DURCH DIE ROSAROTE BRILLE
7/10
© 2019 Paramount Pictures
LAND: USA 2019
REGIE: DEXTER FLETCHER
CAST: TARON EGERTON, JAMIE BELL, RICHARD MADDEN, BRYCE DALLAS HOWARD, STEVEN MACKINTOSH U. A.
Was haben Freddy Mercury und Elton John eigentlich gemeinsam? Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick sehr vieles. Ein unglaubliches, musikalisches Talent, das absolute Gehör und das Zeug zu einer Repräsentanz, die die Dimensionen einer One-Man-Show oft schon mal durchbrochen hat. Beide sind schwul, haben markanten Zahnwuchs und einen Hang zu exzentrischen Outfits, Elton John vorzugsweise Brillen und Mercury hautenge Trikots. Und noch etwas haben sie gemeinsam, man möchte meinen ein gemeinsames Leid, nämlich ihren Manager John Reid. In Bohemian Rhapsody durfte „Kleinfinger“ Aidan Gillen in die Rolle der profitgierigen rechten Hand seiner hörigen Superstars schlüpfen. In Rocketman darf das Richard Madden, ebenfalls aus Westeros übersiedelt, in die Welt der Biopics und der Aufs und Abs legendärer Bühnenkünstler, die sich durch die Schattenseiten des Ruhms nun mal durchwühlen müssen, mit all ihren sirenengleichen Versuchungen, die dann gottlob abendfüllend überwunden werden können.
Der Mensch ist für das permanente Reiten am Wellenkamm grundsätzlich nicht gemacht, das geht an die Substanz, und fordert folglich Substanzen, die das Defizit wettmachen sollen. Hinzu kommt mitunter elterliches Versagen aus der Kindheit wie bei Reginald Dwight der Fall, und fertig ist der Mix aus mangelnder Selbstliebe und die Sehnsucht, geliebt zu werden. Da bei einem Star meist nur die Fassade geliebt wird, ist sowas selten erfüllend. Elton John hat aber, wie man unlängst in Cannes gesehen hat, wirklich die Kurve gekriegt. Schön, sich sowas im Kino anzusehen. Denn das ist die lose Storyline, die quasi als straffes Libretto Dexter Fletchers Musical-Chartshow dramatisches Rückgrat verleiht. Womit wir wieder bei der nächsten Gemeinsamkeit mit Bohemian Rhapsody wären. Fletcher hat auch beim Oscar-geadelten Musikfilm der Queen-Band Hand angelegt, nachdem Bryan Singer aus uns bekannten Gründen gebeten wurde, das Handtuch zu werfen. Fletcher hat es aufgefangen, und die Sache zu einem guten Ende gebracht. Im Zuge dieses Erfolges, und da wohl nur der halbe Film unter seinen Fittichen stand, war etwas Ähnliches in der Art nur das Weiterführen einer gemähten Wiese. Wenn schon gerade warmgelaufen, muss man die Energie auch irgendwie weiter nutzen – für die Schicksalssymphonie eines kaum weniger kultisch verehrten Großmeisters der Pop-Komposition. Und da Dexter Fletcher diesmal von Anfang an dabei war, und die quirlige Leichtigkeit seiner Sportlerdramödie Eddie the Eagle weiteres in der Art verspricht, beginnen deshalb auch hier trotz aller Gemeinsamkeiten zum Queen-Film langsam Differenzen hochzusickern.
Während Bohemian Rhapsody als prosaisches Drama all seine fetzigen Ohrwürmer vom dargestellten Künstlerteam erarbeiten ließ und sie Teil des chronologischen Geschehens waren, baut Rocketman das musikalische Erbe Elton Johns als erzählerisches Mittel ein: Voila, wir haben ein Musical. Und was für eines. Natürlich, Ohrwurm-Bühnenshows sind schnelle Abkassierer, regelrechte Crowdpleaser, die das große Geld garantieren, und das auf sehr einfachem Weg. Da geht’s gar nicht um die Geschichte dahinter, da geht es um den Rhythmus und den Groove, und den schmachtenden Abnicken wohlbekanner Evergreens. Das war so bei Falco, beim We Will Rock You-Musical, bei Mamma Mia oder bei I am from Austria. Zuerst waren da die Songs, und das Drumherum bekommen wir schon hin. Das ist natürlich Instant-Kultur, wie das Aufgießen einer Päckchensuppe – aber den Leuten gefällt’s. Also darf und soll auch Rocketman das Gleiche tun. Nicht leiden, nicht Probleme wälzen, sondern gefällig aufspielen wie beim Crocodile Rock, wo alles, was keine Flügel hat, fliegt.
Fletchers Filmoperette ist eine schillernde Rampensau, und wie hier Drama mit Bühnenshow kombiniert wird, einfach virtuos. Taron Egerton, der seit Fletchers Eddie-Hommage nie mehr wieder so gut war, taumelt in erfolgstrunkenem Zustand vom luxuriösen Wohnzimmer auf die Bühne, vom Krankenhaus an den Flügel, vom Flanieren auf einer Party in seinen nächsten Song. Wie Egerton sie bringt, hat eine ganz eigene Färbung, ist nicht Elton Johns Timbre, aber das macht nichts, ganz im Gegenteil – so lernt man bekannte Melodien plötzlich neu kennen. Keine Szene, die nicht ein paar Takte seiner Stücke anspielt, und seien sie auch noch so unplugged, noch so verborgen zwischen den Textzeilen. Rocketman schippert ganz eindeutig im Erfolgsfahrwasser von Bohemian Rhapsody, legt seine Songs aber ganz anders auf. Sie sind wichtiger als der ganze biographische Rest, doch greifen sie umschmeichelnd auf Stationen eines Lebens zurück, die fast schon generisch sind für das Ruhm-Handling eines Weltstars. Elton John war dafür bestens geeignet.