Empire of Light (2022)

MENSCHEN IM KINO

8/10


empireoflight© 2022 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA 2022

BUCH / REGIE: SAM MENDES

CAST: OLIVIA COLMAN, MICHAEL WARD, COLIN FIRTH, TOBY JONES, TOM BROOKE, HANNAH ONSLOW, TANYA MOODIE, CRYSTAL CLARKE U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Im letzten und diesem Jahr feiert die Filmwelt auffallend oft sich selbst und ein längst über hundert Jahre altes Medium darstellender Kunst. Wir hatten Babylon – Rausch der Ekstase von Damien Chazelle – ein Rückblick auf Leben und Leiden des jungen Hollywood; wir hatten Final Cut of the Dead – ein Loblied auf das Teamwork hinter den Kulissen. Wir hatten Steven Spielbergs The Fabelmans über die kreative Bestimmung einer Regie-Koryphäe. Und wir hatten Pan Nalins märchenhafte Analyse über Zelluloid und Improvisation: Das Licht, aus dem die Träume sind. So ausufernd gehuldigt wurde die für manche vielleicht schönste Sache der Welt noch nie. Und damit ist aber auch noch nicht Schluss. Wir hatten vieles, was man am Filmemachen nur loben kann, ausgelobt bekommen. Das Lichtspielhaus selbst – der wirklich beste Ort, um der Illusion des laufenden Bildes zu erliegen – wurde bis dato aber noch nicht so sehr in den Fokus gerückt wie aktuell unter der Regie von Sam Mendes.

Der James Bond-erprobte Oscarpreisträger für American Beauty gönnt sich mit Empire of Light einen künstlerisch hochwertigen Nebenspaziergang und probt den Lokalaugenschein in einem aus der Zeit gefallenen kinematographischen Wunderbaus, einem Kino im architektonischen Stil der edlen Fünfziger Jahre, dem fast schon das altehrwürdige Retro-Premierenkino Gartenbau in Wien das Wasser reichen könnte, hätte es das bisschen Mehr an versteckten Lichtquellen, polierten Holzvertäfelungen und so eine majestätischen Pforte wie eben das keiner Kette angehörende Empire Cinema in einer Kleinstadt an der Küste Südenglands.

Wir schreiben Anfang der Achtzigerjahre, es ist die Jahreswende zu 1981. Der vom Kinobesitzer Mr. Ellis (Colin Firth als Ekelpaket) geführte Prachtbau liegt zu den täglichen Öffnungszeiten in den Händen von Hilary, einer einsamen Frau mittleren Alters und mit trauriger Miene, die nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie versucht, am gesellschaftlichen Leben wieder teilzuhaben. Sie leidet an einer bipolaren Störung, doch soweit scheint die Krankheit im Griff. Die sexuellen Nötigungen ihres Chefs scheint sie zu dulden, dafür ist die familiäre Gemeinschaft der übrigen Belegschaft viel zu viel wert, um ihre Arbeit aufs Spiel zu setzen. Doch dann wird alles anders – ein neuer Mitarbeiter bereichert das Ensemble. Es ist Stephen, ein Afroeuropäer, der darauf wartet, einen Studienplatz zu ergattern, aufgrund seiner Hautfarbe aber wenig Chancen darauf hat. Hilary und Stephen fühlen sich zueinander hingezogen; sie zeigt ihm die vielen verwahrlosten Hallen des Kinos hinter dem Kino, er zeigt ihr, wie sich körperliche Nähe wirklich anfühlen soll. Und es wäre nicht das Leben, würde Hilarys Krankheit nicht wieder ihren Tribut fordern. Gerade zu jenem Zeitpunkt, als das Empire Cinema zum Premierenkino für Chariots of Fire seine Sternstunde erlebt.

Sam Mendes hat die Idee zu seinem Film nicht von irgendwoher. In Empire of Light spiegeln sich zahlreiche Motive aus seiner Kindheit. Und auch die Rolle der Hilary ist biografisch inspiriert von seiner Mutter, die ebenfalls an einer bipolaren Störung litt. Selbst das Kino als Dreh- und Angelpunkt diverser Schicksale ist ein essenzieller Teil von Mendes Biografie – wie Steven Spielberg in The Fabelmans steckt dieser hier seine Erinnerungen in eine klare und schnörkellos verpackte Liebes- und Leidensgeschichte, die in edlen Bildern die Institution des Kinos als Ort der Reflexion und Sinnsuche zelebriert. Dabei gelingt ihm, die Motivation herauszufiltern, welche Besucher an einen Ort wie diesen lockt. Er beobachtet, was es aus einem macht, wenn man ins Kino geht und wie das Screening eines Werks den Zuseher bereichert.

Bis Hilary – großartig gespielt von Olivia Colman, die erstaunlich viele Gemütsfacetten in ihrer Rolle legt und diese ausbreitet wie ein Fächer – bereit dafür ist, auch mal zu sehen, wofür sie sich einsetzt, vergehen Monate des Suchens, Erkennens und der Selbstfindung – umso größer ist das Gänsehautmoment, wenn Mendes das dramaturgische As aus seinem Ärmel spielt. Wenn er dieses kleine, intime Stück Schauspiel – und Autorenkino zu ganz großem Kino werden lässt. Wie er sich in seinem Erzählen in die Kurve legt, um seine strauchelnden Seelen wieder aufzufangen, dabei aber auch nicht auf den Ort des Geschehens als magische Zeitkapsel vergisst: das zeugt von einer inszenatorischen Fingerfertigkeit, die die melodramatische Klassik alter Filme in die Postmoderne geleitet.

Empire of Light (2022)

1917

REISE NACH MORDOR

7,5/10

 

1917© 2019 Universal Pictures

 

LAND: USA, GROSSBRITANNIEN 2019

REGIE: SAM MENDES

CAST: GEORGE MCCAY, DEAN-CHARLES CHAPMAN, COLIN FIRTH, RICHARD MADDEN, BENEDICT CUMBERBATCH U. A.

 

Es gibt Filme, viele Filme, die Bücher als Grundlage nehmen und diese dann komplett anders interpretieren oder eins zu eins verfilmen oder den Stoff einfach aufblasen. Es gibt Bücher, die lesen sich wie Filme. Und es gibt aber zu guter Letzt auch Filme, die sichtet man wie Bücher. Genau das ist bei den Werken von Sam Mendes der Fall. Der Brite mit dem Oscar für American Beauty ist zur Zeit wohl der Romancier des Kinos. Die Qualität des Erzählens von Geschichten liegt nicht jedem, vieles ist zu verkopft und nur in den Augen des Verfassers logisch. Bei Mendes ist das, was er erzählt, von solch einer narrativen Eleganz, dass das Publikum den Film rund um den Globus völlig ähnlich erfahren wird. Auch sein neuester Film, das Kriegsdrama 1917, entspricht dieser Fertigkeit – indem er ein erschütterndes Szenario so in eine Filmsprache bettet, dass man das Gefühl hat, einen Roman zu sehen, voller prosaischer Klasse, feinen bildsprachlichen Details und emotionaler Wärme. 1917 ist die Lyrik eines Krieges, so sehr und so weit auch beide Begriffe auseinanderliegen. Obwohl Mendes´ Oscar-Favorit nicht der erste Film ist, der so einen Weg wählt. Wir erinnern uns natürlich an Francis Ford Coppolas Apocalypse Now. Natürlich, ein ganz anderes Timbre, eine ganz andere Sprache und ein anderer Stil, aber auch er hat den Krieg nicht in seiner ganzen nackten Schrecklichkeit bloßgelegt, sondern als Traumgespinst verformt, als ein Gespenst für einen destruktiven Zustand.

1917 ist eine ähnliche Odyssee. Zwar eine, die nicht ganz so in die Dunkelheit wie bei Coppola führt, aber dorthin, wo zwei Soldaten mit einer sehr dringlichen Nachricht hineilen, scheint auch nicht wirklich die Sonne. Schauplatz ist Frankreich, ein Jahr vor dem Kriegsende, Schützengraben überall. Zerstörte Erde, endzeitliche Zustände. Die Nerven liegen blank. Den Stellungs- und Grabenkrieg in Frankreich, den hatte schon Erich Maria Remarque in seinem schrecklich traurigen Klassiker Im Westen nichts Neues beschrieben – und das in einer sehr drastischen, aber zutiefst hypnotischen Sprache. Diese Sogwirkung hat auch 1917, schon allein dadurch, dass Mendes´ Film wie ein One Shot wirkt. Wer nach der Eingangssequenz, in der die Kamera den beiden Soldaten scheinbar ewig durch den Schützengraben folgt, noch nicht mittendrin im Geschehen weilt, der hat woanders hingesehen. Kameramann Deakins leistet wieder mal Erstaunliches. Der Aufwand für diesen Film muss ebenfalls enorm gewesen sein. Hier scheint der Naturalismus Teil des Casts zu sein, hier ist der Boden, der Schlamm, die verbrannten Bäume und all die tierischen und menschlichen Kadaver in all ihren unterschiedlichen Verwesungszuständen so plastisch, als würde man selbst darin wühlen, in diesem verheerten Chaos, das die beiden Protagonisten umgibt. Und die sind standhaft, vorsichtig, haben einen Auftrag – wie Frodo und Samweis, die Richtung Mordor gingen, beide füreinander da, beide im Sinne für alles, was kein Krieg ist. Leicht kippt das Unaussprechliche in ein Mittelerde, wo das Gute in den Händen der Schwachen liegt, die sich dem Gigantismus des Krieges scheinbar nur schwer entgegenstellen können. Jedoch hat Pathos, falsches Pathos in Mendes Werk nichts verloren, sein Film ist das Intonieren eines vergessenen Refrains, der an der Front davor bewahrt, nicht ganz den Verstand zu verlieren. Und tatsächlich tönt im Film irgendwann auch ein solches wehmütiges Lied durch den Hain.

Petersen hat mit Das Boot die Gefühlswelten junger Soldaten bislang am besten eingefangen. Mendes schafft das mit 1917 ebenso, allerdings sind die Aussichten auf bessere Zeiten im Gegensatz zum U-Boot-Drama zumindest welche, für die es sich lohnt, am Leben zu bleiben. Nihilismus hat bei Mendes keinen Platz, das Gute ist da, aber hält sich versteckt. Ein Antikriegsfilm ist 1917 somit nicht geworden, sondern eine epische Erzählung für nur einen Tag, zwischen expressionistischen Kontrasten auf weitem Feld und den kargen letzten Krümeln einer Freundschaft, die George McKay aufliest, bis zum Ziel. Doch dieses ist nur eine Etappe, bis die Schlacht wieder beginnt, und neue Befehle wieder jemanden durchs Niemandsland schicken.

1917