Die Abenteuer des Baron Münchhausen (1988)

DES MEISTERS (W)IRRE WUNDERBOX

7/10


munchausen© 1988 Columbia Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, DEUTSCHLAND 1988

REGIE: TERRY GILLIAM

DREHBUCH: CHARLES MCKEOWN, TERRY GILLIAM

CAST: JOHN NEVILLE, SARAH POLLEY, ERIC IDLE, CHARLES MCKEOWN, WINSTON DENNIS, JACK PURVIS, JONATHAN PRYCE, ROBIN WILLIAMS, VALENTINA CORTESE, UMA THURMAN, OLIVER REED, PETER JEFFREY, STING U. A.

LÄNGE: 2 STD 6 MIN


Im wunderbaren Wiener Gartenbaukino gibt’s nicht nur zur Viennale Filmemacher und Schauspieler zum Anfassen, sondern auch immer wieder mal darüber hinaus, wie eben letzten Sonntag: Niemand geringerer als Ex-Monty Python Terry Gilliam ließ sich da sehen und sprach zum Publikum. Schräges aus seiner Kindheit, Skurriles vom Set und so manch Philosophisches über Kreativität und die Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz. Gilliam war, ist und wird immer ein Visionär bleiben, der den Studios schlaflose Nächte beschert. Und nicht nur diesen: Kann sein, dass er sich auch selbst angesichts der Unmöglichkeit, seine Ideen auf die Leinwand zu bringen, unruhig in den Laken wälzt. Sein Don Quixote war lange Zeit gleich unbezwingbaren Windmühlen, bei Die Abenteuer des Baron Münchhausen ist sich der Wahnsinn gerade nochmal ausgegangen. Doch auch da weinten sich die Geldgeber in den Schlaf, denn aus dem proklamierten Budget wurde bald das Doppelte. Angesichts des fertigen Films wundert die Tatsache niemanden, und es ist schließlich auch offensichtlich, wohin das ganze Geld verschwand: Allein schon die formschönen Kanonen der osmanischen Invasoren müssen ein Heidengeld gekostet haben. Belagerungstürme, Schiffswracks, Stadtmauern – und nichts davon aus dem Rechner. Die Abenteuer des Baron Münchhausen kam 1988 ins Kino und ging beim Publikum gnadenlos unter. Und das, obwohl Terry Gilliam wirklich keine halben Sachen gemacht hat. Die Schauwerte sind enorm – sein phantastisches Abenteuer, das nicht auch nur den kleinsten Gesetzen der Logik folgt (typisch Münchhausen eben), entfaltet seine Wundertüte eigentlich nur auf der großen Leinwand, denn nur dort lassen sich all die Details entdecken, die auf den Fernsehschirmen verpuffen. Im Kino ist sein Flop ein künstlerischer Genuss, wenn auch in hysterischem Stakkato erzählt – ohne Verschnaufpausen, innerer Einkehr und ruhigen Momenten. So könnte man die Frage stellen: war das Publikum einfach nur überfordert?

Nehmen wir Time Bandits. In Sachen Originalität, Optik und Erzählstil ist Gilliams Münchhausenfilm mit diesem Klassiker der Fantasy nahe verwandt. Time Bandits kam schon 1981 raus, dieser hier sieben Jahre später. Wir befinden uns drei Jahre vor James Camerons Errungenschaften in Terminator 2 – Tag der Abrechnung. Und Gilliam frönt immer noch der wunderbaren Analogie, als würde es niemals etwas anderes geben, um seine Storyboard-Zeichnungen auch entsprechend umzusetzen. Vielleicht war das Publikum der Zeit des Meisters schon voraus und wartete sehnsüchtig auf Neues, zumindest auf filmtechnisch innovatives Handwerk. Hat Gilliam hier den Absprung verpasst?

Mittlerweile gefällt so ein Retro-Charme CGI-müden Augen umso mehr. Man erkennt wieder die Bildmontage, das Matte Painting, die kleinen, aber offensichtlichen Mankos mancher an Schnüren gezogener Marionetten und künstlicher Firmamente – insbesondere wenn das ganze aussieht, als hätte hier schnell noch jemand den Kleisterpinsel geschwungen. Doch das macht nichts. Gilliams Visionen kann keiner kopieren. Sein Stil ist einzigartig, der Blickwinkel stimmt – Kostüme, seltsame Konstrukte und völlig absurde Ideen wie die Folterorgel des Sultans (eine Anlehnung an die Monty Python’sche Mausorgel) verblüffen wie bei einer Zaubershow, deren Tricks man zwar vielleicht kennt, die aber so einnehmend inszeniert sind, dass man dennoch, wie ein kleines Kind, staunend davorsitzt, wenn der nichtsahnende Publikumskandidat plötzlich zersägt wird.

Den deutschen Adeligen Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen hat es im 18. Jahrhundert tatsächlich gegeben. Ihm werden diese völlig unmöglichen Lügengeschichten auch zugeschrieben, ganz im Stile der Schwänke aus dem 15. Und 16. Jahrhundert. Dabei ist die Kanonengugel und Münchhausens Ritt auf ihr nur das Sahnehäubchen. Darunter geht es noch viel wüster zu. Und Gilliam, rechtetechnisch völlig frei, katapultiert den so charismatischen wie unverwüstlichen Baron in surreale Sphären. Die Begegnung mit Robin Williams als Mondkönig allein ist ein gespenstisches  Kasperletheater für Erwachsene. Der Auftritt von Oliver Reed als Vulcan ist Monty Python pur, die junge Uma Thurman wurde zurecht für Botticellis Venus gecastet und Eric Idle als Münchhausens Diener Berthold ist als hampeliger Hanswurst die spätbarocke Ur-Version des Flash. Die junge Sarah Polley als Sidekick Sally bleibt hingegen bis zum Abspann inkognito. Da die Auftritte einer jeden Figur für sich fast wie kleine, phantastische Pseudo-Anekdoten daherkommen, könnte man diesen Ausstattungs-Overkill als üppige Varieté-Show interpretieren – als eine Aneinanderreihung absurder Abenteuer, die sich selbst überholen. Vielen mag diese komprimierte Scherzartikelsammlung ein ehes Völlegefühl bereiten; neugierigen Nasen, die Gilliam seit jeher schätzen, warten minütlich auf die nächste Idee.

Die Abenteuer des Baron Münchhausen ist bei weitem nicht Gilliams schlechtester Film. Man könnte sagen, sein puppenbühnenartiger Reigen aus Albtraumszenen, Historienspektakel und schräger Pointen-Sammlung darf sich als Time Bandits 2.0 deklarieren. Schneller, höher, weiter, ist die Devise. Ein Film also wie ein Besuch beim verrufenen Antiquitätenhändler, dem man magische Skills andichtet, dem man bis ins letzte Hinterzimmer folgt und der seine Bude vollgestopft hat mit Dingen aus aller Welt. Nebenbei bemerkt: nicht nur aus dieser.

Die Abenteuer des Baron Münchhausen (1988)

Die Aussprache

DIE ENTBEHRLICHKEIT DER MÄNNER

6/10


womentalking© 2022 Orion Releasing LLC. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: SARAH POLLEY

BUCH: SARAH POLLEY, NACH DEM ROMAN VON MIRIAM TOEWS

CAST: ROONEY MARA, CLAIRE FOY, JESSIE BUCKLEY, BEN WISHAW, FRANCES MCDORMAND, JUDITH IVEY, SHEILA MCCARTHY, KATE HALLETT, LIV MCNEIL, EMILY MICTHELL U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Alle Männer sind böse. Zumindest hat das Jessie Buckley zuletzt in Alex Garlands surrealem Kunsthorror Men so erlebt. Jeder Mann, dem Buckley da begegnet war, hat das selbe Gesicht getragen. Wie gruselig. Und beklemmend obendrein. Jetzt ist Jessie Buckley wieder dieser Testosteron-Hydra ausgesetzt. In Sarah Polleys Regiestück Die Aussprache (im Original: Women Talking) ist aber dann doch nicht jeder einzelne innerhalb dieses genitalgesteuerten Patriarchats so richtig schlecht. Ben Wishaw zumindest nicht. Doch der ist aus seiner Sicht ein Verlierer, ein ehemaliger Verstoßener, der nur deswegen zu seiner mennonitischen Gemeinde irgendwo in Bolivien zurückkehren durfte, weil er für jene als Lehrkraft von Nutzen sein kann. Er ist es auch, der Protokoll führt, sitzend auf einem Ballen Stroh, das Notizbuch vor sich liegend und als einziger des Alphabets mächtig. Die Frauen sind das nicht, aber zumindest dem Willen Gottes unterworfen oder besser gesagt jenem Willen, denn die evangelische Freikirche den Männern zugestanden hat. Man sieht wieder: Religion und Gleichheit vertragen sich nicht. Und haben es niemals getan. 

Und eines Nachts ist es dann passiert: Einer der Männer aus der Gemeinde wird während eines sexuellen Übergriffs ertappt – um sich aus der Sache rauszuwinden, verpfeift er alle anderen, die dasselbe getan haben – jahraus, jahrein. Der Glaube sagt: duldet nur, dafür kommt ihr ins Himmelreich. Die Frauen meinen: Mumpitz, so geht das natürlich nicht weiter. Also werden all die Männer angeklagt, die übrigen versuchen, eine Kaution für all die Verbrecher zusammenzubekommen, also bleiben nur die Frauen in der Gemeinde zurück, um zu beraten, was sie nun tun sollen. Da gibt es drei Möglichkeiten: Alles so belassen wie es war und den Männern vergeben (was die Freikirche auch verlangt), zu bleiben und zu kämpfen oder alles Notwendige zusammenzupacken und wegzuziehen. Irgendwohin, wo keine Männer sind, denn die sind ohnehin entbehrlich. Über das Für und Wider zur kommenden Entscheidung wird diskutiert, geredet und geweint, geschrien und gelacht. Dann wieder vorgeworfen und um Verzeihung gebeten. Am Ende wird der Schlussstrich in welcher Form auch immer gezogen werden. Hoffentlich aber im Sinne der Menschlichkeit, der Gleichheit und der Freiheit für das weibliche Geschlecht.

Woher die Kraft beziehen, um die Konventionen zu brechen? Woher den Mut zur Selbstbestimmung? Sarah Polley (u. a. Take this Waltz) will Antworten und hat sich dem auf Tatsachen beruhenden Roman von Miriam Toews angenommen, der sich aber weniger nach Prosa sondern vielmehr nach Bühne anfühlt. Kann sein, dass im Roman die Vorgeschichten der dargestellten Frauen ebenfalls geschildert werden, doch man kann sich insofern glücklich schätzen, in Polleys Film fast keinen Gewaltdarstellungen ausgesetzt zu sein. Auf Vergewaltigung, Missbrauch von Minderjährigen und Schlägen ist man ohnehin nicht neugierig. Es ist mehr als genug, zu sehen, welche Narben und Wunden all die Frauen zu ihrer Aussprache mitbringen. Das reicht von der ungewollten Schwangerschaft bis zum womöglich aus Inzest entstandenen, missgestalteten Kind. Dazwischen Blessuren und blutende Unterleiber. Die wenigen Momente, in denen wir Zeuge von solchem Gräuel werden, reichen, um sowieso einen Hass auf alles Männliche (mit Ausnahme von Ben Wishaw) zu entwickeln, umso mehr auch deswegen, weil Männer ansonsten in diesem Film gesichtslos bleiben und auch keine Chance bekommen, sich zu äußern. Ist das aber nicht eine viel zu einseitige Darstellung? Könnte man meinen – doch kein einziges Wort würde solche Gewalt rechtfertigen. Missstände wie diese lassen sich in einer erzkonservativen Männerwelt leicht für möglich halten. Demnach hätte dem Film auch daran gelegen sein müssen, mit den erstarrenden Dogmen einer Freikirche aufzuräumen, von denen es viele gibt in den Vereinigten Staaten, und die reaktionärer nicht sein könnten. Doch Gott weist hier immer noch den Weg, die Frauen wollen ihm näher sein, hinterfragen aber viel zu wenig ihre eigene Position innerhalb ihres Glaubens. Was sie bewegt, ist die Frage des Befreiens, weg vom Mann. Die Abstimmung um die Ausgliederung aus einer Paargesellschaft gestaltet sich in entsättigten, dunklen Bildern und mutet an wie das Dialogdrama der Zwölf Geschworenen von Reginald Rose – nur im #MeToo-Kontext. Bis alle einer Meinung sind, vergehen Stunden des Diskurses, doch vieles dreht sich auch im Kreis. Wirklich in die Tiefe gehen die Gespräche nicht.

Doch was zählt, ist das aufgebrochene, verkrustete Machtsystem. Polley hilft ihren gezeichneten Gestalten behutsam aus dem Sumpf des Leidens und sucht den Neuanfang; mal panisch, mal resignierend, mal zuversichtlich. Die Aussprache scheint vieles, was zur #MeToo-Thematik filmisch bereits dargestellt wurde, zusammenzuzählen und auf gleichen Nenner zu bringen. Die Konsequenz daraus mag vielleicht nicht unbedingt die richtige Lösung sein. Aber zumindest eine, die auf idealistische Weise etwas verändern kann.

Die Aussprache