Ghostbusters: Frozen Empire (2024)

ZEIT-GEISTER, DIE MAN NICHT LOSWIRD

4,5/10


ghostbustersfrozenempire© 2024 Sony Pictures 


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: GIL KENAN

DREHBUCH: GIL KENAN, JASON REITMAN

CAST: PAUL RUDD, CARRIE COON, MCKENNA GRACE, FINN WOLFHARD, KUMAIL NANJIANI, DAN AYKROYD, ERNIE HUDSON, BILL MURRAY, PATTON OSWALT, CELESTE O’CONNOR, ANNIE POTTS, LOGAN KIM, WILLIAM ATHERTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN 


Könnte es sein, dass das Ghostbusters-Franchise aus was für Gründen auch immer einfach nicht mehr in die Zeit passt? Dass Ghostbusters als Kind der Achtziger-Jahre einen Triumph feiern konnte, lag vor allem auch daran, mit seinen Special Effects am Zenit des Machbaren gestanden zu haben; es lag auch daran, dass Komiker der alten Schule, Blues Brother Dan Aykroyd und Bill Murray als einer, der sich sowieso nie an irgendetwas gehalten hat und mit seinen Improvisationen den Filmen auch seinen Stempel aufdrückte, in der Blüte ihres Erfolges standen. Es lag auch daran, dass Komödienspezialist Ivan Reitman einfach ein Gespür dafür hatte, wie ein Franchise wie dieses entstehen hätte können und was es in den Filmen gebraucht hat, um eine Balance zwischen bunten Budenzauber, Gänsehaut-Mystery und herzlichem Teamwork zu finden. Mehrere Jahrzehnte später sind Reitmans Sohn Jason und Co-Autor sowie Regisseur Gil Kenan an einem Punkt angelangt, an dem es so wirkt, als sei das Geisterjäger-Universum auf unheilsame Weise vom Fanservice besessen. Ghostbusters: Frozen Empire ist, und da muss man dem Spuk ins Auge sehen, wohl der schwächste Teil der Reihe. Er ist sogar noch schwächer als die Mädels-Crew von Paul Feig, die zumindest versucht hatten, die Bekämpfung des Paranormalen mit Frauenpower neu aufzuziehen.

Doch der Versuch, Ghostbusters in einem anderen Kontext zu betrachten, hat nichts bewirkt. Der Film wurde ein Flop, also alles nochmal von vorne, und zwar mit der Aufgabe, das Narrativ der Achtziger keinesfalls zu verändern. Mit Ghostbusters: Legacy hat das ganz gut funktioniert. Hier gab’s so gut wie alles, was wir auch im Original zu sehen bekamen. Die Next Generation durfte den Ungeheuern des Gottes Gozer nochmal ihre Protonen-Blitze entgegenschleudern, am Ende kamen gar – wir waren den Tränen nahe – die alte Riege in einem fast schon verschenkten Cameo zum Einsatz, ohne viel zum Plot beizutragen. Das hatte gereicht, um Jason Reitmans Neustart eine Chance zu geben. Nur: hat er diese genutzt? Hat er frischen Wind ins New York der 2020er-Jahre wehen lassen – in einer Stadt, die bereits vom Marshmallow Man und dann von einer wandelnden Freiheitsstatue heimgesucht wurde? Leider nein. Was hier weht, ist die abgestandene Luft einer ausgedienten Filmhistorie, die nach bewährtem Muster Bewährtes auf eine generische Zivilbevölkerung loslässt, die alles schon gesehen und erlebt zu haben scheint, die mit Geistern als Alltagsbürde ihren Frieden geschlossen hat, da machen selbst zu Eis erstarrte Straßenzüge keinen Eindruck.

Wir haben nun im fünften Film ein diverses, viel zu großes Team an Geisterjägern und Möchtegern-Nerds fürs Paranormale. Alte, neue und welche dazwischen. Es gibt einen Dämon, der zugegeben sehr geschmackvoll aussieht und entsprechend glücklich animiert ist. Es gibt die Finsternis über dem Big Apple und statt eines Schlüsselmeister einen Feuerwächter, dargestellt vom Comedian Kumal Nanjiani, der den gelangweilten Bill Murray an die Wand spielt und fast schon im Alleingang versucht, eine gewisse kindliche Neugier ins Spiel zu bringen. Gesellschaft leistet ihm Dan Aykroyd, dem die leidenschaftliche Begeisterung für sein ersonnenes Franchise in jeder Szene, in der er auftritt, ins Gesicht geschrieben steht. Die beiden rocken den Laden, und alle anderen – derer sind es zu viele – bleiben auf ihren Plätzen, zitieren sich selbst oder ergehen sich in einer unausgegorenen Patchwork-Familienproblematik, die man eben aussitzt, in Erwartung einer komplexen Apokalypse, die durch verrückte Improvisationen gerade nochmal vereitelt werden wird.

Gerade jenen Aspekt, der die Ghostbusters eigentlich ausmacht, lassen Reitman und Kenan außen vor: den kreativen Gig, Himmelfahrtskommando brüllende Bad Batch-Wagnisse, um das Übernatürliche auszuforschen und abzuwehren. Was bleibt, ist Altbewährtes, verdrängt durch Zwischenmenschliches, das nichts mit Geistern zu tun hat, und die Belastung durch horrende Logiklöcher, die als Wendepunkte im Drehbuch fungieren müssen, um die Story überhaupt voranzubringen. Wenn sich an ihnen alles andere aufhängt, gerät Ghostbusters: Frozen Empire in eine von allen guten Geistern verlassene Schräglage, die überdeutlich macht, wie sehr sich Reitman und Kenan von den Vorbildern knebeln haben lassen, und welche Agenden sie unbedingt durchbringen mussten, um den Studios den dank vieler Analysen prognostizierten Erfolg zu bescheren.

Die Geister sind müde geworden, die alten Geisterjäger (bis auf Aykroyd) ebenso, die Jungen haben nicht mehr den Pioniergeist wie die alten und schlagen sich mit Generation Z-Problemen herum, die den Kult-Spuk verwässern. Doch spätestens am Ende, wenn Ray Parker Jr. wieder ertönt und Ecto-1 wieder um die Ecke kurvt, während die jaulende Sirene ertönt, wird das Fanservice dann doch nochmal dankend angenommen, ganz so wie der zugesteckte Zwanziger von Oma, wenn man zu Besuch war. Im Grunde aber reicht Parkers One-Hit-Wonder auf Youtube, um genauso erfüllt zu sein wie nach zwei Stunden Dacapo-Budenzauber im Kino.

Ghostbusters: Frozen Empire (2024)

Wonka (2023)

IN DER SCHOKO LIEGT DIE KRAFT

7/10


wonka© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: PAUL KING

DREHBUCH: PAUL KING, SIMON FARNABY

CAST: TIMOTHÉE CHALAMET, CALAH LANE, OLIVIA COLMAN, KEEGAN-MICHAEL KEY, JIM CARTER, PATERSON JOSEPH, MATT LUCAS, MATHEW BAYNTON, HUGH GRANT, ROWAN ATKINSON, SALLY HAWKINS, TOM DAVIS, NATASHA ROTHWELL U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Musicals sind nicht so mein Ding, es sei denn, sie sind von Leonard Bernstein oder Andrew Lloyd Webber. Was Wonka betrifft, so war mir anfangs gar nicht mal bewusst, es hier mit einem Singspiel zu tun zu haben, denn wäre es so gewesen, hätte ich sicher gezögert, den Film auf die Watchlist zu setzen. Timothée Chalamet als jugendlich-hübscher Chocolatier mit magisch-alchemistischen Fähigkeiten wäre an sich schon genug des Zuckergusses, da müsste dieser doch nicht noch zu singen anfangen. Letzten Endes aber war die Lust am Eventkino mit einem seit Call Me By Your Name für Kultcharaktere etablierte Schauspieler und Olivia Coleman als schreckschraubige Hotel-Diktatorin größer als meine Abneigung zu zwanghaft intonierten Drehbuchtexten, die sich oftmals sträuben, gesungen zu werden.

Wonka von Paul King startet sogleich volle Dröhnung mit einem an Jack Sparrow erinnernden Auftakt, in dem der heimatlose Willy Wonka mit voller Motivation und nur wenigen Geldstücken in der Tasche seinem Lebenstraum nur wenige Trippelschritte entfernt scheint: In einer womöglich als London durchgehenden Großstadt will er ein Schokoladengeschäft eröffnen – mit Produkten, die das gewisse Etwas besitzen sollen. In den Galeries Gourmets – dem piekfeinen kulinarischen Zentrum der urbanen Gefilde steht gar eine Lokalität zum Verkauf, sehr zum Missfallen der Konkurrenz, die aus drei irrwitzig überzeichneten Unternehmern besteht, die nicht davor zurückschrecken, unlautere Mittel anzuwenden, um den hageren Virtuosen im auberginefarbenen Mantel zu vertreiben. Zum vorübergehenden Verhängnis wird dem Träumer das Etablissement der grätzigen Mrs. Schrubbes, nachdem dieser das Kleingedruckte in seinem Mietvertrag nicht gelesen hat. Der Schuldenberg ist enorm, also muss er in die Waschküche, wo bereits andere Schuldnerinnen und Schuldner für Jahre ihr Dasein fristen müssen, um sich freizukaufen. Wonka verliert sein Ziel aber nicht aus den Augen und tut sich mit dem Waisenmädchen Noodle zusammen, um sein Schoko-Konfekt so lange unters Volk zu bringen, bis das Geld zumindest reicht, um den süßen Laden zu eröffnen.

Beim Song Nummer eins tauche ich noch mit gutem Willen unter die halbgare Musik hindurch, um bei der nächsten dann doch eines gewissen eingehenden Rhythmus gewahr zu werden, der nicht anders als ansatzweise mitreißend bezeichnet werden kann. Schön, das macht Laune, und diese steigert sich mit den Filmminuten, die mit originellen Ideen selten sparen und klarerweise übers Ziel hinausschießen, wobei man mitunter vermuten und befürchten würde, dass Wonka nicht doch noch ein Griff zur billigen Kochschokolade werden könnte wie vor einigen Jahren das unsägliche Sequel zu Mary Poppins. Obwohl so mancher dem Süßen zugeneigter Bürger die Bodenhaftung verliert, bleibt der Fremdschämfaktor aus. Paul King, der mit Paddington bereits genug Erfahrung im Verfilmen von Kinderbüchern sammeln konnte, hat Roald Dahl eingehend studiert und kennengelernt, um zu wissen, wie dieser wohl ein Sequel wie Wonka verfasst hätte. Und er bringt es auf den Punkt: Sein Film mag zwar an der einen oder anderen Stelle sowohl visuell (die viel zu dünne Flüssigschokolade) als auch dramaturgisch (wie kann sich Wonka plötzlich so ein Geschäft leisten?) ein bisschen auslassen, weil dieser seinen Ambitionen selbst nicht ganz hinterherkommt, in den meisten Fällen aber regiert der Spirit eines unverwechselbaren Schriftstellers, der die Themen von autoritärer Erziehung, Unterdrückung, Freiheit und Willenskraft in liebevoll-bizarre Grotesken verpackt hat. Auch Wonka wird zur Groteske – doch immer nur so weit, um sich nicht den Magen zu verderben bei so viel Süßem. Die drei Antagonisten Slugworth, Prodnose und Fickelgruber (eine Anlehnung an Schickelgruber – die Figur spricht Bände) sind vorzüglich skizzierte Karikaturen, die Mechanik ihrer Machenschaften schönste Verschwörungsliteratur für jüngere Semester und solche, die in knallbunt illustrierten Schnurren polemische Seitenhiebe auf unlauteren Wettbewerb nur zu gerne entdecken möchten.

Alle weiteren Songs tun dann nicht mehr weh, sie sind Teil der Abstrahierung ins Realitätsferne. Mit Hugh Grants Umpa-Lumpa-Auftritt ist die Fantasie komplett, nichts ist mehr real oder lässt sich in die Realität uminterpretieren. Wie ein verschrobenes Zauberspiel von Ferdinand Raimund und all den Versatzstücken, die zukünftig in Roald Dahls Charlie und die Schokoladenfabrik eintauchen werden wie das Marshmallow in den Schokobrunnen, hält Wonka sein Abenteuer dank eines durchwegs gut aufgelegten und synergetischen Ensembles die Story bei der Stange. Vieles hat Witz, manches Detail ist zum Brüllen, Paul Kings tiefe Verbeugung vor einem Star der Kinderliteratur ist wie das Stückchen Schokolade, lässt man sich gemütstechnisch etwas gehen, leichte Glücksgefühle beschert, um wieder auf Spur zu kommen. Die Lust am Süßen muss dabei nicht zwingend damit einhergehen, denn dafür bleibt Wonka auffallend frei von gesetzten Impulsen. Im Gegenteil: Süßes macht dick, Keegan-Michael Kaye als Polizeichef macht die Probe aufs Exempel.

Wonka (2023)

A Great Place to Call Home (2023)

DAS UNIVERSUM HAT NOCH WAS VOR

6,5/10


agreatplacetocallhome© 2023 Neue Visionen


ORIGINALTITEL: JULES

LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: MARC TURTLETAUB

DREHBUCH: GAVIN STECKLER

CAST: BEN KINGSLEY, JADE QUON, HARRIET SANSOM HARRIS, JANE CURTIN, ZOË WINTERS, TEDDY CAÑEZ, JOSHUA MOORE, ANDY DALY U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Beim guten alten ALF war es ähnlich. Da krachte das UFO des pelzigen Sprücheklopfers in die Scheune von Willy Tanner, der samt Familie mehrere Staffeln hindurch täglich aufs Neue versuchen wird, erstens den Fremdweltler vor neugierigen Blicken zu verbergen und zweitens den Alltag trotz und mit Gordon Shumway, wie er sich nennt, zu meistern. Ein Heidenspaß auf ganzer Länge. Nimmt man aber Steven Spielbergs E.T. zur Hand, sieht die Sache schon melancholischer aus. Der knorrige Trapezkopf war der beste Freund des kleinen Elliot, und hätte da nicht die Nationale Sicherheit von diesem außergewöhnlichen Besuch Wind bekommen, wäre der Film für jüngere Semester erstens nicht so verstörend und dann auch nicht so tieftraurig gewesen, nämlich so, als würde jemand nicht nur fortgeflogen, sondern eher noch gestorben sein. Ein Kassenschlager war das sensible Düstermärchen dennoch. Und wenn das Ganze schon mit Kindern und Aliens funktioniert – warum dann nicht auch mit jenen, die im Herbst des Lebens stehen und sich so fühlen, als wären sie irgendwo in einer Zwischenwelt, deren nächstes Türchen ins Jenseits führt. So kann man, muss man aber nicht leben, mit über Achtzig und immer noch Lust am Dasein.

Dass Marc Turtletaubs herzige Science-Fiction-Komödie das Rad damit neu erfunden hat, ist allerdings nicht ganz wahr. Kinder der Achtziger erinnern sich sicher noch an Ron Howards Jungbrunnen-Märchen Cocoon: Senioren erhalten ihre innere Jugendlichkeit zurück, nachdem sie in einem Schwimmbecken baden, indem ein extraterrestrisches Artefakt schlummert. Ein wunderschöner, ein kluger und nicht minder herzzerreißender Film, wohl ein Genre-Highlight aus einer Zeit, in der Die unheimliche Begegnung der Dritten Art noch nicht lange zurückliegt und gleißende Lichteffekte dazu beigetragen haben, die richtige Stimmung fürs Außergewöhnliche herbeizuzaubern. Nicht zu vergessen auch Das Wunder in der 8. Straße – kleine Alien-Roboter mischen ein Wohnhaus auf, darunter eben auch betagte Mieter, die tiefe Freundschaft mit dem für Menschen äußerst fremden Lebensformen schließen. A Great Place to Call Home (im Original Jules – warum man hier den Titel hat verändern müssen, bleibt mir schleierhaft) schließt als weiteres, wohltuendes und nur selten weinerliches Werk an die Mysterienspiele rund ums Altwerden und Altsein an, und diesmal ist das Alien kein Trapezkopf, kein leuchtendes Ei im Wasser und kein freches Fellknäuel, sondern ein kleines humanoides Wesen aus den Tiefen des Alls, das leider das Pech und gleichzeitig das Glück hatte, in den von allen neugierigen Blicken abgeschirmten Garten von Milton Robinson bruchzulanden. Die Azaleen, wie der Alte später mehrmals erwähnen wird, sind aufgrund dieses Crashs alle nur noch Kompost, und auch wenn der Witwer beim Gemeinderat sein ungewöhnliches Erlebnis zur Sprache bringt: Es glaubt ihm keiner. Nicht mal die eigene Tochter, die ihren Vater dringend zum Neurologen schickt und mehr genervt zu sein scheint als liebevoll. Nach dem Prinzip, dass nicht sein kann was nicht sein darf, nämlich ein Besuch vom anderen Stern (und daran wird sich meines Erachtens so lange nichts ändern bis Steven Spielbergs Lichtorgel-Szenario wirklich mal eintritt), werden die seltsamen Verhaltensweisen und Ansichten Miltons als Folgen des hohen Alters verbucht. Zwei Damen aus der Nachbarschaft sehen das anders, sehen auch das Alien, wie es auf der Couch im Wohnzimmer Miltons sitzt, durch die Gegend guckt und Apfelspalten schnabuliert, und erfreuen sich zu dritt an diesem Wunder des plötzlichen Abenteuers und der knisternden Spannung, die sich daraus ergibt.

Offen für Neues zu sein, dazu ist es nie zu spät. Da kann man gut und gerne die Gebrechen des Zellverfalls vergessen, da ist nichts mehr wichtig außer der Spaß an der Freude und das Interesse an etwas, das als exklusives Erlebnis den Kreislauf ankurbelt. Ein gemächlicher, manchmal betulicher, aber jedenfalls wohltuender Film ist A Great Place to Call Home geworden. Ben Kingsley als grauhaariger, vielleicht etwas verschrobener Normalo spielt so pointiert wie schon lange nicht, mit kleinen Gesten, der Länge des gelebten Lebens geschuldeten, einstudierten Verhaltensmustern und knautschiger Mimik. Das kleine Wesen aus dem All – und das ist die Stärke in diesem Film – bewahrt sich stets das Geheimnisvolle, Fremde. Da es kein Wort spricht und womöglich über telepathische Kommunikationsformen verfügt, bleibt seine Existenz ein Rätsel, es bewahrt sich das Mirakel des Unerklärbaren, das sich selbst genügt. Marc Turtletaub gelingt es, trotz sichtlicher Verlockungen den Fuß vom Gas zu nehmen. Mag sein, dass sich dadurch sein Film etwas unter Wert verkauft, dass manches beschaulich dahinplätschert und dort, wo Handlungsspitzen sitzen, das Mehr an dramaturgischer Unterfütterung fehlt. Den in sich ruhenden Jules selbst – und vielleicht ist genau das der Punkt worauf es ankommt: Zuhören, ruhen, schweigen, entschleunigen – hat man am Ende trotz aller inszenierter Beiläufigkeit liebgewonnen, man fragt sich am Ende selbst, ob es in Miltons Alter vielleicht tatsächlich überlegenswert wäre, das gelebte Leben hinter sich zu lassen und ins UFO zu steigen. Würde ich das tun? Doch, womöglich schon. Auf zu neuen Ufern, dafür wäre es nie zu spät.

A Great Place to Call Home (2023)

Trolljäger: Das Erwachen der Titanen (2021)

KEIN MITTEL GEGEN TROLLWUT

6/10


Trollhunters: Rise Of The Titans© 2021 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: ANDREW L. SCHMIDT, JOHANE MATTE & FRANCISCO RUIZ VELASCO

DREHBUCH: MARC GUGGENHEIM, KEVIN HAGEMAN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): EMILE HIRSCH, LEXI MEDRANO, KELSEY GRAMMER, CHARLIE SAXTON, TATIANA MASLANY, DIEGO LUNA, NICK FROST, ALFRED MOLINA, STEVEN YEUN U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Ich behaupte jetzt einfach: Zu den besten Animationsserien für die ganze Familie zählt Trolljäger, das über mehrere Staffeln immer weiter ausgebaute Abenteuer rund um das Städtchen Arcadia und allem, was darunter und darüber existiert. Ähnlich wie in Joss Whedons Sunnydale aus Buffy – The Vampire Slayer, unter welchem das Tor zur Hölle immer mal wieder aufgerissen wurde und alle möglichen Kreaturen, vor allem Vampire, fröhliche Urständ feierten, gibt’s unter dieser beschaulichen Kleinstadt hier das Reich der Trolle. Klingt vielversprechend – und ist es auch. Da gibt es die Guten und die Bösen, Möchtegern-Alleinherrscher und jene, die sich die uns bekannte Erde unter den Nagel reißen wollen. Um das zu vereiteln, dafür gibt’s den Auserwählten, eben wie bei Buffy. Diese(r) Auserwählte, er (oder sie) nennt sich Trolljäger. Und erfunden hat das Ganze niemand geringerer als Monster-Mastermind Guillermo del Toro, der sein detailreiches Universum bereits in Jugendbüchern erzählt und hier als Produzent seiner eigenen Adaption fungiert hat.

Dass der Mexikaner da mitmischt, das erkennt man alleine schon am Design der Kreaturen, die alle irgendwie an seine Gestalten aus Hellboy oder Pans Labyrinth erinnern, nur noch verspielter, experimentierfreudiger, natürlich auch dem deutlich jüngeren Publikum angepasst, welches da vor dem Homescreen nägelkauend so manch spannender, mitunter mit der Jugendfreigabe von 12 Jahren versehener Episode dem Schicksal des jungen Jim und seinen Freunden Claire, Toby und Blinky folgt und sich gar zum Binge-Watching hinreißen lässt, denn immer wieder gibt es Cliffhanger, die man einfach nicht so im Raum stehen lassen kann.

Ergänzt wurde die von Dreamworks kreierte Trolljäger-Serie durch Spin-Offs wie 3 von Oben oder Die Zauberer, doch spätestens da bin ich selbst schon ausgestiegen, war die ganze Story dann doch zu ausufernd und vielleicht auch zu zerfahren, mitunter sowieso noch viel turbulenter als die eigentliche, durchaus aber als meisterhaft zu bezeichnenden Serie, die ihren ganz eigenen Look gefunden hat und sowieso alles bietet, was Del Toro-Fans so lieben. Selbst Ron Perlman, der sowieso beste Hellboy ever, darf einen gehörnten Fiesling synchronisieren. Nach drei Staffeln und einem weitgehend offenen Ende war dann Schluss. Was drei Jahre nach Abschluss der primären Storyline dann folgte, war 2021 Trolljäger: Das Erwachen der Titanen.

Kennt man die Geschichten aus Arcadia, aber nicht die beiden Spin-Offs, ist das weiter kein Problem. Kennt man die Spin-Offs, aber die Kernstory nicht, kann das schon mal für Verwirrung sorgen. Kennt man nichts von alledem und hat’s nicht so mit Animationsserien, braucht man dieses Grande Finale gar nicht auf dem Schirm zu haben. Eine Grundkenntnis dieser Welt ist also Voraussetzung. Und hat man die, geht die Post ab. Mit wuchtigen Giganten, die wie in Del Toros Pacific Rim mit donnernden Schritten die Erdkruste dünner machen, sind Schauwerte, wie es sich für ein Finale gehört. Es kämpfen Ungeheuer und Menschen Seite an Seite gegen magische Antagonistinnen in Gestalt personifizierter natürlicher Elemente. In all den bereits gesichteten Episoden haben sie irgendwo ihren Ursprung. Bezwungen müssen sie werden, im Rahmen eines augenzwinkernden Trickfilmgewitters, in denen altbekannte Charaktere ihre Hämmer und Schwerter schwingen; alles in schmuckem Design und einem Farbspektrum Marke Regenbogen. Das kann auf die Dauer recht ermüdend werden, wenn in Stakkato eine Wendung die andere herumreißt. Gut ist es, wenn das ganze Projekt sein Ende findet, und tatsächlich ist das Ende vom Ende fast schon schwermütig – wenn da nicht diese pfiffige Wendung wäre, die diesem epischen Treiben noch eine gewisse Mindfuck-Note verleiht.

Trolljäger: Das Erwachen der Titanen (2021)

The Marvels (2023)

DREI ENGEL FÜR MARVEL

7/10


THE MARVELS© 2023 Marvel


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: NIA DACOSTA

DREHBUCH: NIA DACOSTA, MEGAN MCDONNELL, ELISSA KARASIK

CAST: BRIE LARSON, IMAN VELLANI, TEYONAH PARRIS, SAMUEL L. JACKSON, ZAWE ASHTON, PARK SEO-JOON, GARY LEWIS, ZENOBIA SHROFF, MOHAN KAPUR, SAAGAR SHAIKH, TESSA THOMPSON, LASHANA LYNCH U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Die Filme des MCU sind mittlerweile alle gleich. Doch warum sind sie das? Ganz klar: Weil sie eine zusammenhängende Geschichte erzählen. Oder zumindest versuchen, dem roten Faden zu folgen, der bis zur Phase 3 so wohlgesponnen war, das wohl keinem so recht auffiel, dass sich all die Filme schon damals nicht sonderlich voneinander unterschieden haben. Seit Wandavision ist der rote Faden ausgefranst, und keine Grundthematik passt da eher ins Bild als jene Problematik des unter anderem durch Loki und Doctor Strange hervorgerufenen Multiversums. Wer kann da noch den Überblick behalten? Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass jede Serie einen anderen Superhelden und damit auch ein anderes Narrativ enthielt. So scheint es, als hätten all diese Streaming-Shows und sündteuren Eventfilme jeweils etwas anderes zu erzählen – in Wahrheit aber sind sie alle nur die Nachwirkungen des Krieges gegen Thanos und dem in Avenger: Infinity War ausgeführten Blip des lilafarbenen Riesen mit dem Furchenkinn.

Der gemeinsame Nenner wäre geschaffen, tritt aber zu sehr in den Hintergrund. Die Shows um den neuen Captain America haben eine ganz andere Färbung, während Loki mit der Zeit spielt, She-Hulk einfach nur albern ist und Hawkeye sowie Secret Invasion in sich abgeschlossene Zwischenepisoden erzählen. Im Kino ist das Multiversum seltsamerweise nicht immer das Problem, manche Filme kümmern sich gar nicht darum. Währenddessen gibt’s intern unter Kevin Feige, der sich mit Comics wohl am besten auskennt, zwar nicht ganz so große Umwälzungen wie bei DC, aber dennoch Unruhe – beobachtet man die Box Office-Zahlen der letzten Projekte, die alle viel zu viel gekostet haben. The Marvels macht da keine Ausnahme. Laut cinema wurden 275 Millionen in den Film gebuttert, mit dem lange keiner zufrieden war und der gefühlt hunderte Male umgeschnitten und szenenweise nachgedreht werden musste, um die Kurve zu kriegen. Das Ergebnis ist einer der kürzesten Filme des Franchise – und das ist gut so. In ihr liegt schließlich die Würze, und The Marvels hat dabei die Chance, eben nicht zu ermüden, sondern auf knackige Weise wesentliche offene Enden aus Film und Serie zu bündeln und sie lustvoll über‘s Knie zu brechen. Wer hätte das gedacht, das The Marvels nach diesem holprigen Start noch Kurs hält?

Ich will nicht sagen, dass die Storyline wirklich durchdacht ist. Das ist sie nicht. Betrachtet man die Synopsis dieses Films, könnte man sich an den Kopf greifen, wie sehr verniedlicht die physikalischen Gesetze des Universums werden, obendrein noch jene der Quantenphysik und die immense Kraft der Sonne. Ja, das ist hanebüchen, völlig unrealistisch und vielleicht auch zu flapsig durcherzählt. Immerhin aber befinden wir uns in alternativen Comicwelten, wo sich so gut wie gar nichts der uns bekannten Physik unterwirft. Die in diesen Welten inhärente Logik sollte aber immerhin schlüssig sein. The Marvels steht kurz davor, diese Regel in den Wind zu schreiben. Und lenkt geschickt von seinem größten (und einzigen) Schwachpunkt mit einem Trio ab, das sich lange gesucht und endlich gefunden hat. Da könnten die 3 Engel für Charlie neidisch werden, bei so viel quantenverschränktem Teamwork. Zuerst ist es eine Not, doch auch dieser machen sie eine Tugend: Captain Marvel, Ms. Marvel und Monica Rambeau.

Wir wissen, Carol Denvers aka Captain Marvel, die wohl mächtigste, aber wohl auch überheblichste Superheldin des ganzen Franchise, ist quer durch die Galaxis unterwegs, um planetare Brennpunkte zu löschen. Wir wissen: Monica Rambeau hat durch ihren Einsatz in Wandavision Superkräfte erlangt. Und Ms. Marvel, eigentlich Kamala Khan, kann Licht in Materie umwandeln, dank eines Armreifs, dessen Pendant nicht auffindbar ist. Bis zu diesem Film. Denn eine Kree namens Dar Benn (Zawe Ashton) nennt dieses ihr Eigentum, mitunter auch den Hammer von Ronan (des Schurken aus The Guardians of the Galaxy). Das Unheil, das sie heraufbeschwört, bringt alle drei Damen zusammen. Und da hier einiges mit Zeit und Raum nicht ganz koscher verläuft, wechseln auch diese immer dann, wenn mindestens zwei gleichzeitig ihre Kräfte nutzen, ihre Plätze. Das sorgt für Turbulenzen, situationskomische Momente und macht daraus ein keckes Team-Incentive. Mit dieser Idee erlangt The Marvels auch seine launige Kurzweil. Der schauspielerische Enthusiasmus von Iman Vellani, die fast schon das Zeug hat zur Stand Up-Comedian, holt Captain Marvel endlich von ihrem hohen Ross und durchdringt mit ihrer kindlichen Neugier und ihrem kauzigen Nerd-Verhalten ein Nullachtfünfzehn-Szenario, wie es vielleicht beim Publikum hätte ankommen können. Keine Frage, Vellani veredelt den Film mehr noch als ihre eigene Serie. Teyonah Parris ist da vielleicht etwas blass, aber immer noch engagiert genug, um Brie Larsons Figur endlich wieder so weit zu bringen, sich ihrer Herkunft als Erdling zu besinnen. Das ist menschelnd genug, und mit dieser Natürlichkeit bleibt auch der Fokus auf das Miteinander vor einer lange schwelenden Krise konstant – eines Konflikts, der wiederum Hintergrundwissen erfordert. Ich sage nur: Kree und Skrulls.

Schließlich lässt The Marvels ganz viele James Gunn-Vibes erklingen. Der Gag mit den Flerken, die bizarre Reminiszenz an Cats und der Mut zu infantilen Albernheiten haben sichtbares Humor-Potenzial und nutzen dieses auch. Doch nicht nur. Wer glaubt, die bierernste Captain Marvel passt da nicht hinein: Sie tut es doch. Ungeachtet der gehetzt erzählten Story bleibt immer noch genug Entertainment, allerdings vorbehaltlich für Kenner der ganzen Materie. Und Materie ist in diesem Abenteuer relativ.

The Marvels (2023)

Die Abenteuer des Baron Münchhausen (1988)

DES MEISTERS (W)IRRE WUNDERBOX

7/10


munchausen© 1988 Columbia Pictures


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, DEUTSCHLAND 1988

REGIE: TERRY GILLIAM

DREHBUCH: CHARLES MCKEOWN, TERRY GILLIAM

CAST: JOHN NEVILLE, SARAH POLLEY, ERIC IDLE, CHARLES MCKEOWN, WINSTON DENNIS, JACK PURVIS, JONATHAN PRYCE, ROBIN WILLIAMS, VALENTINA CORTESE, UMA THURMAN, OLIVER REED, PETER JEFFREY, STING U. A.

LÄNGE: 2 STD 6 MIN


Im wunderbaren Wiener Gartenbaukino gibt’s nicht nur zur Viennale Filmemacher und Schauspieler zum Anfassen, sondern auch immer wieder mal darüber hinaus, wie eben letzten Sonntag: Niemand geringerer als Ex-Monty Python Terry Gilliam ließ sich da sehen und sprach zum Publikum. Schräges aus seiner Kindheit, Skurriles vom Set und so manch Philosophisches über Kreativität und die Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz. Gilliam war, ist und wird immer ein Visionär bleiben, der den Studios schlaflose Nächte beschert. Und nicht nur diesen: Kann sein, dass er sich auch selbst angesichts der Unmöglichkeit, seine Ideen auf die Leinwand zu bringen, unruhig in den Laken wälzt. Sein Don Quixote war lange Zeit gleich unbezwingbaren Windmühlen, bei Die Abenteuer des Baron Münchhausen ist sich der Wahnsinn gerade nochmal ausgegangen. Doch auch da weinten sich die Geldgeber in den Schlaf, denn aus dem proklamierten Budget wurde bald das Doppelte. Angesichts des fertigen Films wundert die Tatsache niemanden, und es ist schließlich auch offensichtlich, wohin das ganze Geld verschwand: Allein schon die formschönen Kanonen der osmanischen Invasoren müssen ein Heidengeld gekostet haben. Belagerungstürme, Schiffswracks, Stadtmauern – und nichts davon aus dem Rechner. Die Abenteuer des Baron Münchhausen kam 1988 ins Kino und ging beim Publikum gnadenlos unter. Und das, obwohl Terry Gilliam wirklich keine halben Sachen gemacht hat. Die Schauwerte sind enorm – sein phantastisches Abenteuer, das nicht auch nur den kleinsten Gesetzen der Logik folgt (typisch Münchhausen eben), entfaltet seine Wundertüte eigentlich nur auf der großen Leinwand, denn nur dort lassen sich all die Details entdecken, die auf den Fernsehschirmen verpuffen. Im Kino ist sein Flop ein künstlerischer Genuss, wenn auch in hysterischem Stakkato erzählt – ohne Verschnaufpausen, innerer Einkehr und ruhigen Momenten. So könnte man die Frage stellen: war das Publikum einfach nur überfordert?

Nehmen wir Time Bandits. In Sachen Originalität, Optik und Erzählstil ist Gilliams Münchhausenfilm mit diesem Klassiker der Fantasy nahe verwandt. Time Bandits kam schon 1981 raus, dieser hier sieben Jahre später. Wir befinden uns drei Jahre vor James Camerons Errungenschaften in Terminator 2 – Tag der Abrechnung. Und Gilliam frönt immer noch der wunderbaren Analogie, als würde es niemals etwas anderes geben, um seine Storyboard-Zeichnungen auch entsprechend umzusetzen. Vielleicht war das Publikum der Zeit des Meisters schon voraus und wartete sehnsüchtig auf Neues, zumindest auf filmtechnisch innovatives Handwerk. Hat Gilliam hier den Absprung verpasst?

Mittlerweile gefällt so ein Retro-Charme CGI-müden Augen umso mehr. Man erkennt wieder die Bildmontage, das Matte Painting, die kleinen, aber offensichtlichen Mankos mancher an Schnüren gezogener Marionetten und künstlicher Firmamente – insbesondere wenn das ganze aussieht, als hätte hier schnell noch jemand den Kleisterpinsel geschwungen. Doch das macht nichts. Gilliams Visionen kann keiner kopieren. Sein Stil ist einzigartig, der Blickwinkel stimmt – Kostüme, seltsame Konstrukte und völlig absurde Ideen wie die Folterorgel des Sultans (eine Anlehnung an die Monty Python’sche Mausorgel) verblüffen wie bei einer Zaubershow, deren Tricks man zwar vielleicht kennt, die aber so einnehmend inszeniert sind, dass man dennoch, wie ein kleines Kind, staunend davorsitzt, wenn der nichtsahnende Publikumskandidat plötzlich zersägt wird.

Den deutschen Adeligen Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen hat es im 18. Jahrhundert tatsächlich gegeben. Ihm werden diese völlig unmöglichen Lügengeschichten auch zugeschrieben, ganz im Stile der Schwänke aus dem 15. Und 16. Jahrhundert. Dabei ist die Kanonengugel und Münchhausens Ritt auf ihr nur das Sahnehäubchen. Darunter geht es noch viel wüster zu. Und Gilliam, rechtetechnisch völlig frei, katapultiert den so charismatischen wie unverwüstlichen Baron in surreale Sphären. Die Begegnung mit Robin Williams als Mondkönig allein ist ein gespenstisches  Kasperletheater für Erwachsene. Der Auftritt von Oliver Reed als Vulcan ist Monty Python pur, die junge Uma Thurman wurde zurecht für Botticellis Venus gecastet und Eric Idle als Münchhausens Diener Berthold ist als hampeliger Hanswurst die spätbarocke Ur-Version des Flash. Die junge Sarah Polley als Sidekick Sally bleibt hingegen bis zum Abspann inkognito. Da die Auftritte einer jeden Figur für sich fast wie kleine, phantastische Pseudo-Anekdoten daherkommen, könnte man diesen Ausstattungs-Overkill als üppige Varieté-Show interpretieren – als eine Aneinanderreihung absurder Abenteuer, die sich selbst überholen. Vielen mag diese komprimierte Scherzartikelsammlung ein ehes Völlegefühl bereiten; neugierigen Nasen, die Gilliam seit jeher schätzen, warten minütlich auf die nächste Idee.

Die Abenteuer des Baron Münchhausen ist bei weitem nicht Gilliams schlechtester Film. Man könnte sagen, sein puppenbühnenartiger Reigen aus Albtraumszenen, Historienspektakel und schräger Pointen-Sammlung darf sich als Time Bandits 2.0 deklarieren. Schneller, höher, weiter, ist die Devise. Ein Film also wie ein Besuch beim verrufenen Antiquitätenhändler, dem man magische Skills andichtet, dem man bis ins letzte Hinterzimmer folgt und der seine Bude vollgestopft hat mit Dingen aus aller Welt. Nebenbei bemerkt: nicht nur aus dieser.

Die Abenteuer des Baron Münchhausen (1988)

Sophia, der Tod und ich (2023)

WER SPÄTER STIRBT IST TROTZDEM TOT

4,5/10


Sophia, der Tod und ich© 2023 DCM / Stephan Rabold 


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2023

REGIE: CHARLY HÜBNER

DREHBUCH: LENA MAY GRAF, NACH DEM ROMAN VON THEES UHLMANN

CAST: DIMITRIJ SCHAAD, MARC HOSEMANN, ANNA MARIA MÜHE, JOHANNA GASTDORF, LINA BECKMANN, JOSEF OSTENDORF, CARLO LJUBEK, CHARLY HÜBNER, MATEO KANNGIESSER U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Kaum ist man geboren, hängt sich der Tod bereits an einen dran. Jederzeit kann’s passieren, und die so unergründliche Entität nimmt uns mit ins Jenseits. Dabei gibt’s aber durchaus findige Köpfe, die dem Gevatter ein Schnippchen schlagen können. Die vielleicht mit ihm Schach spielen wie bei Ingmar Bergman, die vielleicht auch auf die Idee kommen, ihm Hochprozentiges einzuflößen, bis er nicht mehr gerade gehen kann wie im Song der Austro-Band EAV. Der Tod ist manipulierbar, wenn man weiß, wie. Oder man nimmt ihn hin und hat dabei noch das Glück im Unglück, die Sache etwas aufzuschieben, um reinen Tisch zu schaffen und manch Angelegenheit zu klären, die zu Lebzeiten lange im Unklaren lag.

Der Musiker Thees Uhlmann, Sänger der Hamburger Band Tomte, hat übers Sterben einen skurril anmutenden, im Kern selbst aber ernüchternd resignierenden Roman geschrieben, der einen Taugenichts als Jedermann ins Bild rückt. Ihn muss einer der Handlanger des Todes über seine sterblichen Rechte aufklären, bevor er ihn mitnimmt. So steht er also vor der Wohnungstür eines vom Wein beseelten Reiner und gönnt ihm drei Minuten, um sein Leben abzuschließen. Natürlich funktioniert das nicht, Morten de Sarg – wie sich der blasse Gentleman nennt – verpasst seinen Einsatz, weil Reiners Ex namens Sophia die Party crasht. Ein wichtiger Termin steht schließlich an – die Mama feiert Geburtstag, und die beiden, mit dem Tod im Schlepptau, müssen in den Norden reisen. De Sarg bleibt nichts anderes übrig, als sich seinem Klienten an die Fersen zu heften, muss er doch den Auftrag von ganz oben erfüllen, sonst gerät die göttliche Ordnung ins Wanken. Und das will schließlich niemand erleben, wenn sowas passiert. Die Frage ist: Will man erleben, was passiert, wenn der ganz persönliche „Boandlkramer“ wie im Song besagter EAV irdische Genüsse plötzlich schätzen lernt? Im Grunde wäre das witzig – unter der Regie von Debütant Charly Hübner (u. a. Mittagsstunde) und den heiseren Auftritten von Marc Hosemann als blassen Störenfried allerdings tüncht ein unfreiwillig unkomischer Humor nur die schreckliche Gewissheit, dem Unausweichlichen entgegengehen zu müssen.

Die für uns so geheimnisvolle Welt der Himmelsscharen hätte aus der Feder Neil Gaimans oder gar Terry Pratchetts kommen können. Oder aber, Thees Ullmann gefällt die Idee, die monotheistische Hierarchie des (katholischen) Christentums sowie das Who is Who der literarischen Todesmythologie auf eine popkulturelle Wurstbuden-Gesellschaft herunterzubrechen. Bei Gaiman sind die Gestalten aus der Bibel immer noch in gewissem Maße geheimnisvoll und entrückt, aber dennoch bodenständig. Anders als die kettenrauchende Erzengelin Michaela, die am Flachdach eines Betonbaus anscheinend täglich der Exekutive des Sensenmannes deren Aufträge überreicht, in Form kleiner Notizbüchlein; manche bekommen mehr, manche weniger – und Morten de Sarg nur eines. Der ist ein blasser Mann in Schwarz, ein bisschen wie Mephisto, und doch erstaunlich ahnungslos. Über allem steht Gott als adipöser Lumpensammler, ebenfalls kettenrauchend, nicht wirklich eine sphärische Figur, sondern die Idee eines lebensüberdrüssigen Barbesuchers, der zur Sperrstunde nicht gehen will. Vielleicht ist das alles nur die Vision von Reiner (Dimitrij Schaad, u. a. Aus meiner Haut), und aus der Sicht eines anderen sieht das ganze wieder ganz anders aus.

Sophie, der Tod und ich will sich mit einem Tabu-Thema, das die Menschheit seit Ewigkeiten umtreibt, zwar einen Spaß erlauben, doch das Lachen bleibt unentwegt im Halse stecken, wenn denn manche Situationskomik überhaupt zum Lachen einlädt. Hübners Film ist kein bisschen Wim Wenders – eher ein Dead Man Walking. Es sind die letzten Tage eines angekündigten Toten, der in dieser Zeit keinerlei Freude mehr findet, schon gar keinen Sinn. Manch angedeutete biographische Ursache, die als Motivator für Reiners letzte Reise gelten hätte sollen, zerfällt zur Randnotiz. Das ist wahrlich trist, und da hilft der hampelmännische Ausdruckstanz zweier Jenseits-Beauftragter auch nichts mehr, denn das ist nur noch Fassade.

Nicht vergessen darf man in diesem die Laune vortäuschenden Roadmovie eine überaus reizende Anna Marie Mühe, die mit ihren Bemühungen letztlich scheitert, Klamauk und bittere Taschentuchtragik zusammenzuhalten. Es ist, als wüsste niemand der am Film beteiligten genau, ob die nächste Szene nun eine komische oder traurige sein soll. Erst kurz davor entscheidet man sich, und dann bleibt nur noch die Improvisation anhand eines Konzepts, das prinzipiell – und als metaphysisches Drama wohl besser geeignet – einige kluge Gedanken parat hält, diesen aber das schale Glück, dass manche in Nikotin und Alkohol finden können, vorzieht.

Wäre der Film doch so geworden wie seine Songs. Das Duo Stainer & Madlaina bereichert das Long Goodbye mit eingängigen, kurzen Stücken, die genau das zum Ausdruck bringen, was der Film die ganze Zeit wollte. Sie sind das, was man letztlich mitnimmt aus dem Kino. Um es später nachzuhören. Vielleicht immer wieder.

Sophia, der Tod und ich (2023)

Blue Beetle (2023)

DIE EHRENRETTUNG DES PILLENDREHERS

4/10


bluebeetle© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ANGEL MANUEL SOTO

DREHBUCH: GARETH DUNNET-ALCOCER

CAST: XOLO MARIDUEÑA, BRUNA MARQUEZINE, SUSAN SARANDON, RAOUL TRUJILLO, DAMIÁN ALCÁZAR, GEORGE LOPEZ, ELPIDIA CARRILLO, HARVEY GUILLÉN U. A. 

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Zac Snyders großes Superheldenkino ist leider Geschichte. Zugegeben, ich war und bin ein Fan seines Stils. Snyders Zugang zu den Heroen von DC ist nach wie vor und aus meiner Sicht der treffsicherste. Vor allem jener, der den Comics aus vielerlei Hinsicht am gerechtesten wird. Da mag der düstere Batman von Matt Reeves vielleicht gar zu viel in den Abgrund geblickt haben – im Snyder Cut der Justice League oder eben auch im Extended Cut von Dawn of Justice findet das auf die Leinwand gewuchtete Superman-Universum genau die richtige Balance zwischen opernhafter Schicksalssymphonie und Teamgeist.

James Gunn will nun alles anders machen. Es soll bunter, lustiger, schräger werden. Für die Suicide Squad hat das perfekt gepasst. Für andere Superhelden-Genesen womöglich weniger. Wie für Blue Beetle zum Beispiel. Denn bunter, lustiger, schräger ist nicht gleich unverkrampft. Wer auf Teufel komm raus dem Konkurrenten Marvel nacheifern will – auch wenn dieser schon längst in einer Identitätskrise steckt – wird niemals einen eigenen Stil zustandebringen. Snyder hatte ihn. Nach ihm waren DC-Filme, mit wenigen Ausnahmen, nur noch eine Irrfahrt, insbesondere bei Black Adam. Bei Blue Beetle schwebt überdies noch der Anspruch über allem, dem ungeliebten Nachbarn Mexiko einen Comic-Actionfilm zu schenken, der das Temperament der Lateinamerikaner feiern und den Charme typischer Telenovelas versprühen soll. Stellt sich die Frage: Wie geht die Tragikomik einer politkritisch angehauchten Sozialkomödie mit den Prinzipien eines kunterbunten Actionfilms um?

Die Blue Beetle zugrundeliegende Tragik, die von einer lebenslustigen mexikanischen Familie aus der Halbvolles-Glas-Perspektive betrachtet wird, ist jene einer zutiefst verschuldeten und sozial benachteiligten Unterschicht, deren letzte Hoffnung im Studienabschluss des nun erwachsen gewordenen Sohnemanns liegt. Der kehrt vom Auslandsstudium wieder in die heimischen Gefilde zurück, nur um die Hiobsbotschaften seiner Liebsten zu vernehmen, die vom Herzinfarkt des Vaters und vom baldigen Verlust des Hauses erzählen. Die Zukunft von drei Generationen liegt also auf den Schultern von Jaime Reyes, dessen Ausbildung auch nicht dazu beiträgt, einen besseren Job zu ergattern als den einer Haushaltshilfe bei Victoria Kord (Susan Sarandon – nach langer Leinwandabstinenz wieder da und kein bisschen gealtert). Uns sagt der Name wohl nichts – im DC-Universum ist die Dame oberste Chefin eines den Stark Industries verwandten Rüstungskonzerns. Deren Nichte Jenny steht mit ihr auf Kriegsfuß, und als Jaime dann ein paar Tage später in den Heiligen Hallen des Konzerns reinschneit, um seine Karrierechancen zu verbessern, drückt ihm die junge, hübsche Konzernerbin eine Burger-Box in die Hand, mit der Bitte, dessen Inhalt mit dem eigenen Leben zu beschützen. Die Neugier ist zwar ein Hund, aber diesmal ist Bello eher ein Käfer, der sich vor den Augen der ganzen Familie auf Jaimes Rücken schnallt. Bald ist die finstere Victoria nicht nur hinter unserem Helden, sondern auch hinter dessen Familie her. Und Familie ist, wie wir alle wissen, das höchste Gut, dass es zu verteidigen gilt.

Neu ist das Ganze nicht. Die ethnisch diverse Familienbande mit Improvisationstalent – die unterschätzte Oma, die gerne zu Großkalibrigem greift; die schnippische, aber herzensgute Schwester. Und der Auserwählte, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Bei Disney+ schildert die Genese von Ms. Marvel genau die gleiche Geschichte. Der einzige Unterschied: Ein raffgieriger Rüstungskonzern mit skrupellosen Schema F-Schreckschrauben, die alle Macht an sich reißen wollen – Gähn. Blue Beetle erzählt hier ein Abenteuer, dass so vorhersehbar ist, dass man sich sehnlichst wünscht, mit seinen Prognosen danebenzuliegen. Wenn dann eintritt, was zu erwarten war, lähmt der mangelnde Unterhaltungswert die bereits ungesunde Haltung im Kinosessel, Augenrollen inklusive.

Was bei Blue Beetle vielleicht funktioniert, ist die liebenswerte, aber schrecklich naive Figur von Xolo Maridueña. Seine anfängliche Verwirrung, wenn sich extraterrestrische Technik, die an Iron Man erinnert, Venom-gleich in den Körper gräbt und die Kontrolle übernimmt, ist das Launigste an einem Film, der seine ernstzunehmenden Ambitionen missachtet und die trivial-kitschige Fernsehkultur eines Landes, ausgerichtet für ein Massenpublikum, als As im Ärmel missversteht. Der 80er-Synthiesound, die Neon-Graffiti-Graphik im Vorspann – eine Liebesmüh, die sich nicht rentiert. Wenn der Held in seiner dunkelsten Stunde ins Jenseits schielt, um Verstorbene zu treffen, dann ist das nicht so reizend und authentisch wie in Coco – Lebendiger als das Leben. Dann ist das so kitschig wie so manche Illustration aus den Lebensratgebern endzeitaffiner Religionsgemeinschaften. Wenn der Held durch Hass und Wut, und durch sonst nichts das Schicksal für sich entscheiden kann, lacht sich anderswo der Imperator ins Fäustchen.

Blue Beetle ist das Schwächste, was DC seit langem produziert hat. Ein zuckersüßer Mischmasch ohne eigene Ideen und einer Sozialkritik, die nur alibihalber ins Skript kam. Wäre die Gewichtung vielleicht eine andere, würde der Film seine Landsleute auch ernst nehmen, hätte der Film gar das Zeug zu einer vielleicht kontroversen, volksnahen Identitätsfindung.

Blue Beetle (2023)

Maurice der Kater (2022)

GARFIELD IN DER SCHEIBENWELT

6/10


maurice© 2023 Praesens Film AG


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, DEUTSCHLAND 2022

REGIE: TOBY GENKEL, FLORIAN WESTERMANN

DREHBUCH: TERRY ROSSIO, NACH DEM ROMAN VON TERRY PRATCHETT

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): HUGH LAURIE, EMILIA CLARKE, DAVID THEWLIS, HIMESH PATEL, GEMMA ARTERTON, HUGH BONNEVILLE, DAVID TENNANT, ROB BRYDON U. A.

MIT DEN STIMMEN VON (DEUTSCHE SYNCHRO): BASTIAN PASTEWKA, GABRIELLE PIETERMANN, JERRY HOFFMANN, MURALI PERUMAL U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Diese Woche war Internationaler Tag der Katze. Obwohl ich selbst kein Riesenfan des Stubentigers bin, allerdings gerne mal die beiden wohlgenährten Mitbewohner meiner Nachbarn hege und pflege, habe ich mich dennoch zu einer abendfüllenden Huldigung hinreissen lassen. Was würde sich dafür nicht besser eignen als der Anfang des Jahres im Kino angelaufene und nun für die eigenen vier Wände verfügbare Animationsfilm Maurice der Kater – ein selbstironisches Märchen aus der Feder des Scheibenwelt-Philosophen Terry Pratchett, der auf dieser gar nicht mal so flachen Erde seine eingeschworene Fangemeinde hat und mit dem Bild einer Welt, die von vier Elefanten getragen wird, die wiederum auf dem Rücken einer Schildkröte stehen, die eigene Fantasie verwöhnt. Bei Pratchett, 2015 leider verstorben, lässt sich darüber hinaus eine fast schon fanatische Affinität für nicht nur Grimm’sche Märchen erkennen – dazu zählt auch der ganze Stoff, aus dem Folkloremythen sind. Seine Welten sind bevölkert mit allem, was da so dazugehört: Magiern, Hexen, Zwergen, so richtig präsent ist stets der Sensenmann, zu dessen Gefolgschaft auch der Rattentod zählt – mit Mähutensil, blankem Nagerschädel und darüber die Kapuze. Solche Feinheiten, typisch Pratchett, sind die Highlights einer launigen Komödie, die keinesfalls auf Druck ihre Kalauer durch die Gegend pfeffern will wie so manch anderer hysterischer Trickfilm, dessen Figuren sich des Verdachts der Einnahme illegaler Substanzen nicht erwehren können. Maurice der Kater ist die weniger draufgängerische Version des gestiefelten Katers. Der Sprache ist er zwar mächtig, aber weder Schuhwerk noch ein Federhut zieren seine Gestalt, die ähnlich wie bei Garfield ausgiebig die Schwerkraft nutzt. Was beide noch gemeinsam haben: Sie sind sich selbst genug. Und wählen den Weg des geringsten Widerstands.

Maurice also, durch obskure Magie nun kognitiv auf Augenhöhe mit den Menschen, zieht mit Pseudo-Rattenfänger Keith und einem ganzen Haufen ebenso kognitiv auf Augenhöhe mit den Menschen befindlicher Ratten durch die Lande, um in jedem noch so kleinen Dorf ihre Rattenplage zu inszenieren, damit der lieblich flötende Keith seinen Job erledigen – und die Kassa klingeln lassen kann. Mit des Bürgermeisters Tochter Malicia ändern sich alsbald die Regeln, denn in deren Kleinstadt, welche die kauzigen Hochstapler als nächstes aufsuchen, treibt der Hunger sein Unwesen. Und nicht nur das: ein obskures Rattenfänger-Unternehmen, deren Vorsitz ein geheimnisvoll verhüllter Antagonist innehat, macht Katze, Ratte und Mensch bald die Hölle heiß.

Von der Tonalität her könnte Maurice der Kater genauso gut aus der Feder der Shrek-Macher stammen, allerdings mit weniger parodistischen Zügen oder Stereotype der Märchenwelt durch den Kakao ziehend. Bei der Verfilmung von Pratchetts Roman bleibt die mittelalterliche Märchenwelt mit ihren Fachwerkhaus-Eskapaden und pittoreskem Bilderbuchschick stets eine liebevolle Hommage an all das Beschauliche aus einer Welt, in welcher der Glaube ans Magische inhärent war. Selbst Kater Maurice gibt sich gar nicht mal so sehr seinen katzischen Allüren hin, und die Ratten mit ihren skurrilen Namen wie Pfirsiche, Gefährliche Bohnen oder Sardinen erinnern frappant an die Gefolgschaft des Küchennagers aus Ratatouille, wobei: knuffige Gemeinschaften wie diese lassen sich immer wieder neu auf die Leinwand bringen, von Katzen bekommen manche ja auch nie genug.

Es mag sein, dass Maurice der Kater in Sachen Optik längst nicht so eine stilistische Eigenständigkeit besitzt wie so manche Pixar– oder DreamWorks-Produktion. Auch Pratchetts Geschichte und folglich auch der für den Film adaptierte Plot schlägt nun mal keine Haken oder jongliert mit Klischees herum. Höchst seltsam ist dabei die mit dem roten Faden der Story verwobene Gutenachtgeschichte rund um einen Feldhasen im Anzug, der an Peter Hase erinnert. Dass diese auch als Rattenbibel dient, welches als Sinnbild für die Suche nach einem „Gelobten Land“ stehen könnte, beschert dem Abenteuer eine etwas unglückliche gesellschaftskritische Metaebene, die ihre Wirkung aber verspielt.

Trotz dieser Ausbremsungen bleibt der Film angenehm relaxt und unprätentiös, huldigt dem Understatement und einer gewissen Gelassenheit angesichts einer recht vorhersehbaren wie konventionellen Queste zur Rettung einer kleinen, überschaubaren Welt.

Maurice der Kater (2022)

Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben (2023)

WELCHE ROLLE DARF’S DENN SEIN?

6,5/10


dungeonsanddragons© 2023 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2023

BUCH / REGIE: JONATHAN GOLDSTEIN, JOHN FRANCIS DALEY

CAST: CHRIS PINE, MICHELLE RODRIGUEZ, JUSTICE SMITH, SOPHIA LILLIS, REGÉ-JEAN PAGE, HUGH GRANT, DAISY HEAD, CHLOE COLEMAN, BRADLEY COOPER U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Welche Rolle wäre wohl am besten? Die axtschwingende Barbarin mit dem körperbetonten Outfit und einer Vorliebe für Kartoffeln und kleine Männer? Der chaotische junge Zauberer, der daherkommt wie ein Lehrling und sich selbst nichts zutraut außer den Duft von frisch gemähtem Gras zu verbreiten? Vielleicht aber die Gestaltwandlerin, die, wenn’s hart auf hart kommt, plötzlich zum Eulenbär mutiert, der ordentlich zulangen kann? Bleibt noch das Mastermind der Truppe, der diebische Barde, der eigentlich nichts Spezielles kann, außer eben Pläne schmieden. Und wenn die scheitern: weitere Pläne schmieden. Alle werden sich aber womöglich um den sehr eloquenten Alleskönner reißen, einem Paladin in glänzender Rüstung. Würde man mich fragen: Die besten Skills hätte Doric, die sich in alles verwandeln kann, was so kreucht und fleucht. Obwohl der Magier: ein unfreiwillig komischer, sympathischer Geselle. Dann nehm‘ ich lieber den.

Bei Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben ist es aber nicht so, dass hier Leute aus unserer realen Welt á la Jumanji plötzlich in einer irrationalen Welt landen und mit ihrem Charakter, der ihnen zugewiesen wurde, spielen müssen. Prinzipiell aber sind da wie dort Synergien gefragt – und Teamwork ist alles. Denn der eine kann nicht, was der andere kann, und umgekehrt. Gemeinsam sind sie stark. Gemeinsam arbeiten sich also seit den Siebzigerjahren spielfreudige Phantasten durch eine imaginäre Abenteuerwelt, in der alles passieren kann – vorausgesetzt, es bleibt plausibel und in kausalem Zusammenhang. Dungeons & Dragons – das Kultspiel für Fantasy-Nerds und kreative Köpfe. Die deutsche Antwort darauf: Das schwarze Auge. Die Convenience-Version als Brettspiel: Hero Quest. Natürlich kann so viel Potenzial nicht ungenutzt bleiben. Fans gibt’s schließlich genug. Doch man braucht auch ein bisschen mehr Respekt vor seinen Sehern, sonst passiert ähnliches wie Anfang der Neunziger – eine Verfilmung mit Charaktermime Jeremy Irons (warum nur?) in einem Totalflop und mit miesen Effekten. Die Zeit ist also reif für ein Reboot. Und niemand weiß, wie es funktionieren wird.

Ich selbst habe mich nur in Hero Quest versucht und kenne D&D vom Hörensagen. Die Einsteiger-Box liegt daheim, zum Verinnerlichen der Regeln braucht es aber ungefähr genauso viel Widerstand gegen den inneren Schweinehund wie beim Sporteln. Am liebsten will man sich hinsetzen und loslegen. Geht aber nicht. Im Kino allerdings schon. Da nimmt man Platz und öffnet Aug und Ohr und genießt diesmal eine Welt, in der alles seinen Platz hat, was man sich nur so vorstellt, dass es Platz haben soll: Magier, Drachen, Bestien, Fabeltiere und Untote. Ritter, Elfen und geheimnisvolle Orte. Artefakte, unterirdische Welten und zwielichtige Gesellen, die einen verraten. In so einer Welt geistern also eingangs erwähnte Heldinnen und Helden herum, die sich selbst nicht als solche sehen und deshalb sehr sympathisch sind. Chris Pine gibt Edgin, den diebischen Barden, der von seinem Komplizen Forch seinerzeit übervorteilt wurde und der ihm seine Tochter entwendet hat, die Edgin wieder zurückwill. Im Zuge dessen schadet es auch nicht, dessen Schatzkammer zu plündern und ein bestimmtes Artefakt, nämlich die Tafel der Wiedererweckung, zu finden, um die von bösen Magiern ums Leben gerbachte Ehefrau und Mutter wieder zurückzuholen. Der Weg dorthin ist eine klassische Queste, eine Schnitzeljagd von A nach B nach C, dabei erlebt die Gruppe Gefährliches wie Witziges. Vieles geht schief, doch Niederlagen pflastern nur den Weg zum Erfolg. Anders wär’s ja auch kein Abenteuer.

Warcraft – The Beginning war als Kick-Off für ein Kino-Franchise mehr als gelungen. Wurde aber eingestampft. Willow, die neue Serie und ähnlich gestrickt wie vorliegender Film, hat womöglich auch keine Zukunft. Dungeons & Dragons unter der Regie von Jonathan Goldstein und John Francis Daley, steht zwar nicht ganz so sicher auf eigenen Beinen, hat aber Potenzial für etwas, das noch besser werden kann. Das Ensemble ist – wie kann es anders sein angesichts dieses Kontextes – gut aufgelegt, Mimen wie Hugh Grant haben ihren Spaß, der nie vergeht. Und alles wirkt wie ein Bauchladen an willkommenen, aber austauschbaren Motiven, die in eine High Fantasy-Spielwelt mit entsprechender Lore einfach hingehören. Das ist lustig und bunt, kurzweilig und manchmal auch richtig raffiniert. Es hat Selbstironie, ein bisschen Finsternis und manchmal auch das Zeug zum Schenkelklopfer. Aus einem Guss wirkt der Schauplatzwechsel mit stetig neuem Stuff zwar nicht, aber er macht Gusto darauf, einmal selbst zu Papier und Bleistift zu greifen, um doch mal in einer Welt zu wandeln, deren Look einem nicht so wohlportioniert vorgesetzt wird. Die wahren Abenteuer sind schließlich im Kopf.

Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben (2023)