The Order (2024)

HAKENKREUZE IM BUNDESSTAAT

6/10


© 2024 Vertical Entertainment


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: JUSTIN KURZEL

DREHBUCH: ZACH BAYLIN

CAST: JUDE LAW, NICHOLAS HOULT, JURNEE SMOLLETT, TYE SHERIDAN, MARC MARON, ALISON OLIVER, ODESSA YOUNG, BRADLEY STRYKER, GEORGE TCHORTOV, VICTOR SLEZAK U. A.

LÄNGE: 1 STD 56 MIN


Wieder ein Anti-Trump-Film, der diesmal auf vergangene Jahrzehnte zurückgreift, um die Hardliner der republikanischen Wählerschaft in der Provinz zu verorten. Wir schreiben die erste Hälfte der Achtziger, dieser Fall hier beruht auf wahren Ereignissen, und ich kann mir ganz gut vorstellen, dass terroristische Revolutionsgruppen wie The Order einem juckenden Ausschlag gleich die gesamten Vereinigten Staaten seit jeher im Griff haben. Nährboden bekommen diese Vereinigungen von einer Trump’schen Pseudodemokratie genauso wie von marodierenden Größenwahnsinnigen, die unter dem Deckmantel einer Regierungsexekutive gebilligten Terror verbreiten, ganz im Sinne allseits bekannter Hut- und Mantelträger aus der Vergangenheit, die mittlerweile ihr aussagekräftiges Outfit gegen Baseballkappe und Laptop getauscht haben. Der Film von Justin Kurzel basiert auf dem Sachbuch The Silent Brotherhood von Flynn und Gary Gerhardt, kann daher Daumen mal Pi als authentische Rekonstruktion damaliger Ereignisse betrachtet werden – im Zentrum steht dabei ein Rechtsextremist namens Bob Matthews, der hier entgegen sein Image von Nicholas Hoult verkörpert wird, der normalerweise Charaktere wählt, die zwar nicht unbedingt astrein als integer zu bezeichnen sind, aber immer noch einen Funken Positivity beherbergen, die zur Identifikation mit dem Publikum reicht. In dieser Rolle ist nichts davon übrig. Hoult gibt den irren Idealisten mit dem Revoluzzer-Gehabe als erschreckend stabilen gesellschaftlichen Antikörper, der vor nichts zurückschreckt. Grundlage für dieses Tun – und das ist wohl einer der interessantesten Aspekte in diesem Film – ist das Amerikanische Pendant zu Adolf Hitlers Mein Kampf, inklusive Tutorial, wie sich ein demokratisches System stürzen lässt: The Turner Diaries. Wer würde je daran zweifeln, dass dieses Schriftstück nicht auch als motivierende Lektüre für jene hergehalten hat, die Anfang 2021 das Kapitol gestürmt haben?

Inmitten dieses rassistischen Erstarkens findet sich ein antipathischer und schwer zu greifender Protagonist wieder: Jude Law mit einem Schnauzer, der ihm gar nicht so schlecht steht, und einer brummigen Art, da ist selbst so manche Tom Hardy-Rolle im Gegensatz dazu so aufgewecktwie eine Robin Williams-Performance. Law schenkt dem Publikum ebenfalls keinerlei Sympathiepunkte, ist aber zumindest auf der rechtschaffenen Seite beheimatet, das heisst: Was er will, ist auch gut fürs Happy End. In The Order, da es sich auf reale Tatsachen bezieht, gibt es davon leider nichts. Drehbuchautor Zach Baylin (King Richard, Gran Turismo) zeichnet das düstere Bild einer jüngeren amerikanischen Vergangenheit mitsamt ihren schwelenden faschistoiden Metastasen, die es wohl niemals so richtig los wird. Hoffnungslosigkeit und Resignation machen sich breit, aber keine Lethargie. Dafür ist Laws Rolle des Terry Husk viel zu energisch und willentlich, den Umtrieben ein Ende zu setzen. Irgendwann stoßen die beiden Fronten auch in persona aufeinander: Law und Hoult. Beide beharrlich in ihrer Ideologie, beide weit entfernt von Kompromissen. Hass und Abneigung sickern wie offene Wunden in die atemberaubende Landschaft des Bundesstaates Washington. Kurzel würzt diese bedrückende und wenig erbauliche Geschichte mit routinierten Actionsequenzen aus Banküberfällen und Bombenexplosionen, die den steingrauen und kalten Film ein wenig mehr in die Gänge kommen lassen, der aber angesichts dieser unbeirrbaren toxischen Energien rassistischer Ideologien manchmal zu sehr und zu oft selbst in Schockstarre gerät.

The Order (2024)

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

DAS HERZ AUF DER ZUNGE

6/10


rabiyekurnaz© 2022 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2022

REGIE: ANDREAS DRESEN

SCRIPT: LAILA STIELER

CAST: MELTEM KAPTAN, ALEXANDER SCHEER, CHARLY HÜBNER, NAZMI KIRIK, SEVDA POLAT, RAMIN YAZDANI, JEANETTE SPASSOVA, ABDULLAH EMRE ÖZTÜRK U. A. 

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Wenn es nach der simplen Logik amerikanischer Sicherheitspolitik geht, dann lautete nach dem Terror in New York die Prophezeiung: Bald wird jeder Muslim einen Muslim kennen, der jemanden kennt, der mit einem Terrornetzwerk sympathisiert. Sowas erzeugt natürlich Panik, und Angriff ist die beste Verteidigung. Dabei verrieten die Staaten all jene Werte, die in ihrer oft hochgelobten Verfassung manifestiert sind. Scheußlichstes Beispiel: Guantánamo – nach 9/11 das Niemandsland für alle Verdächtigen rund um den Erdball. In diesem Vakuum landet Anfang 2002 der volljährige Sohn von Rabiye Kurnaz, einer türkischstämmigen Hausfrau aus Bremen und Mutter dreier Söhne. Die fällt erstmal aus allen Wolken, telefoniert herum und wassert nach und muss letztendlich akzeptieren, dass ihrem Sohn nichtmal kurzer, sondern gar kein Prozess gemacht wurde, bevor er in Gefangenschaft geriet. Dagegen kann jemand wie Rabiye, die das Herz auf der Zunge trägt und eine positive Energie ausstrahlt, als gäbe es nichts Schlechtes auf der Welt, kaum etwas ausrichten – außer vielleicht mithilfe eines Anwalts. Bernhard Docke heißt dieser und erscheint so grau und bürokratisch, als würde er aus der tiefsten DDR kommen, ist aber in Wahrheit ebenfalls einer von den Engagierten und nimmt sich der Sache unentgeltlich an – weil‘s ja schließlich um Gerechtigkeit geht. Was für ein Glück, dass Rabiye auf einen Idealisten trifft, der das Allgemeinwohl im Sinn hat und nicht seinen Kontostand.

Unter der Regie von Andreas Dresen (Sommer vorm Balkon, Gundermann) bestreitet Comedienne Meltem Kaptan über eine Zeitspanne von fünf Jahren ihren Alltag zwischen Muttersorgen, politischem Aktivismus und dem Backen von Apfelkuchen. Wenig überzeugend bleibt dabei der Wechsel vom Kummer zur zufriedenen Gelassenheit. Das sprunghafte Drama, das sich nicht wirklich entscheiden kann, ob es sich ernsthaft dem Thema der Rechtsstaatlichkeit widmen oder eigentlich nur die psychosoziale Widerstandsfähigkeit einer resoluten Mutterfigur analysieren will, mutet jedoch an wie die überlange Folge einer alternativen Lindenstraße. Aus der Sicht von Rabiye Kurnaz erzählt, die wiederholt nicht wirklich wusste, was um sie herum eigentlich geschieht und warum, bleibt dem mit zwei silbernen Bären ausgezeichneten Film (darunter für Meltem Kaptan) nur die Möglichkeit, sich an dem zu orientieren, was Alexander Scheer als schnauzbärtiger Anwalt seine Mandantin wissen lassen will. Sprich: die Supersimplifizierung eines Politdramas, dass sich mehr für das skurrile, aber weltoffene Verhalten seiner Protagonistin interessiert als für das multinationale Netzwerk, das womöglich dahintergestanden hat, um Murat aus den Fängen Guantánamos zu befreien. Vielleicht haben wir so etwas schon zur Genüge gesehen, zum Beispiel im Film: Der Mauretanier – im Grunde eine ähnliche Geschichte, nur diese setzt den Fokus deutlich schärfer.

Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush erfindet eine Art Marianne Sägebrecht mit Migrationshintergrund, deren sprachliche Defizite vieles beim Namen nennt und auch für Schmunzeln sorgt. Als hätte Trude Herr die Dreistigkeit eines Borat nachimprovisiert, sieht sich die Sympathieträgerin mit dem Unbekannten auf der Welt konfrontiert und handelt nach Gefühl – das Ungerechte interessiert sie aber nur so weit, wie die Liebe einer Mutter reicht. Kann man verstehen, denn das eigene Leben birgt Sorgen genug.

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush