The Palace (2023)

ES LEBE DIE SKALPELLGESELLSCHAFT

4,5/10


thepalace© 2023 Weltkino Filmverleih


LAND / JAHR: ITALIEN, SCHWEIZ, POLEN, FRANKREICH 2023

REGIE: ROMAN POLANSKI

DREHBUCH: EWA PIASKOWSKA, ROMAN POLANSKI, JERZY SKOLOMOWSKI

CAST: OLIVER MASUCCI, MICKEY ROURKE, JOHN CLEESE, JOAQUIM DE ALMEIDA, FANNY ARDANT, MILAN PESCHEL, LUCA BARBARESCHI, IRINA KASTRINIDIS, DANNY EXNAR, SYDNE ROME, ALEXANDER PETROW, BRONWYN JAMES U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Von wegen reich und schön. Roman Polanski hat fast alles dafür getan, um seinen winterlichen Perchtenlauf missglückter Schönheits-OPs zu perfektionieren. Doch leider hat er Harald Glööckler vergessen. Er hätte in diesen Reigen der Monstrositäten gut hineingepasst, stattdessen aber lässt der Regie-Veteran den ehemaligen Sexiest Man Alive, nämlich Mickey Rourke, über den großen Teich fliegen, nur um ihm mitzuteilen, er hätte vergessen, seine Suite zu reservieren. Diese traurige Mitteilung muss ihm einer wie Oliver Masucci machen. Dieser Herr übrigens darf sich am Silvesterabend des Jahres 1999 als Hotelmanager Hansueli Kopf den Bedürfnissen seiner zahlungsfreudigen Gäste annehmen, die von überallher hineinschneien. Alle sind sie hier versammelt, die Janine Schillers dieser Welt, die aufgrund einer dismorphen Eigenwahrnehmung immer noch von sich behaupten, schöner zu sein als je zuvor. Hat man sich mal mit Erschrecken von diversen derben Konterfeis abgewandt, tanzt der urinblonde Mickey Rourke mit Trump-Teint und ebensolcher Frisur durch die noblen Räumlichkeiten des Palace, während anderswo Fanny Ardant unter groteskem Make Up den Duftwolken einer Notdurft erliegt, die ihr kleiner Vierbeiner auf den schneeweißen Bettlaken hinterlassen hat.

Anekdoten wie diese und noch viel mehr geben sich in Polanskis Groteske um schnöselige Begehrlichkeiten die goldene Türklinke in die Hand. Sogar ein Pinguin hat seinen Auftritt – ein Geschenk des milliardenschweren Tattergreises Arthur William Dallas III (John Cleese) an seine um Generationen jüngere Gemahlin. Auch Milan Peschel taucht auf, und der Portugiese Joaquin de Almeida (Warrior Nun), der die meisten der entsetzlichen Visagen auf dieser Party zu verantworten hat. Polanski gestaltet die abendfüllende „Extended Version“ einer Hotellerie-Soap wie Ein Schloss am Wörthersee, nur ohne Roy Black, Peter Alexander und Telly Savalas. Im Grunde aber ist The Palace das gleiche. Grotesker als bereits zu Anfang wird es niemals werden, die einzelnen kleinen Episoden, die, ineinander verflochten, zumindest den Anspruch haben, sich selbst auszuerzählen, verlieren den Drang, entsprechend zu eskalieren. Mit der Furcht vor dem Millennium-Bug weiß Polanski diesmal nicht viel anzufangen, der Jahreswechsel behält seine chaotische Routine, und wirklich brandaktuell bleibt nur die im Fernsehen ausgestrahlte Machtübergabe von Boris Jelzin an den guten alten Putin, der mittlerweile schon ein Vierteljahrhundert regiert. Ein Seitenhieb auf eine verkappte Diktatur? Natürlich ist es das. Doch auch nicht mehr. Seitenhiebe lassen sich an einem Abend wie diesen gut verteilen, doch das Problem an der Wurzel packen ist lieber eine Herausforderung für einen wie Ruben Östlund, der in Triangle of Sadness eine ähnlich arrogante Entourage vorführt, auffliegen lässt und entlarvt. Polanski tut das nicht. Er lässt sein neureiches Völkchen in ihrem Glauben, das Richtige zu tun. Er nimmt ihnen nicht die Gewissheit, so schön und begehrlich zu sein wie nie zuvor. So reich und souverän und wohlgebildet. Womöglich hat sich Polanski dieser Klientel immer verbunden gefühlt, womöglich sieht er sich selbst als einen der Gäste in diesem Parkour aus Herzinfarkten, Geldkoffern und einer Überdosis Kaviar. The Palace schreckt auch nicht davor zurück, in grellen Bildern den farbenfrohen Irrsinn in klinischer Genauigkeit zu betrachten. Manchmal möchte es einen ekeln, manchmal kann man gar nicht wegsehen, wenn so entstellte Gesichter alles Erdenkliche bekommen, was sie verlangen.

Wes Anderson hat in seiner Hotelkomödie The Grand Budapest Hotel ganz andere, viel kauzigere und eremitischere Geschichten erzählt. Sein Werk birgt die Virtuosität eines Thomas Mann’schen Zauberbergs, während The Palace als klamottige Momentaufnahme in marktschreierischer Optik allerlei Kurioses betrachtet, ohne näher darauf einzugehen. Was uns Polanski sagen will? Nichts, außer Guten Rutsch.

The Palace (2023)

Die schönste Zeit unseres Lebens

LIEBE AUF REBOOT

7/10

 

zeitunsereslebens© 2019 Constantin Film

 

LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: NICOLAS BEDOS

CAST: DANIEL AUTEUIL, FANNY ARDANT, GUILLAUME CANET, DORIA TILLIER, PIERRE ARDITI, DENIS PODALYDÉS U. A. 

 

Welchen Moment aus eurem Leben würdet ihr wohl gerne nochmal erleben? Wobei ich besser die Frage voranstellen sollte: würdet ihr einen Moment in eurem Leben überhaupt nochmal erleben wollen? Oder reicht die eigene Erinnerung? Oft ist diese aber schon nach Jahren oder Jahrzehnten so weichgezeichnet, wie man sie gerne hätte. So ausgeschmückt und ergänzt, fast wie aus einem Roman. Vielleicht verblassen auch manche Erinnerungen, manche Schlüsselszenen eines Lebens, die aber notwendig wären, um wieder auf Spur zu kommen. Ein Trigger aus der Vergangenheit. Ein Neuentzünden verlorener Leidenschaften. Das wäre doch was?

Anfangs ist selbst Victor als relativ brotloser Comiczeichner ziemlich skeptisch, als er den Flyer eines ganz speziellen Dienstleisters in Händen hält, der vergangene Erlebnisse authentisch inszeniert. Dabei muss es nicht mal die eigene Geschichte sein, es kann auch Weltgeschichte sein, die ein Bekannter seines Sohnes bis ins Detail nachstellen kann – mit Schauspielern, Effekten, Musik und allen anderen Sinnen, die es zu täuschen gilt. Da die Ehe des Zeichners vor dem Aus und die Frage im Raum steht, warum es hatte so weit kommen können, packt Victor die Gelegenheit beim Schopf und lässt sich die ersten Tage der großen Liebe originalgetreu und nach allen Regeln der Kunst unter die stattliche Nase reiben. Der Effekt: Zyniker Victor verliebt sich erneut – allerdings nicht in seine Ehefrau, sondern in dessen jüngere Ausgabe.

Frankreich, ich wiederhole mich dabei durchaus gerne öfters, ist die Wiege der Tragikomödie. Wenn’s nicht so wehmütig wäre, wäre es durchaus äußerst komisch. Beides zusammen ergibt einen nachdenklichen Mix aus der verträumten Essenz einer emotionalen Erinnerung und einer chaotisch kippenden Beziehungskette, die das Liebesleben so mancher Person durcheinanderbringt. Daniel Auteuil als bärbeißiger Misanthrop mit Rausche- und später mit adrettem Schnurrbart (steht ihm tatsächlich gut!) brilliert sowohl in seiner verlebten Figur eines im Alter faul gewordenen Besserwissers als auch in der Rolle des charmanten Zeitreisenden, der wieder auf die Werkeinstellungen eines leidenschaftlichen Jungspunds zurückgesetzt wird – der Gras raucht und Hemden mit Spitzkragen trägt. Diese Idee hatte mich schon im Trailer überzeugt – der Reboot einer Liebe durch den Blick zurück ist ein augenzwinkernder, absichtlich irrealer Kniff, der natürlich, realistisch betrachtet, so nicht funktionieren kann, der aber so eine herrlich abdriftende Geschichte entwickelt, die so manche Paare auch auf ihre eigene, vielleicht etwas ins routinierte Räderwerk geratene Beziehung ummünzen könnten. Die Prämisse, dass man nahe dran ist, die Liebe des Lebens mit dem Bild der Erinnerung selbiger zu hintergehen – das ist schon ein satirisches Bonmot, das sich auch erlaubt, die Verkümmerung der Romantik im Zeitalter des High-Tech zu parodieren. Das Drehbuch wurde verdientermaßen mit einem César geadelt.

Dabei hat Guillaume Canet als Zeitreise-Illusionist eine nicht minder wichtige Rolle, der als scheinbar beziehungsunfähiger Choleriker für andere Die schönste Zeit unseres Lebens parat hat, für sich selbst aber einen solchen Moment schmerzlich vermisst. Durch Daniel Auteuils Zeitsprung in sein altes Ich gelangt auch Canet auf den Weg der Erkenntnis. Ob er ihn auch geht, wird hier nicht verraten. Schön ist jedenfalls, dass Nicolas Bedos selbst verfasstes Liebes- und Lebensbild gespickt ist mit jeder Menge Songs aus den Siebzigern, einer satten Dosis schmuckem französischem Lebensstil und beherzt gesungener Chansons. Wobei – der ganze Film ist wie ein Chanson: nachdenklich, humorvoll und bittersüß.

Die schönste Zeit unseres Lebens