Chaos Walking

SAG MIR, WAS DU DENKST…

5,5/10


chaoswalking© 2021 Studiocanal


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DOUG LIMAN

CAST: TOM HOLLAND, DAISY RIDLEY, MADS MIKKELSEN, DEMIÁN BICHIR, CYNTHIA ERIVO, NICK JONAS, DAVID OYELOWO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Wer im deutschsprachigen Raum kennt diesen Klassiker nicht, in welchem Connie & Peter, mit dem Tretboot auf welchem See auch immer kreisend, dieses charmante Duett schmettern. Da fordert doch glatt der liebe Peter sein Herzblatt dazu auf, zu sagen, was sie denkt. Darauf das Mädel: Möchtest du das wissen? Darauf er: Du, ich weiß es längst. Sie: Meinst du etwa küssen…? und so weiter und so fort. In Chaos Walking geht’s genauso zu, nur wird dort der Spies umgedreht, und Daisy Ridley könnte dem erschreckend naiven Jungmann glatt seine Gedanken entlocken. Allerdings: das muss sie gar nicht. Denn auf diesem, der Erde fernen Planeten namens New World herrscht eine ganz eigenwillige biologisch-neurologische Anomalie vor: die Gedanken aller Männer sind hörbar. Allerdings nur die unkontrollierten, wild ausufernden Fetzen stiller Überlegungen. Manchmal sogar manifestieren sich diese gleich eines Hologramms. Mit so einer Besonderheit kann man aber leben, dachten sich die ersten menschlichen Siedler. Blöd nur, dass im Gegensatz dazu weibliche Gedanken zollfrei blieben. Blamieren mussten sich folglich nur die Männer. Bis zu jenem Tag, als die Siedlung, in der Tom Holland aka Todd Hewitt (dieser Name fällt durchaus des Öfteren) aufwuchs, ihres Frauenanteils beraubt wurde, und zwar durch die Hand der hundsgemeinen indigenen Bevölkerung. Wie durch Zufall aber fällt eines Tages die Raumkapsel mit Daisy Ridley vom Himmel. Sie nun die einzige weibliche Protagonistin, die allerdings bald auf der Flucht ist, weil der despotische Bürgermeister (routiniert: Mads Mikkelsen) sie als Köder für das im Orbit kreisende Mutterschiff benutzen will. Die kann von Glück sagen, dass Todd Hewitt nur ihr Bestes will (und noch viel mehr). Da nimmt man die enervierenden, recht banalen und klarerweise jugendfreien Gedanken des fahrigen Mittzwanziger als Dauerbeschallung gerne in Kauf.

Bei diesem Science-Fiction-Abenteuer hat sich das Beraterteam der beteiligten Produktionsfirmen wohl anfangs die entscheidende Frage gestellt: soll aus diesem wirklich innovativen Stoff ein Film- oder eine Serie werden? Die Daumen mal Pi-Regel, die sich bereits seit geraumer Zeit bewährt hat, lautet: da dieser Streifen natürlich auf einer Romantrilogie von Patrick Ness (u. a. Sieben Minuten nach Mitternacht) beruht, wäre eine Serie wohl der gerechtere Weg, die Sache mit ihrer gebührenden Sorgfalt und entsprechend der Vorlage auszugestalten. Ein Kinofilm hat da stets zu wenig Spiel- und Zeitraum zur Verfügung. Romane lassen sich also eher schlecht in einen Kinofilm quetschen – Kurzgeschichten hingegen schon. Die Romanregel bestätigt sich auch in Chaos Walking. Die Idee ist auffallend originell – tatsächlich gibt es immer noch genügend Ansätze im Kino des Phantastischen, die im Grunde komplett neu sind. Der adaptierte Plot allerdings gerät viel zu durchgetaktet und gehetzt, um auch nur irgendwie ein Gefühl für seine Materie zu bekommen.

Das mit den Gedankenwolken, auch als Lärm bezeichnet, gibt dem ganzen Szenario als Bonus einen speziellen augenzwinkernden Kick im ironischen Spiel mit den Geschlechterrollen. Stereotypische Klischees – wie zum Beispiel: der Mann denkt nur an das eine, und aus einer Frau wird man nicht schlau – werden hier mitunter augenzwinkernd und ganz dezent karikiert. Was hier Vorrang hat, ist aber das im Stile eines Western konzipierte Abenteuer um einen mehr oder minder missglückten interstellaren Kolonialversuch. Von der Gedankenwelt mal abgesehen, bietet Doug Limans Science-Fiction allerdings wenig Überraschendes oder gar Unvorhersehbares. Daisy Ridley hat in ihrem rollenbedingten Stress kaum Zeit, sich schauspielerisch zu entfalten. Tom Holland gibt gar etwas übertrieben den blauäugigen Helden – obwohl – angesichts der Umstände scheint sein Verhalten plausibler als wäre er der toughe Einzelkämpfer.  

Da es sich um eine Trilogie handelt, könnte es sein, dass, wenn die Kassa stimmt, es eine Fortsetzung geben könnte. Dann lässt sich hoffen, dass die fremdartigen indigenen Wesen, Spackles genannt, folglich nicht mehr so sträflich vernachlässigt werden wie hier.

Chaos Walking

Passengers

GEMEINSAM STATT EINSAM

* * * * * * * * * *

passengers

Lesung aus dem Buch Avalon: Am Anfang war der Mechaniker Jim Preston, der neue Adam für Homestead II, einem bewohnbaren erdähnlichen Planeten, rund 120 Jahre unter halber Lichtgeschwindigkeit von der guten alten Erde entfernt. Dieser erweckt nach einjähriger Isolation Aurora, die neue Eva. So oder ähnlich könnte die neue Entstehungsgeschichte des Exodus einer neuen Menschheit beginnen. Und jede neue Welt braucht einen Mythos, oder einen Anfang, der einer blutjungen Gemeinschaft eine eigene Identität verleihen kann.

Der Norweger Morten Tyldum, der mit dem grandios-gnadenlosen Reißer Headhunters erstmals auf sich aufmerksam machte und sich mit der Enigma-Biografie The Imitation Game mit frischem Wind unter die Exportgrößen Hollywoods einreihen durfte, hat ein romantisches, reduziertes Weltraum-Kammerspiel geschaffen, das nicht mit enormen visuellen Reizen geizt und die Schöpfungsgeschichte der westlichen Erdenwelt in einem Zwei-Personen-Kammerspiel um Vertrauen und Abhängigkeit gehörig abstrahiert. Wobei man diese Analogien zu Beginn erst mal kaum bis gar nicht wahrnimmt. Viel mehr steht die interstellare Robinsonade im Mittelpunkt – und die muss Chris Pratt anfangs leider ziemlich alleine stemmen. Wobei wir spätestens seit Jurassic World wissen, dass der schmerbäuchige Otto Normalverbraucher mit dem Allerweltsgesicht schauspielerisch nicht gerade die besten Karten in der Hand hat. Seine einjährige Wartezeit an Bord des innen wie außen atemberaubend gestalteten Raumschiffes namens Avalon bekommt eine unfreiwillige Komik, die fast schon an John Carpenters Dark Star erinnert, vor allem, wenn Pratt nackt mit unechtem Rauschebart durch die sterilen Gänge des Schiffs torkelt.

Zum Glück steht ihm Roboter Arthur zur Seite – ein aufs Wesentliche reduzierter Android mit der Illusion eines humanoiden Zuhörers, punktgenau dargestellt von Michael Sheen. Zum Glück reizt Tyldum Pratt´s Solo-Performance nicht bis zur Nervigkeit aus und stellt ihm rechtzeitig Jennifer Lawrence zur Seite. Die attraktive Blondine aus Die Tribute von Panem hat weitaus mehr Talent, wobei sie auch diesmal wieder, ähnlich wie in ihrer Paraderolle als Katniss Everdeen, zur Hysterie neigt. Wobei ihr Gefühlsausbruch nur logisch ist. Wie würde man selbst reagieren, wenn jemand anderer, vor allen Dingen ein Wildfremder, den Rest deines Lebens bestimmt. oder deine Zukunft determiniert. Alles nur aufgrund der Tatsache, nicht allein bleiben zu wollen. Einsamkeit und die Sehnsucht nach Nähe sind die Motoren, die die Handlung dieses „Roadmovies“ vorantreiben. Gemeinsam statt einsam oder Partnersuche im All – man kann die Romanze für abgedroschen oder oberflächlich betrachten. In Wahrheit aber ist sie das nicht. Während der Zeit an Bord der Avalon durchleben die beiden Gestrandeten die unterschiedlichsten zwischenmenschlichen Emotionen. Um sich letzten Endes ihrer Abhängigkeit voneinander bewusst zu werden. Und der zwangsläufig auferlegten Verantwortung, die Gründung einer neuen Welt zu garantieren. Aus diesem Blickwinkel heraus ist die Odyssee dann doch noch mehr als die Summe ihrer Teile. Nämlich die Geburt eines neuen Mythos, der an das Finale der neu aufgelegten Battlestar Galactica erinnert.

Gegen Ende des Filmes entsteht dann tatsächlich noch sowas wie fesselnde Spannung, wenn es um Alles oder Nichts geht. Sei es um die Verdammnis zur Isolation oder dem Fortbestand einer neuen Menschheit. Exzellent bebildert, wird aus dem utopischen Beziehungsdrama ein knallhartes Space-Abenteuer im Fahrwasser von Gravity, und Lawrence Fishburnes Gastauftritt als todkranker Deckoffizier bereichert die Szenerie noch zusätzlich mit dem Bewusstsein der allgegenwärtigen Vergänglichkeit. Wäre Tyldum noch nach dem spannend-feurigen Höhepunkt des Films weiterhin konsequent geblieben, wäre uns der Dornröschen-Twist erspart geblieben. So aber kippt sein sonst dichtes Kammerspiel doch noch in Richtung Schnulze – was er mit Leichtigkeit vermeiden hätte können. Vielleicht gibt es aber auch hier noch einen Directors Cut mit anderem Ende? Selten hat ein Film so dermaßen zu Spekulationen über alternative Storylines eingeladen wie Passengers. Ob das ein gutes Zeichen ist? Selbst die Überlegung, in einer Fortsetzung die Ankunft der erwählten 4998 Passagiere zu erzählen, macht mich neugierig.

Morten Tyldum ist eine durchaus faszinierende, wenn nicht ganz logische Science-Fiction gelungen, die weitaus tiefer in den Kosmos vordringt als in die menschliche Seele und sich zu plakativem, märchenhaften Romantizismus hinreißen lässt. Die Schönheit der unendlichen Weiten zelebriert der Film aber dennoch – mitsamt einem Hauch von Ewigkeit.

 

Passengers