Zeit der Kannibalen (2014)

GEFANGEN IN DAGOBERTS GELDSPEICHER

4/10


zeitderkannibalen© 2014 Farbfilm


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2014

REGIE: JOHANNES NABER

BUCH: STEFAN WEIGL

CAST: SEBASTIAN BLOMBERG, KATHARINA SCHÜTTLER, DEVID STRIESOW U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Johannes Nabers sarkastisches Stück deutscher Fremdschäm-Politik konnte mich vor zwei Jahren so ziemlich begeistern: Curveball – Wir machen die Wahrheit. Aufgespielt haben der sensationelle Sebastian Blomberg als einer, der nicht weiß, wie ihm geschieht, weiters Michael Wittenborn und Thorsten Merten. Alle drei wie für Satire gemacht, noch dazu vor dem erschütternden Hintergrund einer Realgroteske, die den Lauf der Geschichte nachhaltig verändert hat. Ich sage nur: Biowaffen im Irak. Und warum die USA letztendlich Saddam Hussein gestürzt und das Land in irreparables Chaos versinken ließ. Von so einer Brisanz ist Nabers zweiter Spielfilm, Zeit der Kannibalen, leider weit entfernt. Doch nichts für ungut, das ist nur meine Meinung, denn wenn man sich so umhört in den Nachrichtenarchiven rund um Kino und Kunst, so kommt Zeit der Kannibalen ziemlich gut weg – als ein auf den Punkt gebrachtes Kammerspiel zu Gier und Moral, Kapitalismus und Ausbeutung.

Der Inhalt liest sich zugegebenermaßen tatsächlich so, als wäre ein spannender Zermürbungskrieg zu erwarten, der die drei global agierenden Investment-Junkies Devid Striesow, Katharina Schüttler und natürlich wieder Sebastian Blomberg gegeneinander so lange aufhetzt, bis sie sich entsprechend zerfleischen. Schadenfreude garantiert, denn bei so viel kapitalistischer Arroganz macht es Spaß, die Verantwortlichen für die klaffende Arm-und-Reich-Schere sich selbst den Garaus machen zu sehen. Vielleicht aber hätte man nicht erwartet, dass Zeit der Kannibalen unbedingt so abstrakt sein will wie das Bühnenstück eines sich selbst überschätzenden Theatermachers. Naber bettet seine zynische Dialogkomödie nicht in eine Realität wie später bei Curveball, sondern lässt seine Protagonisten in generischen Hotelzimmern ihrer Arbeit nachgehen, während draußen vor den Fenstern eine aus Würfeln errichtete Skyline ebenso generischer Dritte-Welt-Städte das Gefühl von Internationalität vermittelt. Wenn schon die Kulisse der Hotels als wohlige Blase für Gier und Missgunst anmutet, ist die künstliche Außenwelt eine zweite, die das ganze Geschehen von der Wahrhaftigkeit abschirmt. Mag sein, dass diese Reduktion den Fokus viel mehr auf das Erstarken und Fallen einer geldmachenden Welt reduziert – die Rechnung geht dennoch nicht auf.

Dabei ließe sich allerhand aus diesen Spinnereien, die in diversen Kämmerleins gesponnen werden, abschöpfen. Der Plot ist nämlich dieser: Striesow und Blomberg geben zwei Wirtschaftsvertreter einer ominösen Company, die für alle Konzerne dieser Welt stehen kann – ins Detail geht Naber dabei nie. Diese erfahren, dass sie statt ihres dritten Kollegen Hillinger, der, wie sich später herausstellen wird, Suizid begangen hat, eine aufstrebende Quereinsteigerin namens Bianca zugeteilt bekommen. Während sie von einem zu schröpfenden Staat in den nächsten reisen, entsteht so das satirische Bild eines Trio Infernal, das sich gegenseitig aufhetzt, erniedrigt oder belehrt. Währenddessen allerdings scheint die Company, für die sie arbeiten, seltsame Entwicklungen zu durchleben, die nicht gerade sinnbildlich sein sollen für das goldene Zeitalter des Kapitalismus.

Naber hätte eher beim Sezieren realer Ereignisse bleiben sollen, anstatt den Zynismus gefühlskalter Globalisierungssöldner in ein ebenso zynisches Lehrstück zu packen. Dabei bringen die verbalen Duelle keine der Figuren weiter, sie sind in ihren Ansichten genauso gefangen wie wir als Zuseher in diesen unleidigen sterilen Räumlichkeiten. Zeit der Kannibalen bleibt viel zu künstlich, kaltschnäuzig und unnahbar. Als die kleine Chronik eines selbstgemachten Untergangs vermag lediglich die am Ende hereinbrechende Anarchie eines Krieges ein bisschen Menschlichkeit in Form von Panik aus den zweidimensionalen Figuren herauszukitzeln.

Zeit der Kannibalen (2014)

The Nest

WENN ICH EINMAL REICH WÄR …

6,5/10


thenest© 2020 Ascot Elite Home Entertainment GmbH


LAND / JAHR: KANADA, GROSSBRITANNIEN 2020

BUCH / REGIE: SEAN DURKIN

CAST: JUDE LAW, CARRIE COON, OONA ROCHE, CHARLIE SHOTWELL, ADEEL AKHTAR, MICHAEL CULKIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Es ist nicht alles Gold, was glänzt hat schon bereits Wencke Myhre in ihrem Schlagerklassiker aus den Siebzigern festgestellt. Wie recht sie hatte: Wenn der Schein trügt, lässt sich das im Gegenlicht befindliche Dahinter kaum erkennen. Wer weiß, wie vielen Adabeis und Möchtegerns auf genau diese Weise die Luft ausgeht, während sie damit prahlen, alles zu haben, zu besitzen und sich noch mehr leisten zu können. Mit diesem Phänomen der äußeren Erscheinungsgabe setzt sich das exzentrische Drama The Nest auseinander. Dem Filmtitel nach mag sich das vielleicht nach einem Psychothriller anhören, denn alles, was irgendwie, im filmischen Gesellschaftskontext vor sich hin nistet, einer ungesunden Wucherung gleich irgendwann an die Oberfläche sickert.

Und wer wäre für diese Rolle des Blenders und über seine Verhältnisse lebenden Gierschlunds nicht besser geeignet als ein bereits als Pontifex ölig aufspielender Jude Law? Vielleicht Leonardo DiCaprio, aber der hat in The Wolf of Wall Street nicht nur geprahlt, sondern auch kassiert, während hingegen dieser charismatische Mann mittleren Alters das Füllhorn an Mammon einfach nur gerne hätte. Dafür scheint ihm jedes Mittel recht. Und dafür scheint er auch seine liebe Gattin und seine zwei Kinder entsprechend geschickt bezirzen zu können. Denn der in den USA lebende Geschäftsmann wittert in Großbritannien das ganz große Los. Dafür stürzt er sich natürlich in gewisse Schulden, um ein Landhaus anzumieten, dass so aussieht, als hätten die Windsors an Immobilien schon genug. In diesen holzgetäfelten vier Wänden mit gotischen Fenstern und dunklen Treppen, dem Nest also, scheint der grenzenlose Reichtum ja ähnlich wie in Dagoberts Geldspeicher nur mehr eine Frage der Zeit. Doch die Zeit schafft letzten Endes Not, und bald fehlt es vorne und hinten. Was Jude Law – im Gegensatz zum Rest seiner Familie – nicht wahrhaben will, steht doch eine Firmenfusion ins Haus, die satte Boni bringt.

Reich zu werden ist nicht schwer, reich zu sein hingegen sehr. Denn wie das Vermögen halten, wenn nichts nachkommt? Jude Laws Rolle als Prototyp eines nimmermüden, ewigen Yuppie – ganz so wie der bekannte „ewige Student“ – wahrt in diesem sehr geschmackvoll fotografierten, mit viel Licht und Schatten dank des verwinkelten Herrenhauses arbeitenden Dramas sehr lange das falsche Gesicht, und man ahnt anfangs nur vage, dass hier irgend etwas faul zu sein scheint. Schleichend nähert sich in düsteren Metaphern wie die des Todes und dem Andeuten körperloser Präsenzen das Unbehagen einer Lebenslüge, und stellenweise könnte man meinen, in einem Werk von Daphne du Maurier gelandet zu sein. Ähnlich wie in ihrem Werk Rebecca schleicht auch hier das Misstrauen in den Gängen des letzten Endes in Flammen aufgehenden Schlosses herum. In The Nest vermengt Autorenfilmer Sean Durkin seine ansatzweise dem Gothic-Roman zugewandte Idee einer ungewöhnlichen Storyline mit dem schwelenden Konflikt einer dysfunktionalen Familie, die den Schein irgendwann satt hat.

Für Freunde subtil erzählter existenzieller Schräglagen, die aber so gut wie gar nicht den tadelnden Finger heben, ist The Nest auf seine Art eine Genugtuung, die den sodbrennenden Ekel vor so manchen aufplusternden Angebern lindert. Weiterhin gilt die Vermutung, das bei vielen nichts dahintersteckt.

The Nest

I Care a Lot

DAS GELD ÄLTERER LEUTE

8/10


icarealot© 2021 Photo Cr. Seacia Pavao / Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: J BLAKESON

CAST: ROSAMUNDE PIKE, EIZA GONZÁLES, PETER DINKLAGE, DIANNE WIEST, CHRIS MESSINA, ISIAH WHITLOCK JR. U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


In Österreich ist der Pflegeregress – das Finanzieren von Pflege aus privatem Vermögen – seit Anfang 2018 abgeschafft. Na, Gott sei Dank für die Angehörigen und Nachkommen. Und Gott sei Dank natürlich für die Betroffenen. Etwas zu besitzen macht schon auch etwas mit dem Selbstbewusstsein. Vom Ende des Pflegeregress hat die toughe Marla Grayson allerdings noch nichts vernommen. Keine Ahnung wie das in anderen Ländern gehandhabt wird. Bei Marla Grayson jedenfalls bläht sich die Brieftasche dank sozialer Scheinliebe bis zum Äußersten. Denn sobald gerichtlich verfügt wird, dass hilfsbedürftige Senioren unter Graysons Kuratel gestellt werden müssen, sie noch dazu Heim und Hof verlieren und nicht mehr als zu melkendes Gemüse sind, wird der ganze Besitz veräußert. Nachlass für andere zu Lebzeiten sozusagen. Ein Vorgehen, fern jeder Ethik. Aber wer braucht schon Ethik in Zeiten von Konzerndenken und dem lukrativen Gewinn aus dem Schaden anderer? Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, das sangen schon die Prinzen. Und recht haben sie damit. Allerdings übersehen sie, dass ein Leben auf Kosten anderer irgendwann auf holprigen Pfaden endet. Denn mit der Enteignung und Einweisung der betagten, aber geistig noch völlig fitten Jennifer Peterson (Dianne Wiest) tritt sich Marla Grayson einen Haufen Schwierigkeiten ein, mitunter den finsteren Burschen Peter Dinklage, der, was keiner weiß, Jennifer Petersens Sohnemann ist und sich ernsthaft fragt, warum Mutti sich nicht meldet.

Regisseur und Autor J. Blakeson (u. a. Die Entführung der Alice Creed, Die 5. Welle) hat mit seiner schwarzen Thrillersatire I Care a Lot verdammt vieles richtig gemacht und Netflix zu einem sehenswerten Stück Zeit- und Gesellschaftskritik verholfen, das sich überdies streckenweise zu einem sauspannenden Schachspiel zwischen Rosamunde Pike und dem alten Tyrion Lennister mit Rauschebart und Hipster-Scheitel aufbäumt, den man auch spätnachts ansehen kann, ohne dabei müde zu werden. I Care a Lot ist ein Film, der fesselt, und nicht nur zynisch sein will, weil medialer Zynismus den intellektuellen Kritiker hofiert. In diesem Zynismus liegt eine komödiantisch verzerrte Wahrheit, was die Gier einiger weniger betrifft, die sich zur fröhlichen Oligarchie zusammenschließen, um das Fußvolk, das gar nicht weiß, wie ihm geschieht, auszunehmen. Man möchte diese eiskalte, berechnende und scharfsinnige Figur der Marla Grayson, die das Kaliber einer mörderischen Sharon Stone in ihren besten Zeiten erreicht, ohne dabei mit plumpen Kapitalverbrechen anzugeben, am liebsten hassen. Doch das kann man nicht, weil Rosamunde Pike einfach zu begnadet agiert, um sich von ihr abzuwenden. Pike, längst eine meiner großen Favoriten im Filmbiz, ist eine strahlende, makellose Erscheinung und gleichsam so perfide wie eine Renaissance-Regentin, die ihre Widersacher beseitigt, nämlich so, dass es keiner merkt. Pike gibt sich die Frauenpower auf der Schattenseite, da geht selbst einem ebenso versierten Peter Dinklage irgendwann die Eloquenz aus. Und man selbst bleibt sprachlos bei so viel Kälte und Gleichgültigkeit dem Humanismus gegenüber, und man könnte sich auch denken, manch ein Mensch ist ein tigerartiger Einzelgänger, der soziales Miteinander als schier überbewertet empfindet.

J Blakeson folgt seinem erdachten Konzept des amoralischen Duells mit einigen Kompromissen, um zum notwendigen Ziel zu gelangen. Das merkt man leider, da sind in Sachen Plausibilität manchmal schwächelnde Wendungen drin, die aber das Gesamtbild nur geringfügig durcheinanderbringen. Doch vielleicht ist dieses Schwächeln auch Teil des Plans, um den Konkurrenten zu umschleichen, ohne ihn ernsthaft um die Ecke bringen zu wollen? Löwen und Lämmer werden hier des Öfteren als Gleichnis bemüht – zu welcher Fraktion Rosamunde Pike gehört, wird wenig überraschend schnell klar. Wenig klar bleibt, wohin sich dieses toughe Lust- und Frustspiel wohl hinentwickeln wird, was den Film angenehm unberechenbar macht. Und der so sagenhaft gut unterhält wie den Erbschleicher das notarielle Verlesen eines üppigen Testaments. Zu Lebzeiten, versteht sich.

I Care a Lot

Honest Thief

EHRLICH WEHRT SICH AM LÄNGSTEN

5/10


honestthief© 2021 Leonine


LAND: USA 2020

REGIE: MARK WILLIAMS

CAST: LIAM NEESON, KATE WALSH, JAI COURTNEY, JEFFREY DONOVAN, ROBERT PATRICK, ANTHONY RAMOS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Kino ist nicht wirklich Kino ohne Filme mit Liam Neeson! Was waren das doch vor Pandemiezeiten für Guilty Pleasures auf der After-Work-Kino-Agenda. Wenn das Hirn schon nach der Arbeit alles gegeben hat und Kopflastiges aus Frankreich bitte nicht für Zerstreuung sorgen soll – dann kommt Liam Neeson gerade recht. Da ist nichts doppelbödig, nichts subversiv, nichts von irgendwelchen Metaebenen abzuholendes. Liam Neeson-Filme sind, was sie sind. Ein Ort der Zerstreuung, vorhersehbar bis zum Abspann, aber durch diese Überraschungslosigkeit alleine fühlt man sich gut aufgehoben, weil man um diese Uhrzeit, also jene nach der Arbeit, wirklich nichts braucht, was einen den boden wegzieht. Olivier Megaton, Jaume Collet-Serra – alles Regisseure, die ihren Star immer gut verstanden und auch immer wieder klassisch gut in Szene gesetzt haben. Da sind die ausgewaschenen Scripts nur Nebensache, es ist wie das Lesen eines Bastei Lübbe-Heftromans vom Kiosk. Wenn sowas gefällt, gefällt es immer wieder.

Das scheint auch beim brandneuen Thriller Honest Thief der Fall zu sein. Kein Megaton, kein Collet-Serra hinter der Kamera – diesmal ist’s Mark Williams, sonst eigentlich nur als Produzent unterwegs. In diesem Film allerdings schickt dieser den schlaksigen Iren auf einen Kreuzweg der Reue. Heißt also: Liam Neeson als Tom Dolan ist ein Bankräuber, ein Meisterdieb, den man nach 8 Jahren sträflichen Handwerks einfach nie überführen konnte. Fast wie Robert Redford in Ein Gauner & Gentleman. Doch die Liebe, die sorgt fürs Umdenken: Dolan besinnt sich seiner Sünden und will keine Geheimnisse mehr vor Freundin Annie (Gray Anatomy-Star Kate Walsh). Er klingelt beim FBI und will sich stellen, die entführte Knete sei überdies in einem Lagerraum abzuholen. Wie das bei der Polizei aber manchmal (zumindest im Kino) leider so ist, machen zwei ambivalente Beamte das Beste draus und reißen sich zumindest einen Teil des Geldes unter den Nagel. Und der „ehrliche Dieb“ muss natürlich auch noch verschwinden…

Storytechnisch kracht es leider enorm im Gebälk – da will partout keine Logik im Handeln der Antagonisten aufkommen, die ihre Lage völlig grundlos verkomplizieren. Gut, dann hätten wir keinen solchen Film, aber vielleicht eine Geschichte, die ein bisschen leiser unterwegs wäre. Das ist dann aber kein Liam Neeson-Film, wie wir ihn kennen, und das Genrepublikum wäre enttäuscht. Also: die hanebüchenen Wendungen lieber in Kauf nehmen und einen bußbereiten Action-Opa als Bombenbastler die Hutschnur platzen lassen, die dann auch noch Feuer spuckt. Im Vergleich zu früheren Thriller-Kapriolen ist Honest Thief aber recht schwachbrüstig, will vielleicht mehr Gutmenschenkrimi mit Drama-Attitüde sein und weniger rot sehen. Der Versuch hinkt, Neeson und Jai Courtney die Hälfte des Films ebenso. Für Zwischendurch allerdings ist Honest Thief am Ende des Arbeitstages aber immer noch eine brauchbare Zerstreuung, wie das Zappen zwischen den Fernsehkanälen. Da kann es durchaus sein, dass man irgendwo nochmal auf Liam Neeson trifft.

Honest Thief

Hustlers

ALL DIE REICHEN WEISSEN MÄNNER

5/10

 

hustlers© 2019 Universum

 

LAND: USA 2019

REGIE: LORENE SCAFARIA

CAST: CONSTANCE WU, JENNIFER LOPEZ, JULIA STILES, LILI REINHARDT, KEKE PALMER, LIZZO, CARDI B U. A.

 

Jennifer…wer? Na Jenny from the Block. Auch schon wieder eine Weile her. So wirklich präsent war die mittlerweile 50jährige Schauspielerin und Sängerin mit puerto-ricanischen Wurzeln in der letzten Zeit eher weniger. Dafür ist ihre Rolle in Hustlers so etwas wie ein Comeback. Und sie macht in diesem True-Story-Streifen tatsächlich eine wahnsinnig gute Figur. Niemals hätte ich gedacht, dass J.Lo schon ein halbes Jahrhundert zählt, es sieht nämlich überhaupt nicht danach aus. Keine Ahnung was die Dame alles an Fitnessstunden absolviert hat, keine Ahnung welchen gesundheitsbezogenen Lebenswandel sie hat, ich lese ja kaum Boulevardblätter welcher Sorte auch immer. Aber irgend etwas muss sie schon getan haben, um mit so einer überraschenden Eleganz an der Stange zu tanzen. Hustlers ist also ihr Film, ganz und gar ihre Kragenweite, wenngleich sie sich neben dem übrigen Cast gar nicht so sehr in den Vordergrund drängt. Ihrem Co-Ensemble begegnet sie auf Augenhöhe. Das hätte ich bei ihrem ersten Auftritt – rauchend, im schicken Pelz auf dem Dach eines Hochhauses in New York, quasi Glamour pur, gar nicht vermutet. In Wahrheit aber spielt J.Lo eine alleinerziehende Mutter, die relativ viel Erfahrung gesammelt hat in der Rotlicht-Polebar-Branche und dabei eine junge Einsteigerin unter ihre Fittiche nimmt, die noch viel lernen muss: Wie Frau sich bewegt, die Do´s und Don´ts und dergleichen mehr. Die beiden – Constanze Wu und J.Lo – freunden sich als ihre Film-Alter Egos schnell an und mischen die zerstreuungswütige, notgeile und reiche weiße Männerwelt auf, solange es eben geht, und solange sie nicht ihr hübsches Gesicht verlieren. Bis die Finanzkrise kommt.

Wir schreiben das Jahr 2008, und ja, die Geschichte dieses Films hat sich ungefähr so, und ich vermute mal natürlich weniger dramatisiert, aufgemotzt und eloquent, aber immerhin ungefähr so zugetragen. Nach besagter Krise sind die reichen, notgeilen Mannsbilder den farbenfrohen Etablissements ferngeblieben. Keiner, der mit Dollars um sich wirft. Und alleinerziehende Mütter wie Lopez und Co müssen sehen, wo sie bleiben. Wechseln den Job und arbeiten im Einzelhandel oder tun, was sie tun müssen, um sich über Wasser zu halten. Der Film wäre ein bitteres Sozialdrama geworden, würden J.Lo und Freundinnen da nicht perfide Pläne schmieden, um nicht doch an das Geld der Kunden ranzukommen. Und diese Methode ist natürlich wenig legal. Zur Kassa wird gebeten, wer große Kassa macht – und sich obendrein vom femininen Reizen einlullen lässt. Nachgeholfen wird mit Drogen. Tags darauf sorgt ein Hangover dafür, dass sich keiner der ausgenommenen Weihnachtsgänse mehr an das feuchtfröhliche Feiern erinnern kann.

Regisseurin Lorene Scafaria macht einen auf Frauenpower. Ihre Damen dürfen alles, der reiche weiße Mann ist die Kuh, die man moralisch vertretbar melken kann. Denn alle, die reich sind, haben es verdient. Die haben ja auch alle die Finanzkrise verursacht. Wie sich die 4 Engel gegen Charlie ihre kriminellen Methoden schönreden, lässt sich auf einen überemotionalisierten Trotz zurückführen. Dieser Trotz brachte dann auch eine wenig differenzierte Offensive mit auf den Weg, für welchen sich meinerseits wenig Verständnis aufbringen lässt. Die Finanzkrise traf doch nicht nur die Nachtclub-Branche, die traf im Grunde alle, die irgendwo in den USA Hypotheken hatten. Die traf durchaus auch manche derreichen, notgeilen Männer. Hustlers zeichnet zwischen rotviolett getönten Lichtern, Poledance und regnenden Geldscheinen mit seiner Chronik der Ereignisse ein wenig nuanciertes und dadurch umso euphemistisch gefärbtes Bild eines Haudrauf-Feminismus, der nicht die Antwort auf sexistische Weltbilder sein kann. Auch wenn Scafaria das vorgehabt hätte. Oder hatte sie gar vor, die Handlungsweise ihrer bühnenpräsenten Heldinnen kritisch zu hinterfragen? Das lässt sich vermuten, aber mehr auch nicht, denn so wirklich verurteilt wird die Robin-Hoodiade in die eigene Tasche nicht. Da liebäugelt man schon sehr mit diesem Trotz, mit dieser plakativen Kraft einer Weiblichkeit, die sich ihres Impacts mehr als bewusst ist. Durch dieses Moraldilemma entgleitet Scafaria vor allem in der zweiten Hälfte der dramaturgische Aufbau und hat so seine Probleme, mit erzählerischer Relevanz umzugehen. Was aber in Erinnerung bleibt, zwischen all der notgedrungenen Geldgier, das ist J.Lo und die Ergebnisse für ihr straffes Training in einem Film, der ganz gut zeigt, wie Stangentanz für Hollywoodstars eigentlich aussehen soll.

Hustlers