Ein ganzes Leben (2023)

HEIMATLOS IN DER HEIMAT

7/10


einganzesleben© 2023 Tobis Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH 2023

REGIE: HANS STEINBICHLER

DREHBUCH: ULRICH LIMMER, NACH DEM ROMAN VON ROBERT SEETHALER

CAST: STEFAN GORSKI, AUGUST ZIRNER, JULIA FRANZ RICHTER, ROBERT STADLOBER, ANDREAS LUST, THOMAS SCHUBERT, MARIANNE SÄGEBRECHT, MARIA HOFSTÄTTER, GERHARD KASAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN 


In Rainhard Fendrichs inoffizieller österreichischer Bundeshymne lautet eine Zeile wie folgt: Da bin ich her, da gehör‘ ich hin. In Robert Seethalers fiktiver Heimatbiographie Ein ganzes Leben wird das unerschütterliche Statement zur unsicheren Fragestellung: Wo bin ich her, wo gehör‘ ich hin? Das sind Kernwahrheiten, nach denen wir alle suchen. Doch Seethalers Roman bringt es auf den Punkt, stellt diese Fragen dringender denn je – und macht mit seiner Figur des Andreas Egger die Probe aufs Exempel, wie es wohl sein muss, nicht zu wissen, woher man – im Bezug auf das Diesseits – eigentlich kommt und wohin man schließlich gehört. Zumindest Hans Steinbichler (u. a, Das Tagebuch der Anne Frank, Winterreise) hat den Schwebezustand eines bergverbundenen Mannes aus seiner allerletzten Verankerung gerissen und lässt ihn wie einen dieser montanen Greifvögel zwar nicht hoch, aber trotz allem in einiger Distanz zu seinem eigenen Leben und dem Sinn dahinter umhernomadisieren.

Das Woher-komme-ich lastet bereits im ersten Take des Films auf den Schultern eines gerade mal achtjährigen Jungen, der, und das wird nicht näher erläutert, so ziemlich elternlos daherkommt. Irgendwo muss dieser „Oliver Twist“ auch hin, am besten zum entfernt verwandten Bauern Kranzstocker (garstig: Andreas Lust), der, wie der Name schon sagt, gerne zum Stock greift, den Knaben verprügelt und diesen prinzipiell nicht leiden kann. Ein böser Mensch unter dem Herrn, und derart böse Menschen gibt es viele auf dieser Welt. Der junge Andreas Egger nimmt das stoisch hin, schluckt seinen physischen wie psychischen Schmerz einfach runter. Wenig wird er sprechen, zumindest in den jungen Jahren nicht. Doch kaum ist dieser älter und wehrhafter, kehrt er dem Hof und dem Prügelbauern den Rücken, sucht sein eigenes Glück und seine Bestimmung. Sucht im Grunde seine Heimat. Und findet seine Liebe, die, soeben erst gewonnen, wieder verlorengehen wird. Mit ihr auch die Idee eines Zuhause; einer Geborgenheit, die Andreas nicht mehr erlangen wird. Um sich selbst zu spüren, wird er schuften und arbeiten, arbeiten und schuften. Dazwischen schlafen, etwas essen, und sonst nicht viel reden.

Dieses Leben zwischen und auf den Bergen ist ein schnödes, undankbares. Eines, das gerade mal malerische Landschaften und blühende Blumenwiesen bietet. Rauschende Wälder und gar nicht mal einen Jodler. Ein ganzes Leben scheint einer dieser durch und durch klassischen, wildromantischen Heimatfilme zu sein, wie es sie früher gegeben hat. Statt Stefan Gorski oder August Zirner wäre die Rolle des Egger eine solche, die Luis Trenker wohl gespielt und einer wie Georg Wilhelm Pabst inszeniert hätte. Vermutlich in expressionistischem Schwarzweiß, stets im Fokus das wettergegerbte Gesicht des den Entbehrungen ausgesetzten Landmenschen, der hört, wie der Berg ruft, wie das Grollen von Lawinen vibriert und wie kalt der Tod sein kann.

Und doch ist bei Steinbichlers Film so manches anders. Muten die Metaebenen dieser in simpler Chronologie gehaltenen Jahrhundertbeichte fast wie paradoxe Gleichnisse an. Das Gefühl von Heimatlosigkeit in der Heimat, die Freiheit, über die Gipfel zu blicken, und doch nie gelernt zu haben, weiterzureisen bis ins nächste Tal. Arbeit, um zu leben, wird zum Leben, um zu arbeiten. Alles in Ein ganzes Leben hat eine Dualität, die in derselben Begrifflichkeit wurzelt. Auch wenn kaum feststellbar ist, welchen Gedanken dieser Egger nachhängt, – der übrigens sowohl von Stefan Gorski und August Zirner ohne Charakterbruch wie aus einem Guss gespielt wird, als wären beide ein einziger Akteur – lenkt Steinbichler seinen Panoramablick auf sein Innerstes. Damit ist diese in ihrer Sprache recht karge, doch emotional aufwühlende Literaturverfilmung weniger spektakuläres Epos als vielmehr eine introvertierte Suche nach nichts Bestimmtem, doch gleichzeitig nach Allem.

Ein ganzes Leben (2023)

Schachnovelle

ÜBERLEBEN IST EIN KÖNIGSSPIEL

7/10


schachnovelle© 2021 Studiocanal GmbH


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH 2021

REGIE: PHILIPP STÖLZL

CAST: OLIVER MASUCCI, BIRGIT MINICHMAYR, ALBRECHT SCHUCH, SAMUEL FINZI, ANDREAS LUST, LUKAS MIKO, MORITZ VON TREUENFELS, ROLF LASSGÅRD U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Einen Tag vor seinem Suizid brachte der nach Brasilien ausgewanderte Stefan Zweig sein letztes Manuskript zur Post, um es an seinen Verleger zu senden. Es handelte sich dabei um die Schachnovelle, dem knappen, intensiven Psychogramm eines Menschen, der mit allen ihm möglichen Mitteln dagegen ankämpft, gebrochen zu werden. Wenn man so will, ist das Buch nichts anderes als die Chronik einer psychischen Folterung, ein frühes Guantanamo, in welchem der Protagonist insofern gequält wird, indem ihm alles, was den menschlichen Geist am Leben erhält, entzogen wird. Wäre da nicht diese kleine Schachlektüre gewesen, hätte der im Buch als Dr. B bezeichnete Ich-Erzähler wohl seine Geheimnisse preisgeben müssen und hätte sich vermutlich der totalitären Gewalt gebeugt. So jedoch klammert sich der Gefangene statt an den lebensrettenden Strohhalm an zweiunddreißig Figuren, jeweils die Hälfte davon Schwarz und Weiß – und ackert das Büchlein von vorne bis hinten durch, erprobt Strategien und spielt gegen sich selbst. Zum Glück hat der Boden des Badezimmers quadratische Fliesen, und das Brot zur täglich gebrachten Suppe eignet sich wunderbar dafür, vom König bis zum Bauern all die Spielfiguren nachzubilden.

Ein Klassiker, diese Schachnovelle. Spätestens in der Oberstufe ist dieses Buch Teil des Deutschunterrichts und seit den Sechzigern auch Teil des deutschen Filmschaffens, denn eine Aufbereitung mit Curd Jürgens und Mario Adorf gibt es bereits. Die hat allerdings brav nach Vorlage ihre Hausaufgaben gemacht. Philipp Stölzl (Nordwand, Der Medicus) war das zu wenig, vielleicht auch zu langweilig, eine Rahmenhandlung wie in der literarischen Vorlage zu schaffen, und in diese eine gedehnte Rückblende zu betten, die das Martyrium von Dr. B. präzise schildert. Stölzl bricht Rahmenhandlung – eine Schiffsfahrt nach New York, also ins Exil – und Rückblende auf, so als würde man zwei Kartendecks frisch entfolieren und miteinander vermischen. Die Isolation im Wiener Hotel Metropol ist keine Erinnerung mehr, sondern ein gegenwärtiger Ist-Zustand, während die Fahrt auf dem Ozeandampfer meinem Resümee nach genau das gleiche darstellt. Beides findet zur selben Zeit statt. Beides ist Realität und Imagination, ist Wahnsinn und nüchterne Betrachtung.

Schachnovelle ist bei weitem kein herkömmlicher Geschichtsfilm, auch keine herkömmliche Verfilmung. Es lässt – bis auf die kurze Schlussszene – keinen anderen Blickwinkel zu außer jene subjektive Sicht des Gemarterten. Oliver Masucci, ehemals Hitler in Er ist wieder da oder zuletzt als Fassbinder, steigert sich in seine Rolle voller Inbrunst, Schweiß an der Stirn und wimmernder Verzweiflung. Dazwischen ab und an klare Gedanken, die eine neue Taktik fürs Überleben entwerfen. Masucci trägt den Film schauspielerisch im Alleingang, alle anderen sind Hirngespinst und begleitende Schatten gleichermaßen. Stölzls Interpretation des zeitlosen Manifests für das Unbeugsame gegen falsche Ideale gelingt es, die Zeit noch viel mehr einzukapseln und ad absurdum zu führen als Zweig selbst es getan hat. Natürlich sorgt dieses surreale Setting für Irritation und Verwirrung, erst sehr viel später ordnet sich das Gesehene zu einem schlüssigen Ganzen. Im Moment des Sehens jedoch fühlt man sich selbst in seiner Wahrnehmung hinters Licht geführt, und selbst der Stellenwert des Schachspiels ist ein wieder Erwarten deutlich geringerer, sodass sich rein aus der Geschichte nicht ableiten lässt, warum Dr. Josef Bartok so sehr die Perfektion des Spielens beherrscht.

Der Geist ist das einzige, wohin sich ein Mensch, wenn sonst nichts mehr bleibt, zurückziehen kann. Stölzl zeigt, wie eng und ausweglos es selbst da werden kann.

Schachnovelle

Fuchs im Bau

MIT FEHLERN LERNEN

5/10


fuchsimbau© 2021 Filmladen


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2020

BUCH / REGIE: ARMAN T. RIAHI

CAST: ALEKSANDAR PETROVIĆ, MARIA HOFSTÄTTER, LUNA JORDAN, SIBEL KEKILLI, ANDREAS LUST, KARL FISCHER, FARIS RAHOMA, ANICA DOBRA U. A. 

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Lockerflockig inszenierte Komödien aus Österreich sind selten. Weil das Genre der Komödie in seiner Umsetzung am schwierigsten ist. Eine gute Komödie ist eine Meisterleistung. Die Migrantigen von Arman T. Riahi ist zum Beispiel so ein Fall. Eva Spreitzhofers Womit haben wir das verdient ist ebenfalls nicht zu verachten, wenn auch etwas handzahm und gefällig geraten. Riahi hat allerdings nicht im Sinn, nur mit Filmen hintersinnigen Humors sein Œvre zu füllen. Das österreichische Kino ist eines, das gerne und viel über allerlei soziale Missstände in unserem Land nachdenkt. Und nicht nur in unserem Land – für ganz Europa fühlt es sich mittlerweile verantwortlich. Ein noble Eigenschaft. Allerdings auch ernüchternd. Angesichts der vielen subventionierten Themen rund um Menschenhandel, Prostitution, Kindesmisshandlung und Psychosen – um nur einige zu nennen – könnte man bereits alle Hoffnung fahren lassen und die menschliche Apokalypse liebevoll in die Arme schließen. Eine entführte Elfriede Ott ist da nur eine Fußnote eines zaghaft aufzeigenden Optimismus. Aber – nichtsdestotrotz: Riahi bleibt ernst, gräbt tiefer. Nimmt sich eines Problems an, das bislang – wenn man kurz mal die letzten Jahre des österr. Filmschaffens evaluiert – noch fehlt: Der Alltag in einem Jugendknast.

Das kann natürlich ein Coming of Age-Lock Up werden. Oder Der Club der toten Dichter, nur vom anderen Ende aus betrachtet. Dazu noch gewaltbereiter, soziopathischer und widerspenstiger. Letzteres ist es auch geworden: Das Bildnis eines unorthodoxen Lehrer-Alltags in einer Strafvollzugsanstalt irgendwo in Wien (als Kulisse diente die Justizanstalt Josefstadt) mit ganz vielen, nicht enden wollenden Problemen. Doch nicht nur die Jungen mit vorzugsweise Migrationshintergrund tragen ihr Herz auf den Lippen und suhlen sich in gassenüblicher Jugendsprache, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Auch die Lehrkräfte, zumindest „Frau Lehrer“ Berger (wie immer treffsicher besetzt: Maria Hofstätter), gibt sich auffallend lässig und hat ihre ganz eigenen, seltsamen Methoden, um die Mädchen und Burschen bei der Stange zu halten. Sie unterrichtet Kunst, oder besser gesagt: sie bringt ihre Schützlinge dazu, ihr Innerstes in Form von Maltherapie nach außen zu kehren. Mit dabei: Noch-Assistenzlehrer Hannes Fuchs (Migrantiger Aleksandar Petrović), der allerdings mit sauertöpfischer Mine nicht so recht in sein neues Arbeitsfeld finden will. Noch dazu gibt’s da eine Insassin, deren Verhalten ihm gar nicht gefällt. Um die er sich – zu Recht – Sorgen macht. Und der Sache nachgeht, zum Unwillen der Justizwachebeamten, die dem ganzen chaotischen Zirkus eigentlich nichts abgewinnen können.

Da haben wir es wieder – das Superdrama. Problemkinder plus Problemlehrer in einer heillosen Problemwelt. Problemkinder würden ja prinzipiell schon genug des schwergewichtigen Inhalts mitbringen. Schauspielerin Luna Jordan spielt sich da als traumatisierte Tochter eines eigenhändig ins Koma geprügelten Vaters die Seele aus dem Leib. Was für eine verbissene Wucht. Ihr gegenüber der Rest des Ensembles, das ebenfalls sein Trauma mit sich herumträgt. Ausnahme: Sibel Kekilli, enttäuschend farblos und mit ihrer befremdend akzentlosen Aussprache wie ein Fremdkörper in all dem sozialen Schmuddel. Riahi will jedoch, dass alle hier den Ursprung für ihr verqueres Verhalten in tragischen Schicksalen verorten. Erklärt aber niemals genau, welche. Vieles bleibt indirekt und verlässt sich auf die Interpretations- und Kombinationsfähigkeit des Publikums. Das kann man natürlich gezielt einsetzen – doch nicht auf Dauer. Weder erfahren wir etwas über die biographischen Hintergründe der Jugendlichen, noch taucht Riahi tiefer in das Schicksal des Lehrers Fuchs ein, noch erklärt sich Maria Hofstätters entrücktes Verhalten. Es bleibt in diesem Drama so viel Wissenswertes verborgen. Ahnungs- und daher auch emotionslos bleibt man zurück, ist vielleicht etwas angeregt durch das gelungene Finale, in welchem ich auch Robin Williams gesehen hätte, doch mit einigem Abstand zum Gesehenen zeugen leichte Ermüdung und ein Brummschädel, dass Fuchs im Bau zwar natürlich gut gemeint und relevant genug ist, intellektuelles Prosakino mit handfestem Jugenddrama jedoch ungeschickt verknüpft hat.

Fuchs im Bau

Und morgen die ganze Welt

WATSCHEN FÜR DIE FASCHOS

6/10


UndMorgenDieGanzeWelt© 2020 Alamode Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2020

REGIE: JULIA VON HEINZ

CAST: MALA EMDE, NOAH SAAVEDRA, TONIO SCHNEIDER, ANDREAS LUST, LUISA-CÉLINE GAFFRON, FRIDA KNABE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Aufstehen gegen Nationalismus und Faschismus und überhaupt gegen alles, was die Grundwerte einer Demokratie ins Wanken bringen könnte: das ist natürlich löblich. Und wie es Julia von Heinz als einleitendes Zitat ihrem Film Und morgen die ganze Welt voranstellt, liegt es anscheinend auch in der Verantwortung jedes einzelnen Bürgers, die Destruktion eines Sozialstaates mit eigenen und mit allen Mitteln zu verhindern, sofern staatliche Maßnahmen nicht mehr greifen. Ein gesetzlicher Grundsatz, der fast schon jene attraktive Auslegungswiese mäht wie das Buch aller Bücher. Rein subjektiv betrachtet könnten angesichts des rechten Umschwungs zumindest in der Bundesrepublik Deutschland der eine oder andere Subdreißiger das Gefühl bekommen, jetzt eingreifen zu müssen – da der Staat, wie es aussieht, maximal Symptombekämpfung betreibt.

Wo also ansetzen, denkt sich Jurastudentin Luisa. Freundin Batte schleppt sie dafür in die linkslinke Kommune P81, die für die gute Sache kämpfen will, allerdings im Untergrund bleiben muss. Ihre Taktik: bei rechten Versammlungen als Partycrasher fungieren. Das geht sehr schnell sehr fies nach hinten los, als Luisa bei so einer Aktion von einem Neonazi verfolgt und angegriffen wird. Spätestens da kippt die Stimmung. Luisa empfindet neben posttraumatischer Panik Scham, Kränkung und die Lust nach Rache. Wie viel bleibt da noch von einem politischen Statement? Wieviel bleibt da noch vom Großen und Ganzen, wenn Politik zur persönlichen Sache wird? Nicht nur Luisa, auch zwei ihrer Gesinnungsgenossen wollen schwerere Geschütze auffahren – und schrecken vor Gewalt dann auch nicht mehr zurück.

Ihr Jungen, habt ihr nichts gelernt? Da reicht ein Blick in den Nahen Osten, um ganz schnell festzustellen, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt. Dass der geprobte Aufstand als das redundante Ausmalen der immer gleichen bröckeligen Wand (ein schöner Vergleich, den Andreas Lust im Film von sich gibt) maximal die eigenen Emotionen befriedigt, Mutter Staat aber relativ kalt lässt. Julia von Heinz (u. a. Ich bin dann mal weg) äußert sich höchst kritisch zu dieser Art der Bürgerpolitik – ganz gleich, welche Fraktion das angeht. Ihr Drehbuch hat kluge Ansätze und konzentriert sich dabei vorwiegend auf Male Emde, die sich – gut gespielt – als Luisa zusehends zur Rebellin radikalisiert und auf alles andere als auf nachhaltigen Schaden für die Gegenseite setzt. Ähnliche Filme wie Night Moves von Kelly Reichhardt, in dem es um radikalen Klima-Aktivismus geht, sind sogar noch pessimistischer. Hier aber ist politisches Halbwissen ein großes Manko, wenn man politisch etwas verändern will.

Es fällt in Und morgen die ganze Welt sehr schwer, für all diese Idealisten und gekränkten Figuren Sympathie zu empfinden. Ihre Art zu handeln ist fragwürdig, schwer nachvollziehbar und teilweise auch völlig dumm. Was dann bleibt, ist ein gutes schlechtes Beispiel für unbekümmerte Militanz. So manche Dialoge, die einfach nur halblaut gemurmelt sind, bleiben überdies akustisch schwer verständlich. Ein Film, der nahe geht, ist das Politdrama keines. Vielmehr ein distanziertes „Ich hab’s euch ja gesagt“ in knappen zwei Stunden.

Und morgen die ganze Welt

Die Einsiedler

MACH MIR DEN HOF

7/10

 

einsiedler© 2016 filmdelights Film

 

LAND: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND, ITALIEN 2016

BUCH & EGIE: RONNY TROCKER

CAST: ANDREAS LUST, INGRID BURKHARD, ORSI TÓTH, HANNES PERKMANN, PETER MITTERRUTZNER U. A.

 

Ein Urlaub in den Bergen ist etwas ganz anderes als in den Bergen zu leben. Oder anders gesagt: Urlaub am Bauernhof ist nicht das, was Bauernhof aus einem macht. Einen Blick in die nähere Frühzeit der Lebensweise bäuerlicher Selbstversorger, den hat uns schon Franz Innerhofer in seinen Schönen Tagen gewährt. Oder aber auch die Bayerin Anna Wimschneider in ihren Memoiren Herbstmilch, die später dann Ende der 80er von Joseph Vilsmaier verfilmt wurden. Dort, wo noch ein bisschen rustikaler Charme oder die Nostalgie des Vergangenen Einzug gehalten hat – das könnte man jetzt in Ronnie Trockers Scheunen-Abgesang Die Einsiedler schmerzlich vermissen. Seine Bestandsaufnahme aus den Südtiroler Bergen lädt erstens einmal überhaupt nicht zum entspannten Verweilen zwischen Kuhmist und Apfelbäumen ein, und zweitens drückt die Ödnis dieser Einschicht durchaus aufs Gemüt. Doch wenn einer Einsamkeit sucht, dann ist er dort allerdings richtig aufgehoben. Zu tun gibt’s halt einiges, auf die faule Haut legen ist nicht. Vom Melken, Ausmisten bis zum andauernden Warten der feuchtwandigen Gemäuer hier oben in dieser Nebelsuppe fällt man, wenn’s finster wird, ins Bett, um sich beim ersten Hahnenschrei wieder aufzurappeln.

In Zeiten wie diesen, wo Dörfer regelrecht aussterben und die Jungen abwandern in urbane Gefilde, da mutiert auch ein Südtiroler Bauernhof wie jener von Burgschauspielerin Ingrid Burkhard zur feuchtkalten Gruft. Sohnemann Albert versucht sein Glück im Tale als Arbeiter in einem Marmorsteinbruch. Die Eltern altern vor sich hin und tun was sie tun müssen. Wer erbt den Hof? Es wäre kein Abgesang auf das Bauernleben, käme nicht ein Schicksalsschlag aus fast heiterem Himmel – und Bäuerin Marianne steht alleine da, in der unverputzten Finsternis der alten, verfluchten vier Wände. Was tun in dieser Einsiedelei? Und hat Sohnemann Albert Ambitionen, das Erbe der Eltern weiterzuführen?

Ronny Trockers „Die Einsiedler“ wurde laut Standard-Edition mit einem „Michael Haneke in den Bergen“ verglichen. Nun, die karge, schweigsame Rationalität menschlichen Verhaltes in einem archaischen Mikrokosmos, die sich mit steinzeitlichem Affekt aus dem zivilisierten Korsett des 21. Jahrhunderts katapultiert, hat tatsächlich etwas von Haneke. Ist aber längst nicht so beseelt von klirrender Grausamkeit, sondern viel eher durchdrungen von einer bitteren Erkenntnis. Ingrid Burkhard lebt diese ernüchternde Resignation mit jeder Falte ihres zerfurchten, traurigen Antlitzes. Von Mundls volkstümlich-guter Seele Toni Sackbauer ist nichts mehr übrig, Burkhards fulminante Altersrolle ist gleichzusetzen mit Fritz Muliars grotesker Monologfigur aus Felix Mitterers Sibirien. Beide Gestalten stehen am Ende ihres Lebens, und sie können den Verfall nicht aufhalten. Und das Schlimmste ist: Sie können ihr Vermächtnis niemandem weitergeben. Denn die Zeit, die sie verkörpern, erfährt mit ihrem Tod einen Bruch, der einen ganz anderen Neuanfang einplant. Mitterer hätte auch für diesen Film ein Drehbuch verfassen können, nur die Satire einer Piefke-Saga bleibt hier so fern wie das Meer. Und irgendwann schweigt auch das Blöken der Ziegen und das Muhen der Wiederkäuer. Irgendwann werden die Alten mitsamt den Grundmauern ihrer Existenz begraben, weil die Zeit einfach irgendwann vorbei ist. Heast as net, wia die Zeit vergeht, singt Hubert von Goisern. In Die Einsiedler hört man es, sieht man es. Und muss ihr nicht zwingend nachweinen.

Die Einsiedler