How to be Normal and the Oddness of the Other World (2025)

REGELN, NACH DENEN SONST NIEMAND LEBT

7,5/10


© 2025 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: FLORIAN POCHLATKO

KAMERA: ADRIAN BIDRON

CAST: LUISA-CÉLINE GAFFRON, ELKE WINKENS, CORNELIUS OBONYA, FELIX PÖCHHACKER, LION THOMAS TATZBER, HARALD KRASSNITZER, DAVID SCHEID, WESLEY JOSEPH BYRNE, FANNY ALTENBURGER, NANCY MENSAH-OFFEI U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Alles schrill, jeder will, allen war immer klar, dass wir verrückt sind – das mag zwar eine Zeile aus dem von Max Raabe und Annette Humpe verfassten 20er-Revival-Song Ein Tag wie Gold stammen, trifft aber in dieser ausnehmend reizenden Psychokomödie des Österreichers Florian Pochlatko den Nagel auf den Kopf. Wer genau, stellt sich hier die Frage, hat einen an der Waffel? Die junge Frau, die eben erst aus der Psychiatrie entlassen wurde, um nun die kaum machbare Challenge anzunehmen, sich in die Gesellschaft zu integrieren? Oder ist es die Gesellschaft, die keine Ahnung davon hat, dass sie ihren inneren Wahnsinn verdrängt und in steter Ungeduld darauf wartet, einen Grund zu finden, um das verrückte Ding im Kopf endlich rauszulassen. Enthemmt trifft auf verklemmt, der Irrsinn auf Alltagsseduktion. How to Be Normal and the Oddness of the Other World – ein schöner, wagemutig literarischer Titel für einen Film – wirft sich mit einer kreischenden Xenophobie einer nicht mehr vertrauten Normalität gegenüber in den Dschungel einer Realität, die aus faden Fassaden besteht und sich so anfühlt, als wäre Arnold Schwarzeneggers Filmfigur des Jack Slater in Last Action Hero eben erst von der Leinwand gesprungen, um in der asphaltgrauen physischen Härte beim Verknöcheln laut aufzuschreien. Im falschen Film, würde Luisa-Céline Gaffron als psychotische Pia jetzt sagen, der es so ziemlich ähnlich ergeht.

Alles Käse vor den Augen

Völlig fremd in der Welt, die in der nackten Theorie eigentlich die ihre sein sollte, findet sie sich als Migrationsantragsstellerin in ihr eigenes bisheriges Leben wieder, die alle Vertrautheit verloren hat. Beide Eltern sind sowieso neben der Spur, vor allem der Papa (Cornelius Obonya endlich mal im Kino – Zeit wird’s!) will die Psyche seiner Tochter alles andere als an die große Glocke hängen, auch ein Fall von Verdrängung, während er selbst verdrängt, dass es um das firmliche Familienerbe mehr als schlecht steht. Die Mutter – ein Wiedersehen mit Elke Winkens – darf als Fernsehsprecherin nur reißerisches Zeug kommentieren, vom Ende der Welt und von Zombieschnecken. Deftiges Zeug, das zieht natürlich runter. Eine Hilfe sind die beiden also nicht, und es reicht womöglich kaum, das Essgeschirr gegen Plastik zu tauschen, nur, damit Pia nicht auf die Idee kommt, sich wieder zu verletzen. All das stempelt die sensible Dame noch mehr als etwas ab, was andere womöglich als Freak ansehen würden, als Monster mit der Scheibe Gouda vor Augen. Währenddessen suchen Harald Krassnitzer und seine Akte X-Kollegin nach einem verschwundenen Mädchen. Man kann sich denken, wer das wohl sein wird, und währenddessen wird klar, dass es kaum eine Möglichkeit gibt, all den Leuten mitzuteilen, dass Pia noch da ist, dass sie nur anders ist, anders agiert und vielleicht als einzig Vernünftige in dem ganzen Selbstbetrug auch gleichzeitig als einzige ein normales Leben führt, frei von Regieanweisungen, die die Norm oktroyieren.

With a little help from Ed Sheeran

Der Kinosaal ist bis auf zwei Sitze in der ersten Reihe ausgebucht, wer hätte das gedacht bei so einem exzentrischen Stück Psychokino? Bevor aus dem Screening gar nichts wird, wird die Sache mit der Fußfreiheit ganz vorne schöngeredet – und siehe da, im Votivkino, da funktioniert sogar das: Gaffron und ihr Ensemble dringt nun ungefiltert in meine eigene Wahrnehmung. Überdimensionierte Close Ups und das kaleidoskopartige Spiel mit Realität und Imagination fächern sich in mein Hirn und unterstützen die Wirkung des ganzen fiktiven Portraits, das im Grunde auch nicht mehr sein will als eine Bestandsaufnahme, ein Psychogramm, ergänzt durch einen Workshop aus Partys, Liebeskummer und der Vision eines Ed Sheeran, der als heldenhafter Star-Support das Märchen popkulturell erdet. Giffron ist das unverrückbare Zentrum, der Blickwinkel, der Ort der Wahrnehmung, the Eye of the Beholder – keine leichte Sache, so zu tun, als würde man es sich nicht zu leicht machen wollen, einen Menschen mit psychischer Erkrankung zu verkörpern. Ins Klischee soll das Ganze schließlich nicht kippen, und genau das gelingt ihr zu vermeiden, während das ganze Drumherum das Klischee aber durchaus bedienen darf, weil es das ist, was man im Leben „sollen muss“.

Durch die Hintertür der angeknacksten Psyche

Anders als erwartet, lässt Pochlatko seinem Film keinen assoziativen freien Lauf. How to Be Normal… ist alles andere als erratisch oder arrogant artifiziell und hält sich sehr wohl an einem roten Faden fest wie ein in Seenot geratener Seemann am Steuerrad seines Schiffes. Wieder ist es die Figur der Pia, die sich gegen die Assimilierung stemmt und ihr dann wieder nachgibt, die den Notausgang sieht, den sonst keiner sieht. Filme dieser Art gibt es einige wenige, und da wieder einige wenige gute, worunter Pochlatkos Film fällt. Mir fällt auch gerade Terry Gilliams König der Fischer ein: Robin Williams als traumatisierter Obdachloser, der den Heiligen Gral sucht. Giffron sucht auch nach etwas, auch nicht nach einer neuen Ordnung wie Jack Nicholson in Einer flog übers Kuckucksnest, sondern nach eben diesem ureigenen Notausstieg, dessen permanente Erreichbarkeit ein Gefühl von Entspannung liefert. Selbstbestimmung in Zeiten wie diesen sieht vielleicht so aus – oder anders. Man soll sich die Welt machen, wie sie einem gefällt, sagt Pippi Langstrumpf – auch wenn das mit einschließt, dass man dabei verrückt wird.

How to be Normal and the Oddness of the Other World (2025)

Und morgen die ganze Welt

WATSCHEN FÜR DIE FASCHOS

6/10


UndMorgenDieGanzeWelt© 2020 Alamode Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2020

REGIE: JULIA VON HEINZ

CAST: MALA EMDE, NOAH SAAVEDRA, TONIO SCHNEIDER, ANDREAS LUST, LUISA-CÉLINE GAFFRON, FRIDA KNABE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Aufstehen gegen Nationalismus und Faschismus und überhaupt gegen alles, was die Grundwerte einer Demokratie ins Wanken bringen könnte: das ist natürlich löblich. Und wie es Julia von Heinz als einleitendes Zitat ihrem Film Und morgen die ganze Welt voranstellt, liegt es anscheinend auch in der Verantwortung jedes einzelnen Bürgers, die Destruktion eines Sozialstaates mit eigenen und mit allen Mitteln zu verhindern, sofern staatliche Maßnahmen nicht mehr greifen. Ein gesetzlicher Grundsatz, der fast schon jene attraktive Auslegungswiese mäht wie das Buch aller Bücher. Rein subjektiv betrachtet könnten angesichts des rechten Umschwungs zumindest in der Bundesrepublik Deutschland der eine oder andere Subdreißiger das Gefühl bekommen, jetzt eingreifen zu müssen – da der Staat, wie es aussieht, maximal Symptombekämpfung betreibt.

Wo also ansetzen, denkt sich Jurastudentin Luisa. Freundin Batte schleppt sie dafür in die linkslinke Kommune P81, die für die gute Sache kämpfen will, allerdings im Untergrund bleiben muss. Ihre Taktik: bei rechten Versammlungen als Partycrasher fungieren. Das geht sehr schnell sehr fies nach hinten los, als Luisa bei so einer Aktion von einem Neonazi verfolgt und angegriffen wird. Spätestens da kippt die Stimmung. Luisa empfindet neben posttraumatischer Panik Scham, Kränkung und die Lust nach Rache. Wie viel bleibt da noch von einem politischen Statement? Wieviel bleibt da noch vom Großen und Ganzen, wenn Politik zur persönlichen Sache wird? Nicht nur Luisa, auch zwei ihrer Gesinnungsgenossen wollen schwerere Geschütze auffahren – und schrecken vor Gewalt dann auch nicht mehr zurück.

Ihr Jungen, habt ihr nichts gelernt? Da reicht ein Blick in den Nahen Osten, um ganz schnell festzustellen, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt. Dass der geprobte Aufstand als das redundante Ausmalen der immer gleichen bröckeligen Wand (ein schöner Vergleich, den Andreas Lust im Film von sich gibt) maximal die eigenen Emotionen befriedigt, Mutter Staat aber relativ kalt lässt. Julia von Heinz (u. a. Ich bin dann mal weg) äußert sich höchst kritisch zu dieser Art der Bürgerpolitik – ganz gleich, welche Fraktion das angeht. Ihr Drehbuch hat kluge Ansätze und konzentriert sich dabei vorwiegend auf Male Emde, die sich – gut gespielt – als Luisa zusehends zur Rebellin radikalisiert und auf alles andere als auf nachhaltigen Schaden für die Gegenseite setzt. Ähnliche Filme wie Night Moves von Kelly Reichhardt, in dem es um radikalen Klima-Aktivismus geht, sind sogar noch pessimistischer. Hier aber ist politisches Halbwissen ein großes Manko, wenn man politisch etwas verändern will.

Es fällt in Und morgen die ganze Welt sehr schwer, für all diese Idealisten und gekränkten Figuren Sympathie zu empfinden. Ihre Art zu handeln ist fragwürdig, schwer nachvollziehbar und teilweise auch völlig dumm. Was dann bleibt, ist ein gutes schlechtes Beispiel für unbekümmerte Militanz. So manche Dialoge, die einfach nur halblaut gemurmelt sind, bleiben überdies akustisch schwer verständlich. Ein Film, der nahe geht, ist das Politdrama keines. Vielmehr ein distanziertes „Ich hab’s euch ja gesagt“ in knappen zwei Stunden.

Und morgen die ganze Welt