The French Dispatch

DAS KLEINGEDRUCKTE IM FILM

5/10


frenchdispatch© The Walt Disney Company Germany


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, USA, FRANKREICH 2021

BUCH / REGIE: WES ANDERSON

CAST: BILL MURRAY, OWEN WILSON, BENICIO DEL TORO, LEA SEYDOUX, ADRIEN BRODY, FRANCES MCDORMAND, TILDA SWINTON, TIMOTHÉE CHALAMET, MATHIEU AMALRIC, EDWARD NORTON, WILLEM DAFOE, SAOIRSE RONAN, CHRISTOPH WALTZ U. A. 

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Die Gefahr, Wes Andersons Filme mit anderen zu verwechseln, geht gegen null. Werke wie diese nachzudrehen, erfordern außerdem viel zu viel Kleinarbeit. Der Einzige, der an diese Art des Filmemachens noch rankommt, ist der zumindest phonetisch namensgleiche Schwede Roy Andersson (zuletzt mit Über die Unendlichkeit im Kino). Beide verbindet die Liebe zum Tableau, zum akkuraten Arrangement, und zum genau kalkulierten, punktgenauen Auftreten der Figuren, die dann genauso punktgenau wieder die Bühne verlassen. Doch um ehrlich zu sein, findet im Gegensatz zu Wes Anderson Namensvetter Roy den richtigen Ausgleich zur visuellen Exzentrik – er reduziert das gesprochene Wort und lässt stattdessen seine Arrangements sprechen. Der andere Anderson hingegen tut das nicht, oder sagen wir: immer weniger. Sein neuestes Werk The French Dispatch begeht überdies den Fehler, keine durchgängige Geschichte zu erzählen, sondern in sich abgeschlossene Miniaturen zu errichten, die das Kleinteilige nochmal zerkleinern und sich als vollgestopfte Setzkästen in dafür vorgesehene Setzkästen sortieren. Eine Fülle, in der sich Menschen mit Sammlerwut vielleicht zurechtfinden können – alle anderen, die gerne sammeln, das aber nicht exzessiv betreiben, sind versucht, manches in diesem Film gar nicht mehr wahrnehmen zu wollen.

Die Handlung eines solchen Streifens lässt sich auch kaum in ein paar Sätze packen. Einerseits tut sich auffallend viel, andererseits sind das Ereignisse, die aufgrund ihrer durchaus eitlen, artifiziellen Darstellung auf der Stelle treten. Die Basis dieser Episodensammlung bildet das Verlagshaus der Zeitschrift The French Dispatch in der fiktiven französischen Stadt Ennui-sur-Blasé. Chefredakteur und Gründer Arthur Howitzer (gespielt von Bill Murray) ist eben verschieden. Seinem letzten Willen nach soll es der Verlag seinem Gründer gleichtun. Für eine letzte Ausgabe finden sich eine Handvoll Journalisten ein, die für Howitzer geschrieben haben – vom radfahrenden Reporter bis zum Schreiberling für kulinarische Kostbarkeiten. Bevor diese allerdings einen Nachruf formulieren können, zeigt uns Wes Anderson, wer von diesen Leuten genau was zu Papier gebracht hat, jeweils anhand eines Artikels. Der Film „liest“ sich dann auch dementsprechend, hat insgesamt 75 Seiten und behält seine vage rote Linie dadurch, dass zwischendurch immer wieder Szenen aus dem Verlagshaus durchsickern, die Howitzer beim Lesen des eben inszenierten Geschriebenen zeigen.

Wie schon im Film Grand Budapest Hotel, der zumindest eine stringente Geschichte erzählt und dadurch auch deutlich griffiger erscheint, stehen auch hier namhafte Stars allein schon für einen Cameoauftritt Schlange. Die Liste ist lang, und leicht lässt sich der eine oder die andere übersehen, weil der andauernde Kommentar aus dem Off niemals Ruhe gibt. Das sind gewaltig viele Worte, und gleichzeitig aber gewaltig viele detailreiche Bilder, die auch noch beachtet werden wollen. Kaum glaubt man, mit all dem Input à jour zu sein, bröckeln die Episoden ins Tausendste. The French Dispatch ist ein Film, der dazu verleitet, einiges, nach eigenem Ermessen für nicht sonderlich relevant Befundenes in Klammer zu setzen. Anderson treibt es auf die Spitze, denn sein exzentrisches Herumblättern ist nicht nur ein verfilmtes Magazin mit all seinen Beiträgen, sondern auch mitsamt des Glossars, den Fußnoten und dem Quellennachweis, den das Publikum auch noch lesen muss.

The French Dispatch

Der Moment der Wahrheit

EIN KNÜLLER UM JEDEN PREIS

7,5/10

 

momentderwahrheit© 2015 SquareOne/Universum Film

 

LAND: USA, AUSTRALIEN 2015

REGIE: JAMES VANDERBILT

CAST: CATE BLANCHETT, ROBERT REDFORD, STACY KEACH, DENNIS QUAID, TOPHER GRACE, BRUCE GREENWOOD U. A.

 

Was ist Wahrheit? Das hat schon vor mehr als 2000 Jahren ein römischer Statthalter gefragt. Und das fragen sich Journalisten seit Anbeginn ihrer Zunft: Wem oder was genau jage ich nach? Die Wahrheit – das ist etwas, das ans Licht kommen muss, wie auch immer. Der Nazarener ist die Antwort auf die Frage schuldig geblieben. Jene, die gegenwärtig für Aufklärung unter uns Otto Normalverbrauchern sorgen, bemühen sich aber, sie zu beantworten. Und beschaffen sich diese mit teils unlauteren Mitteln, verheimlichen Quellen, um diese zu schützen. Kommen dann mit der Wahrheit ans Licht, wenn die Umstände es verlangen. Jüngstes Beispiel: Ibiza. Die Art und Weise, wie Gesagtes in kürzester Zeit zum meinungspolitischen Zitatenschatz wurde, ist selbstredend eine zweifelhafte. Wenn aber das prognostizierte öffentliche Interesse größer ist als das Vergehen bei der Wahl der Mittel, tritt letzteres in den Hintergrund. Vorausgesetzt, das, was diese Mittel ans Tageslicht befördern, ist authentisch genug, um keine Zweifel an der Wahrheit zu schüren. Das scheint den Pseudo-Oligarchen wohl gelungen zu sein, denn jene Medien, die Mitte Mai die Bombe haben platzen lassen, konnten sich, nach sorgfältiger Prüfung, auch beruhigt zurücklehnen, um die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Anderen wiederum war das heiße Eisen wohl zu heiß. Nicht dass sie es nicht angepackt hätten. Doch heißes Eisen kühlt rasch aus, brennt in der Hand, hinterlässt Wunden. Zu früh fallengelassen ist jedenfalls nicht probiert. Allerdings aber auch nicht zu Ende gedacht.

Diese anderen, das waren die Journalistinnen und Journalisten einer renommierten Nachrichtensendung bei CBS. Für die investigative Reporterin Mary Mapes, die mit ihrem Bericht über die Foltermethoden im irakischen Gefängnis Abu Grab 2004 für Aufsehen sorgte, nahmen mutmaßliche Hinweise schön langsam Gestalt an. Und: sie könnten Einfluss haben auf die bevorstehende Wiederwahl von Präsident Goerge W. Bush. Diese Hinweise deuten an, dass der politisch stets mit der Tür ins Haus fallende Texaner Anfang der 70er Jahre gezielt vom Militäreinsatz in Vietnam abgezogen wurde. Besser noch – Bush wurde der Nationalgarde unterstellt, unter Protektion wohlgemerkt. Konsequentes Nichtwahrnehmen seiner Pflicht wurde unter den Teppich gekehrt. einer wie Bush, der musste, wie es aussieht, schon damals so gut wie gar nichts. Die Frage: stimmt das? Ist das die Wahrheit? Zwei Memos belegen das – sofern sie echt sind. Eigentlich egal, raus damit, wenn die Quellen sich schon sicher sind, was braucht es da noch für Überprüfungen. Ein fahrlässiger Fehler, wie sich bald herausstellen wird. Und ein Skandal, der plötzlich weite Kreise zieht, sogar alteingesessene Hasen wie Dan Rather (eine Art US-Armin Wolf) mit sich reißt und die berufliche Existenz so mancher gutmeinender Journalisten zerstört.

Der Moment der Wahrheit ist mit Robert Redford, Cate Blanchett und „Mike Hammer“ Stacy Keach schon mal prominent besetzt. James Vanderbilt hat ein Journalismus- und Mediendrama inszeniert, dass die Qualitäten eines Adam McKay erreicht. Wohl überlegt, nicht überhastet und geduldig rollt der Film eine Chronik der Tatsachen auf, die zwar jedweden Sarkasmus vermissen lassen, aber mit den Fakten alleine schon, und wenn sie auch noch so detailliert in die dramatisierte Version eines Skandals gestreut sind, zu fesseln weiß. Mag es nur ein hochgestelltes th sein, über das sich kritische Stimmen äußern. Mag es nur die Möglichkeit sein, die im Raum steht, dass besagte Beweislast politisch schöngefärbt ist – in diesem klugen Drama bekommt der Ehrenkodex des Journalismus fundamentzerstörerische Risse. Was darf man, was soll man, und wofür – stellt sich die Frage. Schlampigkeit ist fehl am Platz, Meinungsmache auch – und politische Mission sowieso. Aber wo ist die Grenze gezogen? Was ist richtig und was falsch? Zurückkommend auf Ibiza: in einem Moment der polemischen Euphorie bezeichnet unser Ex-Vizekanzler „Journalisten als die größten Huren unseres Planeten“. Mary Mapes und ihr Team wurden ähnlich beschimpft. In Der Moment der Wahrheit ist die Suche nah selbiger das Ziehen der Arschkarte, ist der Übereifer, dem Rest der Welt keine Tatsachen schuldig zu bleiben, das anscheinend Niederträchtigste, was es gibt. Allerdings – der Wille zum nächsten Knüller trägt die rosarote Brille des medialen Jagdinstinkts. Vanderbilt erzählt anhand dieses Beispiels von schwerwiegenden Fehlern, Gesichtsverlust und dem Ringen um Anstand. Blanchett gibt die verzweifelte, leidenschaftliche und unter Hochspannung stehende Reporterin gewohnt glaubwürdig, Redford an ihrer Seite gibt den letzten Schliff. In brisanten Zeiten wie diesen, wo Beeinflussung, (Neu)wahlkampf und politische Grabenkämpfe alles sind, ist die moralische Frage des journalistischen Auftrags dringender denn je. Dieser Film stellt sie, ohne Antworten finden zu wollen. Ohne ein Resümee zu ziehen. Dieses bleibt nämlich uns Sehern – und Wählern überlassen.

Der Moment der Wahrheit