Irati (2022)

NICHT DIE GÖTTER, DIE MENSCHEN MÜSSEN VERRÜCKT SEIN

7,5/10


irati© 2022 Filmax


LAND / JAHR: SPANIEN 2022

BUCH / REGIE: PAUL URKIJO ALIJO

CAST: EDURNE AZKARATE, ENEKO SAGARDOY, ITZIAR ITUÑO, ELENA URIZ, KEPA ERRASTI, RAMÓN AGIRRE U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Lokale Mythen als großes Kino – eine Mission, die nun in die zweite Runde geht. Wie es Paul Urkijo Alijo abermals geschafft hat, mit wenigen Mitteln die Legenden seines Landes lebendig werden zu lassen, ist erstaunlich. Dabei ist schon sein Erstling eine Wucht. Und Netflix-Abonnenten können sich glücklich schätzen, denn dieser ist fürs Streaming abrufbar: Errementari: Der Schmied und der Teufel. Was so aussieht, als hätte Guillermo del Toro nach Pans Labyrinth abermals kreative Opulenz auf spanischem Boden zum Sprießen gebracht, ist die Saat eines ganz anderen. Eines Autorenfilmers, dessen Namen wohl die wenigsten kennen, dessen Filmschaffen aber eine große Zukunft hat und gegenwärtig längst schon viel mehr Aufmerksamkeit verdient als es bisher der Fall scheint. In Errementari lässt Alijo einen Boten des Teufels in einen Käfig sperren, der die Seele des Schmieds einfordern will, ist dieser doch im Krieg einen Deal mit dem Leibhaftigen eingegangen. Was ein kleines Mädchen mit dieser ganzen verzwickten Situation zu tun hat, lohnt sich in dieser prächtigen Gothic-Fantasy, die auch irgendwie an Neil Gaiman erinnert, herauszufinden.

War schon dieser so hintersinnige wie düstere Streifen die filmische Interpretation folklorer Mythen, ist es Irati ebenso. Kenner des Baskenlandes wissen: Irati ist die Bezeichnung eines Waldes im Norden der Provinz Navarra an der Grenze zu Frankreich und inmitten der Pyrenäen. Wie dieser zu seinem Namen kam, erzählt vorliegende Geschichte: Wir schreiben die letzten Jahrzehnte des 8. Jahrhunderts. Die Franken fallen in die nordspanischen Königreiche ein – auch in das des Herrschers Ximeno, der sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als die Hilfe einer mythologischen Gottheit namens Mari zu erbitten. Die ist bei den Basken die oberste Entität, die Urmutter aller Nebengötter – der weibliche Odin, wenn man so will. Sie ist liiert mit ihrem eigenen Sohn, einem monströsen Schlangenwesen. König Ximeno dringt also in die heiligen Hallen der mächtigen Dame ein und verspricht ihr sein eigenes Leben, sollte sie die wilden Horden Karls des Großen vernichten. Gesagt, getan – Blut für Blut: Mari lässt es hageln und Felsen regnen – in archaischen Schlachtenszenen und im tosenden Unwetter lassen beiden Parteien die Schwerter klirren, bevor der König sich selbst opfert, um den Deal zu erfüllen. Eineinhalb Jahrzehnte später kehrt dessen Sohn Eneko nach seinen Lehrjahren ins Königreich zurück, um die Gebeine seines Vaters zurückzuholen und die Gegend von heidnischem Glauben zu befreien. Er macht sich mit der im Wald lebenden Irati, Enkelin einer Magierin, auf den Weg, weiß sie doch genau, wo Mari am Spinnrad des Lebens spinnt. Mit dieser Mission entfesselt die Saga ein Abenteuer aus Verrat, Liebe und mächtigen Gegnern aus unsichtbaren Welten sowie mit ganz viel Know-How, was traditionelle, überlieferte Legenden betrifft.

Dabei ist der vom Filmportal Cineuropa getätigte Vergleich mit Herr der Ringe einer, der deutlich hinkt. Damit hat das ganze nichts zu tun. Nicht jede High Fantasy holt sich Inspiration von Tolkiens erdachten Welten. Irati ist etwas ganz und gar Selbstständiges, maximal vielleicht noch mit den deutschen Heldensagen rund um Siegfried vergleichbar, obwohl es in diesem Märchen weder Drachen noch Zwerge gibt – dafür aber einen Schatz, der an das Nibelungengold erinnert. Allein schon der Zugang zu all diesen Gottheiten hebt Irati auf ein gänzlich anderes inhaltliches Niveau, die mit den griechischen oder nordischen Sagen viel mehr verwandt ist.

In satten Bildern, pittoresken Waldlandschaften und stattlichen Kriegern erfüllt diese Queste alle möglichen Anforderungen, die geschmeidige Fantasy ausmachen. Weder erlaubt sich Alijo irgendwelchen Leerlauf, noch läuft er Gefahr, dem aus klassischen Elementen errichtete Abenteuer unfreiwillige Komik zu verleihen. Eneko Sardagoy als der seiner Bestimmung folgende Held mag zwar gewöhnungsbedürftig sein, sein Konterpart Edurne Azkarate als Irati hingegen ist eine Naturgewalt, die die Welt der Götter mit jener des Menschen souverän verbindet. Der Einsatz von Licht und Farbe, die Bedeutung der Natur und akzentuiert eingesetzte Spezialeffekte, die einen gewissen Retro-Charme versprühen, ohne aber kurios zu wirken, beweisen Alijos aufrichtiges Interesse für den Stoff, aus dem die alten Helden sind.

Irati (2022)

Die Mumie (2017)

SCHIEF GEWICKELT

6/10

 

mumie

REGIE: ALEX KURTZMANN
MIT TOM CRUISE, SOFIA BOUTELLA, RUSSEL CROWE

 

Die Universal-Studios zeigen ihre dunkle Seite. Mit neuem Umbrella-Logo ausgestattet, haben die alteingesessenen Macher in den hintersten Regal des Filmarchivs gestöbert, längst vergangene Ikonen vom Staub der Jahrzehnte befreit und neu arrangiert. Oder besser gesagt: ist das vorerst mal der Plan. Dunkler soll alles werden, richtig creepy. Geht alles gut, stellt es einem bestenfalls die Nackenhaare auf. Mal was anderes als das übliche Eventkino, vielleicht auch mit verstörender Note. Schuld daran sind natürlich auch die Erfolge des Horror- und Gruselgenres auf den Streaming-Plattformen und im Fernsehen. Seit Jahrzehnten schon on top, und immer wieder neu aufgekocht. Sei es Vampir, Zombie oder irgendeine Art von Bodyhorror. Die guten alten Haudegen aus der Stummfilm- und Schwarzweißfilm-Ära müssen doch auch noch zu etwas anderes taugen als einfach nur als gern gesehenes Kostüm zu Halloween. Also gleich ein Cinematic Universe, wo Monster, Verfluchte und sonstige Kreaturen ein joviales Crossover betreiben. Bei so einem Monstermix fällt mir siedendheiß die filmische Katastrophe von Stephen Sommers ein – Van Helsing. Oder vielleicht gleich auch Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen. Okay, Hugh Jackman macht meistens eine sympathische Figur, und Sean Connery war sowieso der Leinwandliebling schlechthin. Damals hat man für so ein Crossover allerdings nur einen Film benötigt – der entsprechend überladen und daher misslungen war. Jetzt  – jetzt dehnt man das Universum auf mehrere einzelne Filme aus und hofft so, einen ähnlichen, alles überspannenden roten Faden zusammenzubekommen wie Marvel bei seinem mittlerweile schon lang andauernden Superhelden-Kostümfest.

Der Einstand zu diesem Dark Universe entscheidet womöglich über Fortbestand oder plötzlichem Entschlafen. So riskant diese ganze Idee von Universal auch sein mag – so offensichtlich kalkuliert wirkt sie auch. Viel anders als Stephen Sommer´s Die Mumie mit Brendan Fraser in der Titelrolle ist Alex Kurtzman´s Auftragsarbeit allerdings nicht geworden. Den größten Fehler, den die mächtigen Produktionsstudios begehen, ist, ihre Blockbusterfilme als Konsequenz aus Marktforschung, Risikoberechnung und möglichen Gewinn zu betrachten. Steht das Grundgerüst eines möglichen lukrativen Erfolges, darf im Rahmen dieses Korsetts durchaus kreativ zur Sache gegangen werden. Aber nicht darüber hinaus. Meist steht bei solchen Filmen Setting, Ausstattung und Visualität selten im Fokus der Kritik. Einem Blockbuster wohnt das Überraschungsmoment erst dann inne, wenn die Erwartungshaltungen des Publikums oder längst ermüdete Sehgewohnheiten  auf den Kopf gestellt werden. Und da lag Die Mumie szenenweise wirklich nah am Innovativen. Allerdings nur nah. Denn so, wie sich die Story rund um den Schatzjäger Tom Cruise und der aparten Star Trek Beyond-Beauty Sophia Boutella entwickelt hat, wäre ein finsteres Ende eine logische Konsequenz gewesen. Ein Finale, das dem Dark Universe nur gerecht geworden wäre. Und genau an der Auflösung der sonst recht stringenten und atemlos inszenierten Geschichte rund um gruftige Untote, diverse Flüche und einstürzenden Unesco-Kulturstätten scheitert letzten Endes die Ambition, was Neues zu erzählen. Tom Cruise spielt zwar routiniert wie immer, Brendan Fraser hätte es aber auch getan. Wie gesagt – die Unterschiede zwischen ihm und Mr. „Mission Impossible“ sind vernachlässigbar. Und der Auftritt Russel Crowes als Mr. Jekyll and Mr. Hyde ebenso. Was er in dieser Fantasyaction zu suchen hat, ist ein großes Fragezeichen. Die von Robert Louis Stevenson ersonnene Metapher von Gut und Böse in einer Person wird genauso lieblos verheizt wie seinerzeit Frankensteins Monster in Sommer´s Van Helsing. Hat man mit der Legende der altägyptischen Nemesis nicht schon als Zuseher und Akteur genug um die Ohren, zwängt Universal noch eine multiple Persönlichkeit mit ausladendem Charisma in den frühsommerlichen Budenzauber. Das geht mit Verlaub gar nicht gut. Sorry, aber von Jekyll und Hyde will hier in Die Mumie keiner was wissen.

Mal sehen was das Dark Universe als nächstes bringt. Und ob sie sich überhaupt noch einen Schritt weiter wagen. Kann sein, dass die Geisterbahn wieder verrammelt wird, bis zur nächsten Affekthandlung im Zeitalter keinesfalls ideenloser Filmemacher, aber mutloser Produktionsstudios, die Bewährtes aufwärmen wollen. Denn wer Geld hat, der schafft an. Allerdings – die, die Geld haben, erschaffen das Kino bestenfalls nicht neu. Nicht mal in einem Albtraum voller Monster.

Die Mumie (2017)

Vaiana

PARADIES NACH PLAN

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Vaiana

Sommer, Sonne, Strand und Meer – Begriffe, die zum Träumen einladen und das Fernweh nähren. Ein Film, der im ewigen Paradies spielt und mit Palmen, Korallen und Südseerhythmen punkten möchte, kann kein Ladenhüter sein. Zumindest geht Disney mal davon aus und setzt alles auf eine Insel. Eine Insel im Stillen Ozean, vielleicht Samoa, vielleicht Vanuatu oder Hawaii, jedenfalls ein Paradies voller Südeseegottheiten und Legenden. Paul Gauguin wäre entzückt gewesen. Wenn sich die perfekt animierte Inselwelt zu herrlich verklärenden Chören von ihrer Schokoladenseite präsentiert, feiern die Glücksbotenstoffe fröhliche Urständ und das Leben wird um einige Nuancen bunter, abenteuerlicher und farbenfroher. Ganz so präsentiert sich das warmwassergebadete, dramatisch-humorvolle Südseemärchen und hat nichts Anderes vor, als in den Fußstapfen der Eiskönigin einen ebensolchen Erfolg einzufahren wie die klirrend kalte Schwester im hohen Norden. Das Problem dabei ist – man merkt es dem Film Vaiana jede Minute an.

Wenn Disney seinen Erfolg so vehement durchkalkuliert, bleibt von der Spontaneität und Natürlichkeit einer filmischen Erzählung nichts mehr übrig. Die Produktionen werden austauschbar, schablonenhaft und klar erkennbar aus kommerziell erträglichen Versatzstücken zusammengeschustert. Das Mädchen Vaiana mag sich zwar anders verhalten als ihre aschblonde Schwester Prinzessin Elsa, in groben Zügen aber sind beide vom gleichen Schlag. Großäugige, ranke und schlanke Mädchen aus dem Computer, die sich als konstruiertes Alter Ego in den Köpfen kleiner Mädchen häuslich einrichten. Nutzt es nichts, so schadet es auch nichts. Das erste Idol im Leben beginnender Grundschüler ist geboren. Ob Vaiana das gleiche Zeug dazu hat, wird sich erst im Merchandising- und Retail-Sektor zeigen. Allerdings hat Disney zu Zeiten der Eiskönigin ein weitaus höheres Budget für bedruckten Krimskrams aller Art zur Seite gelegt. Von Vaiana bleibt vielleicht nur buntes Polyester-Bettzeug. Und auch das alles dominierende, zentrale Solo der zarten Südseeschönheit will um jeden Preis an Idina Menzels wunderbar gesungenem und allen Eltern bis zum Nimmerhören bekannten Let it Go anschließen. Zurecht oscarprämiert, hat die kraftvolle Selbstbekenntnis Elsas auch beim wiederholten Male das Zeug zum Gänsehautklassiker. Tatsächlich erzielt der Song Far I´ll go einen ähnlichen Effekt. Für romantisch-sehnsüchtige Balladenliebhaber eine Sternstunde des Schmachtens und Träumens. In der deutschen Synchronisation übrigens gesungen vom wohl am meisten polarisierenden Schlagerstar der letzten Jahre – Helene Fischer. Eine Dame mit guter Stimme, von der man nie weiß, ob sie das, was sie singt, selbst gerne hört. Jedenfalls muss ihr Ich bin bereit – so die deutsche Übersetzung – mit Sicherheit gefallen. Uns – oder mir – gefällt es. Und dann gibt’s da noch den schrulligen Helden voller lebhafter Tattoos, eine Karikatur aus IZ Kamakawiwo’ole und Dwayne „The Rock“ Johnson. Sympathisch, tapfer und – wie bei Disney üblich – von liebenswertem Charakter. Verwunderlich sogar, dass eine Hommage an den leider verstorbenen, schwergewichtigen Insulaner, der Judy Garland´s Over the Rainbow wieder salonfähig machte, gänzlich ausbleibt. Und die schielende Intelligenzbestie von Huhn sorgt auch bei Kindern jüngeren Alters, die sich mit den älteren Geschwistern ins Kino verirren, für Lacher. Somit ist die ganze Familie bedient und alles gut durchdacht. Schablonenhaft, wie ich schon sagte.

Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Und man ahnt natürlich schon von Anbeginn an, wie es enden wird. Spannend ist was Anderes – zumindest für Erwachsene. Dennoch, und allen kritischen Bemerkungen meinerseits zum Trotz, wissen die Macher von Vaiana haargenau, was das Publikum berührt, belustigt und Freude bereitet. Das Südseeabenteuer ist perfekt, und hat von allem etwas. Genauso wie es sein soll, und das aber ohne Überraschungen.

 

 

 

Vaiana