Locked Down

WAS TUN, WENN SONST NICHTS LOS IST

6,5/10


locked-down© 2020 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. / Susan Allnutt


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: DOUG LIMAN

BUCH: STEVEN KNIGHT

CAST: ANNE HATHAWAY, CHIWETEL EJIOFOR, BEN KINGSLEY, BEN STILLER, STEPHEN MERCHANT, CLAES BANG, MINDY KALING, LUCY BOYNTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis sich Film und Fernsehen der seltsamen sozialen Anomalie eines sogenannten Lockdown annehmen würden. Bis vor zwei Jahren hätte wohl keiner daran gedacht, das sowas mal spruchreif wird. Dafür, dass dieses globale Ereignis uns Menschen in unserem Tun und Nicht-Tun so dermaßen beeinflusst hat, bleiben Produktionen, die darüber referieren, bislang ungewöhnlich rar. Es gibt zum Beispiel Songbird – ein direkt auf dem Streamingportal amazon prime veröffentlichter Streifen über ein Worst Case-Szenario in Sachen Covid-19. Kam leider nur zur falschen Zeit, als die reale Angst noch allen in den Knochen steckte und niemand, wirklich niemand, den Teufel an die Wand malen wollte. So gut kam der Film also nicht weg. Vielleicht die Sache lockerer angehen? Mit Publikumsliebling Anne Hathaway zum Beispiel, die sich für scharfzüngige Dialogkomödien eigentlich immer recht gut eignet? Hathaways Mitbewohner ist Chiwetel Ejiofor, groß geworden durch das Sklavendrama 12 Years a Slave. Sie, ganz Geschäftsfrau, ist CEO eines Schmuckriesen, während der Mann, bereits vorbestraft, als Kurier in einem Transportunternehmen schuftet. Linda und Paxton leben zwar noch unter einem Dach, sind aber bereits getrennt. Im Lockdown können beide schließlich nirgendwo hin. Linda macht Home Office, Paxton hingegen gibt sich mitunter die Dröhnung mit garteneigenen Mohnkapseln. Bis sein Chef anruft – Ben Kingsley im Videochat – und Paxton für einige pikante Aufträge engagieren will. Einer davon geht ins Kaufhaus Harrods (erstmals in einem Film!), wo wertvoller Klunker den Schauplatz wechseln soll.

Und wie sich das anbietet, einen Film zu drehen, in welchem die Hälfte des Cast eigentlich nur online zugeschalten wird. Kingsley, Ben Stiller und Co haben ihre kurzen und recht augenzwinkernden Auftritte selbst gedreht, mitunter saß der eine oder die andere tatsächlich im Lockdown fest. Doug Liman konnte sich also, unter Unterschreitung des ihm zur Verfügung gestellten Budgets, voll und ganz auf die Beziehungsgeschichte zwischen Hathaway und Ejiofor konzentrieren. Gekonnt machen beide auf Alltagstrott, fern liegt ihnen allerdings ein gewisser Seelenstriptease wie bei Malcolm & Marie. Hier hat alles eine gewisse resignierende, mit leicht sarkastischem Humor genommene Leichtigkeit, obwohl mitunter auch Aspekte erwähnt werden, die weniger spaßig sind. Drehbuchautor Steven Knight, der mit No Turning Back ja bewiesen hat, wie knackige Dialoge zu setzen sind, hat die ereignislose Zeit der Selbstreflexion mit der verlockenden Möglichkeit einer Gaunerei verknüpft. Da ein Lockdown ja sämtliche Normalzustände aushebelt, könnte es auch für ein Heist-Ding andere Umstände spielen. Und so würzt sich die Dramödie selbst mit einer launigen Robinhoodiade, die aber gar nicht so ins Detail gehen will. Was aber schade ist: A little less conversation, a little more action, wie es Elvis Presley wohl sagen würde, hätte diesem „Oceans Two“ zusätzlich noch gut getan. Natürlich irritiert darüber hinaus die inkonsequente Anwendung des Mund-Nasen-Schutzes, doch wie einen Film drehen, wenn alle verhüllt sind? Darüber hinwegzusehen fällt also nicht schwer, auch wenn man sich bereits schon hierzulande über sogenannte Nasen-Exhibitionisten wundert. Weniger hinwegsehen lässt sich über das schludrige und viel zu beiläufig auserzählte Finale des geplanten Coups. Ist mir das was entgangen? Womöglich, aber wen wunderts – es ist schließlich Lockdown.

Locked Down

Chaos Walking

SAG MIR, WAS DU DENKST…

5,5/10


chaoswalking© 2021 Studiocanal


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: DOUG LIMAN

CAST: TOM HOLLAND, DAISY RIDLEY, MADS MIKKELSEN, DEMIÁN BICHIR, CYNTHIA ERIVO, NICK JONAS, DAVID OYELOWO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Wer im deutschsprachigen Raum kennt diesen Klassiker nicht, in welchem Connie & Peter, mit dem Tretboot auf welchem See auch immer kreisend, dieses charmante Duett schmettern. Da fordert doch glatt der liebe Peter sein Herzblatt dazu auf, zu sagen, was sie denkt. Darauf das Mädel: Möchtest du das wissen? Darauf er: Du, ich weiß es längst. Sie: Meinst du etwa küssen…? und so weiter und so fort. In Chaos Walking geht’s genauso zu, nur wird dort der Spies umgedreht, und Daisy Ridley könnte dem erschreckend naiven Jungmann glatt seine Gedanken entlocken. Allerdings: das muss sie gar nicht. Denn auf diesem, der Erde fernen Planeten namens New World herrscht eine ganz eigenwillige biologisch-neurologische Anomalie vor: die Gedanken aller Männer sind hörbar. Allerdings nur die unkontrollierten, wild ausufernden Fetzen stiller Überlegungen. Manchmal sogar manifestieren sich diese gleich eines Hologramms. Mit so einer Besonderheit kann man aber leben, dachten sich die ersten menschlichen Siedler. Blöd nur, dass im Gegensatz dazu weibliche Gedanken zollfrei blieben. Blamieren mussten sich folglich nur die Männer. Bis zu jenem Tag, als die Siedlung, in der Tom Holland aka Todd Hewitt (dieser Name fällt durchaus des Öfteren) aufwuchs, ihres Frauenanteils beraubt wurde, und zwar durch die Hand der hundsgemeinen indigenen Bevölkerung. Wie durch Zufall aber fällt eines Tages die Raumkapsel mit Daisy Ridley vom Himmel. Sie nun die einzige weibliche Protagonistin, die allerdings bald auf der Flucht ist, weil der despotische Bürgermeister (routiniert: Mads Mikkelsen) sie als Köder für das im Orbit kreisende Mutterschiff benutzen will. Die kann von Glück sagen, dass Todd Hewitt nur ihr Bestes will (und noch viel mehr). Da nimmt man die enervierenden, recht banalen und klarerweise jugendfreien Gedanken des fahrigen Mittzwanziger als Dauerbeschallung gerne in Kauf.

Bei diesem Science-Fiction-Abenteuer hat sich das Beraterteam der beteiligten Produktionsfirmen wohl anfangs die entscheidende Frage gestellt: soll aus diesem wirklich innovativen Stoff ein Film- oder eine Serie werden? Die Daumen mal Pi-Regel, die sich bereits seit geraumer Zeit bewährt hat, lautet: da dieser Streifen natürlich auf einer Romantrilogie von Patrick Ness (u. a. Sieben Minuten nach Mitternacht) beruht, wäre eine Serie wohl der gerechtere Weg, die Sache mit ihrer gebührenden Sorgfalt und entsprechend der Vorlage auszugestalten. Ein Kinofilm hat da stets zu wenig Spiel- und Zeitraum zur Verfügung. Romane lassen sich also eher schlecht in einen Kinofilm quetschen – Kurzgeschichten hingegen schon. Die Romanregel bestätigt sich auch in Chaos Walking. Die Idee ist auffallend originell – tatsächlich gibt es immer noch genügend Ansätze im Kino des Phantastischen, die im Grunde komplett neu sind. Der adaptierte Plot allerdings gerät viel zu durchgetaktet und gehetzt, um auch nur irgendwie ein Gefühl für seine Materie zu bekommen.

Das mit den Gedankenwolken, auch als Lärm bezeichnet, gibt dem ganzen Szenario als Bonus einen speziellen augenzwinkernden Kick im ironischen Spiel mit den Geschlechterrollen. Stereotypische Klischees – wie zum Beispiel: der Mann denkt nur an das eine, und aus einer Frau wird man nicht schlau – werden hier mitunter augenzwinkernd und ganz dezent karikiert. Was hier Vorrang hat, ist aber das im Stile eines Western konzipierte Abenteuer um einen mehr oder minder missglückten interstellaren Kolonialversuch. Von der Gedankenwelt mal abgesehen, bietet Doug Limans Science-Fiction allerdings wenig Überraschendes oder gar Unvorhersehbares. Daisy Ridley hat in ihrem rollenbedingten Stress kaum Zeit, sich schauspielerisch zu entfalten. Tom Holland gibt gar etwas übertrieben den blauäugigen Helden – obwohl – angesichts der Umstände scheint sein Verhalten plausibler als wäre er der toughe Einzelkämpfer.  

Da es sich um eine Trilogie handelt, könnte es sein, dass, wenn die Kassa stimmt, es eine Fortsetzung geben könnte. Dann lässt sich hoffen, dass die fremdartigen indigenen Wesen, Spackles genannt, folglich nicht mehr so sträflich vernachlässigt werden wie hier.

Chaos Walking

Barry Seal

MOST WANTED MAN

7/10

 

barryseal© 2017 Universal Pictures / Quelle: filmstarts.de

 

LAND: USA 2017

REGIE: DOUG LIMAN

MIT TOM CRUISE, DOMNHALL GLEESON, SARAH WRIGHT U. A.

 

Es gibt Dinge, die tatsächlich nur in den Vereinigten Staaten von Amerika passieren. Zum Beispiel so etwas wie Donald Trump. Oder eine Klage wegen zu heißen Kaffees. Der Absturz eines vermeintlichen Ufos. Oder die Macht der Geheimdienste, die bereits schon weit über die Grenzen von Transatlantica hinausgeht. Hollywood unter der Regie von Actionspezialist Doug Liman hat aus dem schier grenzenlos scheinenden Panoptikum amerikanischer Merkwürdigkeiten die Biografie eines Mannes herausgepickt, der vom routinierten Piloten einer Passagierfluglinie zum Most Wanted Man so gut wie alle und jeden gleichermaßen beeindruckt wie enttäuscht hat. Dieser Barry Seal war in den späten Siebzigern und den Achtzigern, zur Amtszeit von Ronald Reagan, im wahrsten Sinne des Wortes ein Überflieger. Nicht nur, dass die CIA ihn abgeworben hat, um im Stellvertreterkrieg der Achsenmächte Mittelamerika auszuspionieren. Auch das langsam erstarkende Drogenkartell rund um Pablo Escobar hat den Gelegenheits-Allrounder in die Finger bekommen. Auf gewohnt joviale wie gleichermaßen kompromisslose Weise haben die Finsterlinge aus Kolumbien Barry Seal den lukrativen Job eines Drogenkuriers angeboten. Dieses zweigleisige Befahren von Flugrouten war aber erst der Anfang einer atemlosen True Story über die Absurdität von Reichtum und dem dehnbaren Begriff von Moral und Anstand. Wäre Barry Seal nicht der gewesen, der er war, hätte dieser wohl begehrteste Familienvater der Welt die herumreißenden Zügel der Geschäftemacherei niemals in Händen behalten können.

Der Bourne-Regisseur hat daraus einen irrlichternden Sampler aus Polit-, Familien- und Drogendrama zusammengemixt. Sein Film gebärdet sich wie ein Videoclip – eine Ästhetik, die wir schon bei Oliver Stone oder Tony Scott beobachten konnten. Viel anders lässt sch Barry Seal in seinem wilden, ungestümen Strudel aus Deals, Machenschaften, Wahnsinn und Bedrohung überhaupt erst gar nicht darstellen. Ein Leben im Stakkato, in ständiger Hektik, in fortdauernder Gier. Barry Seals übergroßes Ego zieht die Mächte des Zwielichts und der Finsternis an wie ein schwarzes Loch alle Materie. Der Narziss badet im Geld, das keiner jemals ausgeben kann. Gefahr ist notwendiges Übel. Ja zu sagen die einzige richtige Entscheidung. Bis Reagans Regierung und die Medien alles vernichten – mehr aus plumper Stümperhaftigkeit als aus Vorsatz. Das hätte Trump auch passieren können. Oder wird ihm noch passieren.

Tom Cruise stürzt sich in seine Rolle wie ein Fallschirmspringer in den freien Fall. Gut möglich und sehr wahrscheinlich, dass der zuvorkommende Scientologe wieder mal die meisten Stunts selbst gemacht hat, so fertig, wie er nach zwei Stunden Laufzeit aussieht. Natürlich, Filme entstehen nicht chronologisch, aber zumindest hat man das Gefühl, bei Barry Seal war das allerdings der Fall. Barry Seal ist wie ein Walter White auf Speed, nur dass Seal in seiner ungebremsten Arbeitsmoral Befehlsempfänger bleibt, der die wohlkoordinierte Drecksarbeit erledigt. Zu sehen, wie ein Mann mit großen Fähigkeiten am Boden und in der Luft zerrissen, ausgenutzt und weggeworfen wird, ist bittere, zynische Realität.

Durch Doug Liman´s leichter Hand wird man bei Barry Seal das Gefühl nicht los, einer Komödie beizuwohnen. Das ist der Film aber keineswegs. Doch die Art, in der die Memoiren eines Tausendsassas erzählt werden, spiegelt die Facetten eines schnellen, gierigen, todesmutigen Lebens als bravouröses, kurzweiliges Entertainment wider. Eine farbenfrohe, grelle Show zwischen Breaking Bad und Der Informant!. Beste Unterhaltung – auf Kosten einer rühmlich-unrühmlichen Legende.

Barry Seal