Rubikon

DA BRAUT SICH WAS ZUSAMMEN

6/10


rubikon© 2022 Filmladen


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

REGIE: LENI LAURITSCH

BUCH: LENI LAURITSCH & JESSICA LIND

CAST: JULIA FRANZ RICHTER, GEORGE BLAGDEN, MARK IVANIR, NICHOLAS MONU, KONSTANTIN FROLOV, LJUBISA GRUICIC, JONAS GERZABEK, HANNAH RANG U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Es gibt ihn also doch, den Genrefilm inmitten der österreichischen Filmlandschaft. Doch man muss ganz genau schauen, um ihn zu entdecken. Das ist wie beim Pilzesuchen in einem Wald voller Farne. Irgendwo leuchtet etwas Gelbes hindurch – eine Besonderheit, die später auf den Tisch kommt. Oder ins Kino. Wie eben einer von nur ganz wenigen Science-Fiction-Filmen, für welches sich der Filmfonds Austria und das Österreichische Filminstitut durchgerungen haben, Geld zu investieren.

Die letzte Zukunftsvision, die hierzulande produziert wurde, war The Trouble with Being Born – Androiden ersetzen verschwundene oder verstorbene Personen. Alles recht kunstvoll, recht sperrig, fast schon wie das obligate Betroffenheitskino, doch das gewisse Etwas hatte der Streifen von Sandra Wollner dennoch. Wäre der Film ebenfalls gesponsert worden, wenn er sich nicht so dermaßen als Kopfkino etabliert hätte? Wenn er gefälliger gewesen wäre? Eine einfachere Sprache gehabt hätte? Wenn er sich mehr an westliche Produktionen orientiert hätte wie eben Rubikon? Bei diesem hier wurde eine Ausnahme gemacht, und das vermutlich deshalb, weil Rubikon sich nicht als klaustrophobischer Science-Fiction-Horror vermarkten lassen will wie Alien, Life oder The Cloverfield Paradox, die alle ein ähnliches Grundsetting haben. Sondern weil sich Leni Lauritsch mit etwas sehr Brisantem beschäftigt, und zwar mit dem ökologischen Notstand unseres Planeten. Und nicht nur mit diesem. Nebst der Klimakrise ist das zukünftige Resultat der momentanen Teuerungswelle und der eskalierenden Gier nach Profit die Auflösung aller Staaten und die Aufteilung aller Landmassen in von Konzernen kontrollierten Gebieten, die noch dazu untereinander Krieg führen. Irgendwie ist in dieser Vision des Jahres 2056 alles im Argen, und von oben, aus dem Orbit, blicken eine Handvoll Astronauten auf die Erde hinab, die derweil noch so aussieht wie sie es immer vom Weltraum aus tut. Friedlich, mit Lichtern gesprenkelt, umsponnen von weißen Wolken. Ein Anblick, den die Besatzung der Raumstation Rubikon jeden Umlauf lang genießen kann, wenn sie gerade mal nicht damit beschäftigt ist, eine Methode zu finden, um anhand von Algen gesunde, saubere Luft zu erzeugen. Die Lösung für alle Probleme.

Doch dann wird’s finster – zumindest auf der Erde. Schmutzigbraune Wolkenbänke schieben sich flächendeckend über den Globus, und es scheint, als wäre das Ende der Menschheit nah. Wie lange noch lässt es sich im Weltraum überleben? Oder sollen alle zurück auf die Erde, mitsamt dem Grünzeug im Schlepptau, um frische Luft in die Apokalypse zu bringen? Eine Gewissenfrage, die jede und jeder der dreiköpfigen Besatzung für sich allein beantworten muss, und deren Antwort nicht unbedingt konform geht mit jener des jeweils anderen. Es entspinnt sich also ein Konflikt aus Für und Wider, aus Trotz und Menschenverstand. Aus Eigennutz und Altruismus. Leni Lauritsch hat hier einige Kernfragen aufs Tapet gebracht – und noch gleich allerhand Leute mit ins Filmteam geholt, die einiges von ihrer Arbeit verstehen. So wirkt Rubikon von vorne bis hinten professionell getrickst, auch wenn wir die paar wenigen Weltraumszenen anderswo schon zur Genüge kennen, uns aber daran womöglich nie sattsehen werden. Das Set Design wirkt nicht billig, für Stimmung sorgen die obligaten engen Gänge, das indirekte Licht und die Einsamkeit des Astronauten vor der Entscheidung, die Menschheit zu retten oder im Stich zu lassen.

Von der Antwort auf diese Frage hängt alles ab. Damit scheint Rubikon als formschönes und exzellent fotografiertes Kammerspiel aber manchmal zu beiläufig umzugehen. Die extreme Situation fordert extreme Handlungen, und dennoch scheint aus psychologischer Sicht mancher Text zu einstudiert, um wirklich den emotionalen Stress im Kopf der Überlebenden zu unterstreichen. Um diese Situation nicht zu gemächlich werden zu lassen, dafür bemühen sich Julia Franz Richter (Der Taucher, Undine) und Co mit sichtlichem Engagement, und nur sehr selten rutschen ihre Intonationen auf dialektgefärbtes Fernsehfilmniveau ab. Lauritsch orientiert sich überdies an Genrebeiträgen aus anderen Ländern, um die Situation in ihrem Film ähnlich nachzuspielen, so zum Beispiel an Joe Pennas Stowaway – Blinder Passagier. Hier allerdings ist die Ausgangssituation etwas anders positioniert: Wo die Luft in Rubikon eine Mindestzahl an Sauerstoffatmern benötigt, um den nötigen Gasaustausch zu gewährleisten, sind es in Stowaway eben zu viele. Auch hier: ein Dilemma entsteht, welches alle Beteiligten an ihre Grundsatzfragen bringt.

Rubikon gelingt besser. Die Dringlichkeit des Ganzen mag zwar nicht ganz so überzeugen, die Prämisse am Ende des Films führt sowieso alles ad absurdum, doch als etwas anderer Beitrag zum österreichischen Film, der vielleicht noch andere Macher ihrer Zunft ermutigt, es ihm in dieser Richtung gleichzutun, ist Rubikon ein achtbares Stück Profi-Handwerk.

Rubikon

The Last Journey – Die letzte Reise der Menschheit

DA KOMMT WAS GROSSES AUF UNS ZU

5/10


thelastjourney© 2021 Tandem Films


LAND / JAHR: FRANKREICH 2021

BUCH / REGIE: ROMAIN QUIROT

CAST: HUGO BECKER, LYA OUSSADIT-LESSERT, PAUL HAMY, JEAN RENO, BRUNO LOCHET U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Und damit ist nicht Roland Emmerichs neuer Blockbuster gemeint (der mittlerweile schon im US-Boxoffice hinter den Erwartungen liegt). Sondern vielmehr eine ausstattungstechnisch recht verspielte Independent-Produktion aus Frankreich, die als schauspielerischen Support zumindest so jemanden wie Jean Reno verpflichten konnte. Einst als Leon eine Offenbarung, ist der Charakterdarsteller mittlerweile recht austauschbar geworden und zumindest mimisch gesehen so variantenreich wie Bruce Willis. Doch das macht nichts, viel Einfluss hat Reno hier ohnehin nicht – so wie fast die ganze Menschheit, die zusehen muss, wie ein fremder Himmelskörper, der zumindest genug Rohstoffe birgt, um das globale Energieproblem zu lösen, auf Terra zusteuert. Das ist natürlich gar nicht gut, und womöglich liegt der Zorn des roten Planeten darin, dass Homo sapiens, der ohnehin nichts anderes kann als fremden Boden auszubeuten, auch das gleiche mit ihm getan hat. Die Folge: Die Erde ist trockengelegt, Zentraleuropa eine Wüste. Und sobald irgendwo ein desolater Eiffelturm herumliegt, wird allen klar: Hier wütet die Endzeit. Die herrlich fruchtbare Heimat von Wein und Käse, durch die man sich sonst wie Gott in Frankreich fühlt, ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Und in dieser landschaftlichen Enttäuschung versucht gerade derjenige, der das Schicksal des Planeten als einziger noch abwenden kann, vor dem Rest der Welt zu fliehen.

Da bleibt Paul, wie er sich nennt, nicht lang allein, denn im Niemandsland gabelt er ein burschikoses Mädel auf, dass fortan an seiner Seite klebt. Jetzt sind beide auf der Flucht – nicht nur vor des Auserwählten Bruder, der paranormale Fähigkeiten besitzt, sondern auch vor kriegerischen „Judge Dredds“, die in ihren kessen Piratenoutfits mit Helm und künstlich verfremdeten Stimmen so manchen Wüstenfuchs aus Star Wars alle Ehre machen würden. In dieser phantastischen Aufmachung wirken die schwadronierenden Ordnungshüter etwas deplaziert und man wird dabei das Gefühl nicht los, gar nicht mal wirklich auf der Erde zu sein. Stets prangt das rote Rund am Firmament, der orange Staub dringt in jede Ecke des Bildschirms. Im Grunde ein nett ausgestattetes Szenario, dass zwar die ganze Welt tangiert, doch eigentlich recht lokal wirkt. Als wär‘s ein kleiner Film über ganz private Probleme. Und da der Hauptdarsteller noch dazu in eitler Unnahbarkeit durch die Gegend irrt, fühlt man sich mit seinem Schicksal nur schwer verbunden. Viel eher öffnet sich Mädel Elma (Lya Oussadit-Lessert), die sehr an die Schauspielerin Alicia Vikander erinnert. Ihr Klammern an einen Strohhalm der Hoffnung findet am Ende eine nette Metapher – sonst aber hinterlässt das Science-Fiction Drama auffallend wenig Eindruck. Wohl deswegen, weil in knapp 90 Minuten viel zu viele Themen und Meta-Ebenen, und als wäre das nicht schon genug, auch zwei Timelines miteinander zurechtkommen müssen. Am Ende ist sich die Ambition selbst im Weg.

The Last Journey – Die letzte Reise der Menschheit

Mother/Android

BLINDE KUH MIT ROBOTERN

4/10


motherandroid© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: MATTSON TOMLIN

CAST: CHLOË GRACE MORETZ, ALGEE SMITH, RAÚL CASTILLO, TAMARA HICKEY, OWEN BURKE U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Deswegen, genau deswegen, ist Kyle Reese in Terminator via Zeitreise in das Amerika der 80er Jahre zurückgekehrt: um zu verhindern, was später passieren wird. Aus Liebe zu Sarah Connor ging dann besagter John hervor, der dann die Menschheit gegen die Maschinen anführen wird. Zumindest in der Timeline, die sich gegen James Cameron stellt. Diese Rebellion spezieller Technik findet auch in dem auf Netflix erschienenen dystopischen Science-Fiction-Film Mother/Android seine Anhänger – und zwar sind das eins zu eins dem menschlichen Erscheinungsbild nachempfundene Androiden, die zur Dienerschaft konstruiert worden sind. Was muss so eine Einheit wert sein? Und in welcher Welt lebt Chloë Grace Moretz als schwangere Georgia, in der Reichtum anscheinend die Geißel des Planeten ist, weil es anscheinend keine ärmere Mittelschicht mehr gibt, die sich stromgetriebene Aushilfen wie diese gar nicht leisten kann?

Damit die Welt unter der Bedrohung einer wild gewordenen KI erst so richtig leidet, müssten ungemein viele dieser Roboter im Umlauf gewesen sein. Diese, so wird erwähnt, sind alles andere als wohlfeil, also man muss schon einiges springen lassen, um sich sowas leisten zu können. In dieser Zukunft dürfte ein jeder immens viel Mammon besitzen. Was aber wiederum dazu führt, dass diese Welt, in der Georgia lebt, unter einer gewaltigen Inflation hätte leiden müssen. Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendwie passt die Ausgangssituation dieses Films hinten und vorne nicht zusammen. Anders bei Terminator: hier ist ein gewaltiges Computersystem am Werk, das die globale Elektromechanik als Skynet unter seiner Fuchtel hat. In Mother/Android sind es im Grunde wildgewordene Einheiten, die durch den Wald pirschen wie Zombies mit Augen, die in bestimmten Winkeln des einstrahlenden Lichts blau erstrahlen. Das tun sie aber nicht immer. Selbst in der Animationskomödie Die Mitchells gegen die Maschinen, wo es natürlich komödiantischer und familientauglicher einhergeht, ist die narrative Basis der folgenden Abenteuer um einiges plausibler.

Über den Inhalt zu Mother/Android muss man gar nicht viel schreiben – es ist ein „Rennet, rettet, flüchtet“. Mittendrin Moretz im neunten Monat, und man glaub ihr auch gerne, dass sie so ihre physischen Handicaps hat. Als Georgia ist sie gemeinsam mit ihrem Freund und Vater des Kindes Richtung Boston unterwegs, wo es ein Refugium für Familien geben soll, gut geschützt vor der wütenden Techno-Meute. Der Weg dorthin ist mit gängigen Endzeit-Takes gepflastert, und im letzten Drittel schlägt der Krieg zwischen Mensch und Maschine so gewaltige Logiklöcher in die Landschaft, dass das anfängliche Problem, eine nachvollziehbare Grunddystopie zu setzen, geradezu marginal erscheint. Regisseur Mattson Tomlin (Project Power) dürfte um jeden Preis dorthin gelangen wollen, wo er am Ende sein will – bei einem an Children of Men erinnernden, pathetischen Finale, das von Moretz aber dank ihres emotionalen Spiels als der beste Moment des ganzen Films gerettet werden kann.

Mother/Android

Save Yourselves!

INVASION DER FLAUSCHIS

5,5/10


saveyourselves© 2020 Bleecker Street


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: ALEX HUSTON FISHER & ELEONOR WILSON

CAST: SUNITA MANI, JOHN PAUL REYNOLDS, JOHN EARLY, JO FIRESTONE U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Wenn irgendetwas mit Fell die Absicht hat, fremde Welten zu erobern, wird es generell mal unterschätzt. Star Trek-Fans wissen, dass Kirk und Co die legendären Tribbles anfangs für harmlos hielten, bis sie sich ungebremst vermehrten. Oder die dauergrinsenden Critters. Im Grunde niedliche kleine Flauschkugeln, die aber nur eines im Sinn hatten: Fressen! Selbst die Ewoks aus Star Wars wurden unterschätzt, vor allem ihr Appetit auf Menschenfleisch, den nur ein goldener Roboter zügeln konnte. Was Fell hat, kann sich also gut hinter seinem Kinderzimmer-Stofftier-Klischee tarnen. Auch in diesem kleinen Independetfilm, der auf Sky seine Premiere hatte, sind mit Plüsch überzogene Fellhocker nicht das, was sie vorgeben zu sein. Denn sie bewegen sich – und können gehörigen Schaden anrichten.

Auch wenn Save Yourselves! ganz eindeutig eine Science-Fiction-Komödie im Stile von Gremlins oder den eingangs erwähnten Critters in die Wege leitet, will das Regieduo Alex Huston Fischer und Eleonor Wilson zusätzlich auch noch etwas ganz anders erzählen. Oder etwas ganz anderes austeilen. Und zwar einen Seitenhieb auf unser ach so bequemes Zeitalter der immanenten Erreichbarkeit und der sozialen Medien. Um sich diesen Druck auf Facebook, Instagram und Twitter und wie sie alle heißen zu entziehen, plant ein junges Ehepaar nach einigen beruflichen Niederlagen einen Neuanfang. Den startet man am besten damit, zumindest mal eine Woche alle mobilen Gerätschaften abzuschalten und das Internet daheimzulassen. Eine Woche nur Analoges, keine Calls von außerhalb, keine Likes, keine Postings. Nur eine Hütte in der Natur, ein Buch und massig Zeit, um sich als Paar wieder näherzukommen. Was sie demzufolge nicht mitbekommen, ist die Invasion der Flauschis. Aber auch nur so lang, bis plötzlich ein Möbelstück im Wohnzimmer steht, das vorher nicht da war.

Als dialogstarke Beziehungskomödie funktioniert Save Yourselves! ganz gut. Sunita Mani und John Reynolds agieren sehr natürlich. Wie für einen zeitgeistigen Independentfilm üblich gönnt sich auch dieser sozialkritische Untertöne und spickt diese mit alltagsrelevanten, knackigen Gesprächen, deren Themen wir alle ganz gut nachvollziehen können. Sobald die unheimliche Begegnung der dritten Art aber unweigerlich ins Haus steht, wird’s etwas unentschlossen. Woran das liegt? Vielleicht, weil diese Fellbommel längst nicht so eine Reproduktionsrate haben wie die Tribbles. Weil sie theoretisch relativ leicht in den Griff zu kriegen wären – die Apokalypse aber dennoch droht. Das Augenscheinliche und das Kolportierte will nicht so ganz zusammenpassen. Und auch die Verzichts-Challenge mit den sozialen Medien ist irgendwann nicht mehr wichtig, dazu gibt´s auch sonst nichts mehr beizusteuern, außer vielleicht die Empfehlung, doch irgendwie immer erreichbar zu sein. Es könnten ja Dinge wie diese passieren. Und da wäre es gut, zu wissen, was in den Nachrichten steht. Und was, wenn nicht? Die Antwort darauf wäre vielleicht noch interessanter gewesen als die letztendlich entworfene Grundsituation.

Save Yourselves!

Land of Dreams

FÜHL‘ DICH WIE ZUHAUSE

6/10


landofdreams© 2021 Viennale – Vienna International Film Festival

LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: SHIRIN NESHAT, SHOJA AZARI

CAST: SHEILA VAND, MATT DILLON, WILLIAM MOSELEY, ANNA GUNN, CHRISTOPHER MCDONALD, ROBERT BARTLET, ISABELLA ROSSELLINI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 53 MIN


Erstmals ist es mir gelungen, einem Filmfestival beizuwohnen. Und zwar der diesjährigen Viennale, die Ende Oktober über die Leinwand ging. Höchste Zeit war das, denn Filme regulär oder im Rahmen einer speziellen Veranstaltung zu sehen, sind zweierlei Dinge, und letzteres eine bereichernde Erfahrung. Anders als mein lieber Kollege Filmkürbis, der zumeist mehr als ein Dutzend der gezeigten Filme wahrnehmen kann, bin ich schon froh, einen Nachmittag lang das Kino in einem anderen Kontext zu genießen. Noch dazu im Beisein zweier Gaststars wie der gebürtigen Iranerin Shirin Neshat und niemand Geringerem als Matt Dillon, die beide ihr jüngstes Werk Land of Dreams erklärten und auch für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung standen.

Dabei hätte die Fragestunde wohl bis in den Abend hineingehen müssen, um Land of Dreams wirklich verstehen zu wollen. Shirin Neshat, die für ihren für mich leider etwas zähen Women without Men 2009 den Silbernen Löwen gewann, lässt in ihrem Roadmovie auf der Suche nach den Träumen der amerikanischen Bevölkerung Ex-Vampirin Sheila Vand (A Girl Walks Home Alone at Night) bizarre Szenarien beobachten, bei denen der Verdacht aufkommt, es permanent mit einer vom Sandmännchen geleiteten Reise zu tun zu haben, in die natürlich sämtliche Eindrücke aus der realen Welt einwirken. Wie das eben so ist bei Träumen, die in ihrer Essenz nichts anderes als das Erlebte aus der Realität widerspiegeln und neu interpretieren. Und wenn wir schon beim Irrealen, aber nicht zwingend Surrealen sind, ist auch der Plot ganz klar einer, der sich dem Science-Fiction-Genre zuordnen lässt.

Denn hier, in diesem Amerika der nahen Zukunft, gibt es das sogenannte Census-Büro, dessen Aufgabe es ist, die Träume der Leute aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten aufzuzeichnen und zu dokumentieren – zu deren eigenen Sicherheit. Warum das so ist, wird man nie erfahren. Muss man auch nicht. Die Iranerin Simin, Census-Mitarbeiterin im Außendienst, macht ihre Arbeit gut, gibt sich allerdings auch einem höchst eigenwilligen Hobby hin, nämlich nach Feierabend in die Rollen all ihrer Interviewpartner zu schlüpfen. Davon weiß natürlich niemand was. Von ihrer Vorgesetzten (Breaking Bad-Star Anna Gunn) ob ihres Outputs gelobt, bekommt sie einen kniffligen Auftrag zugeteilt – und einen Bodyguard (eben Matt Dillon). Auf geht’s in die Wüste New Mexikos, wo angeblich eine iranische Kolonie versteckt sein soll.

Shirin Neshat und ihr Kameramann finden teils karge, teils üppige Bilder, die in ihrer Anordnung an die späteren Fotografien des deutsch-australischen Künstlers Helmut Newton oder an die Malereien Edward Hoppers erinnern. Insbesondere die Anfangsszene, in der Simin ein neureiches Ehepaar beim virtuellen Zeitvertreib stört, wirkt wie ein von Newton arrangiertes Setting. Das geht auch so weiter, und die bleiche Wüste, die einsame kleine Tankstelle oder die zerklüftete Architektur eines Künstlerateliers sind gleichsam futuristisch und die Metapher eines einsamen Amerikas, wo jeder mit seinen Träumen allein bleibt. Womöglich empfindet auch Shirin Neshat so. Womöglich sucht sie dieses Verlorene bei all jenen, die den Weg ihres autobiographischen Alter Egos Simin kreuzen, ebenfalls, um zumindest auf dieser Ebene einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das gestaltet sich sehr subjektiv, sehr assoziativ und höchst persönlich. Schwer, ohne Neshats persönlichen Kontext eine Antwort auf diesen Film zu finden. Aber das ist ungefähr so, wie die Träume eines anderen erklären zu wollen.

Land of Dreams

The Cage – Die letzten Überlebenden

MENSCHHEIT AUF BEWÄHRUNG

5/10


thecage© 2021 Ucm.One


LAND / JAHR: VENEZUELA 2017

REGIE: JOSE SALAVERRIA

CAST: KARINA VELASQUEZ, ANANDA TROCONIS, LEÓNIDAS URBINA U. A.

LÄNGE: 1 STD 26 MIN


Es gibt ihn, den Science-Fiction-Film aus Venezuela, waschecht aus südamerikanischen Landen. Um nicht zu sagen: Venezuelas erster und bislang einziger filmischer Blick in die unendlichen Weiten. Wer da nicht als Filmfan, der abseits des gängigen und vielbeworbenen Mainstreams herumkramt, diesen hier auf die Watchlist setzt, der hat von diesem Beitrag womöglich noch nie etwas gehört. Dabei eignet sich The Cage – Die letzten Überlebenden ideal für sämtliche Fantasy- und Science-Fiction-Festivals, die exotische Bringer wie diesen gerne ins Programm setzen. Doch womöglich passiert es, dass die Exklusivität der Herkunft die eigentliche Qualität des Films überschattet. Das Phänomen trifft auch hier zu, zumindest sieht man The Cage deutlich an, dass Autorenfilmer Jose Salaverria zwar viel Spaß an seiner Arbeit hatte, rundherum aber die Erfahrung dafür gefehlt hat, einen Streifen mit dem Content wie diesen nicht unbedingt aussehen zu lassen wie eine Telenovela.

Freunde von Filmen wie Quiet Earth – Das letzte Experiment finden an The Cage sicherlich Gefallen, denn dieser birgt einen ähnlichen Plot wie Geoff Murphys Last-Man-Vision. Während in Quiet Earth das Verschwinden der gesamten Menschheit hausgemacht zu sein scheint, fällt die Biomasse des Homo sapiens zumindest zu 99,9% der Invasion eines extraterrestrischen Raumschiffs zum Opfer. Einmal bitte lächeln – dann kommt der Blitz, und alle sind weg, so, als wären sie nie da gewesen. Ein Ehepaars überlebt, scheinbar auserwählt, denn die Unbekannten, die mit ihrem am Himmel schwebenden, schmucken Raumschiff das Landschaftsbild dominieren, wollen nicht, dass die Überlebenden zu Schaden kommen. Was also wollen sie noch? Kurze Zeit später taucht eine dritte Person auf, eine junge Frau. Somit haben wir – anders als in Quiet Earth – zwei Frauen und einen Mann. Eine Dreieckssituation, die sicher für Spannungen sorgen wird. Oder doch nicht?

Natürlich tut es das. Und da nehme ich wieder Bezug auf den geschmeidigen Rhythmus einer Telenovela, allerdings findet die vor einer innovativeren Kamera statt, die sich statt üblichen Studiotakes gerne an menschenleeren Orten umsieht. Salaverria zieht in einer ganz bestimmten Szene Vergleiche der tatsächlichen Umstände mit der Gesellschaftsstruktur eines Formicariums, einer Ameisenfarm – schon ahnen wir, worauf die Aliens eigentlich hinauswollen. Schon gelingt dem anfangs etwas ratlos abgefilmten Endzeitdrama die Bündelung seiner Ambitionen, etwas Kritisches zum globalen Status Quo beizutragen. Immer wieder jedoch überkommt den Machern diese flirrende Ratlosigkeit, die sich vor allem auch in der Wahl des Soundtracks niederschlägt, der mit allen möglichen Stilrichtungen, vorzugsweise mit preiswertem Synthie, atmosphärische Tendenzen abwürgt. 

Alles in allem gut gemeint, können noch so viele Raumschiffe am Firmament von der Luft nach oben nicht ablenken.

The Cage – Die letzten Überlebenden

Awake

NICHT GANZ AUSGESCHLAFEN

3,5/10


awake© 2021 Netflix


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: MARK RASO

CAST: GINA RODRIGUEZ, JENNIFER JASON LEIGH, BARRY PEPPER, ARIANA GREENBLATT, FINN JONES, GIL BELLOWS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 36 MIN


„Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“. Diese lässig dahingesagte Phrase höre ich immer wieder mal von Leuten, die – ich weiß nicht woher – unglaubliche Energien aufbringen, um zeitgleich auf mehreren Kirtagen zu sein. So ein Biorhythmus ist beneidenswert. Manche Menschen schaffen es ja auch tatsächlich ohne Schwierigkeiten, nach drei Stunden Schlaf bereits fit wie ein Turnschuh zu sein. Da fällt einem Koala vor lauter Schreck der Eukalyptus aus dem Maul. Dabei stellt sich die Frage, ob dieser Stolz, nicht schlafen zu brauchen, nicht die Kompensation eines frustrierenden Zustands ist. Denn Schlaf ist etwas Schönes. Ich will davon keine meiner acht Stunden missen. Schlaf ist nicht sinnlos. Durch Schlaf bleibt man zumindest gesellschaftsfähig. Geistig frisch und natürlich auch gelassen. Aber was wäre, wenn Schlafen durch äußere Einwirkungen nicht mehr möglich ist? Wenn man daran gehindert wird, in dieses erholsame, samtschwarze, umschmeichelnde Nichts einzutauchen?

Diesen unheilvollen Zustand, einfach nicht zur Ruhe kommen zu dürfen, schildert aus meiner Sicht Franz Kafka am besten. In seinem fragmentarischen Werk Das Schloss wird Josef K. auf seinen nicht enden wollenden Amtswegen zu jedweden unheiligen Zeiten am Schlaf gehindert. Diese andauernde Verfügbarkeit – sie manifestiert sich wie ein Alptraum. Aber es geht auch anders: auf Schlaf lässt sich auch aktiv verzichten: wie das Wunderkind Elias Alder aus Josef Vilsmaiers Schlafes Bruder es getan hat, natürlich nur aus Liebe. Nicole Kidman wiederum durfte.nicht.schlafen, weil sie sonst vielleicht der diabolische Ehemann holt. Im neuen Science-Fiction-Thriller Awake, erschienen auf Netflix, stellt sich diese gesundheitsschädigende Anomalie von einem Moment auf den anderen ein.

Alle Welt kann also nicht mehr schlafen. Wir wissen, was passiert, wenn sich das nicht schnell ändert: Homo sapiens dreht durch und stirbt, um es salopp zu formulieren. Jill, Ex-Soldatin und Mutter zweier Kinder, kutschiert – hundemüde nach dem Nachtdienst – ihren Nachwuchs nach Hause, als die Elektronik des Vehikels versagt und der Wagen der Familie im Wasser landet. Alle überleben, die Tochter muss reanimiert werden. Was genau ist passiert? Überall – scheinbar auf der ganzen Welt – ist der Strom ausgefallen. Das alleine ist schon eine undenkbare Katastrophe. Mit dieser Begebenheit fällt jedoch auch die Fähigkeit weg, ins Land der Träume zu reisen. Die Welt versinkt sofort im Chaos, Militär fährt auf, und alles, was sonst noch passiert, wenn die Ordnung keiner mehr exekutieren kann. Einziger Wermutstropfen: wie durch ein Wunder ist Tochter Mathilda dennoch fähig, zu schlafen. Sie muss in ein Labor gebracht werden, um dazu beizutragen, schleunigst eine Lösung für das todbringende Problem zu finden. Ein Roadmovie hebt an, wo Gina Rodriguez und ihre Co-Stars allerhand seltsame wie erschreckende Dinge erleben, die passieren, wenn ein Grundbedürfnis nicht gestillt werden kann.

Awake von Mark Raso (Kodachrome) ist, was die Grundidee betrifft, ein faszinierender Ansatz. Es wäre Stoff für M. Night Shyamalan gewesen, der allerdings gibt sich demnächst unkontrollierten Alterungsprozessen hin. Eigentlich schade, denn Shyamalan hätte das ganze Szenario auf eine gespenstische Metaebene gehoben. Der letztlich produzierte Film spart sich die Komponente des Mysteriums, schon allein, weil er schlichtweg keine Zeit dazu hat. Der völlig falsch aufgezogene Thriller hetzt – genauso wie seine Protagonistin Rodriguez – in fahriger Manier durch den Film, die immer mal wieder kurz ins Bild tretenden Randfiguren stehen und fallen wie Pappfiguren im Wind, wobei das Verhalten aufgrund des Schlafentzugs global über einen Kamm geschoren wird. Dem Wahnsinn verfällt natürlich unisono das Fußvolk, während die Wissenschaft blutunterlaufenen Auges auf dem Holzweg taumelt. Diese ohne viel Federlesens abgespulten Musthaves für einen Endzeitstreifen erwecken den Eindruck eines ungeliebten Filmprojekts, welches förmlich danach schreit, eine Serie zu sein. So entgehen dem Thema Schlaf jede Menge gesellschaftskritische Untertöne. 

Was Awake recht gut hinbekommt, sind die letzten zehn Minuten Film. Da überwindet der Stoff seinen übernachtigen Automatismus. Müde macht der Film nicht, allerdings lässt sich vermuten, vielleicht doch – durch ein kurzes, solidarisierendes Wegnicken – etwas versäumt zu haben.

Awake

Metaluna IV antwortet nicht

UNENDLICHE WEITEN AUS ALTEN ZEITEN

7,5/10

 

metaluna4antwortetnicht© 1955 Universal Pictures

 

LAND: USA 1955

REGIE: JOSEPH M. NEWMAN, JACK ARNOLD

CAST: JEFF MORROW, REX REASON, FAITH DOMERGUE, LANCE FULLER U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN

 

Auf dem Sender Syfy hat man immer wieder mal die Chance, für Stunden in die fernsehnostalgischen Gefilde der alten Enterprise-Crew abzutauchen. Wenn William Shatner und Co zwischen Pappmaschee-Felsen herumstrolchen und Gummimonster aus dem Hinterhalt angreifen, hat das einen Guilty-Pleasure-Wert, der fast schon mit Solid Gold aufzuwiegen ist. Raumschiff Enterprise startete 1966, das ist ewig her. Doch Moment – das ist immerhin schon 11 Jahre nach einem gewissen Science-Fiction-Klassiker, der damals schon, 1955 also, tief in die Trickkiste gegriffen hat, um zu veranschaulichen, wie es denn aussehen könnte, zu fremden Planeten zu reisen. Und wie es, lange vor Men in Black, aussehen könnte, wenn This Island Earth (so der Originaltitel dieses Films) bereits längst von Außerirdischen unterwandert worden wäre.

65 Jahre auf dem Buckel, und das womöglich an unsichtbaren Nylonseilen hängende, recht holprig ins Bild schwebende UFO hat bereits schon einiges an Patina angesetzt. Metaluna IV antwortet nicht nimmt Motive aus Perry Rhodan und Star Trek vorweg: Der Pilot und Wissenschaftler Dr. Meacham bekommt eines Tages eine seltsame Lieferung in sein Labor gesandt: es ist dies ein sogenannter Interozitor (was für ein Ding!), mit dem der toughe Kerl Kontakt mit einem sehr obskuren Zeitgenossen namens Exeter aufnehmen kann. Der wiederum wirbt den Atomphysiker für ein ebenso obskures Projekt an. Und weil Dr. Meacham von Natur aus neugierig ist, wagt er sich ins Ungewisse – um später festzustellen, dass die Erde nicht der einzige Planet im Universum ist, der intelligentes Leben beherbergt. Er selbst und eine Fachkollegin, die genötigt werden, nach Metaluna IV zu reisen, werden Zeugen eines Sternenkrieges zweier Völker.

Klingt umsetzungstechnisch sehr anspruchsvoll? Ist es auch: Joseph Newman, unter der Mithilfe von Monster-Movie-As Jack Arnold, lässt radikalen Retro-Charme spielen, dem sich garantiert kein eingefleischter Science-Fiction-Fan, der bereits von Anfang an mit dabei sein will, entziehen kann. So simpel auch all die Szenen im Weltraum, all die Pyrotechnik und das legendäre Monster auch getrickst sein mögen – gerade diese analoge Einfachheit, dieser offensichtliche Versuch einer Illusion des Phantastischen, erklärt dieses Werk zu einer unfreiwillig komischen, aber schätzenswert komischen Antithese zum Bildperfektionismus der Gegenwart. Was für eine wohlige Entreizung. Dabei hat der Plot dazu immer noch oberste Priorität. Und das Setting? Futurismus pur. Zwischen kruden Atomium-Modellen als Schaltzentrale der Aliens, kuriosen Druckausgleichsapparaturen und wunderbar gemalten Matte Paintings, die all die Perry Rhodan-Coverzeichner nicht besser hinbekommen hätten, tummeln sich weißhaarige Ur-Klingonen mit hoher Stirn. Das Beste aber kommt noch: Mit dem insektoiden Bodysuit-Mutanten samt Hydrozephalus-Hirn haben die Macher eine Kultfigur geschaffen, die Tim Burton sehr viel später für seine Marsmonster aus Mars Attacks inspirieren wird.

Metaluna IV antwortet nicht

Die Weite der Nacht

I WANT TO BELIEVE

7/10

 

vastofnight© 2019 Amazon.com Inc.

 

ORIGINALTITEL: THE VAST OF NIGHT

LAND: USA 2018

REGIE: ANDREW PATTERSON

CAST: SIERRA MCCORMICK, JAKE HOROWITZ, BRUCE DAVIS, GAIL CRONAUER U. A. 

 

Die Wahrheit liegt irgendwo da draußen, da waren sich Scully und Mulder ziemlich sicher. Nur: die Wahrheit lag schon da draußen, da waren die beiden selbst noch Sternenstaub. Selbige fand ihre Spielwiese in New Mexiko, genauer gesagt in Roswell, als dort angeblich ein extraterrestrisches Vehikel samt Insassen geborgen wurde, was aber mittlerweile von vielen Seiten dementiert wird. Verschwörungsgurus wollen das gar nicht hören. Aber he! Langsam wird es Zeit, sich wieder mal anderen Fakten zuzuwenden, weg von entfesselten Virengewalten aus dem Versuchslabor. Weg von Chemtrail und Flat Earth-Ideen. Vielleicht wieder mehr herumstöbern in den UFO-Annalen? Das tut weniger weh, vor allem auch, weil man dort mehr fabulieren kann.

Erst heute morgen habe ich einen Artikel gelesen über die statistische Wahrscheinlichkeit außerirdischer Zivilisationen in unserer Galaxis. Nun, es müssten rund 35 solcher Fälle geben, parallel zu unserem Fall inklusive Schwankungsbreiten von mehreren Milliarden Jahren. Wenn es sie statistisch gäbe, dann wären wir von der nächsten viel zu weit entfernt, um die Post vom anderen Ende noch zu erwarten. Dennoch, und weil sich die im Flüsterton vorgebrachte Idee an geheimnisvollen lauen Sommerabenden bestens eignet – könnten die Fremden schon längst angeklopft haben. Vielleicht in den 50er Jahren, als Radio und Funk der Hochgenuss des Entertainments waren. Wo Tonbandgeräte für Verblüffung sorgten. Und wo Kleinstädte in New Mexiko prädestiniert dafür waren, das Mysteriöse anzuziehen.

The Vast of Night, oder – in der Übersetzung – Die Weite der Nacht (eine Formulierung aus Shakespeares Der Sturm) ist ein seltsam mysteriöses, kleines Phänomen und eine in sich fremdartig grummelnde Hommage an Orson Welles Radioperformance zu H. G. Wells Klassiker Krieg der Welten, womit er 1938 ganz Amerika zum Narren hielt. Regisseur Andrew Patterson hat sich sein Regiedebüt komplett eigenfinanziert. Eine Liebhaberei, das sieht man. Aus so Liebhabereien entstehen Innovationen, entstehen Experimente für neue Ansätze, um filmische Geschichten zu erzählen. Aber zugegeben: Aller Anfang ist nicht leicht. Die Weite der Nacht pflanzt uns Zuseher vor den Eingang einer kleinstädtischen High School (Buffy lässt grüßen) und hängt die ersten 20 Minuten an den Lippen der beiden Protagonisten Everett und Fay. Die quasseln ungebremst über Leute, die wir nicht kennen, über das Triezen anderer Mitschüler und das bevorstehende Basketball-Spiel in der Turnhalle. Später schlendern sie durch die laue Sommernacht und palavern über die Zukunft der Technik, über die absurde Vorstellung, in 50 Jahren vielleicht auf kleinen Hosentaschenbildschirmen mit anderen zu kommunizieren. Oder dass eine Stimme im Auto die Fahrtrichtung vorgibt. Begeisterte Technik-Nerds, das sind sie beide, er ein Moderator im Radio, sie im Nachtdienst an der Telefonvermittlung. Kurze Zeit später aber passiert das Rätselhafte: Seltsame Funkgeräusche werden wahrgenommen, Zeugen melden sich über Telefon, indem sie offenbaren, mehr über diesen Sound zu wissen als ihnen lieb ist. Und schon ist die Stimmung perfekt, der Zuschauer gefesselt, das große, verändernde Ereignis vielleicht kurz davor einzutreten?

Was Spielberg mit seiner Unheimlichen Begegnung der dritten Art mit viel Licht und Bühnenshow formuliert hat, lässt Die Weite der Nacht in einer bedeutungsschweren Spärlichkeit aus Licht und grobkörniger Kamera, ausgewaschenen Postkarten-Kolorit von damals und knackenden Geräuschkulissen eine ganz andere Gestalt annehmen. David Lynch gelang es meist, in der Abwesenheit von etwas oder einfach nur mit der Dunkelheit selbst enormes Unwohlsein zu erzeugen – Patterson gelingt ähnliches, lässt seine entfesselte Kamera auf Kniehöhe über die leeren finsteren Straßen ziehen, dann wieder folgt Schnitt auf Schnitt, dann wieder ein Blackout und die Mysterytour wird zum Hörspiel. Der Score selbst verbucht durch seinen unberechenbaren Mix aus Sound und Instrumenten eine ganze Metaebene für sich, entwickelt aber gemeinsam mit der enorm dialoglastigen Tendenz zum Kammerspiel a la The Guilty eine atmosphärische Erstaunlichkeit, obwohl oder gar weil dem Independent-Streifen einer dieser üblichen, manchmal aber sowieso eher aufgesetzten Story-Twists fehlt. Den schüttelt Die Weite der Nacht nämlich nicht aus dem Ärmel, das kommende Geschehen ist prinzipiell mal einzuschätzen, obwohl ich auf den Richtungswechsel in der Storyline bis zuletzt gewettet hätte. Man sieht aber wieder, dass mit dem semidokumentarischen Kniff eines Pseudo-Reports und dem magischen Retro-Charme einer Twilight-Zone-Episode aus flirrenden Schwarzweiß-Fernsehröhren Erdachtes einnehmend authentisch wirken kann. Man braucht nicht viel zu sehen, nur in seinem Mix alles zu empfinden, was für eine alternative Wahrheit sprechen kann. Und das prickelt, während das rationale Denken zugunsten jugendlicher Fantasien gerne eine Pause macht.

Die Weite der Nacht