Tron: Ares (2025)

DIE 29-MINUTEN-REGEL

6,5/10


© 2025 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: JOACHIM RØNNING

DREHBUCH: JESSE WIGUTOW, DAVID DIGILIO

KAMERA: JEFF CRONENWETH

CAST: JARED LETO, GRETA LEE, EVAN PETERS, JODIE TURNER-SMITH, HASAN MINHAJ, GILLIAN ANDERSON, JEFF BRIDGES, CAMERON MONAGHAN, SARAH DESJARDINS U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Wie soll man sich Künstliche Intelligenz nun vorstellen? Oberstes Gebot, welches wöchentlich in mahnenden Essays zu lesen ist: Nur nicht vermenschlichen! Denn diese Art des künstlichen Denkens schafft es lediglich nur, Erlerntes und Trainiertes zu kombinieren; all die Erfahrungen, die der Mensch im Netz je geteilt hat, als Algorithmus nachzuinterpretieren, Regeln zu finden und diese dann mit den von uns eingegebenen Botschaften, kurz genannt Prompts, in Gleichklang zu bringen. Das macht es anhand von Tokens, Bausteinen sozusagen, die unsere Sätze in Bruchstücke gliedert und einen gemeinsamen Nenner herausliest. Mit Intelligenz hat das dann letztlich weniger zu tun, sondern eher mit einem riesengroßen Memory – und ja, das, worüber wir so verblüfft sind, ist einfach nur gut im Erinnern.

Schnell, bevor’s zusammenbricht

Schöner wärs allerdings – und vom Narrativ her einfach auch abenteuerlicher – wenn unser Chat GPT, Gemini oder Claude – oder wie diese mittlerweile gefühlt tausendfach zur Verfügung stehenden Tools alle heißen – genau so aussehen würden wie Jared Leto. Das wäre es doch, oder? Laut Tron: Ares verhält es sich so. Hier wird die Perspektive umgekehrt, wir blicken hinter den Vorhang der Wunder, die uns das Leben so leicht machen, auf ein Pendant zu unserer urbanen Welt; auf ein Metropolis aus Nullen und Einsen, dargestellt als architektonische High-Tech-Eskapade vor dramatischem Himmel. Hoch oben über allem, in einem stilistischen letzten Schrei von Interieur-Design, das wohl sehr schnell wieder überholt sein wird, wartet Ares – der Kriegsgott der virtuellen Welt – auf seine Instruktionen. Diese kommen von außerhalb, dort wo wir sind, und erscheinen auf der anderen Seite als großes, dröhnendes, herrisches Diktatorengesicht, das sagt, wo es langgeht. Ares führt, ohne viel zu hinterfragen, alles schön brav aus, so wie er es gelernt hat. Und noch etwas gelingt ihn: Diesmal ist es möglich, dass sich ein intelligentes Programm in der unseren, realen Welt (die laut jüngsten mathematischen Erkenntnissen nicht so wie in Matrix eine Simulation sein kann, mehr dazu hier) manifestiert. Allerdings – und jetzt kommt die Pointe, an welcher sich der gesamte Film schließlich aufhängt: nur 29 Minuten. Danach fällt alles, was aus dem 3D-Drucker kommt, wieder in sich zusammen und verpufft. Das ist für den Rüstungsgiganten Dillinger (dessen Großvater im 80er-Knüller Tron schon als Antagonist zu sehen war, nur kaum jemand kann sich erinnern) eine Hürde, die es mit allen Mitteln zu überwinden gilt. Leicht wäre das zu bewerkstelligen, wenn dieser nur an den sogenannten Persistenzcode kommen könnte, den das Konkurrenzunternehmen ENCOM mit Superwissenschaftlerin Eve Kim (Greta Lee, Past Lives) kurz davor steht, zu entdecken. Das geht schließlich nur mit unlauteren Mitteln, und so setzt Dillinger Jared Leto auf die Guten an, die sich logischerweise nicht in Schwarzrot präsentieren, sondern in vertrauensvollem Türkisblau – eine Farbe, die einfach nicht böse sein kann.

Disneyland-KI fürs Auge

Das Filmmagazin cinema wirft Tron: Ares des weiteren vor, um einen Plot zu kreisen, den ein KI-Tool hätte erstellen können, und zwar in Windeseile, weil Effizienz ist das neue Schwarz. Aus meiner Sicht bietet der dritte Teil, der nur so tut, als würde er sich bemühen, die Brücke zu den Vorgängern zu schlagen, weitaus besseren Stoff als so manch anderes im Genre der Action oder der Science-Fiction. Aus der 29-Minuten-Hürde lässt sich in der Tat einiges herumbauen. Joachim Rønning weiß das und inszeniert ein unschlagbar naives Bilderbuch über einen technosozialen Paradigmenwechsel, der nur peripher mit dem zu tun hat, worin wir selbst gerade stecken. Statt Statt kritischer Blicke auf die Büchse der Pandora bietet Tron: Ares sympathischen Eskapismus und will viel eher als zeitgeistige Design-Revue mit ordentlich Drive verstanden wissen als in den Reigen der Black Mirror-Albträume aufgenommen zu werden.

Vergesst nicht, wir haben es hier mit Disney zu tun, Disney arbeitet mit simplen Parametern und Formeln, allerdings ist der Konzern ausgeschlafen genug, um die Rezeptur mit Fachexpertise umzusetzen. Während der Sound von Nine Inch Nails ordentlich fetzt, bietet Tron: Ares eine von den Settings bis zu den Kostümen durchgestylte Welt, in der Designer aller Couleur sichtlich ihr Bestes gegeben haben. Tron: Ares ist auch ausschließlich dafür gemacht, zwei Stunden Popcornkino zu liefern, das nicht den Faktor KI verteufelt, sondern nur den, der sie anwendet. Das Willkommensklatschen eines künstlichen Bewusstseins in unseren Kreisen der sterblichen Biomasse ist somit laut und freundlich. Nach nicht mal 29 Minuten hat man längst Platz gefunden in einer Zukunft, die niemanden etwas wegnimmt, und daher auch niemals real sein kann. Als LLM-Illusion für Dummies aber, und da zähle ich mich mindestens spielfilmlang dazu, hat alles seine moralische, aber vorurteilsfreie Ordnung.

Tron: Ares (2025)

Past Lives (2023)

LEBENSMENSCHEN UND IHRE BEDEUTUNG

7/10


pastlives© 2023 Twenty Years Rights LLC


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: CELINE SONG

CAST: GRETA LEE, TEO YOO, JOHN MAGARO, MOON SEUNG-AH, LEEM SEUNG-MIN, ISAAC POWELL, JI HYE YOON U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Du entschuldige, i kenn di… Das ist der Titel eines Austropop-Klassikers aus den Achtzigern, vorgetragen von Peter Cornelius und bis heute sowohl zeitlos als auch ein Kind seiner Zeit. Darin beschreibt der Singer/Songwriter das zufällige Zusammentreffen seiner selbst mit einer lange Zeit aus den Augen verlorenen Jugendliebe. Jetzt, viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte später, springt der Funke nun endlich über und die Chance, ein Paar zu werden, rückt in greifbare Nähe.

Eine ähnliche Geschichte beschreibt Celine Songs Freundschafts- und Beziehungsdrama, nur an ganz anderen Orten, zu einer ganz anderen Zeit und über rund 24 Jahre hinweg. Das wiederum klingt episch – ist es aber nicht. Denn Celine Song pickt sich aus ihrer fast schon eine ganze Generation umspannenden Romanze genau jene Schlüsselszenen heraus, die erforderlich sind dafür, eine kompakte, kleine, komprimierte Geschichte zu erzählen, ohne dabei aber deren Bedeutung dahinter ebenfalls zu stutzen: Das Gefühl, jemanden aus den Augen zu verlieren und wiederzufinden, bestimmt die Wahrnehmung und das Denken von Exil-Koreanerin Nora, vormals als Young Na in Seoul aufgewachsen und dick befreundet gewesen mit dem Jungen Hae Sung. Der hat sich damals, im Alter von zwölf Jahren, überhaupt gar nicht so richtig von seiner Jugendliebe verabschieden können. Plötzlich war sie weg gewesen, zog mit ihren Eltern nach Kanada. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Wie durch Zufall finden beide zumindest wieder über Skype zueinander. Eine kuriose Situation, man hat sich viel zu erzählen, und da ist plötzlich noch mehr, als Nora lieb ist. Dieses Gefühl des Zueinander-Gehörens beruht letztlich auf Gegenseitigkeit, doch das nun zur jungen Frau herangereifte Mädchen von damals hat nun andere Pläne und Ziele, ist also ein anderer Mensch geworden. Einen Platz in ihrem Herzen für den Jungen aus Korea? Darf es den geben? Oder ist das nur die Sehnsucht nach einer zurückgelassenen Heimat und einer Kindheit, die in einem früheren Leben passiert ist?

Beide scheinen zwar nicht schlaflos in Seattle, aber schlaflos in New York oder Seoul zu sein. Beide ergründen auf ihre Art das Konzept des In-Yun, die koreanische Begrifflichkeit von Schicksal und Bestimmung, die wiederum auf Begegnungen aus früheren Leben fußt. Celine Song ist dabei eine Könnerin, wenn es darum geht, eine entkitschte Romanze zu erzählen, die eigentlich gar keine ist. Die Geschichte einer Freundschaft zu erzählen, die Past Lives genauso wenig sein will. Irgendwo dazwischen, in einer staaten- wie zeitlosen Transitzone, treffen die Gedanken und Gefühle der beiden aufeinander, nur erkennbar durch lange, intensive Blicke, die den jeweils anderen zu ergründen versuchen. Song inszeniert sehr viel zwischen den Zeilen, lässt all den unnötigen Firlefanz, der nun mal in diesem Genre Fuß fassen will, außen vor. Und wenn nicht, definiert sie zum Beispiel die Rolle des amerikanischen Ehemanns insofern um, dass dieser, statt nur einen notwendigen Wendepunkt zu verkörpern, an welchem sich die beiden Hauptcharaktere aufreiben, plötzlich selbst ins Zentrum rückt – als empfindsame, gar nicht stereotype, liebende Figur, durch die ein loses Dreieck entsteht, deren Kanten in Wechselwirkung zueinanderstehen.

Ein mustergültiges Psychogramm ist Past Lives geworden, ohne sich dabei anzumaßen, Lösungen zu finden. All diese Stimmungen füllen eine im Grunde recht überschaubare Geschichte, die anderswo vielleicht zum Epilog gereichen würde. Die anderswo vielleicht nur Teil eines größeren, vielleicht wieder schwülstigen Melodrams geworden wäre. Wer genug Geduld hat, und weiß, wie es sich anfühlt, dem unwiderbringbar Vergangenen nachzuhängen und sich dabei auszumalen, wie es anders hätte laufen können – der bekommt einen leisen, gewissenhaft beobachteten Film geboten, welcher sich die Zeit nimmt, die er braucht, um dann, ganz intuitiv, zum Ende eines emotional verwirrenden Lebensabschnitts zu gelangen.

Past Lives (2023)

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)

HIERARCHIEN IM SPINNENNEST

6,5/10


spider-man_acrossthespiderverse© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JOAQUIM DOS SANTOS, KEMP POWERS, JUSTIN K. THOMPSON

DREHBUCH: PHIL LORD, CHRISTOPHER MILLER, DAVID CALLAHAM

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL):  SHAMEIK MOORE, HAILEE STEINFELD, JAKE JOHNSON, OSCAR ISAAC, ISSA RAE, DANIEL KALUUYA, KARAN SONI, GRETA LEE, JASON SCHWARTZMAN, BRIAN TYREE HENRY, SHEA WIGHAM U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN


Ob Marvel oder DC – die weltgrößten Comic-Franchises mussten sich einfach irgendwann mit dem Clou der Multiversum-Theorie auseinandersetzen, um genügend frischen Wind in die Denk- und Zeichenstudios wehen zu lassen; um genügend Stoff zu lukrieren, damit die guten alten Helden niemals sterben müssen. Das Multiversum bietet vieles – ungeahnte Möglichkeiten, zahlreiche Welten, viele viele Alternativen. Und ein Ende ist nicht absehbar. Ja, sie haben es sich gerichtet – Marvel und DC.

Von einem Multiversum ins nächste zu hirschen besagt aber nicht, auch mit der Zeit herumzuspielen. Zumindest nicht zwingend. Der gute Loki, nordischer Gott des Schabernacks, hielt sich in gleichnamiger Serie nicht nur in diversen Nachbardimensionen auf, er beehrte auch längst vergangene Zeiten, um sich hinter lokalen Apokalypsen wie dem Unglück von Pompeij vor der TVA zu verstecken. Spider-Man Miles Morales tut das nicht, auch nicht Peter Parker in den Live Act Filmen, obwohl er vorgehabt hat, mithilfe von Dr. Strange genau das zu tun: Die Welt vergessen zu lassen, welche Identität hinter der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft steht (siehe Spider-Man: No Way Home). In beiden Fällen überlappen sich allerdings die Dimensionen, und wir, gemeinsam mit den Spider-Mens, kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie viele Alternativen es von der eigenen Realität nur geben kann.

Das Konzept dahinter ist ja schön und gut. Und bietet eine gigantische Bühne für skurrile bis groteske Erscheinungsformen, absurden Konstellationen und unbegrenzten Möglichkeiten. Wie lange aber lässt sich diese reizvolle Idee noch interpretieren, damit das Publikum immer noch staunen kann? Wie lange lässt sich damit noch herumspielen, ohne dass sich so mancher Twist wiederholt oder die gesetzten Pointen auf der Stelle treten? DC fängt mit seinem Multiversum rund um Flash, basierend auf dem Comic Flashpoint, gerade erst an. Marvel hat da schon einige Kilometer hinter sich. Und hängt mit dem Sequel zu Spider Man: A New Universe noch ganz viel Spider-Versen hintendran. Es eröffnen sich in diesem mit über zwei Stunden Spielzeit auffallend und deutlich zu langen Animationsabenteuer Welten über Welten, in denen Spinnenmänner, -frauen und sonstige Kreaturen die Rollen von Morales oder Parker einnehmen. Ist schließlich vielfältig und kurios und auch sehr unterhaltsam, das alles zu sehen. Dabei ist es gut, im Kinosaal entsprechend weit hinten zu sitzen, um die Farb- und Stilkaskaden eines ausufernden Comic-Tornados auch wirklich in seinem Variantenreichtum aufnehmen zu können. Das Auge ermüdet dabei schnell, kalmierende Sequenzen rund um innerfamiliäre Probleme der Superheldinnen und -helden sorgen für die Eindämmung gnadenloser Reizüberflutung und bringen den Ausgleich. Obwohl weder das eine noch das andere niemals etwas ist, was neue Impulse bringt.

Überraschend wenig lassen sich Phil Lord, Christopher Miller und David Callahan zum Thema Multiversum einfallen. Außer dass es viele Versionen vom gleichen gibt. Die Stärken von Spider-Man: Across the Spider-Verse liegen also keinesfalls im diesmaligen Plot, der den quantentechnisch ziemlich zerlegten Wissenschaftler Jonathan Ohnn als Antagonisten ins Zentrum stellt, der als Spot zum im wahrsten Sinne des Wortes unfassbaren Verbrecher mutiert, der Löcher schafft, wo keine sind. Die Stärke liegt zweifelsohne in der Charakterisierung von Miles Morales, der im Laufe seiner unglaublichen Reise zu einem ernstzunehmenden jungen Erwachsenen heranreift, der den Weltenwahnsinn zu verstehen versucht.

Schon wieder Coming of Age? Im Grunde haben wir das alles schon durch: Eltern, die keinen Schimmer davon haben, was ihre Kids anstellen, und diese wiederum aufgrund ihrer Geheimnistuerei den Draht zu ihnen verlieren, Wen wundert’s – und wen überrascht auch noch das innerfamiliäre Pathos, das die USA so sehr so oft und immer wieder ähnlich aufs Neue aufwärmt. Im Marvel-Kosmos ist hinsichtlich dessen schon alles gesagt, und dennoch verstehen es die Macher nur zu gut, das Ganze nochmal so aufzubereiten, dass man gerne hinhört und mit Spannung darauf wartet, ob Morales nun die Karten auf den Tisch legt oder nicht.

Mit weniger Spannung verwöhnt uns der schnell und schwungvoll geschnittene Streifen mit Sprung-, Flug- und akrobatischer Sequenzen, die je nach Dimension in einen anderen Animationsstil eintauchen. Der Mix daraus ist unvermeidlich, die Übersicht dabei zu behalten eine Challenge. Mir als Grafiker gefällt natürlich, was ich da sehe – all die lebendig gewordenen Panels, hinterlegt mit den Dots charakteristischer Siebdruckraster. Versetzte Farbkanäle im Hintergrund erzeugen Unschärfe und folglich Tiefe; nichts bleibt hier flach. Und je mehr all die multiuniversalen Spinnen hin und her huschen und sich selbst überholen, je eher nähert sich das Ende eines halben Abenteuers. Der Cliffhanger ist enorm, doch keine Sorge: Im März nächsten Jahres startet Spider-Man: Beyond the Spider-Verse. Bis dahin werde ich vermutlich alle Details wieder vergessen haben. Manches wird in Erinnerung bleiben. Wie im ersten Teil das Schwein. Hier im zweiten Teil ist es vielleicht der Dino.

Spider-Man: Across the Spider-Verse (2023)