Die schwarze Spinne (2021)

DEN TEUFEL WERD‘ ICH TUN

4/10


schwarzespinne© 2021 Ascot Elite


LAND / JAHR: SCHWEIZ, UNGARN 2021

REGIE: MARKUS FISCHER

BUCH: BARBARA SOMMER, PLINIO BACHMANN, NACH EINER NOVELLE VON JEREMIAS GOTTHELF

CAST: LILITH STANGENBERG, NURIT HIRSCHFELD, RONALD ZEHRFELD, ANATOLE TAUBMAN, MARCUS SIGNER, FABIAN KRÜGER, JOSEF OSTENDORF, UELI JÄGGI U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Der größte Vorteil, den sich der Teufel nutzt, ist nicht der, den Menschen glauben zu machen, es gäbe ihn gar nicht. Sondern der, den Menschen glauben zu machen, sie könnten die Vorteile, die Luzifer ihnen anbietet, nutzen, ohne dafür etwas tun zu müssen. Falsch gedacht. Im Zeitalter der Romantik ist der Fürst der Finsternis das Synonym für den unberechenbaren Fortschritt vor allem in Industrie und Technik. Gegenwärtig stehen wir wieder vor so einem Umbruch. Der Teufel mag also wieder des Öfteren in Kunst und Kultur seinen Weg finden, um das Unabsehbare so zu verkörpern, dass man es vielleicht bannen kann.

Das hatte sich Jeremias Gotthelf in der ersten Halbzeit des 19. Jahrhunderts schon gedacht, als er seine mittelalterliche Novelle Die schwarze Spinne schrieb. Natürlich ist das Stoff, der für phantastische Filme adaptiert werden kann, die sowohl das Magische als auch den romantisierten Nostalgiebedarf für mittelalterliche Darstellungen aller Art bedienen könnte. Die Story ist auch denkbar einfach gestrickt, um sich gar nicht erst von ausufernden Landschafts- und Gefühlsbeschreibungen, wie diese nur zu gern zu dieser Zeit in Lettern festgehalten wurden, an den Rand drängen zu lassen.

Die moralische Mär um Teufel, Dämonen und Widerstand spielt im 13. Jahrhundert im Emmental, in einer Gegend, die der Deutschritter-Orden unter seiner Fuchtel hat, nachdem dieser von Kreuzzügen zurückgekehrt war und nun nicht viel mehr mit sich anzufangen weiß als das dort ansässige Volk zu unterjochen. Dass die Mächtigen sich aufspielen, ist gang und gäbe und verwundert wohl kaum, wenn man das menschliche Verhalten zumindest bereits ein bisschen mithilfe der Geschichte analysiert hat. An einem heißen Sommer zu dieser Zeit nötigt also der Recke Hans von Stoffeln seine Untertanen dazu, ihm innerhalb kürzester Zeit eine Allee aus schattenspendenden Bäumen auf dem Weg zu seiner Burg zu pflanzen. Ein unmögliches Vorhaben. Eines, bei welchem die ohnehin schon ausgezehrten und bettelarmen Bauersleute den Kürzeren ziehen. Wäre da nicht der jungen Hebamme Christine (Lilith Stangenberg) der Teufel als Karrenmacher erschienen, und hätte dieser ihr nicht Hilfe angeboten, um das Schicksal abzuwenden. Doch wie das beim Beelzebub eben so ist, wäscht eine Hand schließlich die andere. Der Finsterling macht nichts, ohne etwas ganz Bestimmtes einzufordern. Zum Beispiel den kommenden Nachwuchs. Verrückt müsste man sein, um den Deal nicht einzuhalten oder gar zu versuchen, den Teufel auszutricksen. Doch Christine versucht’s trotzdem – und entfacht die Spinnenpest.

Das alles klingt nach opulentem Horror zwischen Burgtor und Saustall. Ein wilder Ritt hätte das werden können, vielleicht gar so etwas philosophisch-makabres wie der australische Independent-Hexensabbat You Won’t Be Alone mit Noomi Rapace. Statt des Teufels ringt dort eine uralte Hexe um das Neugeborene einer Menschenfrau – mit ungewöhnlicher Wendung. In Gotthelfs Geschichte aber sind Wendungen maximal im Umblättern der Buchseiten zu finden. Der Plot bleibt sonst eher stringent – und erfährt auch unter der Regie des Schweizer Tatort-Regisseurs Markus Fischer kein erfrischendes Update. Die schwarze Spinne, ohne landschaftsbeschreibender Romantik, quält sich durch eine wenig attraktive Parabel um Opferbereitschaft und Widerstand, die unter sperriger Dialogregie leidet und mit Lilith Stangenberg eine unnahbare Heldin in Szene setzt, deren Motivation sich niemals richtig erschließt. Als würde die Produktion unter Geldnot leiden, offenbart sich der Spinnenterror mehr im Wunschdenken der Filmemacher als tatsächlich am Screen. Erschwerend hinzu kommt, sofern keine Untertitel vorhanden, das für Nicht-Schweizer mangelnde Verständnis für Schwyzerdütsch, den zumindest die Deutschritter nicht sprechen, was sich folglich als Wohltat herausstellt, wenn man gerade mal nicht am Inhalt des Gesagten heruminterpretieren muss.

Die schwarze Spinne lässt also keinen frischen Wind durchs Emmental wehen, auch wenn der faulige Geruch des Teufels in der Nase juckt. Die Lust an der Neuinterpretation muss angesichts einer gewissen Rückorientierung an die romantische Schwermut einer düsteren Arme Leute-Mystery weichen. Was zur Folge hat, dass das Auf- und Abtreten der Figuren der nahtlosen Dramaturgie eines Provinztheaters am Dorfplatz gleicht. Auch wenn man dabei noch so nah ans Ensemble rückt, wie eine Gruppe Kinder, die keinen Eintritt zahlen müssen und sich ans Podium drängen – auch dann lässt sich nichts von einem Spirit spüren, der das Publikum vielleicht irgendwann tangieren würde.

Die schwarze Spinne (2021)

1922 (2017)

AN LANDFLUCHT IST NICHT ZU DENKEN

4/10


1922© 2017 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2017

REGIE: ZAC HILDITCH

BUCH: ZAC HILDITCH, NACH EINER NOVELLE VON STEPHEN KING

CAST: THOMAS JANE, MOLLY PARKER, DYLAN SCHMID, BRIAN D’ARCY JAMES, NEAL MCDONOUGH, KAITLYN BERNARD, TANYA CHAMPOUX U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Wer die neu aufgelegten Planetenabenteuer rund um die Familie Robinson gesehen hat, wird die Protagonistin in diesem Film sofort wiedererkennen. Es ist Molly Parker, in der Serie Lost in Space die toughe und kluge Turbo-Mama mit MacGyver-Überdosis. Hier spielt sie die Frau von Thomas Jane, der nichts prickelnder findet, als in den Äckern vor seinem Haus die Tugenden eines Landwirts auszuspielen. Schön für ihn, weniger schön vielleicht für den Ehepartner, der die Nase voll davon hat, tagein tagaus in der absoluten Einschicht immer auf die gleiche Landschaft zu starren. Landleben mag ja so seine Reize haben, gute Luft gibt’s obendrein, doch wenn gerade gedüngt wird, kann Landluft sehr schnell auch sehr dünn werden. Aber bitte, soll doch ein jeder tun, was er für sein Seelenheil braucht, solange der andere nicht gegen seinen Willen mitziehen muss. Im Falle der adaptierten Kurzgeschichte 1922 von Stephen King sind Molly Parker und Thomas Jane zwei in sich verkeilte Sturköpfe, die vom Traum ihrer eigenen Zukunft nicht abrücken wollen. Arlette James, die das Vermögen, den Grund und das Haus besitzt, will alles verkaufen und in die Stadt ziehen, wo frischer Wind weht. Wilfred James will das nicht, wird jedoch wenig gegen Arlettes Bestimmungen ausrichten können, ist sie doch die Besitzerin der Farm und des ganzen Drumherums. Was bleibt Wilfred also anderes übrig, als, gemeinsam mit seinem Sohn Henry, in letzter Instanz Gewalt anzuwenden, um sein Fleckchen Erde zu retten? Was er damit aber in Gang setzt, sind seltsame Ereignisse, unglückliche Umstände und eine Art Fluch, der den Fortbestand der Familie James gefährden könnte.

Natürlich, Stephen King ist ein Vielschreiber. Und das wirklich Außergewöhnliche dabei ist, dass die meisten seiner Geschichten richtig gut erfunden sind und komplex genug, um sie auch nachhaltig in Erinnerung zu behalten. Allerdings gibt es auch Arbeiten, die, für andere Medien adaptiert, weniger zünden. Wie zum Beispiel 1922, eine Erzählung aus dem Sammelband Zwischen Nacht und Dunkel, die kurz nach seiner Premiere auf dem Fantastic Fest sofort von Netflix abgeholt wurde. Auswertung in den Kinos gab’s keine, obwohl Thomas Jane durchaus solide aufspielt, doch den Wahnsinn, der dieser Figur wohl ins Gesicht geschrieben werden sollte, kann der Schauspieler kaum in darstellerische Energie umwandeln. Grimmig und vielleicht das Gruseligste an diesem ganzen kleinen Psychothriller bleibt indes eher die Verantwortungslosigkeit des Vaters hinsichtlich seines Sohnes, der durch diesen zu einer finsteren Verschwörung getrieben wird. Wie sehr man den Nachwuchs verderben kann, und was für Unglück dieser Umstand nach sich zieht, lässt Regisseur Zac Hilditch sein Publikum durchaus wissen – und auch das schlechte Gewissen jagt Thomas Jane in Gestalt von einer in Mitleidenschaft gezogenen Untoten Molly Parker, die durchs Haus schleicht und keine Ruhe findet. All diese Elemente mögen für sich ihr Potenzial aufweisen – unheilvolle Beklemmung oder gar Gruselstimmung erzeugen sie nicht. Dafür bleibt die Dramaturgie zu hölzern, atmosphärische Zwischentöne, die bei der sehr viel späteren King-Verfilmung Mr. Harrigans Phone so außerordentlich gut zu bemerken waren, lässt 1922 so ziemlich außen vor. Daher begnügt sich die schwarze Farmer-Tragödie mit dem rustikalen Charme erdiger Finger und abgetragener Bauernmöbel, ohne auch nur das Schicksal zu Bösem Getriebener, die es nicht besser wussten, fühlbar zu machen.

1922 (2017)

Moloch

DAS FLÜSTERN IM MOOR

6,5/10


moloch© 2022 Splendid Film


LAND / JAHR: NIEDERLANDE 2022

REGIE: NICO VAN DEN BRINK

BUCH: NICO VAN DEN BRINK, DAAN BAKKER

CAST: SALLIE HARMSEN, ANNEKE BLOK, MARKOES HAMWER, AD VAN KEMPEN, EDON RIZVANOLLI, JACK WOUTERSE, ALEXANDRE WILLAUME-JANTZEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Sie sind schon faszinierend: Moorleichen, die Jahrhunderte – wenn nicht gar jahrtausendelang – luftdicht verpackt unter einer Torfschicht gelegen haben und dann, unter welchen Umständen auch immer, ans Tageslicht treten. Sobald dies passiert, sollte man vorsichtig damit umgehen – an der Luft beginnt die Zersetzung, und irgendwann sehen die friedlich schlafenden, braunhäutigen Zeitzeugen nicht mehr so moorfrisch aus wie im Moment ihrer Entdeckung. Am beeindruckendsten ist der in Dänemark gefundene Tollund-Mann, rund 2000 Jahre alt. „Fun Fact“ am Rande: Moorleichen sind nicht selten Menschenopfer. Die niederländische Horrormär Moloch macht sich diesen Umstand zu eigen und schenkt den gewaltsam aus dem Leben geschiedenen Zeitgenossen endlich die gebührende Screentime. Ist es zuerst nur eine Leiche, sind es später mehrere. Allesamt sind es Frauen aus unterschiedlichen Generationen, und allesamt tragen sie die erkennbaren Zeichen ihrer Tötung: Eine senkrecht aufgeschlitzte Kehle. Schaurig genug, das Ganze. Aber es kommt noch dicker.

Denn nahe dieses vor allem in der Dämmerungszeit nebelverhangenen mystischen Ortes wohnt die alleinerziehende Betriek mit ihrer Tochter bei ihren Eltern im Haus ihrer Kindheit. Diese dürfte, wie wir bereits in der ersten Szene des Filmes erfahren, nicht ganz so gewaltfrei abgelaufen sein. Im Keller des Hauses wird besagte Betriek nämlich Zeuge eines schaurigen Mordes, und Regisseur Nico van den Brink zögert auch nicht, hier gleich mit klassischen Elementen aus dem Horrorkino in die Vollen zu gehen. Blut rinnt von den Wänden, als wären wir bei Shining. Unmenschliche Geräusche durchdringen die Holzlatten, während sich das kleine Mädchen, vor Schreck erstarrt, die Ohren zuhält. Nach diesem Schrecken schaltet van den Brink wieder einen Gang zurück, um einen folkloristischen Spuk ins Rollen zu bringen, der tief verankert zu sein scheint in der niederländischen Sagenwelt, von der wir hier in Österreich wenig bis gar nichts wissen. Recherchiert man hier online, stößt man kaum auf irgendwelche Einträge, welche die Legende von Freike und Helen zum Thema haben – außer eben in Moloch, und so schließt sich der Kreis der Ahnungslosigkeit, hätten wir diesen Film nicht, der uns sogar anhand eines von Kindern aufgeführten Theaterstücks die ganze Phantastik aus dem Torfmoor näherbringt.

Mit dem Freilegen der in schmerzlicher Aufbäumung verharrten Leichen scheint auch ein Kreislauf in Gang getreten zu sein, der Betrieks Mutter fast das Leben kostet: Ein wildfremder Mann dringt ins Anwesen ein und setzt alles daran, die betagte Dame über den Jordan zu schicken. Warum tut er das? Wie es scheint, dürfte er von einer geheimnisvollen Macht dazu gezwungen worden sein. Das Opfer der Attacke zeigt sich allerdings nicht sonderlich verstört – irgendwie kommt die Begebenheit nicht nur Beitrik bekannt vor, die sich naturgemäß Sorgen macht und dem Grund für das Verhalten des Fremden auf die Spur kommen will. Dabei stößt sie auf eine ruhelose Macht, die in ihrem Pakt mit etwas noch Größerem gefangen zu sein scheint, während sich jenseits des Nebels eine ganz andere Entität ihren Weg in die traute Familienidylle bahnt.

Moloch – das ist weniger eine Großstadt, in dessen Chaos und Sünde man versinkt, sondern vielmehr eine mit Stierkopf dargestellte Versinnbildlichung von Opferriten aus der Antike des Nahen Ostens. Wie diese Symbolik Einzug in die Niederlande gefunden hat, ist zwar etwas weit hergeholt, aber soll so sein. Anscheinend gibt es diese Legende wirklich. Nico van den Brink zeigt sich begeistert von der Tatsache, die Faszination für Moorleichen mit zelebriertem Volksglauben zu verknüpfen, der als immerwährendes Tauziehen zwischen transzendenten Kräften inszeniert wird. In diesem Dilemma steckt eine Familie, die wahrlich so einige Tragödien durchmachen muss. Und dennoch, trotz der teilweise intensiven, manchmal auch etwas überhöhten Dramatik, bleibt Moloch zwischendurch so erstaunlich nüchtern wie ein durchschnittliches Familiendrama um Neuanfang und Verarbeitung von Traumata, das man womöglich anderswo mit mehr Gespür für zwischenmenschliche Interaktion hinbekommen hätte.

Manche Stimmen meinen, der niederländische Horror sieht seine entfernte Verwandtschaft in Ari Asters Hereditary – Das Vermächtnis, doch mit Sicherheit (und ohne, dass ich Hereditary kenne) bleibt Moloch viel eher den bewährteren Grusel-Versatzstücken treu – plakativ, versehen mit aufdringlichen Soundeffekten und etwas plumpen Jumpscares, die ein bisschen nerven, weil sie gar so mit der Tür ins Haus fallen. Dezente Schaurigkeit zu verbreiten ist nicht van den Brinks Stärke. Die liegt viel eher in der stimmig auserzählten Geschichte, die auf perfide Art zwar, aber in einer gewissen Makellosigkeit die letzten Konsequenzen akzeptiert. Wer also auf Moore, Nebel und darin herumgeisternde Gestalten steht, ist bei Moloch gut aufgehoben.

Moloch

Poltergeist (1982)

SPIELBERGS GEISTERBAHN

7/10


poltergeist© 1982 Metro Goldwyn Meyer


LAND / JAHR: USA 1982

REGIE: TOBE HOOPER

BUCH: STEVEN SPIELBERG, MICHAEL GRAIS, MARK VICTOR

CAST: JOBETH WILLIAMS, CRAIG T. NELSON, HEATHER O’ROURKE, DOMINIQUE DUNNE, OLIVER ROBINS, BEATRICE STRAIGHT, RICHARD LAWSON, MARTIN CASELLA, ZELDA RUBINSTEIN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Heuer zu Halloween sind all die Süßigkeiten schneller weggegangen als die Jahre zuvor. Halloween ist auch immer der Abend, an welchem Klassiker aus der Filmgeschichte den Vorzug vor neuem Content bekommen. In diesem Fall entschied ich mich, den kunterbunten Geisterklassiker Poltergeist aus der Mottenkiste zu holen – digital remastered wohlgemerkt. Kaum ein Horrorfilm kann von sich behaupten, mit einem eigenen Fluch belegt zu sein, der zwar etwas an den Haaren herbeigezogen wirkt und ein klarer Fall unglücklicher Koinzidenzen darstellt, aber dennoch schauriges Marketing bereitstellt, angesichts dessen ein besonders abergläubisches Publikum wohl zweimal um den Film herumschleichen wird, bevor es sich dazu entschließt, auch Teil davon zu werden: vom Terror des Poltergeists, der es angeblich nicht ganz so gerne gesehen hat, wenn echte menschliche Skelette dazu herangezogen werden, um einen ausgehobenen Swimmingpool zu füllen. Spielberg, Mastermind hinter diesem Klassiker, und Tobe Hooper sind aber, wie man weiß, dem Fluch entkommen. So manche Randfigur allerdings nicht. Und auch die kleine Heather O‘Rourke weilt nicht mehr unter den Lebenden.

Das blonde Mädchen ist die Kernfigur in diesem frühen Spukhaus-Grusler, der, anders als in Shirley Jacksons Bis das Blut gefriert, in der Gegenwart hipper Achtziger spielt und ein Haus zum Schauplatz nimmt, das wirklich nicht nach schlaflosen Nächten aussieht. Weder angestaubt noch antik, sondern direkt modern gestaltet sich das ebenfalls moderne Familienleben inmitten einer Reihenhaussiedlung irgendwo in Kalifornien. Nebst Heather O’Rourke ist der gute alte Röhrenbildschirm der elektronische Sidekick und das Fenster zur Welt. Wie sich bald herausstellen wird, nicht nur zu dieser. Flimmernde Fernseher, aus denen das Übel lockt, gibt’s ja später auch noch im Japan-Horror The Ring. Doch hier ist der Geist in der Maschine wohl nicht nur einfach so bedenklicher Home-Invasor. Zum Seitenhieb auf das Technologiezeitalter mag da bereits ausgeholt werden. Immerhin aber gabs den Sendeschluß, und tatsächlich startet Poltergeist mit der amerikanischen Hymne, bevor sich das Fernsehprogramm schlafen legt. Das darauffolgende Schneegestöber am Screen lockt die fünfjährige Carol Anne aus ihrem Bettchen. Der Anfang vom Ende eines trauten Eigenheims möge beginnen, denn eine unirdische Entität scheint stinksauer zu sein auf die Lebenden, die hier ihren Alltag leben als wäre es eine Sitcom.

Bald wissen wir: Das ist es gar nicht. Und die von George Lucas gegründete Firma Industrial Light & Magic hat sich dabei voll ins Zeug gelegt, um Lucas‘ BFF Spielberg jeden noch so wirren Wunsch von den Augen abzulesen, was praktische Effekte betrifft. Umgekehrt lässt dieser das Kinderzimmer der Filmkinder mit Star Wars-Merch füllen. Dank einer gelungenen Doku-Reihe auf Disney+, die sich eingehend mit den kreativen Köpfen dieser Firma beschäftigt, gewährt uns diese einen ausführlichen Blick hinter die Illusion des Ganzen. Und es scheint erstaunlich, mit welch einfachen, analogen Mitteln Effekte wie diese erzielt werden konnten. Ganz besonders die finale Nummer, auf die ich hier mit Rücksicht auf jene, die Poltergeist noch auf der Watchlist haben, nicht näher eingehen möchte. Klar ist Spielbergs Geisterbahnfahrt ein Horrorfilm – aber einer, der mit verspielter, geradezu kindlicher Neugier bunt gefärbtes Grauen aus dem Sack lässt. Woran erinnert mich das? Natürlich an Ghostbusters. Wenn man so will, dann ist Poltergeist wie Ghostbusters, nur ohne Ghostbusters, denn die standen, auch chronologisch betrachtet, noch nicht auf der Matte. Statt Vankman, Spengler und Co reichen diesmal Geisterjäger im Stile des Ehepaares Warren aus Conjuring die helfende Hand, und ja, ich komme nicht umhin, zu behaupten, dass der spätere Ghostbusters nicht unwesentlich von Spielbergs Szenario beeinflusst wurde. So richtigen Schrecken versprüht das Haunted-House-Erlebnis daher kaum. Wohl auch, weil manche Effekte dann doch schon in die Jahre gekommen sind. Und wenn schon: Die Wucht der paranormalen Kraft verbreitet das seltsame Gefühl eines Ausnahmezustands, das Gesetzen aus dem Jenseits folgt, von welchem wir Sterblichen aber keine Ahnung haben. Wenn die kleine Carol Anne mit seltsam verzerrter Stimme aus dem Äther um ihre Mama fleht, ist das gepflegter Grusel, der noch Wirkung zeigt. Und gerade in den Momenten, in denen das Grauen noch als harmloser Schabernack das Weltverständnis seiner Protagonisten hinterfragt, lässt sich ganz deutlich ein Konzept erkennen, das mit Leichtigkeit und Spielfreude ersonnen wurde. Diese Lust am Geschichtenerzählen besitzt Spielberg noch heute.

Tobe Hooper übrigens wird vier Jahre später mit Invasion vom Mars noch einen kleinen, fiesen Science-Fiction-Grusler nachlegen, der sein Gespür für Mystery und pittoreske Monster abermals bestätigt.

Poltergeist (1982)

The Little Stranger

MEIN HAUS IST DEIN HAUS

3/10


the-little-stranger© 2018 Nicolas Dove


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH 2018

REGIE: LENNY ABRAHAMSON

CAST: DOMNHALL GLEESON, RUTH WILSON, CHARLOTTE RAMPLING, WILL POULTER U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Spukhäuser gibt es genug auf dieser Welt. Sei es in Freizeitparks, in der Literatur oder eben im Medium der bewegten Bilder. Von Bis das Blut gefriert (neuerdings als Hill Hose auf Netflix) über Das Haus auf dem Geisterhügel bis zu Poltergeist. In manchen spukt es einmal mehr, dann wieder einmal weniger. Zum Glück entsprechen diese Häuser mit ihrer teils baufälligen Substanz nicht zwingend dem Energieaufgebot ihrer Filme, in denen sie zum Schauplatz werden. Mit wenigen Ausnahmen. Eine davon ist The Little Stranger, nach einem Roman der britischen Schriftstellerin Sarah Waters. Keine Ahnung, wie sich das Buch so anlässt, womöglich liest es sich so wie einer der Schauerromane von Daphne du Maurier. Die Verfilmung jedenfalls ist so angestaubt, morsch und sperrig wie die knarrenden Treppen und rostigen Türangeln in jenem Herrenhaus, mit dem wir es folglich zu tun haben werden.

Dieser Wohnsitz – Hundreds Hall – scheint von einem Fluch befallen. Die Familie Ayres, bestehend aus der von Charlotte Rampling verkörperten Mutter und ihren beiden erwachsenen Kindern, dämmert in seltsamer Phlegmatik vor sich hin. Da erkrankt das Hausmädchen – und der nicht weniger phlegmatische Hausarzt Dr. Faraday wird an ihr Bett gerufen. Dieser wiederum wuchs einst in diesem Anwesen auf, da dessen Mutter selbst Bedienstete bei den Ayres gewesen war. Irgendwie, so scheint es, hegt Faraday eine gewisse Sehnsucht, was dieses Haus betrifft. Ein nie wirklich gewordener Wunschtraum, einmal darin zu wohnen.

Klingt nach einer Story? Mitnichten. Ach ja, bevor ich‘s vergesse – seltsame Vorkommnisse erregen spät, aber dann doch noch, die Aufmerksamkeit des Ensembles. Bis dahin blühen dem Zuseher knochentrockene und schläfrige Minuten des Wartens, bis endlich auch nur irgend etwas geschieht. Vermarktet wurde The Little Stranger tatsächlich als Horrorfilm, doch selbst als Vintage-Grusler eignet sich das schale Werk nur begrenzt. Dumm nur, dass der Fokus auf der Figur des Dr. Faraday liegt, der von Domnhall Gleeson in einer ferngesteuerten Mischung aus stocksteifen Aristokraten und hölzernen Langeweiler angelegt wird. Mag schon sein, dass ihm solche Charakterbilder gut zu Gesicht stehen, doch verliert man an diesem Gehabe sehr schnell das Interesse.

Für eine gewisse Verblüffung sorgt dennoch die Tatsache, dass hinter dieser kraftlosen Verfilmung eines Mysterydramas voller Andeutungen und vagen Vermutungen ein Regisseur namens Lenny Abrahamson steckt. Der konnte sich zwei Jahre zuvor für das packende Missbrauchsdrama Raum rühmen lassen – Brie Larson gewann dafür den Oscar. Was danach geschah, oder wohin ihn sein Können letztlich geführt hat, bleibt genauso rätselhaft wie das seltsame Ende des Films, das auf redeschwere und handlungsarme Hausbesuche zurückblickt.

The Little Stranger

Blood Red Sky

NOSFERATU FLIEGT ECONOMY

5,5/10


bloodredsky2© 2021 Netflix


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

REGIE: PETER THORWARTH

CAST: PERI BAUMEISTER, CARL ANTON KOCH, ALEXANDER SCHEER, KAIS SETTI, DOMINIC PURCELL, ROLAND MØLLER, GRAHAM MCTAVISH U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


So eine Anreise mit dem Flugzeug ist oft langwierig, vor allem, wenn man von Europa aus nach Übersee will. Ereignisreich ist was anderes, es sei denn, man hat Flugangst, was natürlich nichts ist, was sich auszuleben lohnt. Während man also im Halbschlaf auf Stand-by verweilt, bleibt genug Gelegenheit, darüber nachzusinnieren, was in einem Flieger, kilometerhoch über den Wolken, sonst noch alles passieren könnte. Wie wär’s zum Beispiel mit Snakes on a Plane? Samuel L. Jackson weiß nun, wie sich hochgiftige Reptilien fern ihres Habitats nicht zu benehmen wissen. Terroristen on a Plane ist leider ein allzu realistisches Szenario, da denkt man lieber gleich weiter und wünscht sich Liam Neeson dazu – Non-Stop gefällig? Zombies fahren da lieber Zug (Train to Busan), doch wie wäre es mit Vampiren, die nach einer Bloody Mary in der Economy Class plötzlich unruhig werden? Guillermo del Toro und Chuck Hogan lassen ihre Vampirsaga The Strain ebenfalls in einem Flugzeug beginnen, doch dieses war da schon am Boden. In Blood Red Sky können wir, exklusiv auf Netflix, den ganzen Flug hautnah miterleben. Und wie es ist, nicht auszukönnen, wenn die Blutgier keine Klassenunterschiede mehr macht.

Im Zentrum des recht geradlinigen Geschehens steht Nadja – natürlich eine Vampirin, die aber immer noch die Pflichten einer Mutter lebt. An ihrer Seite ein kleiner Junge, der über Mamas Befinden natürlich Bescheid weiß. Nadja durchlebt dank spezieller Medikamente, die das Böse unterdrücken, ein halbwegs normales Leben, doch auf Dauer kann das so nicht weitergehen. In den USA verspricht ein Experte neue Hoffnung – also alles zusammenpacken und rein in den Flieger. Nur: so viel Pech muss man mal haben. Dieser Transatlantikflug wird von einer duschgeknallten Räuberbande übernommen, die mit dem Absturz der Maschine über London die Börsenkurse durcheinanderbringen und damit groß absahnen will. Alle Hausaufgaben haben die Jungs allerdings nicht gemacht, die eigenen Leute schießen buchstäblich quer – und entfesseln in Nadja ihr dunkles Geheimnis.

Voller Ungeduld wartet der Zuschauer natürlich auf das Hereinbrechen der panikmachenden Ausnahmesituation, die Motivation hinter jedem Katastrophenfilm. Viel anders als bei allen anderen Filmen, in denen es um entführte Flugzeuge geht, läuft dieses Szenario auch nicht ab. Bis eben Peri Baumeister, deren Schicksal in knackigen Rückblenden aufgearbeitet wird, ihre entsprechende Wandlung durchmacht und plötzlich so aussieht wie Max Schreck aus Nosferatu. Die Maske hat ganze Arbeit geleistet. Das Aussehen, kombiniert mit dem expressiven Gebaren eines solchen Dämons, der – halb Tier, halb Mensch – fauchend und zähnefletschend durch die schmalen Gänge tigert, ist die eigentliche Attraktion des von Peter Thorwarth inszenierten Horror-Actionthrillers, um dessen Realisierung dieser eine gefühlte Ewigkeit lang werben hat müssen. Weder hat, wie versprochen, Universal den Film unter seine Fittiche genommen, noch hat die Covid-Krise die Umsetzung des Projekts in die Gänge gebracht. Letzten Endes hat sich Netflix erbarmt, und nach vielem Hin und Her ist Thorwarths Herzensprojekt endlich Wirklichkeit geworden.

Die Idee ist ja prinzipiell eine gute – sieht auch hübsch aus, und das Volk der Nacht darf sich auch ausgiebigst am menschlichen Buffet gütlich tun. Wirklich auf Zug ist Blood Red Sky aber nicht inszeniert. Zu fahrig und zwischendurch in seiner Spannungskurve absackend, scheint sich der Plot des Reißers immer wieder neu orientieren zu müssen, so, als hätte er die Übersicht verloren. Der Horror gerät ins Stocken, ergötzt sich manchmal zu viel an blutverschmierten Mündern, und dann fragt man sich gar, wo denn Buffy eigentlich bleibt. Doch wie auch immer: Thorwarth führt seinen Flug der Verdammnis dann doch noch souverän bis an sein wie auch immer geartetes Ziel, und Peri Baumeisters so monströses wie verschrecktes Konterfei bleibt nachhaltig, aber interessanterweise nicht unangenehm, in Erinnerung.

Blood Red Sky

Death Note

AUF DIE SCHWARZE LISTE

5,5/10


deathnote© 2017 Netflix


LAND / JAHR: USA 2017

REGIE: ADAM WINGARD

CAST: NAT WOLFF, KEITH STANFIELD, MARGARET QUALLEY, WILLEM DAFOE, SHEA WIGHAM, MASI OKA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Dem bleibenden Eindruck folgend, welchen Godzilla vs. Kong bei mir hinterlassen hatte, musste ich mal in Erfahrung bringen, was denn Regisseur Adam Wingard sonst noch so Filmisches fabriziert hat. Dabei stieß ich neben dem Found Footage-Sequel Blair Witch auf die finstere Manga-Verfilmung Death Note, die derzeit auf Netflix abrufbar ist. Eine, wie es scheint, pechschwarze Final Destination-Variante, die allerdings den einzigen Unterschied hat, dass nicht der Tod höchstpersönlich manch Auserwählten ins Gras beißen lässt, sondern ein ganz normaler Mensch. Eins sei dabei angemerkt: dieser ganz normale Mensch, in diesem Fall Schauspieler Nat Wolff, kommt auch nicht aus heiterem Himmel auf die Idee, vor lauter Langeweile andere Menschen sterben zu lassen. Klar wünscht man ab und an rein impulsiv unangenehme Gesellen zum Teufel, doch damit, dass diese schnell erdachten Stoßflüche Wirklichkeit werden, rechnet niemand.

Wirklich nicht? Die seltsame Gottheit namens Ryuk schon, ein metaphysisches Wesen mit joker´schem Dauergrinser und finsterer Igelmähne, schwarz wie die Nacht und mit Augen wie glühende Kohlestückchen. Erdacht wurde diese phänomenale Kreatur von den Künstlern Tsugumi Ohba und Takeshi Obata für ihren titelgebenden Shōnen, einer Art japanischen Comic für männliche Young Adults – die am meisten verbreitete Art künstlerischer Bildergeschichten in Ostasien. Ergänzt mit Willem Dafoes sonorem Organ entsteht so eine den wortkargen Sensenmann in den Schatten stellende Spukgestalt, die so nervig, verführerisch und gleichermaßen erschreckend ist, dass von ihr eine Faszination ausgeht, der sich nicht nur Nat Wollf kaum entziehen kann. Ryuk, obwohl ein Todesgott, erfüllt hier die Ansprüche eines literarisch volkstümelnden Teufels. So wie bei all den anderen Gleichnissen, die von Pakten mit dem Antichrist berichten, denen ein ambivalent zu betrachtender Eigennutz zugrunde liegt, der nicht selten mit den sieben Todsünden korreliert, hat auch Death Note einen moralischen Anspruch zu verlieren.

Diesem Jungen also, Light Turner, fällt buchstäblich ein alter Schinken in die Hände, halb voll gekritzelt mit unzähligen Namen und Todesursachen. Bald darauf erscheint dem völlig verstörten Turner der uns bereits bekannte, nach Äpfeln gierende Shinigami, der ihm alsbald über seine Macht aufklärt. Eine Woche lang ist Turner, wenn er will, Herr über Leben und Tod. Sobald er einen Namen, dessen zugehöriges Konterfei er kennen muss, ins Buch schreibt und dazu noch die Art und Weise, wie derjenige umkommen soll, hat der Tod freie Bahn. Klar, dass so viel Verantwortung einen Otto Normalverbraucher überfordert. Aus wütendem Gelegenheitskiller wird moralischer Ritter. Kann das lange gut gehen? Es wäre kein Fantasyhorror wie dieser, würde das Universum unter diesen Voraussetzungen nicht aus dem Lot geraten.

Aller Anfang ist zumindest mal beeindruckend: Man wähnt sich bereits in einem morbiden Märchen voller explizit dargestellter Blut- und Beuschel-Tode, im Hintergrund der hämisch gackernde Riesenkobold, der seinen Senf dazu gibt. Da es sich hierbei um die Verfilmung eines Mangas handelt, ist es mit einem geradlinigen Plot aber nicht getan. Die ermittelnden Behörden kommen dazu. Einer von ihnen: ein dem Zucker verfallener Hoodie-Träger, der nicht schlafen, eine diabolische Freundin, die ihrem Loverboy das Buch abspenstig machen will. Das alles verstrickt und vertrackt sich zu einem ausladenden und folglich konfusen Mindfuck, der über seine eigenen Regeln stolpert; der sich schwertut, den Blick auf das Wesentliche zu behalten. Das mit dem Buch letzten Endes viel mehr möglich ist, als es scheint, ermattet zusätzlich die Ambition, allen Details folgen zu wollen. Mangas sind generell enorm komplex. Verfilmungen selbiger hinken dabei gerade mal so hinterher. Jüngstes Beispiel: der chinesische Fantasyfilm Animal World rund um eine tödliche Schere-Stein-Papier-Challenge. Auch hier bleibt man stellenweise ratlos zurück. Bei Death Note bleibt nur Ryuk selbst seinen Modi treu, während all das Getöse um Leben und Sterben lassen recht viel an Dynamik verliert.

Death Note

Things Heard & Seen

GEISTER, DIE ZUR HAND GEHEN

4/10


thingsheardandseen© 2021 Netflix

LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: SHARI SPRINGER BERMAN & ROBERT PULCINI, NACH DEM ROMAN VON ELIZABETH BRUNDAGE

CAST: AMANDA SEYFRIED, JAMES NORTON, NATALIA DYER, F. MURRAY ABRAHAM, RHEA SEEHORN, KAREN ALLEN, MICHAEL O’KEEFE, ALEX NEUSTAEDTER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ich bin zwar keiner, der das Horrorgenre zu seinem liebsten zählt, aber zumindest jemand, der Filme wie Das Waisenhaus oder The Others sehr zu schätzen weiß. Weil sie das Parapsychologische ernst nehmen, und nicht nur auf Angst setzen, wie es gefühlt 99 Prozent all dieser anderen Filme tun. Das wäre für mich zu platt – viel interessanter ist stattdessen der relativ wertfreie Zugang in ein längst nicht wissenschaftlich untermauertes Mysterium an interdimensionalen Interaktionen, deren Ursachen und vielleicht auch deren Heilung. Die eingangs erwähnten beiden Filme sind aus meiner Sicht schwer zu erreichende Meisterwerke, in sich stimmig und wunderbar auserzählt. Das kribbelnde Unwohlsein, dass in diesen Werken entsteht, ist auf den Zustand des Nichtwissens zurückzuführen, die damit einhergehende sprichwörtliche Gänsehaut geradezu etwas Schönes, Bereicherndes, weil sie so eng mit kindlicher Neugierde verbunden ist. Ich will vor diesem Mysterium nicht davonlaufen müssen, sondern die Möglichkeit haben, den Mut dafür aufzubringen, diesem zwischenweltlichen Intermezzo entgegengehen zu dürfen.

Diesen Mut muss man allerdings bei Things Heard & Seen nicht aufbringen. Dies wäre vielleicht zu vermuten, doch am Ende der Nacht mit all seinen Spukgestalten ernüchtert die Erkenntnis, dass dieser Film ganze Dimensionen weit davon entfernt ist, die Klasse von Das Waisenhaus oder The Others zu erreichen – obwohl das Potenzial zumindest anfangs gegeben wäre. Denn wir haben, was das Setting betrifft, den für einen Gruselfilm wohl besten Ort gefunden: ein altes Gebäude, am besten im Nirgendwo und abseits von urbanem Geschehen. In so ein Gemäuer zieht Künstlerin Catherine (mit staunenden Augen, aber sehr souverän: Amanda Seyfried) gemeinsam mit ihrer Familie, weil Gatte George in der naheliegenden Uni eine vielversprechende Professur als Kunsthistoriker ergattert hat. Es scheint alles eitel Wonne zu sein, das Haus wird renoviert und geputzt – allerdings nicht gründlich genug, denn einige Zeit später findet Catherine das völlig staubfreie (wie das?) Exemplar einer alten Bibel, in denen die Namen der verstorbenen Bewohner aufgelistet sind. Einige davon sind durchgestrichen, mit dem Vermerk: Verdammt! Jetzt wird’s paranormal. Denn Catherine beginnt, die titelgebenden Dinge zu sehen, zu riechen und zu hören. Gediegene Geistererlebnisse mit allen Sinnen. Wie gesagt: vielversprechend, wenn es nun tatsächlich darum geht, steinalte Flüche zu bannen oder Seancen abzuhalten. Gothic-Grusel für retroaffine Neuzeitler.   

Doch sobald sich das Gefühl Bahn bricht, es nicht mit rechten Dingen zu tun zu haben, ist das Feeling auch schon wieder verschwunden. Was ist passiert? Ehrlich gestanden: je länger der Film dauert, umso weniger hat man eine Ahnung, wohin das ganze Szenario hinstrebt. Dem nicht zwingend böswilligen Vier-Wände-Horror schenkt das Regieduo Shari Springer Berman und Robert Pulcini viel zu wenig Beachtung, dafür aber schlagen sie sehr bald die Richtung hin zu einem an den Nackenhaaren herbeikonstruierten, relativ altbackenen Home-Terror-Thrillers ein, in dessen Mittelpunkt James Norton als Vater, Ehemann und ehrgeiziger Kunstkenner eine punktgenau unsympathische Filmfigur abgibt. Das große Problem an Things Heard & Seen ist aber nicht er, sondern die Plausibilität menschlichen Verhaltens. Die ist nicht gegeben. Es entsteht zwar während der Sichtung eine gewisse Kurzweil, und ja: man wartet von Minute zu Minute immer dringender auf die Auflösung des ganzen. Die hintereinander einfallenden, platten (und szenenweise ernüchternd vorhersehbaren) Wendungen jedoch verwirren das Gruselstelldichein, das eigentlich gar keines sein will, zusehends. Das Flüstern des Geistes, dessen Inhalt zur Klärung des Sachverhaltes vielleicht beitragen würde, ist so gut wie nicht zu verstehen, das nebulöse Durcheinander an Normalem und Paranormalem und Abnormalem verknotet sich zu einem hilflosen Ringen um Stil und Atmosphäre. Die metaphysische Allegorie als Schlusspunkt frohlockt dann nur noch mit hausierender Geheimniskulisse. Einzig Amanda Seyfried kämpft sich aus der verschwurbelten Tragödie und bleibt in guter Erinnerung, während der ganze unbefriedigende Rest am Ende dieser Nacht nur noch auf den Geist geht.

Things Heard & Seen

Scary Stories to Tell in the Dark

AUF DEN GEIST GEGANGEN

6,5/10

 

scarystories© 2019 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2019

REGIE: ANDRÈ ØVREDAL

CAST: ZOE MARGARET COLLETTI, MICHAEL GARZA, AUSTIN ZAJUR, AUSTIN AMBERS, GABRIEL RUSH, DEAN NORRIS U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN

 

Horror ist ja nicht so meins. Vor allem jener, der durch die Hintertür kommt und sich auf die Amygdala setzt. Gar nicht gut. Allerdings muss ich in diesem sehr facettenreichen Genre manches nachjustieren und durchaus auch Ausnahmen machen. Horror, der kann auch recht ansprechend sein. Und Horror ist dann, wenn er sich vermehrt im Subgenre des Grusels verirrt, etwas, das mich neugierig macht. Die Gespensterperle Das Waisenhaus hat mir wieder mal gezeigt: Horror verortet sich sehr subjektiv in der eigenen Lebenserfahrung, macht aber auch gleichermaßen Mut, dem eigenen Ich mal ein paar unbequeme Fragen zu stellen.

Wenn sich das furchteinflößend Monströse sehr nah an das kreative Schaffen eines Künstlers heranwagt, wenn die Liebe zu diesem Schrecklichen, das sich in Form von Untoten, Geistern und Dämonen manifestiert, in phantastischem Realismus übergeht und alptraumhafte Kreaturen, die bislang nur auf Papier existierten, plötzlich durchs Filmbild schlendern, reizt das meine Vorliebe für allerhand Kreatürliches. Guillermo del Toro tickt da ganz genauso. Auch der für seinen produzierten Film engagierte Regisseur André Øvredal, der mit Trollhunter ein so launiges wie nerdiges Stück Found Footage-Mythologie aus dem waldreichen Norden Skandinaviens in Film gepackt hat, scheint das manifestierte Schreckliche sehr ins Herz geschlossen zu haben. Ganz so wie Illustrator Stephen Gammel, der die Kinderbuchreihe Scary Stories to Tell in the Dark von Alvin Schwartz mit vorwiegend in Bleistift hingeschummerten Horrorbildern ergänzt hat. Ergoogelt man den Künstler, wird schnell klar, dass sich in Øvredals Verfilmung der Scary Stories dessen Spukgestalten aus der Zweidimensionalität verabschiedet haben und sich gemächlichen Schrittes den von Albträumen geplagten Teenies nähern, die, so schnell sie auch laufen mögen, ihrer Nemesis niemals entkommen können.

Schuld daran ist ein ruheloser Geist in einem verlassenen Anwesen, der in der Halloweennacht von einer Handvoll Jugendlicher aufgescheucht wird. Ruhestörung geht gar nicht, und das Entwenden bibliophiler Kostbarkeiten aus dem spukhauseigenen Fundus genauso wenig. Doch davon ahnen die  Freunde erstmal überhaupt nichts. Bis das entwendete Buch beginnt, blutrote neue Gruselgeschichten zu verfassen. Dreimal darf man raten, wer von nun an die Hauptrollen spielt. Und wer mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat, manchmal mit etwas mehr, manchmal mit etwas weniger Erfolg.

Ursprünglich als Horror-Abenteuer für die ganze Familie konzipiert, das eher in Richtung Gänsehaut nach R.L. Stine hätte gehen sollen, entpuppt sich das überraschend blutleere „Haschmich“ allerdings als ein schwarzhumorig-verfluchtes Escape Room-Spiel in einem Gruselkabinett, dessen Hausregeln keiner kennt. Da sucht ein Zombie nach seiner verlorenen Zehe, wollen Vogelscheuchen nicht mehr verprügelt werden und setzt ein hämisch grinsender Baukasten aus menschlichen Extremitäten armen unschuldigen Teenies nach. Am Irrsten allerdings ist das schwarzhaarige schlurfende Dickerchen, das gerne Free Hugs verteilt. Bizarre Figuren, die einem erstmal einfallen müssen. So sehr aber am Setting und an den Monstern herumgefeilt wurde, so geradlinig bleibt die Scary Story, die hier mehr Tiefenschärfe gut vertragen hätte. Die das Schicksal des unheilstiftenden Geistes eine Spur früher hätte ins Spiel bringen können. Doch das sind nur Bemerkungen am Rande der Schatten. Für kreativen Grusel in der Nacht zu Halloween eignet sich der Bilderbuchfilm Scary Stories to Tell in the Dark eigentlich ganz formidabel. Also: falls noch nicht gesehen – gleich vormerken fürs nächste Jahr!

Scary Stories to Tell in the Dark

Der Leuchtturm

KEIN PLATZ AN NEPTUNS TAFEL

6,5/10

 

derleuchtturm© 2019 Universal Pictures International

 

LAND: USA 2019

REGIE: ROBERT EGGERS

CAST: WILLEM DAFORE, ROBERT PATTINSON, VALERIIA KARAMAN U. A. 

 

„Los gehen wir“ – „Wir können nicht.“ – „Warum?“ – „Wir warten auf Godot“. Zwei Seelen im Nirgendwo. Die eine dominant, die andere devot, irgendwann kommt noch ein namenloser Dritter, der sich wie ein Hund aufführt. Machtspiele auf engstem Raum, Suizidgedanken, nahe am Wahnsinn angesichts all der Sinnlosigkeit, die nur beendet werden kann, wenn der eine, dieser Godot, sich derer erbarmt, die auf ihn warten. Samuel Beckett hat seinen Klassiker, wie es scheint, als Allegorie auf die menschliche Existenz entworfen – zugegeben hat er das nie. Die Frage nach dem Zweck seiner Stücke blieb unkommentiert. Dabei macht gerade dieses Werk besonders Sinn – weil es die Episode unseres Daseins so gnadenlos verzerrt. Robert Eggers hat das mit seinem Inselkrieg in Schwarzweiß ungefähr ähnlich betrachtet. Ganz genau weiß ich das natürlich nicht, überhaupt blieben nach Sichtung von Der Leuchtturm manche Fragen offen. Was genau, und das haben sich, so vermute ich, auch andere Seher gedacht, hat dieses durchaus auffällige und gegen den Strom treibende Werk eigentlich zu bedeuten? Aller Zugang fällt schwer, man vergleicht mit bereits Gesehenem, das Grübeln über jedes Detail lässt sich nicht so schnell einstellen.

Für dieses surreale Theater eignet sich nichts besser als ein Eiland im Nirgendwo, umgeben von den unberechenbaren Launen des Meeres. In der Mitte ein Leuchtturm, mit dem Allerheiligsten ganz obendrauf, dem Licht, der Erleuchtung. Zwei Männer – wie bei Beckett: der eine dominant, der andere anfangs devot. Dem einen gehört das Licht, dem anderen die Drecksarbeit. Wie lange kann das gut gehen? Nun ja, es sind vier Wochen, das kann man schaffen. Doch nicht, wenn die Mythologie der Meere auch noch ein Wörtchen mitzureden hat, vor allem dann, wenn der eine – Ephraim – sich an den Seelen toter Seebären vergreift. Von da an tönt das Nebelhorn zum Endspiel. Ein Sturm zieht auf, Realität und Fiktion verschwimmen, das Dasein wird zur Belastungsprobe.

Mehr Plot gibt es nicht, in diesem Mikrokosmos des Kommens, Bleibens und Gehens. Robert Eggers macht aus dieser Allegorie einen wuchtigen, wenn auch in lahmen Leerläufen keuchenden Schreckensreigen, der von ganz klein auf anfängt, und der in arglos sittsamer Orientierung seinen Anfang nimmt, bevor Macht, Gier, Sünde und die Suche nach der Wahrheit zur Geißel werden. Da eignet sich besonders Schwarzweiß, und Eggers hat was ganz Spezielles probiert: so zu filmen, wie seinerzeit die alten Meister  – Murnau, Lang, Wegener, Wiene. In 4:3, analog und in expressionistischem Hell/Dunkel, das vorwiegend in der Hütte unter dem Licht der Petroleumlampe geisterhaft gut zur Geltung kommt. Der Leuchtturm ist ein entrücktes Stück Kino, eine Kopfgeburt und artifizielle Spielerei. Mit Willem Dafoe als Inkarnation aus Iglo-Seebär und Meeresgott Neptun hat er den ungekrönten König der Insel auf der einen Seite gefunden, auf der anderen Seite den argwöhnischen, sich duckenden, durchaus psychopathischen Robert Pattinson, der diesmal so richtig aus sich herausgeht, bis zum Exzess und viel weiter. Beide schenken sich nichts, da ist das Warten auf Godot lieber als das Warten auf das Nachlassen des Sturms. Doch der formlose Leviathan, die Welt der Toten und der vereitelnden Ankläger für welche Sünde auch immer, brechen auf diesen Felsen herein, pflügen die Erde um, lassen Wasser fließen und Blut vergießen. Über allem das gleißende Licht des Leuchtturms. Eine verheißungsvolle Wahrheit, die den Tod bringt, sich maximal posthum erschließt oder im Todeskampf. Ein ernüchterndes Zeugnis, das Eggers hier ausstellt: Der Mensch als geblendeter Sünder, der das Legendenhafte verlacht. Ist Eggers so gelagert? Glaubt er an das Paranormale, Transzendente? Ein Däniken des Kinos? Oder eher Lovecraft?

Was bleibt, ist eine nihilistische Sperrigkeit und das Auskosten eines Wahns, ähnlich wie in Roman Polanskis Psychohorror Ekel oder Der Mieter.  Während bei Polanski die Heimgesuchten schuldlos in den Untergang steuern, und bei Beckett naive Clowns bis in alle Ewigkeit ausharren, streunt in Eggers Film der Mensch als Sünder um den Leuchtturm herum. Die Gültigkeit dessen aber, was man sieht, wird zur Gänze zum Seemansgarn. Kein leichtes Stück Kino also – manisch egozentrisch, panisch und affektiert. Eine Filmerfahrung, das schon – für Liebhaber des schauerlich Abnormalen und für alle Philosophen der Leinwand, die Hochprozentiges gewohnt sind.

Der Leuchtturm