Argylle (2024)

COME ON, LET´S TWIST AGAIN!

6,5/10


Argylle© 2024 Apple TV+


LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH, USA 2024

REGIE: MATTHEW VAUGHN

DREHBUCH: JASON FUCHS

CAST: BRYCE DALLAS HOWARD, SAM ROCKWELL, HENRY CAVILL, BRYAN CRANSTON, CATHERINE O’HARA, SAMUEL L. JACKSON, JOHN CENA, ARIANA DEBOSE, DUA LIPA, SOFIA BOUTELLA, RICHARD E. GRANT, TOMIWA EDUN, STANLEY MORGAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 19 MIN


Bryce Dallas Howard hat längst bei mir einen Stein im Brett. Das liegt wohl weniger daran, dass die Tochter des Regie-Veteranen Ron Howard in den letzten Jurassic World-Filmen allerhand Abenteuer überstehen hat müssen. Das liegt für mich als Star Wars-Fan der ersten Stunde wohl daran, dass die Dame verantwortlich zeichnet für die eine oder andere Episode des Mandalorian und sie somit ihre Liebe für das epische Franchise bewies. Weit weg von Science-Fiction und Dinosauriern, aber immer noch im Bereich unmöglicher Fiktion, darf Howard in Matthew Vaughns neuem Film, der hierzulande in Österreich nicht mal in den Kinos lief, zu einer Art Joanne K. Rowling des Spionageromans werden – zu einer freundlichen, etwas biederen, aber ideenreichen Autorin namens Elly Conway, die gerne Lesungen gibt und einen Roman nach dem anderen zum Bestseller werden lässt. Argylle nennt sich ihr Superagent, im monochrom-futuristischen Zweiteiler und mit einem Bürstenhaarschnitt, der an die Frisuren der Achtziger gemahnt. In diese dankbare Rolle schlüpft Henry Cavill, diesmal glattrasiert und mit Sinn für Humor und Selbstironie. Ihm zur Seite steht einer wie John Cena im Hawaiihemd – beide erleben ein Abenteuer, das tatsächlichen Ereignissen frappant ähnelt. Was zur Folge hat, dass eine Geheimorganisation namens Division, angeführt von „Walter White“ Bryan Cranston, hinter ihr her ist. Oder besser gesagt, hinter Agent Aidan Wilde, gespielt von Sam Rockwell, der zu wissen glaubt, warum Conways Geschichten so authentisch klingen. Seine Aufgabe ist es nun, die Autorin, die nicht weiß, wie ihr geschieht, vor den Zugriffen der sinistren Bande zu schützen.

Man weiß, wie Agentenfilme ablaufen. Alle Klischees, Versatzstücke und Stereotypen sind seit James Bond, der Dr. No gejagt hat, hinreichend bekannt. Und parodiert wurde das Ganze auch schon. Ob Mike Myers grenzdebile Austin Powers-Reihe, Rowan Atkinson als Johnny English oder Jean Dujardin Als Agent 0SS 117 – im Grunde wäre alles schon gesagt, alles durch den Kakao gezogen und alle Plot-Holes bereits verlacht: Matthew Vaughn legt zwar nicht unbedingt eins drauf, und erfindet das Rad auch nicht neu, parodiert aber in erster Linie jenes Must Have des Genres, das als Plot-Twist die Handlungen in neue Richtungen lenkt. Statt Vaughn selbst hat Jason Fuchs das Drehbuch verfasst, dieses wiederum beruht auf einem Roman, dessen Pseudonym tatsächlich Elly Conway lautet – der Verdacht, Taylor Swift hätte das ganze geschrieben, löste sich aber bald in Luft auf. Mit diesem Stoff, so Vaughn, könnte man den Agentenfilm in neue Dimensionen befördern. In Wahrheit aber ist Argylle vor allem eins: ein Twist-Gewitter ohne Rücksicht auf Verluste oder gar inhaltlicher Notwendigkeiten, die zu diesen Wendungen führen. Das macht aber nichts, in Filmen wie Argylle muss nicht alles hinterfragt werden, denn zum Glück nimmt weder das ganze Start-Ensemble des Films als auch Matthew Vaughn auch nur im Entferntesten die Sache ernst. Ob es Apple dabei genauso geht, in Anbetracht des mageren Einspielergebnisses an den Kinokassen? Dies mag der Grund dafür sein, dass der Konzern den Film in manchen Ländern gleich direkt streamen lassen wird. Ob es Fortsetzungen geben wird? Auch das ist fraglich.

Dem Unterhaltungswert der turbulenten Actionkomödie, die im Universum von den Kingsmen angesiedelt ist und im Minutentakt die Karten neu mischt, tut das eigentlich keinen Abbruch. Argylle ist pures, knallbuntes Zickzack-Entertainment ohne Tiefgang, dafür aber rasant, kurzweilig und so heillos übertrieben, dass es manchmal richtig weh tut. Als PR-Vehikel für den unlängst ausgegrabenen Beatles Song Now and Then könnte die eigentliche Legitimität des Films beinhalten – und zugegeben, die Einarbeitung in den Score gelingt. Katzenliebhaber kommen ebenfalls auf ihre Kosten, denn Elly Conways Stubentiger, halb animiert, halb Live-Act, ist stets mit dabei. Der Rucksack mit dem Bullauge, in dem das Haustier herumgetragen wird, hat das Zeug zum Kult-Accessoire.

Argylle (2024)

West Side Story (2021)

SINGEND UM DIE HÄUSER ZIEHEN

7/10


westsidestory© 2021 Walt Disney Pictures Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: STEVEN SPIELBERG

CAST: ANSEL ELGORT, RACHEL ZEGLER, ARIANA DEBOSE, DAVID ALVAREZ, MIKE FAIST, RITA MORENO, COREY STOLL, BRIAN D’ARCY JAMES U. A.

LÄNGE: 2 STD 37 MIN


Zwischen am Straßenrand geparkten Oldtimern und Backsteinfassaden findet Steven Spielberg erstmals Zugang zu einem bislang umgangenen Genre: den des Filmmusicals. Moderne Konzepte bleiben dabei  unversucht, während der Altmeister lieber in der Filmgeschichte stöbert und dabei ein Museumsstück zum Vorschein bringt, das zwar selbst weitestgehend unangetastet bleiben muss, der Glassturz aber, unter welchem das Werk ruht, durchaus einer Reinigung bedarf. Also macht sich Spielberg daran, die Sicht auf einen Klassiker streifenfrei zu gewährleisten. Was wir sehen, ist das, was Leonard Bernstein, Arthur Laurentis und Steven Sondheim seinerzeit geschaffen haben. Kein bisschen moderner, kein bisschen innovativer, und in keiner Weise anders betrachtet. West Side Story ist die generalüberholte Ur-und einzige Version eines dezenten Singspiels, das glücklicherweise darauf verzichtet, jede noch so erdenkliche Emotion in ein Musikstück zu packen und das wirklich Tragische maximal mit orchestralem Score unterlegt. Was für eine Wohltat, in Anbetracht verkitschter Bühnenshows, die keinerlei Ohrwürmer mehr bereithalten.

Spielberg ist immer noch einer, der filmische Dramen jenen mit Gesang vorzieht. Eine Gesinnung, die er deutlich macht. Dabei ist die persönliche Beziehung zu einer in den Jugendjahren zurückliegenden filmischen Erfahrung im Kino oder vor dem Fernseher, die Spielberg gehabt haben muss, nicht unwesentlich daran beteiligt, West Side Story als etwas Unantastbares zu betrachten. Für mich persönlich macht das keinen Unterschied – ich kenne Robert Wise’s mit zehn Oscars gekröntes Filmwerk aus den frühen Sechzigern nur bruchstückhaft und auszugsweise und eben immer dann, wenn der zweieinhalb Stunden lange Streifen gerade im Fernsehen lief. Woran ich mich aber noch erinnern kann, das ist die urbane Feuertreppenromantik der New Yorker Vororte. Die ist nun auch in der brandneuen Version dominant genug, um gern mit dem Original verwechselt zu werden. Was sich vielleicht deutlich von damals unterscheidet, geht auf die Kappe von Spielbergs Haus- und Hofkameramann Janusz Kaminski, der wie immer alles Menschenmögliche an Licht-Schatten-Spielereien umsetzt. Seinen Höhepunkt findet das Bemühen im zweiten Akt, wenn die beiden rivalisierenden Gangs – eben die Jets und die Sharks – in einer Salzlagerhalle aufeinandertreffen. Das Licht fällt horizontal und wirft lange Schatten. Als wären die Aliens aus Unheimliche Begegnung der dritten Art neu gelandet. Sphärisch, das Ganze. Und sehr emotional.

Die Jets und die Sharks – das sind einerseits die weißen Jungs des Viertels, das ohnehin einer neuen Wohnhausanlage weichen muss, und andererseits die temperamentvollen Puerto-Ricaner. Eine Minderheit, deren halbstarke Fraktion aus scheinbar lauter Fadesse ihren Hass auf anders Gesinnte zelebriert. Die grundlose Ablehnung beruht natürlich auf Gegenseitigkeit, wie bei Romeo und Julia. Die beiden aus Shakespeares Werk zum Unglück Bestimmten sind in diesem Fall Maria und Tony. Von Maria wissen wir, dass Tony schon im ersten Drittel den Ohrwurm unter den Wäscheleinen der Anrainer singen wird – als Antwort gibt’s das begnadete Tonight, und irgendwann später der von Anita (im Original von Rita Moreno) geschmetterte, feurige Klassiker America. Da weiß man: man sitzt im richtigen Musical. Geschmackvolle Kompositionen aus Jazz und Gesang unterfüttern eine Uminterpretation der Liebestragödie schlechthin, für die Neuentdeckung Rachel Zegler und Ansel Elgort stimmlich in luftige Höhen aufsteigen und den Straßendunst der Stadt hinter sich lassen. Beide sind gesanglich eine Überraschung – zumindest meiner Wahrnehmung nach misstönt nicht mal das hohe C. Schade nur, dass die kleine, aber feine Nummer Somewhere nicht ebenfalls von Zegler selbst interpretiert wird – stattdessen bekommt eine stimmlich halbwegs solide Rita Moreno hierfür, nach sechzig Jahren, ihre zweite Chance.

Spielberg ist ein Filmemacher alter Schule. Und er beherrscht sein Handwerk perfekt. Zu perfekt, könnte man sagen. Zu hemdsärmelig, mittlerweile. Zu wenig berührt von neuem Esprit. Nun, dieser gehört anderen Künstlern seiner Art. Spielberg selbst will mit West Side Story etwas Traditionelles, Bewährtes, dass sich kaum von seinem Vorbild unterscheidet, neu positionieren. Musical-Muffel wie mir bietet der Film eine konsensbereite Erlebniswelt, die das prosaische Drama mit punktgenauen musikalischen Genussminuten verbindet.

West Side Story (2021)