Die schwarze Spinne (2021)

DEN TEUFEL WERD‘ ICH TUN

4/10


schwarzespinne© 2021 Ascot Elite


LAND / JAHR: SCHWEIZ, UNGARN 2021

REGIE: MARKUS FISCHER

BUCH: BARBARA SOMMER, PLINIO BACHMANN, NACH EINER NOVELLE VON JEREMIAS GOTTHELF

CAST: LILITH STANGENBERG, NURIT HIRSCHFELD, RONALD ZEHRFELD, ANATOLE TAUBMAN, MARCUS SIGNER, FABIAN KRÜGER, JOSEF OSTENDORF, UELI JÄGGI U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Der größte Vorteil, den sich der Teufel nutzt, ist nicht der, den Menschen glauben zu machen, es gäbe ihn gar nicht. Sondern der, den Menschen glauben zu machen, sie könnten die Vorteile, die Luzifer ihnen anbietet, nutzen, ohne dafür etwas tun zu müssen. Falsch gedacht. Im Zeitalter der Romantik ist der Fürst der Finsternis das Synonym für den unberechenbaren Fortschritt vor allem in Industrie und Technik. Gegenwärtig stehen wir wieder vor so einem Umbruch. Der Teufel mag also wieder des Öfteren in Kunst und Kultur seinen Weg finden, um das Unabsehbare so zu verkörpern, dass man es vielleicht bannen kann.

Das hatte sich Jeremias Gotthelf in der ersten Halbzeit des 19. Jahrhunderts schon gedacht, als er seine mittelalterliche Novelle Die schwarze Spinne schrieb. Natürlich ist das Stoff, der für phantastische Filme adaptiert werden kann, die sowohl das Magische als auch den romantisierten Nostalgiebedarf für mittelalterliche Darstellungen aller Art bedienen könnte. Die Story ist auch denkbar einfach gestrickt, um sich gar nicht erst von ausufernden Landschafts- und Gefühlsbeschreibungen, wie diese nur zu gern zu dieser Zeit in Lettern festgehalten wurden, an den Rand drängen zu lassen.

Die moralische Mär um Teufel, Dämonen und Widerstand spielt im 13. Jahrhundert im Emmental, in einer Gegend, die der Deutschritter-Orden unter seiner Fuchtel hat, nachdem dieser von Kreuzzügen zurückgekehrt war und nun nicht viel mehr mit sich anzufangen weiß als das dort ansässige Volk zu unterjochen. Dass die Mächtigen sich aufspielen, ist gang und gäbe und verwundert wohl kaum, wenn man das menschliche Verhalten zumindest bereits ein bisschen mithilfe der Geschichte analysiert hat. An einem heißen Sommer zu dieser Zeit nötigt also der Recke Hans von Stoffeln seine Untertanen dazu, ihm innerhalb kürzester Zeit eine Allee aus schattenspendenden Bäumen auf dem Weg zu seiner Burg zu pflanzen. Ein unmögliches Vorhaben. Eines, bei welchem die ohnehin schon ausgezehrten und bettelarmen Bauersleute den Kürzeren ziehen. Wäre da nicht der jungen Hebamme Christine (Lilith Stangenberg) der Teufel als Karrenmacher erschienen, und hätte dieser ihr nicht Hilfe angeboten, um das Schicksal abzuwenden. Doch wie das beim Beelzebub eben so ist, wäscht eine Hand schließlich die andere. Der Finsterling macht nichts, ohne etwas ganz Bestimmtes einzufordern. Zum Beispiel den kommenden Nachwuchs. Verrückt müsste man sein, um den Deal nicht einzuhalten oder gar zu versuchen, den Teufel auszutricksen. Doch Christine versucht’s trotzdem – und entfacht die Spinnenpest.

Das alles klingt nach opulentem Horror zwischen Burgtor und Saustall. Ein wilder Ritt hätte das werden können, vielleicht gar so etwas philosophisch-makabres wie der australische Independent-Hexensabbat You Won’t Be Alone mit Noomi Rapace. Statt des Teufels ringt dort eine uralte Hexe um das Neugeborene einer Menschenfrau – mit ungewöhnlicher Wendung. In Gotthelfs Geschichte aber sind Wendungen maximal im Umblättern der Buchseiten zu finden. Der Plot bleibt sonst eher stringent – und erfährt auch unter der Regie des Schweizer Tatort-Regisseurs Markus Fischer kein erfrischendes Update. Die schwarze Spinne, ohne landschaftsbeschreibender Romantik, quält sich durch eine wenig attraktive Parabel um Opferbereitschaft und Widerstand, die unter sperriger Dialogregie leidet und mit Lilith Stangenberg eine unnahbare Heldin in Szene setzt, deren Motivation sich niemals richtig erschließt. Als würde die Produktion unter Geldnot leiden, offenbart sich der Spinnenterror mehr im Wunschdenken der Filmemacher als tatsächlich am Screen. Erschwerend hinzu kommt, sofern keine Untertitel vorhanden, das für Nicht-Schweizer mangelnde Verständnis für Schwyzerdütsch, den zumindest die Deutschritter nicht sprechen, was sich folglich als Wohltat herausstellt, wenn man gerade mal nicht am Inhalt des Gesagten heruminterpretieren muss.

Die schwarze Spinne lässt also keinen frischen Wind durchs Emmental wehen, auch wenn der faulige Geruch des Teufels in der Nase juckt. Die Lust an der Neuinterpretation muss angesichts einer gewissen Rückorientierung an die romantische Schwermut einer düsteren Arme Leute-Mystery weichen. Was zur Folge hat, dass das Auf- und Abtreten der Figuren der nahtlosen Dramaturgie eines Provinztheaters am Dorfplatz gleicht. Auch wenn man dabei noch so nah ans Ensemble rückt, wie eine Gruppe Kinder, die keinen Eintritt zahlen müssen und sich ans Podium drängen – auch dann lässt sich nichts von einem Spirit spüren, der das Publikum vielleicht irgendwann tangieren würde.

Die schwarze Spinne (2021)

Noche de Fuego

IM SCHATTEN DES KARTELLS

7/10


nochedefuego© 2021 Netflix


LAND / JAHR: MEXIKO, DEUTSCHLAND, BRASILIEN, SCHWEIZ, USA, KATAR 2020

BUCH / REGIE: TATIANA HUEZO

CAST: ANA CRISTINA ORDÓÑEZ GONZALES, MARYA MEMBREÑO, MAYRA BATALLA, NORMA PABLO U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Man muss nur genau hinhören. Darin wird die junge Ana trainiert. Sie hört die Kühe des Nachbarn auf freiem Feld, sie hört das Bellen des Hundes die Straße runter. Sollte sie das Motorengeräusch eines Vierradantriebs hören, muss sie sich verstecken. Denn die Schergen des Kartells sind hinter ihr her. Dabei hat sie die Bösen gar nicht provoziert, ganz im Gegenteil. Zu ihrem eigenen Schutz nimmt der LKW sie frühmorgens gar mit auf die Mohnfelder. Das Kartell ist hinter ihr her, weil sie ein Mädchen ist. Und Mädchen, insbesondere die hübschen, bringen im kranken Wirtschaftsverständnis der Verbrecherwelt Mexikos ordentlich Profit. So einen erschütterten Einblick erhält man mitunter auch im brasilianischen Sozialthriller 7 Gefangene. Da schnürt es einem die Kehle zu, das ist schwer mitanzusehen. Dabei ist das nicht mal notwendig, der Stein liegt schon im Magen, wenn plötzlich eine von Anas Freundinnen verschwindet. Ein Umstand, der schlimmer ist als der Tod. Unter diesem Schatten wächst Ana also auf, mit ihren besten Freundinnen, die untereinander versuchen, ihre Gedanken zu lesen. Ihr Leben sollte das unbekümmerte eines jungen Mädchens aus dem Dorf sein, wäre da nicht diese andauernde Bedrohung, unter der Anas Mutter leidet, da sie das Schutzgeld für ihre Familie nicht bezahlen kann. Der Vater schickt kein Geld mehr. Mohn ist der einzige Garant, doch selbst der bremst die Gier der Bewaffneten nicht, die so plötzlich kommen wie ein Tornado über die nordamerikanischen Ebenen.

Bereits beim diesjährigen Cannes-Festival in der Rubrik Un Certain Regard lobend erwähnt und auf der Viennale 2021 vertreten, ist diese etwas andere Coming-of-Age-Story der salvadorianischen Filmemacherin Tatiana Huezo das sensible, pietätvolle Tagebuch eines Alltags irgendwo im mexikanischen Hochland – in einem Dorf, wo die staatliche Exekutive fast nichts zu sagen hat und jene Kartelle, die sich gerade an die Macht gemeuchelt haben, alles. Noche de Fuego (oder auch A Prayer for the Stolen) lässt seine Protagonistinnen aus freien Stücken das empfinden, was sie wohl für eine gute Freundschaft empfinden würden, dabei gerät die Interaktion der drei zu einem authentischen, bezaubernden Miteinander, das unter ständiger Gefahr gelebt werden kann: Das erste Kokettieren mit einem Jungen, die erste Monatsblutung, der schulische Unterricht und der Twist mit der Mutter, die nicht will, dass Ana zu ihrer Weiblichkeit steht. Schminke ist verboten, das Haar muss kurz geschoren sein. Im Vergleich zur direkten Unterdrückung der Frau in Afghanistan ist diese indirekte Unterdrückung nicht weniger belastend. Da bangt man um jede Szene in Freiheit, da spürt man schon den aufkommenden Schrecken. Da stresst der Moment und macht Angst, wenn Ana in der Grube im Garten hyperventiliert, wenn die Menschenhändler kommen.

Noche de Fuego ist ein ruhiger, sanfter, aber auch ungemein erschreckender Film, der das Unmögliche verortet und mit Fürsorglichkeit und Mitgefühl für seine verletzlichen Figuren den Fokus vom nahen Osten auf Mittelamerika legt, wo das Menschenrecht genauso wenig zählt – weil es nicht eingefordert werden kann.

Noche de Fuego

Yalda

BEGNADIGUNG IM FREE TV

5/10


yalda© Julian Atanassov/JBP Production


LAND / JAHR: IRAN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, SCHWEIZ, LUXEMBURG 2019

BUCH /REGIE: MASSOUD BAKHSHI

CAST: SADAF ASGARI, BEHNAZ JAFARI, BABAK KARIMI, ARMAN DARVISH, FERESHTEH SADRE ORAFAIY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


There’s no business like show business – nicht einmal im Iran. Betrachtet man die Medienlandschaft weltweit, lässt sich ja ohnehin kaum glauben, was es da für Formate gibt. Vom expliziten Trash, der zum Fremdschämen einlädt, bis hin zu halsbrecherischen Challenges quer durch die Wildnis, und das am besten nackt. Dank einer gewissen Quotengeilheit gibt es zumindest in vorliegendem Kammerspiel mit dem Titel Yalda eine Livesendung, in welcher tatsächlich über Leben und Tod entschieden werden kann. Klingt ein bisschen wie Running Man oder wie die Tribute von Panem? Nein, ganz so actionlastig ist es nicht, und der Bodycount übersteigt hier schlimmstenfalls auch nicht den einstelligen Bereich. Geerdet in der Gegenwart, und keinesfalls als Bild einer Zukunft zu betrachten, lädt die Reality-TV-Show mit dem schmalzigen Titel Joy of Forgiveness verfeindete Parteien auf die illustre Bühne, um einander zu vergeben. Natürlich anmoderiert, sonst fallen sich die Wütenden vielleicht sogar würgend um den Hals. Das Ziel ist allerdings Eintracht. Schön und gut. Doch an diesem Abend, dem sogenannten Yalda-Fest (die Wintersonnenwende in der islamischen Kultur), geht’s um mehr als nur um ein gutes Gewissen. Es geht um Begnadigung oder Vollzug.

Denn: Die junge Maryam wird wegen Mordes an ihrem ums zigfache älteren Ehemann zum Tode veruteilt. Natürlich schwört sie, dass es ein Unfall war, beteuert aber nicht ihre Unschuld. Die Tochter des Getöteten, die ebenfalls Maryams Mutter hätte sein können, dabei aber lange Zeit ihre beste Freundin war, kann dem Mädchen nicht vergeben. Bis heute, bis zu diesem Tag nicht. Denn würde sie das tun, würde sie durch ihr Einlenken das Todesurteil abwenden können.

Schon ein starkes Stück, jemandem, der offensichtlich als befangen gilt, das Schicksal über ein Menschenleben in die Hand zu legen. Versöhnung und Vergebung hin oder her – klar ist das manchmal ein Kraftakt, und eine berührende Geste, wenn es denn funktioniert. Dieses wohl schwierigste als auch höchste Gut im menschlichen Verhalten so dermaßen zu kommerzialisieren, klingt natürlich unweigerlich an eine Medien-Dystopie wie Network, entscheidet sich aber eher, alles andere als das sein zu wollen. Der Staat wäscht sich rein, der bürgerliche Schauprozess beginnt. So gewieft und pointiert der Plot auch anfangs scheinen mag – Regisseur Massoud Bakhshi macht bald keinen Unterschied mehr zwischen der reißerischen Dramatik der im Film dargestellten Show und der Tonlage des Films selbst. Beides gerät zu einer plakativen, teils dem Publikum gefälligen Exaltiertheit. An der Kraft der Vergebung freut sich letzten Endes nur das Fernsehen. Das ist ernüchternd und irgendwie, auf fröstelnde Weise, unbefriedigend.

Yalda

Tides

EIN LUFTBEFEUCHTER NAMENS ERDE

7/10


tides© 2020 Constantin Filmverleih GmbH


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, SCHWEIZ 2020

BUCH / REGIE: TIM FEHLBAUM

CAST: NORA ARNEZEDER, IAIN GLEN, BELLA BADING, SARAH-SOFIE BOUSSNINA, JOEL BASMAN, SOPE DIRISU U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Nach der großen Dürre folgt die ewige Feuchtigkeit –- zumindest handhabt der vielversprechende Schweizer Filmemacher Tim Fehlbaum den Fortgang der Menschheit für die ferne Zukunft auf diese Weise. 2011 verblüffte er bereits mit Hell, einer nicht gerade staubfreien Vision einer ausgetrockneten Erde, wo jeder auf der Suche nach einem Tröpfchen Wasser gerne auch mal über Leichen geht. Eine verstörende, düstere Sache, dieser Film, trotz ganz viel Sonne. Weniger düster, aber immer noch düster genug, gibt sich das Gegenstück zu diesem Entwurf: Tides, und zwar spielen da selbige tatsächlich eine wesentliche Rolle, denn alles, was von unserem Planeten noch trockenen Fußes überquerbar scheint, das sind die Gezeitenzonen.

Greta Thunbergs Erben haben also der Wahrheit ins Gesicht sehen müssen, als sie diesen unseren geliebten Planeten aufgeben mussten, um irgendwo anders zu siedeln, nämlich ein ganzes Stück weit entfernt auf einem Staubkorn namens Kepler 209. Im Grunde sowas wie der Mars, nur vielleicht wärmer. (Warum dann nicht gleich auf dem Mars siedeln, wenn man sowieso nicht raus kann?) Als eine Expedition nach Hause geschickt wird, um den Zustand von Terra abzuklären, stürzt die Raumkapsel ab – Astronautin Louise überlebt (Ein guter, bekannter, aber immer wieder reizvoller Ausgangspunkt für dystopische Science-Fiction). Klarerweise bleibt Louise nicht allein, denn sie wird von den Muds – einem Menschenstamm, scheinbar aus dem Waterworld-Universum – eingefangen. Die wiederum werden zwar nicht von den Smokern, jedoch von anderen Wattpiraten überfallen, die deren Kinder klauen. Louise schafft es aus ihrem Gezeitengefängnis und nimmt die Verfolgung auf. Dabei trifft sie auf die eine oder andere, alles verändernde Überraschung.

Tides ist ein Augenschmaus. Womit man Denis Villeneuve bereits bildsprachlich assoziiert, das können andere genauso gut, und ganz ohne Abkupfern. Gedreht an Orten wie der deutschen Nordseeküste mit ihrem ewig scheinendem Wattenmeer, findet Tim Fehlbaum mehr als genug postapokalyptische Settings, ohne auch nur an CGI zu denken. Das Wetter ist als proaktiver Stimmungsdesigner ebenfalls mit an Bord, und das ganz ohne Honorar. Wie bei Villeneuve schälen sich auch hier Silhouetten aus Dunst und Nebel, scheinen alte Schiffswracks, die ihr blankes Grundgerüst in den verhangenen Himmel recken, wie abgestürzte Raumschiffe vergangener Äonen. Dieses Szenario, eingefangen mit einer innovativen Kameraführung, die sich nicht scheut davor, nahe an seine Protagonisten und an all diese mit Regenmänteln und grobem Stoff gekleideten Gestalten heranzugehen, birgt das Zeug für episches Visionskino. Nicht zuletzt findet Fehlbaum mit Nora Arnezeder eine Frauenfigur, die gut und gerne Heldinnen wie Sigourney Weaver oder Katherine Waterston aus dem Alien-Kosmos das Wasser reichen kann. Ein tougher Charakter in einer Welt des Überlebens.

Gegen so viel Setting-Performance und Charakter-Brillanz kommt die Story selbst allerdings nicht an. Diese gibt sich zwar nicht moralinsauer und tadelnd, dafür aber nimmt sie das Ende und den Neuanfang der Menschheit hin wie ein vorbeiziehendes Unwetter. So, wie Mutter Erde das machen würde.

Tides

Schwesterlein

SISTER OF MERCY

5,5/10


schwesterlein© 2020 Weltkino


LAND / JAHR: SCHWEIZ 2020

REGIE: STÉPHANIE CHUAT, VÉRONIQUE RAYMOND

CAST: NINA HOSS, LARS EIDINGER, JENS ALBINUS, MARTHE KELLER, THOMAS OSTERMEIER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Hat Lars Eidinger eigentlich auch bei diesem satirischen Online-Flashmob #allesdichtmachen mitgetan? Oder war ihm dieser eitle Aufschrei doch zu banal? Ich weiß nur: Eidinger spielt für sein Leben gern – und was das Zeug hält und hergibt. Ein künstlerischer Feingeist, exaltiert und kumpelhaft. Sicher charismatisch und einnehmend wie ein Burgschauspieler und dann wieder unauffällig und inkognito. Spannend, ihn auch mal in der einen oder anderen internationalen Produktion zu sichten, wie zum Beispiel in High Life oder gar ins Tim Burtons Dumbo in einer kleinen, glücklich ergatterten Mini-Rolle. Spontan fallen mir aber auch gleich drei Charaktere ein, die auffallend unterschiedlich angelegt sind. Da wäre seine Rolle des psychisch labilen Unternehmersohns Nyssen in den kongenialen Gideon Rath-Krimis Babylon Berlin, da wäre seine Darstellung des sprachaffinen Nazis in Persischstunden oder eben – wie hier – die gequälte Seele eines krankheitsbedingt verhinderten Schauspielers, der um alles in der Welt so gerne wieder als Hamlet auf der Bühne stehen möchte.

In der Schweizer Produktion Schwesterlein bleibt dem an Leukämie erkrankten Bühnenstar nichts anderes übrig, als auf seine heiß geliebten Auftritte zu verzichten – stattdessen zieht er zur Mutter, die allerdings versucht, den Zustand ihres Sohnes zu übersehen. Das ist kein angenehmer Zustand – das titelgebende Schwesterlein kann das ebenfalls nicht mitansehen und nimmt ihren Bruder mit zu sich in die Schweiz – in der Hoffnung, im Gebirgsklima, in der Natur und im Kreise ihrer glücklichen Familie wird Sven schleunigst genesen.

Klingt ein bisschen nach der schalen Chronik eines Siechtums? Mitunter ja, doch vorrangig ist hier die Beziehung der beiden Geschwister. Wie Hänsel und Gretel tappen beide einen Pfad des Schicksals entlang, während Lars Eidinger seine Rolle so sehr ernst nimmt, dass es fast schon weh tut. Und ja, es gibt Szenen, die will man in ihrer Intensität lieber nicht ertragen müssen, zum Beispiel wenn der geplagte Künstler vor lauter Schmerzen bitterlich zu weinen anfängt. Wir wissen: Eidinger macht keine halben Sachen. Wenn schon sterbenskrank, dann richtig. Das scheint selbst Nina Hoss kaum auszuhalten. Beide spielen professionell – etwas verbissen vielleicht.

Im Grunde ist das Subgenre des Krankheits- und Sterbedramas nichts, das ich auf meine Watchlist setze. Gereizt hat mich aber daran dieses geschwisterliche Teamwork, diese aufopfernde Nähe zum anderen, dieses völlig unzweifelhafte Vertrauen in eine andere Person. Stéphanie Chuat und Véronique Raymond verleihen diesem sonst eher ächzenden Drama durch ihr Psychogramm einer geschwisterlichen Liebe und dessen literarischer Interpretation etwas mehr an Substanz. Denn nur einen Künstler beim langsamen Sterben zuzusehen, wäre zu wenig. Oder einfach nur die dankbare Basis für einen obsessiven darstellerischen Kraftakt, bei dem es weniger um das emotionale Dilemma mit der Krankheit geht als um den, der dieses darstellt.

Schwesterlein

Maggie

REQUIEM FÜR EINEN ZOMBIE

5/10


maggie© 2015 Splendid Film


LAND / JAHR: USA, SCHWEIZ 2015

REGIE: HENRY HOBSON

CAST: ABIGAIL BRESLIN, ARNOLD SCHWARZENEGGER, JOELY RICHARDSON, DOUGLAS M. GRIFFIN, J. D. EVERMORE, BRYCE ROMERO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Auch wenn die menschenfleischgierigen Untoten nicht gut für die Gesundheit der noch nicht Gebissenen sind und daher gerne als das Böse angesehen werden – im Grunde sind Zombies erbarmungswürdige, traurige Kreaturen, die, ihrem Willen beraubt, völlig wertfrei darauf warten, dass sie irgendwer einen Kopf kürzer macht. Um diese Traurigkeit, dieses Ausgeliefertsein, diesen schmerzlichen Prozess der Veränderung auch ein bisschen mehr hervorzukehren, wird im düsteren Drama Maggie eine Lanze für jene gebrochen, die mit ihrem Zombiedasein in absehbarer Zeit werden „leben“ müssen.

Ein solches Schicksal muss Abigail Breslin (u. a. Little Miss Sunshine) ausfassen, sehr zum Leidwesen von Papa Arnold Schwarzenegger, der in Zeiten der Pandemie seine gebissene Tochter um nichts in der Welt in Quarantäne stecken will. In Maggie bedeutet dies: zusammengepfercht mit anderen Zombies zu sein, die sich schlimmstenfalls gegenseitig als Frühstück betrachten. Also bleibt das Mädchen daheim und siecht dahin, bekommt den milchigen Blick und blutet schwarzes Blut. Währenddessen heißt es warten. Warten bis zum Ende.

Und ja, mehr ist in diesem Horrordrama eigentlich nicht los. Interessant dabei ist der im Film dargestellte, Wochenenddemonstranten wohl glücklich stimmende Umgang mit einem noch viel schrecklicheren Virus als Covid19. Abstand, Maske und sonstige Vorkehrungen sind keine vorhanden, anscheinend überträgt sich diese Krankheit nur durch beißen, also braucht’s das alles nicht. Das ist natürlich reichlich naiv, aber gut – eine Zombifizierung ist ja auch etwas Irreales. Umso realer ist die Düsternis in diesem Streifen, die sich von Minute zu Minute immer mehr siechend dahinschleppt. Die Bilder sind in entsättigte, graubraune Farben getaucht, schwer liegt der Score auf sowieso schon zementsackschweren Szenen, die den Verfall zelebrieren. Mittendrin ein völlig ratloser Arnold, der in seinem Leben beruflich sowieso schon alles, was nur möglich ist, erreicht hat, und nun auch mal schauspielerisch die ernstere Schiene erproben will. Später tut er das nochmal mit dem ebenso bleischweren Trauerdrama Aftermath. Mit Maggie zeigt er, wie sehr man ratlos herumstehen und herumsitzen kann, zwischendurch auch mal mit Nickerchen. Nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Da wirkt Abigail Breslin natürlich unterstützend – ihre Figur ist ebenso ratlos und voller Furcht, allerdings überzeugender. Doch es hilft alles nichts – Lethargische Erschöpfung und krassierende Symptome schreiten fröhlich voran. Das ist Nihilismus als ausharrendes, meditatives Familiendrama, das wenig mehr weckt als ein ungutes Gefühl. Oder: ein Film wie ein verfaulender Organismus – nur drumherum Menschen, händehaltend im Kreis, die einander und sich selbst nicht verlieren wollen.

Maggie

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

WARTEN AUF BESSERE ZEITEN

5,5/10

 

rosakaninchen© 2019 Warner Bros.

 

LAND: DEUTSCHLAND, SCHWEIZ 2019

REGIE: CAROLINE LINK

CAST: RIVA KRYMALOVSKI, OLIVER MASUCCI, CARLA JURI, JUSTUS VON DOHNÁNYI, MARINUS HOHMANN, ANNE BENNENT U. A. 

 

Das ist einfach zu viel verlangt. Wie soll man sich als Kind entscheiden, welches Lieblingsstofftier der Flucht ins Ausland beiwohnen und welches dieser wattegefüllten Wesen dem Diktator in die Hände fallen soll? Ein Ding der Unmöglichkeit. Ich als Kind hätte das nicht gekonnt. Die neunjährige Anna Kemper tut sich ebenfalls sichtlich schwer. Letzten Endes wird’s der Hund. Das rosa Kaninchen, das nimmt sich Hitler.  Familie Kemper, die hat in weiser Voraussicht schon im Jahr 1933, noch vor der Wahl, die Hitlers Aufstieg besiegeln sollte, die Zelte abgebrochen. Das war der Anfang vom Ende eines vertrauten Lebens. Und der Anfang ohne Ende einer ruhelosen Wanderung quer über den westlichen europäischen Kontinent, über die Schweiz nach Frankreich und von dort nach Großbritannien. Judith Kerr hat diesen Roman verfasst, ihre Lebens- und Kindheitsgeschichte. Genannt hat sie sich in diesem Roman Anna Kemper, doch was sie erlebt hat, ist sicherlich nicht nur ihr so passiert, sondern auch unzähligen anderen jüdischen Kindern, die da mitgeschleppt werden mussten, von einem halbwegs sicheren Platz zum Leben bis hin zum nächsten. Eine prägende Erfahrung, wie man sieht – der Roman Als Hitler das rosa Kaninchen stahl wurde millionenfach verkauft. Herangewagt an diese Chronik einer Flucht und des bangen Wartens auf Frieden und Beständigkeit hat sich natürlich Oscar-Preisträgerin Caroline Link, die sich mit den Themen Kindheit und Coming of Age unter besonderen Bedingungen bestens auszukennen scheint. Der Junge muss an die frische Luft war ihr letzter Film, ebenfalls die Adaption eines Bestsellers, nämlich der Erinnerungen aus dem Kinderzimmer von Hape Kerkeling.

Das Kinderzimmer ist diesmal karg und behält nur das notwendigste, und zum Glück ist es kein verstecktes Hinterzimmer wie bei Anne Frank, deren Familie gar nicht so schnell schauen konnte, da wurde die Flucht schon unmöglich. Wie die zutiefst tragische Geschichte ausging, das wissen wir. Judith Kerrs Erlebnisse sind andere, und dabei konzentriert sich der Film auf das Mädchen Anne und auf den Vater, gespielt von Oliver Masucci. Der war dann auch der Grund, warum Annas Familie hat flüchten müssen. Vater Kemper war Schriftsteller und Kritiker und natürlich in den Augen der Nazis eine Persona non grata, Kopfgeld inklusive.

Diese Erfahrungen aus dem Krieg, diese Entbehrungen während des verzweifelten Hoppings durch Europa, die adaptiert Caroline Link sehr zurückgenommen. Ist ja mal ein guter Ansatz, keiner will wirklich übertriebenen Pathos sehen. Allerdings verheddert sich dieser zurückgenommene, geradezu beschauliche Stil in eine traditionelle Erzähl- und Filmweise, die ich nur als hausbacken bezeichnen kann. So werden Fernsehfilme erzählt, da verlässt man sich auf probate und effiziente Mittel, um ein Projekt auch im Zeit- und Geldrahmen und zur Verträglichkeit eines weitaus jüngeren Publikums durch die Drehtermine zu bringen. Interessanterweise entsteht hier aber eine Diskrepanz zwischen dem, was der kreative Kindermund aus dem Off alles erzählt, und Links harmonischen, unerschütterlich glatten Interpretation des Erlebten. Szenenweise wirkt der Film wie ein Neuaufguss von Heidi, natürlich und vor allem in den Szenen, die in der Schweiz spielen. Das ist schon Heimatfilmkitsch allererster Güte, aber vielleicht war das in den Augen von Judith Kerr wirklich so ein pittoreskes Umfeld? Auch in Paris scheut der Film nicht vor Klischees zurück, aber vielleicht sind auch hier Klischees berechtigt, denn von irgendwoher müssen die ja kommen.

Auch wenn eine Flucht Menschen logischerweise an ihre Grenzen bringt, plätschert Als Hitler das rosa Kaninchen stahl gänzlich ohne narrativen Höhepunkt vor sich hin. Es sind Episoden, immer irgendwo anders, und die kleine Anna Kemper muss sich stets neu erfinden. Sehen Kindheitserinnerungen so aus? Vielleicht vervollständigen sie sich erst durch das, was die Eltern erzählen, und die haben schon so manches dabei ausgeschmückt. Genauso wirkt der Film: verklärt, romantisiert, einzig durch die verlorene Figur des Onkels Julius (Justus von Dohnányi) vermutet der Zuseher eine allgegenwärtige Bedrohung von außen. Was aus dem rosa Kaninchen wurde, weiß vermutlich keiner. Was aus Judith Kerr wurde, das schon. Wie sie dazu kam – das erzählt eine uninspirierte Verfilmung über die Kunst, als Familie in der Not zu improvisieren.

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Die Goldfische

KAFFEEFAHRT MIT HANDICAP

7/10

 

goldfische© 2019 Sony Pictures

 

LAND: DEUTSCHLAND 2019

REGIE: ALIREZA GOLAFSHAN

CAST: TOM SCHILLING, JELLA HAASE, BIRGIT MINICHMAYR, LUISA WÖLLISCH, KIDA KHODR RAMADAN, MICHAEL WOLTER U. A.

 

Wenn du in Eile bist, mach‘ einen Umweg! Diese japanische Weisheit hat sich Tom Schilling leider nicht ganz so zu Herzen genommen. Der von ihm dargestellte Yuppie namens Oliver steckt im Stau, muss dringend wohin und will überholen. Natürlich geht das schief, das Vehikel verzeichnet einen Totalschaden und der Banker findet sich querschnittgelähmt in der Reha wieder. Ein Workaholic wie er gibt aber nicht auf und versucht verbissen, beruflich wieder anzuknüpfen. Blöd nur, wenn das W-Lan im Krankenhaus nur dort funktioniert, wo eine Handvoll Menschen mit besonderen Bedürfnissen so was wie eine Art Wohngemeinschaft bilden. Und nicht nur das: Auch die Finanzpolizei ist hinter ihm her, und die Schweiz ist für all das erzockte Geld längst kein Elysium mehr. Also nichts wie hin ins Nachbarland, um die Schäfchen ins Trockene zu bringen – von mir aus auch mit all den bedürftigen Gestalten im Schlepptau, ganz Marke Rain Man, wovon einer tatsächlich so genannt wird.

Dieses Konzept, das eine Reihe verhaltensauffälliger Individuen auf ein Abenteuer quer durch die Lande schickt – das ist keine große Unbekannte mehr. Selbst Jack Nicholson hat schon in Einer flog übers Kuckucksnest als verkappter Normalo eine Spritztour organisiert, und in Nikolaus Leytners Drei Herren waren Ottfried Fischer, Karl Markovics und Karl Merkatz nach dem Herztod ihres Chauffeurs auf sich alleine gestellt. Wer also Drei Herren damals mochte – und ich zähle mich dazu – der wird auch Die Goldfische mögen. Der Iraner Alireza Golafshan hat hat für seinen auch selbst verfassten Film eine ganze Reihe überzeugender Darsteller und -innen verpflichten können. Tom Schilling ist sowieso stets ein Garant dafür, wenn es darum geht, leicht melancholische Alltagsegozentrik mit der schwerelosen Unabhängigkeit eines ungebundenen Prinzen zu verbinden und schafft es, nicht nur Jella Haase zu beeindrucken. Ja, die kecke Blondine spielt hier auch mit, und ist eben auch in Deutschlands momentanem Blockbuster Das perfekte Geheimnis an der Seite von Frederick Lau, Elias M’Barek und Karoline Herfurth zu sehen. Wer sonst bei den Goldfischen noch dabei ist: Burgschauspielerin Birgit Minichmayr als blinde Alkoholikerin. Sie und noch einige andere Exzentriker, die aber allesamt extrem gut miteinander harmonieren und sich die Bälle zuspielen wie in einer Screwball-Comedy, koffern also per Bus in diesem Roadmovie durch die sommerliche Schweiz, genauer gesagt nach Zürich.

Wie es nun mal bei Roadmovies mit wenig berechenbaren Fahrgästen eben so kommt, gibt es allerhand Turbulenzen. Klar, das war zu erwarten – wie aber Regisseur Golafshan da seine Charaktere durcheinander wirbelt, voneinander abhängig macht oder aufeinander verlassen lässt, ist schon eine achtbare Leistung, die normalerweise von einem Ensemble erwartet wird, das jahrelang eine Sitcom trägt. Ein eingespieltes Team also – für einen Film unerwartet akkurat aufeinander ein- und abgestimmt. Selbst – oder gerade der normalerweise für kriminelle Gang-Rollen abkommandierte Kida Khodr Ramadan ist als Chauffeur, der seine Chance auf den großen Reichtum wittert, in all seiner schlampigen, aber niemals unguten (Ab)gerissenheit ein gegen den Strich gebürstetes Highlight des Films. Und es wird angenehmerweise, im Gegensatz zu den halblustigen deutschen Buddykomödien im Schweighöfer-Stil, viel weniger eine Ich-Partie als ein Plädoyer für ein Füreinander trotz Handicaps, so unterschiedlich diese auch sein mögen. Die Goldfische machen Laune, sind selbstironisch und niemals trübselig. Und vor allem genießen sie eines: die Freiheit, vorbehaltlos zu empfinden. Das wird Tom Schilling aka Oliver auch noch lernen.

Die Goldfische

Zwingli – Der Reformator

MIT DER KIRCHE ÜBER KREUZ

5/10

 

zwingli© 2019 W-film / C-Films

 

LAND: SCHWEIZ, DEUTSCHLAND 2018

REGIE: STEFAN HAUPT

CAST: MAX SIMONISCHEK, SARAH SOPHIA MEYER, ANATOLE TAUBMAN, STEFAN KURT, UELI JÄGGI U. A.

 

Die Schweiz ist nicht gerade berühmt für ihr immenses Filmschaffen, ganz im Gegenteil. Spontan gefragt fällt mir bis auf Wolfgang Panzers Mönchsfilm Broken Silence oder Beresina oder die letzten Tage der Schweiz sonst weiter nichts mehr ein. Das ändert sich aber jetzt, und zwar aktuell mit einem Film, der den Begründer des protestantischen Glaubens in der kleinen, neutralen Bergnation zum Thema hat: Ulrich Zwingli. Der Geistliche und Humanist war ein Zeitgenosse Martin Luthers, und nach dessen Thesenanschlag war auch dieser motiviert genug, Reformen an der katholischen Kirche durchzuführen, die mit Ablassbriefen, Pomp und Protz dem so einfachen wie leichtgläubigen Volk in grenzenlos überheblicher Arroganz auf der Nase herumtanzen konnte. Natürlich will die Kirche das nicht ändern, und natürlich wird Zwingli zu einem Feind des Vatikan, was er letzten Endes auch mit dem Leben bezahlt. Doch wer war Zwingli wirklich – und wie kam es zu diesen bahnbrechenden Veränderungen, die das größte Schisma der Menschheit auf den Weg brachte?

In Stefan Haupts Historienfilm zieht eines winterliche Tages Schauspielersohn Max Simonischek durch die Gegend rund um Zürich, um letzten Endes dort sein Quartier aufzuschlagen. Der neue Prediger fällt, ehe man es sich versieht, sogleich mit der Sakristei ins Haus, indem er anfängt, Bibelexegese in deutscher Sprache zu betreiben, und das vor versammelter Menge. Latein hat ja bislang sowieso keiner verstanden, mit Ausnahme sämtlicher Würdenträger, die somit ihre Privilegien beschnitten sehen. Stoff genug also für eine faktenbasierte Disputation im Kinoformat, für eine Zielgruppe, die überschaubar bleibt, und für ein Genre, das bestenfalls sein Nischendasein als Kirchenfilm fristet. Wer Luther mit Joseph Fiennes mochte, das vor 16 Jahren im Kino lief, sollte an Zwingli – Der Reformator nicht vorbeigehen, denn mit diesem biographischen Fragment über dessen Wirken haben wir die Reformation des frühen 16. Jahrhunderts quasi in Dolby Surround – von Luthers Norden bis zu Zwinglis Süden. Historiker wissen: Zwingli und Luther hatten zwar regen Briefkontakt, ein Disput über die Bedeutung der Kommunion hat sie dann aber letztendlich entzweit. Was nicht heißt, dass Jahrzehnte später beide Reformationsbewegungen doch noch zueinanderfinden konnten. Details, die der Film Zwingli – Der Reformator leider ausspart oder halbherzig in einem Nebensatz erwähnt.

Die Hoffnung, jenem legendären Streitgespräch zwischen den beiden Querdenkern filmisch folgen zu können, stirbt zuletzt. Aber sie stirbt. Stefan Haupt wagt sich während seiner über zweistündigen Laufzeit, die teilweise gehörige Längen hat, kaum hinter den mittelalterlichen Mauern des historischen Zürichs hervor. Schön anzusehen ist die rekonstruierte Stadt schon – aber das ist das einzig Epische an einem sonst zur Epik neigenden Stoff, der im Korsett einer Guckkastenbühne leider nur sein dialoglastiges Dasein fristen muss. Es hat den Anschein, als blieben aufgrund des knappen Budgets große inszenatorische Sprünge leider nur Wunschdenken. Nichts gegen all die Details der Ausstattung – die Lagerhallen des Zürcher Kostümfundus hätten wieder mal durchgefegt werden können, so zahlreich haben sich sowohl Statisten als auch der Haupt-Cast in die spätmittelalterliche Kluft gezwängt – vom Bettler bis zum Bischof. Darüber hinaus aber meist die gleichen Settings, immer widerkehrend, wie bei einem Theaterstück, als würde man einem Drama von Fritz Hochwälder oder Jean Anouilh beiwohnen, die ja bekanntlich historische Stoffe dialogfertig für die Bühne adaptiert hatten.

Im Kino ist der Verwöhnfaktor ein ganz ein anderer. Erst unlängst konnte David Michöds The King so richtig wuchtige Bilder zumindest auf den Netflix-Bildschirm schmettern – in Zwingli – Der Reformator bleibt das alles außen vor, selbst die finale Schlacht zwischen Altchristen und den wütenden Reformern war Haupt nicht mal einen Rundumblick wert. Zum Glück für ein Publikum, dass kein Blut sehen kann, und Pech für Liebhaber historischen Kräftemessens. Dafür wäre Zwingli – Der Reformator aber ideal gewesen, denn was der Film erzählt, ist kraftvoll genug, um auch kraftvolleres Kino zu produzieren. So aber bleibe ich zwar mit geschlossenen Bildungslücken in Sachen Kirchengeschichte zurück, wundere mich aber dennoch, wie hölzern so mancher Auftritt absolviert und wie eng geschnürt der filmische Blickwinkel bleibt. Da kann auch Simonischeks angenehme Stimmlage (ja, ganz der Papa!) nur bedingt etwas ändern, wobei dessen rustikaler Haarschnitt sowieso allem die Show stiehlt.

Zwingli – Der Reformator

Foxtrot

DIE WAAGSCHALEN DES KRIEGES

8,5/10

 

foxtrot© 2017 Polyfilm Verleih

 

LAND: ISRAEL, SCHWEIZ, DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2017

BUCH & REGIE: SAMUEL MAOZ

CAST: LIOR ASHKENAZI, SARAH ADLER, YONATON SHIRAY, SHIRA HAAS U. A.

 

Es gibt Filme, die so unerwartet passieren, dass sie sich anfühlen wie Nachwirkungen eines Unfalls. Wie der plötzliche Todesfall eines jungen Prominenten. Oder wie die Sichtung eines seltenen Tieres beim Hiken in den Wäldern. Das sind Dinge, einfach nicht berechenbar. Genauso wenig wie Foxtrot. Das mit dem Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig 2017 ausgezeichnete Werk zählt für mich zu den kuriosesten und kontroversesten Filmen der letzten Zeit. Foxtrot ist ein Kunststück, das man als Künstler erst wagen muss, mit diesem Wagnis aber letzten Endes das Medium des Kinos so dermaßen bereichert, dass es einfach gar nicht anders kommen kann, damit auch auf Widerstand zu stoßen. Und der war deutlich genug. Denn was der Israeli Samuel Maoz mit seinem irritierenden Film da von der Leine lässt, ist nicht unbedingt leicht zu verstehen, bleibt genauso schwer im Magen liegen wie es seltsam unterhält. Doch ist die Intensität von Foxtrot nicht wie bleiernes Betroffenheitskino ein ungelenkes Vehikel. Ganz im Gegenteil: Maoz hat womöglich schon im Vorfeld das Genre des Antikriegsfilmes studiert, er kennt womöglich die Werke von Sam Mendes (Jarhead), Innaritu oder Robert Altman (M.A.S.H.), er holt sich Inspiration, ganz sicher. Er hat auch womöglich selbst so Einiges beobachtet, in seinem eigenen Land. Und fügt all diese Notizen seiner Recherche mit seiner Sicht auf einen stagnierenden Krieg zusammen, wie Post-its auf einer Poetry-Wall, die Unterschiedliches erzählen. Betroffenmachendes, Humorvolles – oder völlig irren Symbolismus.

Samuel Maoz hat dafür sehr viel Kritik einstecken müssen. Ein Nestbeschmutzer, einer, der Lügen verbreitet über die israelische Armee, ein Feind im eigenen Land. So wie seinerzeit Thomas Bernhardt über die politische Grundgesinnung Österreichs. Dass Foxtrot zum Teil auch im übertragenen Sinne zu verstehen ist, dass diese in drei Segmente geteilte Komposition viel mehr will als den absurden Alltag eines Krieges und deren Folgen zu beweinen, muss denen, die sich händeringend echauffiert haben, wohl entgangen sein. Kann auch gut sein, kann ich sogar auch nachvollziehen. Foxtrot lädt nicht zu einem Stelldichein vertrauter Normen. Er sprengt sie, verwirrt und rückt so nah an das Geschehen eines Verlustes, dass es schmerzt. Den Tod seines Sohnes Jonathan an der Front muss Vater Michael erst mal realisieren, während die Mutter nach einem Ohnmachtsanfall sädiert im Bett liegt. Die Kamera kreist dabei virtuos um einen in Schockstarre befindlichen Ist-Zustand, um eine ausgelöschte Norm des Alltags. Close Ups wechselm mit Totalen von oben, sie zeigen einen völlig orientierungslosen Mann, der sich selbst quält, um den Schmerz zu lindern. Zugegeben, das zu ertragen ist für den Zuseher nicht gerade ein Honiglecken. Irgendwann kommt die Verwandtschaft, auch sie am Boden zerstört. Das Begräbnis wird geplant, ein Schicksalsschlag, einfach entsetzlich. Bevor man allerdings kurz davor ist, sich zu entschließen, dieses Drama nicht mehr weiter zu verfolgen, erlaubt sich der Film eine radikale Wendung. Und wir finden uns in der Wüste wieder, am Checkpoint Foxtrot.

Was dann passiert, muss man gesehen haben. Und jedes weitere Wort würde diesen wilden Ritt nur zähmen. Erstaunlich, welch unterschiedliche Färbung Maoz seinen Puzzleteilen verpasst, welchen unterschiedlichen Rhythmus und welche Zugkraft. Und wie das ganze miteinander verflochten ist. Die große Frage von Schuld ist dabei eine, die das Zerrbild eines dem Alltag inhärenten Säbelrasselns durchzieht, und sie manifestiert sich in vielerlei Gestalt. Sowohl als Blutzoll, schlechtes Gewissen oder dem Delegieren von Verantwortung. Die Ernte davon: ausgleichende Gerechtigkeit oder kompromissloser Wille zu einem die ganze Existenz durchdringenden Gleichgewicht, dem keiner entkommen kann. Wie die Waagschalen in einem Krieg, der seine Beteiligten nur noch in abgestumpfter Wachsamkeit vorfindet und erst wieder mit getriggerten Provokationen für tauglich erklärt. Jenseits des Krieges aber warten ganz andere Schicksale, die noch schwerer zu fassen sind als das Menschengemachte. Foxtrot leuchtet dieses verschachtelte Gefüge aus, wie der Suchscheinwerfer all jene, die den Checkpoint Foxtrot passieren wollen. Ganz normale Menschen, die nichts anders wollen als nach Hause kommen. Und manchmal auch ein Kamel, wie die entrückte Vision einer trottenden Gleichmut, die von der Zukunft weiß.

Foxtrot