Club Zero (2023)

NEIN, MEINE SUPPE ESS‘ ICH NICHT!

5/10


clubzero2© 2023 Coop99


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, VEREINIGTES KÖNIGREICH, DEUTSCHLAND, FRANKREICH, DÄNEMARK 2023

REGIE: JESSICA HAUSNER

DREHBUCH: GÉRALDINE BAJARD, JESSICA HAUSNER

CAST: MIA WASIKOWSKA, SIDSE BABETT KNUDSEN, ELSA ZYLBERSTEIN, MATHIEU DEMY, FLORENCE BAKER, KSENIA DEVRIENDT, LUKE BARKER, SAMUEL D. ANDERSON, GWEN CURRANT, AMIR EL-MASRY, AMANDA LAWRENCE, LUKAS TURTUR, CAMILLA RUTHERFORD U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Wohl der einzige Filmemacher, der es wirklich schafft, trotz strenger Formalitäten, übertriebener Bühnenhaftigkeit und einer immensen Affinität für streng komponierte Tableaus seine Geschichten auch aus emotionaler Sicht zum Leben zu erwecken, ist Roy Andersson (meisterhaft: Songs from the Second Floor). Niemand ist vergleichbar mit ihm, nicht mal der bis zum Exzess gehypte andere Andersson, nämlich Wes, der seine Popup-Bühnen gerne bekannten Stars überlässt, die ihm die Tür zum Studio einrennen. Vielleicht ist bei Roy Andersson die Wahl des Mediums als Kurzgeschichte die Besonderheit, auf die es ankommt, um das Publikum auch enstprechend abzuholen. Bei Jessica Hausner, die ähnlich fixe Vorstellungen zu ihren Filmen hat und weit im Vorfeld genau weiß, wie wo wer zu stehen hat und wie wo was zu platzieren ist, überstrahlt die Liebe zum Dekor so gut wie alles. Die Themen sind dabei zweitrangig, in diesem Fall wäre es die dunkle Dimension der Essstörung, des Mitläufertums und des Gruppenzwangs. Ja, vielleicht auch des Glaubens und der damit verbundenen Radikalisierung für eine Sache, die nur dann stellvertretend für den Sinn des Lebens herangezogen werden kann, wenn die manipulative Agenda auseichend greift. Wir sind nicht weit entfernt von Sektentum und religiösem Fanatismus – Mechanismen wie diese, um seine Schäfchen zu rekrutieren, müssen natürlich im Rahmen der schulischen Weiterbildung auch an die zu Lernenden weitergegeben werden, mitunter gerne im Religions- oder Ethikunterricht. Ein Film wie Club Zero könnte dabei helfen. Im Grunde nämlich ist Hausners neues, im Wettbewerb um die Goldene Palme mitgeritterter Film, genau das: Schulfernsehen, leicht verständlich in seiner Grundstruktur, doch erschreckend oberflächlich in seiner Darstellung. Fürs Anschauungsbeispiel reicht’s womöglich. Für einen abendfüllenden Spielfilm, der auf gewisse Weise zum Nachdenken anregen hätte sollen, allerdings nicht.

Dabei hat Jessica Hausner, wie schon bei ihrem Vorgänger Little Joe, auf einen internationalen Star zurückgreifen können – auf Mia Wasikowska, die sich seit Tim Burtons Alice Im Wunderland einer gewissen globalen Bekanntheit erfreuen kann. Wasikowska, mit blonder Mireille Mathieu-Frisur, im monochromen Hosenrock und farblich abgestimmter Bluse, was alles zusammen selbst wie eine Uniform wirkt, schreitet sie hoch erhobenen Hauptes durchs Schulgebäude. Sie ist Ernährungsberaterin, vertreten mit einem Kurs für achtsame Ernährung – was ja prinzipiell nichts Schlechtes ist, ganz im Gegenteil. Doch Miss Nowak – wie sie sich nennt – will natürlich etwas ganz anderes. Wenn man so will, ist sie, nicht näher charakterisiert, der Guru einer nicht näher definierten Sekte, die, auch nicht näher definiert, keinen oder mehrere Anhänger hat, so ganz glauben will man ihr letztendlich keine ihrer Aussagen. Die Mädels und Jungs allerdings, die hängen sofort an ihren Lippen, wollen abnehmen oder Punkte sammeln fürs Stipendium; wollen was Gutes für sich oder die Umwelt tun. Alles sehr ambitioniert, doch Miss Novak treibt es bald zu weit. Denn nicht umsonst heisst dieser Film hier Club Zero. Nichts essen will gelernt sein. Das Licht steht dabei nicht auf der Speisekarte.

Und so lässt Hausner ihr Ensemble übers Set spazieren, setzt es an den Tisch oder huldigt einander im Sitzkreis. Lila Hosen, Kniestrümpfe, gelbe Hemden. Alles sehr ausgesucht, alles inmitten einer nüchternen, skandinavischen Architektur, ins Bild rückt nur, was auch vorher abgesprochen war. Dann allerdings heisst es Action und die Lehrkraft drückt auf die Taste ihrer akustischen Beispielsammlung, analog zum Lehrbuch eines Englischkurses. Die Listening Comprehension beginnt, Wasikowska und Co rezitieren in laienhafter Intonation ihre Skript-Zeilen, dazwischen genügend Zeit, um all die Wörter auch sickern zu lassen, damit der Content nicht verloren geht. Warum tut Hausner das? Warum lässt sie ihr Ensemble auftreten, als wären sie rekrutiert für den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag im Vormittagsprogramm – befangen, gestelzt und gekünstelt? Die daraus entstandenen Erkenntnisse stürzen durch offene Türen, wirklich weiter kommt man mit dieser Conclusio nicht.

Zugegeben, die von wuchtigen Percussion-Klängen untermalten Szenen haben ihre Unverwechselbarkeit gefunden – einmal hinsehen, und man weiß, es ist Hausner. Doch wie bei Anderson trägt eine übertriebene Künstlichkeit kaum dazu bei, den Figuren Tiefe, der Geschichte Strenge oder der zu vermittelnden Message die nötige Dringlichkeit zu verleihen.

Club Zero (2023)

Die Aussprache

DIE ENTBEHRLICHKEIT DER MÄNNER

6/10


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LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: SARAH POLLEY

BUCH: SARAH POLLEY, NACH DEM ROMAN VON MIRIAM TOEWS

CAST: ROONEY MARA, CLAIRE FOY, JESSIE BUCKLEY, BEN WISHAW, FRANCES MCDORMAND, JUDITH IVEY, SHEILA MCCARTHY, KATE HALLETT, LIV MCNEIL, EMILY MICTHELL U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Alle Männer sind böse. Zumindest hat das Jessie Buckley zuletzt in Alex Garlands surrealem Kunsthorror Men so erlebt. Jeder Mann, dem Buckley da begegnet war, hat das selbe Gesicht getragen. Wie gruselig. Und beklemmend obendrein. Jetzt ist Jessie Buckley wieder dieser Testosteron-Hydra ausgesetzt. In Sarah Polleys Regiestück Die Aussprache (im Original: Women Talking) ist aber dann doch nicht jeder einzelne innerhalb dieses genitalgesteuerten Patriarchats so richtig schlecht. Ben Wishaw zumindest nicht. Doch der ist aus seiner Sicht ein Verlierer, ein ehemaliger Verstoßener, der nur deswegen zu seiner mennonitischen Gemeinde irgendwo in Bolivien zurückkehren durfte, weil er für jene als Lehrkraft von Nutzen sein kann. Er ist es auch, der Protokoll führt, sitzend auf einem Ballen Stroh, das Notizbuch vor sich liegend und als einziger des Alphabets mächtig. Die Frauen sind das nicht, aber zumindest dem Willen Gottes unterworfen oder besser gesagt jenem Willen, denn die evangelische Freikirche den Männern zugestanden hat. Man sieht wieder: Religion und Gleichheit vertragen sich nicht. Und haben es niemals getan. 

Und eines Nachts ist es dann passiert: Einer der Männer aus der Gemeinde wird während eines sexuellen Übergriffs ertappt – um sich aus der Sache rauszuwinden, verpfeift er alle anderen, die dasselbe getan haben – jahraus, jahrein. Der Glaube sagt: duldet nur, dafür kommt ihr ins Himmelreich. Die Frauen meinen: Mumpitz, so geht das natürlich nicht weiter. Also werden all die Männer angeklagt, die übrigen versuchen, eine Kaution für all die Verbrecher zusammenzubekommen, also bleiben nur die Frauen in der Gemeinde zurück, um zu beraten, was sie nun tun sollen. Da gibt es drei Möglichkeiten: Alles so belassen wie es war und den Männern vergeben (was die Freikirche auch verlangt), zu bleiben und zu kämpfen oder alles Notwendige zusammenzupacken und wegzuziehen. Irgendwohin, wo keine Männer sind, denn die sind ohnehin entbehrlich. Über das Für und Wider zur kommenden Entscheidung wird diskutiert, geredet und geweint, geschrien und gelacht. Dann wieder vorgeworfen und um Verzeihung gebeten. Am Ende wird der Schlussstrich in welcher Form auch immer gezogen werden. Hoffentlich aber im Sinne der Menschlichkeit, der Gleichheit und der Freiheit für das weibliche Geschlecht.

Woher die Kraft beziehen, um die Konventionen zu brechen? Woher den Mut zur Selbstbestimmung? Sarah Polley (u. a. Take this Waltz) will Antworten und hat sich dem auf Tatsachen beruhenden Roman von Miriam Toews angenommen, der sich aber weniger nach Prosa sondern vielmehr nach Bühne anfühlt. Kann sein, dass im Roman die Vorgeschichten der dargestellten Frauen ebenfalls geschildert werden, doch man kann sich insofern glücklich schätzen, in Polleys Film fast keinen Gewaltdarstellungen ausgesetzt zu sein. Auf Vergewaltigung, Missbrauch von Minderjährigen und Schlägen ist man ohnehin nicht neugierig. Es ist mehr als genug, zu sehen, welche Narben und Wunden all die Frauen zu ihrer Aussprache mitbringen. Das reicht von der ungewollten Schwangerschaft bis zum womöglich aus Inzest entstandenen, missgestalteten Kind. Dazwischen Blessuren und blutende Unterleiber. Die wenigen Momente, in denen wir Zeuge von solchem Gräuel werden, reichen, um sowieso einen Hass auf alles Männliche (mit Ausnahme von Ben Wishaw) zu entwickeln, umso mehr auch deswegen, weil Männer ansonsten in diesem Film gesichtslos bleiben und auch keine Chance bekommen, sich zu äußern. Ist das aber nicht eine viel zu einseitige Darstellung? Könnte man meinen – doch kein einziges Wort würde solche Gewalt rechtfertigen. Missstände wie diese lassen sich in einer erzkonservativen Männerwelt leicht für möglich halten. Demnach hätte dem Film auch daran gelegen sein müssen, mit den erstarrenden Dogmen einer Freikirche aufzuräumen, von denen es viele gibt in den Vereinigten Staaten, und die reaktionärer nicht sein könnten. Doch Gott weist hier immer noch den Weg, die Frauen wollen ihm näher sein, hinterfragen aber viel zu wenig ihre eigene Position innerhalb ihres Glaubens. Was sie bewegt, ist die Frage des Befreiens, weg vom Mann. Die Abstimmung um die Ausgliederung aus einer Paargesellschaft gestaltet sich in entsättigten, dunklen Bildern und mutet an wie das Dialogdrama der Zwölf Geschworenen von Reginald Rose – nur im #MeToo-Kontext. Bis alle einer Meinung sind, vergehen Stunden des Diskurses, doch vieles dreht sich auch im Kreis. Wirklich in die Tiefe gehen die Gespräche nicht.

Doch was zählt, ist das aufgebrochene, verkrustete Machtsystem. Polley hilft ihren gezeichneten Gestalten behutsam aus dem Sumpf des Leidens und sucht den Neuanfang; mal panisch, mal resignierend, mal zuversichtlich. Die Aussprache scheint vieles, was zur #MeToo-Thematik filmisch bereits dargestellt wurde, zusammenzuzählen und auf gleichen Nenner zu bringen. Die Konsequenz daraus mag vielleicht nicht unbedingt die richtige Lösung sein. Aber zumindest eine, die auf idealistische Weise etwas verändern kann.

Die Aussprache

Der Fall Jesus

VON SAULUS ZU PAULUS

4/10

 

Der Fall Jesus© 2017 Pure Flix

 

LAND: USA 2017

REGIE: JON GUNN

CAST: MIKE VOGEL, ERIKA CHRISTENSEN, ROBERT FORSTER, FAYE DUNAWAY U. A.

 

Bei Matthäus 19 heißt es doch so schön: Wer es fassen kann, der fasse es! Dabei beziehen sich Jesus´Worte auf die Bereitschaft, sich dem Glauben einmal mehr, einmal weniger offenkundig hinzugeben. Sich Gott komplett zu verschreiben, oder dessen Botschaften in respektvollem Abstand zu interpretieren. Der Glaube, der ist ja etwas ganz Persönliches, der gehört in jedem Fall nicht dogmatisiert. Und schon gar nicht frei von Zweifel gehalten. Wer es also zur Gänze begreifen kann, diese frohe Botschaft, der soll das tun. Wer hinter den Vorhang blicken kann, der soll das machen. Alle anderen müssen das nicht, sie sollen es so fassen, wie sie es fassen können. Und wer nicht bedungungslos an die Wahrheit glaubt, der kommt deswegen auch nicht weniger ins Himmelreich, das betrifft dann wieder vermehrt die Reichen. Auch Reporter Lee Strobel wäre auch dann ins Himmelreich gekommen (sofern es eines gibt, aber wie gesagt: Zweifel sind immer ein Zeichen dafür, sich mit einem Thema aktiv auseinanderzusetzen) hätte er sich der Authentizität des Neuen Testaments weiterhin verschlossen. Doch irgendetwas ließ den faktenversessenen Journalisten einfach nicht davon abhalten, die Wahrheit über den historischen Jesus herausfinden zu wollen. Nicht aber, weil er dessen Existenz wiederlegen wollte. Nicht, weil er die ganze christliche Lehre für Humbug gehalten hätte. Sondern einfach, weil er schon von Anbeginn an, bevor die Recherchen zu den Fakten überhaupt in Angriff genommen wurden, bereits daran glauben wollte. Wollen also, aber leider nicht können. Das wäre der Glaubwürdigkeit eines Reporters wohl nicht zuträglich, denn solche Berufe zeichnen sich dadurch aus, alles penibel recherchieren zu müssen, um nicht enttarnt zu werden als Kolporteure, die Gesagtes und Gehörtes nochmal unreflektiert aufwärmen. Das geht natürlich gar nicht. Also ist sich Lee Strobel selbst im Weg.

Der Fall Jesus erzählt von der Eigenmission eines Mannes, der später zu einem angesehenen Vertreter des apologetischen Glaubens und der kreationistischen Entstehungslehre (!) werden wird. Womit wir plötzlich bei einer, ich kann mir nicht helfen, überraschend ungetarnten Kirchenpropaganda gelandet sind, die vorgibt, ein geschichtswissenschaftlicher Thriller zu sein, dabei aber von einem völlig verhobenen Trugschluss ausgeht. Dieser lautet wie? Dass Glaube welcher Art auch immer aus der Akzeptanz irgendwelcher Fakten resultiert. Das wird niemals passieren, und auch wenn die Passionsgeschichte des Mannes aus Nazareth irgendwie auch wiederlegt hätte werden können (was aber nicht passiert ist), wäre die Sache des Glaubens immer noch eine andere. Auch wenn die Bibel nicht recht hat, hat der eigene Glaube immer noch Hand und Fuß. Kann also ein Mensch wie Lee Strobel hinsichtlich einer metaphysischen Entität wirklich Überzeugung erlangen, sofern sich die Prämisse, nur zu glauben was man sieht, erfüllt? Oder wäre dieser Mensch ohne des Bohrens in heiligen Wunden nicht ohnehin zur selben Erkenntnis gelangt? Laut dessen Bericht würde ich behaupten: ja. Strobels Frau, die auf ganz anderem Wege zu ihrem Glauben gefunden hat, nämlich in Bezug auf das Wunder, dass ihre Tochter vor dem Erstickungstod bewahrt hat, ist in ihrer Neuausrichtung in punkto Lebenssinn da schon glaubwürdiger, wenn auch hier von einer leicht fanatischen Freude beseelt, die ihr ja zu wünschen ist, die aber dennoch irritiert. Das erinnert unweigerlich an das kürzlich in Wien stattgefundene Massengebet für Exkanzler Sebastian Kurz durch den Awakening Europe-Verein, der natürlich aus den USA kommt, denn dort kommt das ganze erzkonservativ christliche Glaubenskonzept eigentlich her.

Zu diesem bigotten Bekenntnis will uns der von der christlichen Produktionsfirma Pure Flix gedrehte, populistische Film aber eigentlich verleiten. Zu einer Hurra-Erleuchtung, die wie aus heiterem Himmel Ungläubige zu eifrig buckelnden Gläubigen machen soll, ungefähr so wie Saulus zu Paulus wurde, was zwar missionstechnisch damals seinen Mehrwert hatte, aber wer will heutzutage noch missionieren, wo jeder, der etwas damit anfangen will, seinen persönlichen Jesus hat? Der Fall Jesus will das schon, auf Basis unwiderlegbarer historischer Fakten, die für sich schon einen spannenden Einblick in die Bibelarchäologie gewähren, die aber mit der massentauglichen Erweckungssystematik frömmelnder Gebetsgruppen eigentlich gar nichts zu tun haben wollen – und dort auch nicht hingehören.

Der Fall Jesus