Kill (2023)

TRAUERZUG DER BÖSEN BUBEN

7/10


kill© 2024 Lionsgate

LAND / JAHR: INDIEN 2023

REGIE: NIKHIL NAGESH BHAT

DREHBUCH: AYESHA SYED, NIKHIL NAGESH BHAT

CAST: LAKSHYA, RAGHAV JUYAL, ASHISH VIDYARTHI, ABHISHEK CHAUHAN, HARSH CHHAYA, TANYA MANIKTALA U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Vor zwei Jahren brachte Actionspezialist David Leitch Bullet Train in die Kinos, einen spektakulären Actionfilm, der in den beengten Gängen und zwischen den Sitzreihen eines Hochgeschwindigkeitszuges Radau macht. Als Passagiere: Typen wie Brad Pitt, Aaron Taylor-Johnson oder Brian Tyree Henry – letztere als Buddies ganz im Tarantino-Stil. Ein intaktes Genre-Glanzstück ist Leitchs Film geworden. Fügt man zu so einem Setting noch ein ganz schönes Quäntchen Stirb langsam hinzu und jemanden wie John McLane, nur noch martialisch so tüchtig und unverwüstlich wie ein Hindi-Gott und verfrachtet das Ganze an den Subkontinent Indien, hat man einen Film, der diese Komponenten mit denen Bollywoods vereint. Fertig ist ein Knaller wie Kill, dessen Titel Programm sein darf – was man anfangs nicht ganz glauben will. Denn da fliegen erstmal die Fäuste, wenn schon nicht die schmachtenden Blicke eines Liebespaares den Besitzer oder die Besitzerin wechseln.

Die Rede ist von der schönen Tulika, deren Augen man niemals wieder vergessen wird, und Fani, einem Elite-Soldaten und Meister im Kampfsport jedweder Art. Natürlich sind die beiden nicht nur ineinander verliebt, nein, sie lieben sich und wollen heiraten. Nur Tulika kommt aus einer reichen, einflussreichen Familie, wo der Vater das Sagen und längst eine Ehe arrangiert hat mit einem völlig Unbekannten. Auf dem Weg zur Hochzeit besteigen allesamt – Sowohl Fani als auch Tunika und ihr Familie – den Mitternachtsexpress nach Delhi. Soweit nun reinstes Bollywood-Kino. Bis jene an Bord kommen, die nichts Gutes im Schilde führen: Ein ganzer Haufen Räuber und Banditen, auch sie allesamt miteinander verwandt und verschwägert und was weiß ich noch alles. Ihr Ziel ist von niederträchtiger Natur, und als sie sehen, wer da noch im Zug sitzt – denn Tulikas Vater ist kein Unbekannter – kommt die Idee der Geiselnahme ins Spiel. Fani, mit seinem Kompagnon zur Falschen oder eben richtigen Zeit am Falschen oder eben richtigen Ort, stellt sich den bösen Buben in den Weg. Aus dem Hickhack wird nach einem schmerzlichen Schicksalsschlag für Fani bitterer Ernst. Die Bösen sollen nicht nur mit Blessuren davonkommen, sondern allesamt das Zeitliche segnen.

Wie er das macht, erfahren wir relativ spät, ungefähr um die Mitte des Films herum. Genau dann erst blendet Regisseur Nikhil Nagesh Bhat das Insert des Titels ein, und genau ab dann findet literweise dünnes Kunstblut seine Verwendung. Man muss dabei wissen: Immer noch ist Kill reinstes Bollywood-Kino, distanziert sich aber von der knochentrockenen und expliziten Akurratesse von Filmen wie The Raid. Kill ist die schwülheisse, emotional dick aufgetragene und aufgeladene Stirb langsam-Version aus dem Monsun: üppig, schwülstig und so deftig wie mit den Händen verschlungenes Lammcurry im Schärfegrad hartgesottener Millionenstädter. Es fliegen die Messer, es knacken Genicke und Gelenke. Kill macht das Dahinschlachten insofern erträglich, da er das Ganze in einem pulsierenden Gedränge erstickt. Letztlich geht es aber nicht nur darum, die Bösen nur zu dezimieren. Was Nagesh Bhat gelingt, ist es, all die Verbrecher insofern leiden zu lassen, da sie vorrangig um ihre Liebsten trauern, die ebenfalls diesem Höllenritt angehören. Da heult der Sohn um den Vater, der Vater um den Bruder, der Neffe um den Onkel. Allesamt stimmen sie ein Lamento an, das man so noch nicht gesehen hat. Viel mehr schmerzt hier das seelische Ungleichgewicht, das die Bösen entmutigt, immer schwächer, fahriger und unkontrollierter werden lässt. Das Impulsive spielt dem Protagonisten in die Hände. Auch er heult und trauert angesichts deftiger Tragödien, die sich in dieser Tropennacht alle zutragen. US-Action, darunter eben Stirb Langsam oder Alarmstufe Rot, hätte sich mit ihrer Helden-Mentalität nie so weit aus dem Zugfenster gelehnt, geschweige denn derartige Opfer gebracht. Genau das heizt aber die Emotion des Zuschauers an, so funktioniert indisches Kino. Gemeinsam mit der grandios choreographierten Action auf engstem Raum kann man Kill als das blutige Filetstück eines theatralischen Hardcore-Thrillers betrachten, absolut nicht jugendfrei, dafür aber umso opulenter, farbenfroher und so stark gewürzt, dass es nicht nur zweimal brennt.

Kill (2023)

Butcher’s Crossing (2022)

MÄNNER FÜR ALLE FELLE

5/10


butcherscrossing© 2022 Splendid Films


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: GABE POLSKY

DREHBUCH: GABE POLSKY, LIAM SATRE-MELOY, NACH DEM ROMAN VON JOHN WILLIAMS

CAST: NICOLAS CAGE, FRED HECHINGER, JEREMY BOBB, PAUL RACI, XANDER BERKELEY, RACHEL KELLER U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Forrest Gump würde sagen: Nicolas Cage ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt. Denn Cage, der kann alles und will auch alles spielen, schreckt vor nichts zurück, mag Komödien genauso wie Action, Horror oder Experimentelles, das als Arthouse einem breiteren Publikum wohl nicht so unter die Nase geht. Grund genug für mich, immer mal wieder reinzuschnuppern, wenn der Set-Workaholic mit neuem Content von sich reden macht. Manche dieser Werke finden auch ihr Ziel auf der großen Leinwand, manches erfreut hierzulande nur im Stream.

Schüsse in den Ofen sind Cages Arbeiten längst nicht immer. Cage ist Profi, und als Profi lässt er Genres wie den Western genauso wenig aus. Um sich von seinen bisherigen Figuren auch optisch abzuheben, gibt’s diesmal die Radikalrasur. Narbige Glatze und Dreitagebart, das räudige Äußere eines zwielichtigen Abenteuers aus dem Billigpistolen-Paradies des Italiens der Sechzigerjahre. So lässt sich der in Büffelfell gehüllte und gemächlich einen Whisky schlürfende Klischee-Zampano auch ohne weiteres zu einer Expedition überreden, für die er schließlich keinen müden Dollar locker machen muss, packt doch den aus Boston direkt in die wilde Provinz verschlagenen und auch gut betuchten Studienabbrecher Will Andrews die Lust, eins mit der Natur zu werden und Leuten wie Miller (eben Nicolas Cage) in ein Territorium zu folgen, dessen Boden nur wenige Menschen zuvor betreten haben. Angeblich, so Miller, soll es dort noch die letzten großen Büffelherden geben, und da die Nachfrage für das Fell der Tiere noch größer als das Angebot scheint, lässt sich damit eine goldene Nase verdienen.

So koffert das berittene Team aus vier grundverschiedenen Abenteurern durch feindliches Indianergebiet ohne Indianer, um letzten Endes tatsächlich an einen Ort zu gelangen, wo es vor Rindviechern nur so wimmelt. Miller sollte recht behalten – im El Dorado eines Büffeljägers lässt sich hemmungslos wüten und dem Wahnsinn verfallen. Nicolas Cage findet anfangs geschmeidig in seine Rolle, nur ist diese des Großwildjägers Miller keine, die, wie so oft im Genre des Western, auf eine psychologische Reise in Wechselwirkung mit den Umständen verzichtet. Der anfängliche Grundcharakter der Figur wechselt später nur ungern zum Psychogramm eines blutrünstigen Tier-Killers, der den Hals nicht voll bekommt. Dementsprechend gibt es Response auch von den Co-Charakteren, die weitaus glaubwürdiger agieren als Cage. Sich bedeutungsschwer an den Kopf zu greifen wie seinerzeit Marlon Brando in Apocalypse Now oder den typischen Manierismus des Schauspielers, die da so sind wie das wilde Gestikulieren mit den Armen – es scheint, als hätte Cage die Dimension seiner Figur nicht kommen sehen oder einfach unterschätzt.

Fred Hechinger als der blauäugige Junge vom Land hat, je mehr Cage aufdreht, immer weniger bis gar keinen Text mehr. Es ist, als hätte man auf seine Figur vergessen, dabei fungiert sie obendrein als Erzähler. Das Abenteuer rund um den einbrechenden Winter, für den on location in Montana gedreht wurde, spiegelt sich kaum in der Psychologie der Abenteurer wider. Butcher’s Crossing verliert irgendwann das Gefühl für Zeit und die Fähigkeit, Zeiträume zu vermitteln. Das ambitionierte Vorhaben Polskys, die Beinahe-Ausrottung des nordamerikanischen Büffelbestands zu thematisieren, scheitert zum Teil an genau diesen Knackpunkten, während jene Szenen, die das Töten und Schlachten der Tiere visualisieren, so verblüffend gut gemacht sind, dass einem mulmig wird.

Butcher’s Crossing (2022)