

The French Dispatch