The Million Dollar Bet (2024)

UM DIE WETTE UND UMS WETTER

6,5/10


© 2024 takethemoneyandrun production


LAND / JAHR: USA, ÖSTERREICH 2024

REGIE: THOMAS WOSCHITZ

DREHBUCH: THOMAS WOSCHITZ, ANDREA PIVA

CAST: DOUGLAS SMITH, JUSTIN CORNWELL, SEAN ROGERS, KRISTEN GUTOSKIE, CARRIE GIBSON, DEE CULTRONE, TODD CARROLL, BILLIE STEINER, OLIVIA RHEE U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Denkt man an Wetten, kommt uns deutschsprachigen Zentraleuropäern unweigerlich die massentaugliche Spieleshow Wetten dass …? in den Sinn, die an ausgewählten Samstagen die Straßen leerfegte, weil sich damals in den Achtzigern und Neunzigern, zum Hauptabend, die Familie vor dem Fernsehgerät versammelt hat. Worum dort gewettet wurde, das konnte den prominenten Gästen wohl oder übel egal gewesen sein, Hauptsache sie hatten Publicity. Jenen, die diese Gäste aber herausforderten, sahen die Sache ganz anders. Sie sahen ihre Wetten als Challenge, um der ganzen fernsehenden Welt zu beweisen, was alles geht, wie weit es geht, und welche Risiken man einzugehen bereit sein kann. Der Unfall von Samuel Koch 2010 sitzt als dunkle Stunde des Unterhaltungsprogramms immer noch tief. So ein Unglück, das könnte jeden einholen, der sich, motiviert durch Ehrgeiz und hohem Einsatz, selbst überschätzt.

Wo, wenn nicht in Las Vegas, in dieser Stadt in der Wüste, in der rund um die Uhr gewettet, gezockt und das Showbiz praktiziert wird, lässt sich der mehr als nur olympische Wetten dass …?-Gedanke noch stärker ausleben? Hank (Douglas Smith), ein wett- und spielesüchtiger Taugenichts, hat, auch wenn man es nicht für möglich hält angesichts seines angetrunkenen Zustands zumindest zu Beginn des Films, einiges am Kasten. Vor allem Ehrgeiz. Und einen unbändigen Willen, Wetten auch zu gewinnen. Er wäre Gottschalks idealer Kandidat, so aber bleibt ihm nur sein Best Buddy Jack (Justin Cornwell), Poker-Profi und hartgesottener Zocker unter der wüstenheissen Sonne Nevadas, der aber selbst bei Hanks aus der Hüfte geschossenen Schnapsidee kurz mal zögern muss, um dann doch einzuschlagen: Ein nahezu dreifacher Marathon, 70 Meilen innerhalb von 24 Stunden um den hauseigenen Block im geliebten Grätzel der Stadt, unweit des weltberühmten Strips, dessen Lichter des Nächtens den großen Reibach verlocken. Wir alle wissen, wie unmöglich es ist, einen Marathon zu laufen, ohne dafür ausreichend trainiert zu sein – wenn man ihn am Stück läuft. Darauf lässt sich Hank dann doch nicht ein, Pausen sind inbegriffen. Eine Million Dollar, sollte Hank es nicht schaffen – ein Drittel davon, sollte er gewinnen. Während Hank also läuft und läuft und läuft, finden sich Freunde, Familie und Nachbarn ein, philosophieren über das Leben, dessen Einfluss und all die Erwartungen, die ein solches stellt. Es ist, als wäre man in einem kauzigen, kleinen Dialogfilm von Kevin Smith mit einer lebensweisen, mehrdeutigen Prise Richard Linklater, der die Menschen von nebenan herausfordert und über sich hinauswachsen lässt. Und zwar aus eigenem Antrieb, nicht durch Fremdeinwirkung motiviert.

Tatsächlich handelt es sich bei The Million Dollar Bet aber um das Werk des Österreichers Thomas Woschitz, der, wie schon seinerzeit Robert Dornhelm für Echo Park, seine True Story so aussehen lässt, als wäre es eine waschechte Independetfilm-Produktion aus den USA. Ein souverän aufspielendes Ensemble gibt sich den in Las Vegas omnipräsenten Vibes für Spiel, Chance und Glück hin, aber auch dem Müßiggang, dem Geplaudere und dem Stillstand, während der leibhaftig gewordene Selbstbeweis Runden zieht. Dramatisches Attribut in dieser Mittelschichts-Miniatur ist neben dem Wetten das Wetter: Ein heranrollender Sandsturm wird gleichermaßen zur Sanduhr – die Frage ist, wer wohl schneller sein wird. Der völlig untrainierte Lebenskünstler oder die Macht der Winde.

Stilistisch orientiert sich Woschitz ganz bewusst nicht am Glanz und Glamour dieser Vergnügungsstadt, die neben ihrem ewigen Kommerz-Hedonismus auch ganz normale Bewohner beherbergt, jenseits des Treibens; zwischen Palmen, Wüstensand und hell getünchten Bungalows. Las Vegas zwischen Tag und Nacht – und hat man Gia Coppolas The Last Showgirl gesehen, könnte man beide Filme für Episoden unter dem selben Nenner erachten, denn nicht nur stilistisch, auch erzählerisch weisen beide Werke völlig unbeabsichtigterweise Ähnlichkeiten auf, beide mit Fokus auf einen Alltag, dessen Zeit nicht stillsteht.

Coppolas Film mag etwas dramatischer sein, Woschitz‘ Episode hingegen gibt sich entspannt, intuitiv, fast wie aus dem Stegreif. Kann sein, dass The Million Dollar Bet nicht ganz so leicht nachvollziehbare Prioritäten vermittelt und seinen Figuren weniger nahekommt als geplant – den fast dreifachen Marathon so hinzubiegen feiert die pragmatische Beharrlichkeit des Willens. Und den Reiz des gar nicht mal so leicht verdienten Geldes.

The Million Dollar Bet (2024)

Nyad (2023)

ICH SCHWIMME, ALSO BIN ICH

6/10


NYAD© 2023 Netflix


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ELIZABETH CHAI VASARHELYI, JIMMY CHIN

DREHBUCH: ANN BIEDERMAN, JULIA COX

CAST: ANNETTE BENING, JODIE FOSTER, RHYS IFANS, ANNA HARRIETTE PITTMAN, LUKE COSGROVE, KARLY ROTHENBERG, ERIC T. MILLER, GARLAND SCOTT, JEENA YI, JOHNNY SOLO U. A. 

LÄNGE: 2 STD 1 MIN


Ich bin schon stolz, wenn ich den burgenländischen Neufelder See durchschwimmen kann, und dabei nehme ich mir nicht mal die Länge, sondern die Breite vor, die deutlich geringer ausfällt. Erschwerend hinzu kommt hier natürlich die Tatsache, dass ich dieses Vorhaben allein durchziehen muss – und ganz ohne Entourage aus Bootscrew, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und des persönlichen Coachs. Dann würde die Strecke deutlich länger ausfallen, aber natürlich nicht so lang wie jene, die Diana Nyad (Nomen est Omen, denn Nyaden sind Wassernymphen) bewältigen will. Eines gleich vorweg: Sie wird es schaffen. Und das ist kein Spoiler. 2013 ist sie von Kuba nach Florida geschwommen, wobei mit Florida natürlich Key West gemeint ist, die südlichste der Inselkette der Florida Keys. Somit rückt die Entfernung auch wieder ein kleines Stück zusammen, doch nicht so weit, dass daraus eine Lappalie wird. Immerhin werden es 177 km gewesen sein, zurückgelegt in 53 Stunden und ohne Haikäfig, dafür aber mit anderen Mitteln, die verhindern sollen, dass Nyad nicht zum Frühstück für Knorpler wurde. Diese wiederum sind auch nicht das einzige Problem in der Floridastraße. Quallen sind ein noch viel größeres Übel. Und Strömungen. Und sowieso das ganze Salz, das die Haut aufschwemmt. 53 Stunden durchschwimmen – es ist schier unvorstellbar. Aber machbar. Wie so vieles, wenn Menschen wie Nyad in geradezu fanatischer Verbissenheit unbedingt Pioniere sein wollen, koste es, was es wolle, und vielleicht sogar das eigene Leben.

Tu es – oder stirb: Anders lässt sich dieser egomanische Drang kaum beschreiben. Die Welt rundherum, all die anderen, die einen umgeben, die vielleicht wichtig sind oder Teil einer intakten Familie – sie verblassen, werden unwichtig, einzig das Ziel zählt, und nicht mal der Weg. Erste(r) sein, Beste(r) sein, einzigartig sein: ist das wirklich das Credo, das die Menschheit in ihrer Entwicklung vorantreibt? Welchen Mehrwert hat diese Schwimmerei? Beweisen, dass es möglich ist. Beweisen, wozu Homo sapiens imstande ist, wie nah er dem Mythos eines Superhelden kommen kann. Was der Geist mit dem Körper alles anstellen kann, wenn man ihn nur lässt.

Das sind immerhin Gründe genug, Diana Nyads Vorhaben fasziniert und mit Interesse zu verfolgen. Und dann ertappt man sich wieder dabei, nichts von dieser Geisteshaltung verstanden zu haben. Diesen Raubbau am eigenen Körper nicht gutzuheißen, diese Verbissenheit und radikale Obsession abzulehnen, den bezahlten Preis für das eine Ziel niemals selbst zahlen zu wollen, denn wozu? Was muss die Psyche mitbringen, welche Erfahrungen aus der Kindheit, und wer hat diese Einstellung gelehrt? Auch darauf wären die Antworten aufschlussreich – und keine Sorge, sie finden ihren Platz, wenn auch nur in subtiler Andeutung. Die Drehbuchautorinnen Ann Biederman und Julia Cox hatten als Grundlage immerhin Diana Nyads Autobiografie Find a Way zur Hand, das Dokufilmer-Paar Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin haben das Abenteuer über die Überwältigung der eigenen psychischen wie physischen Grenzen schließlich umgesetzt.

Mit Extremen hatten die beiden bereits zu tun: Ihre Kletter-Doku Free Solo über die ungesicherte Besteigung des El Capitain kassierte 2019 den Oscar als bester Dokumentarfilm. Von der faktenbasierten Berichterstattung bis zum Sportlerinnen-Biopic Nyad ist vielleicht nicht so ein breiter Weg zurückzulegen wie von Kuba nach Florida, immerhin aber wechselt das Genre seine Mechanismen und die grundlegende Machart eines Films, der, mit Drehbuch, dramatisierten Szenen und Schauspielerinnen, die ganz andere, reale Personen verkörpern, durch ganz andere Gewässer pflügt. Können Vasarhelyi und Chin auch diese Art von Film meistern?

Im Grunde ja. Wobei: Der Drang zur Doku ist offensichtlich. Nyad ist die recht brave Chronik eines Selbstversuchs, dessen Zweckmäßigkeit, wie bereist erläutert, entweder nachvollziehbar wird oder eben nicht. Darüber lässt sich streiten – genauso wie über ihre errungene Leistung, über die so manche Kritik laut wurde, doch vielleicht ist das nur das Motzen der Neider, die sich womöglich niemals dazu durchringen könnten, so beharrlich ein Ziel zu verfolgen. Die zum Triumph führenden Eckpunkte abhakend, ereifert sich die souveräne Annette Bening mit sonnengebräuntem Teint und burschikosem Kurzhaarschnitt, bis der Arzt kommen könnte. Mit aufgeschwemmtem Gesicht, jedoch noch keinen Schwimmhäuten zwischen Zehen und Fingern, krault sie tage- und nächtelang, nebenher das Boot, obendrauf ihr untergebener Support. Die selten gesehene Jodie Foster tut als Nyads Freundin Bennie Stoll alles, was ihre Rolle verlangt – aber nicht mehr. Seltsamerweise bleibt ihr Schauspiel schon seit geraumer Zeit verhalten und sichtlich erprobt, von den Höchstleistungen zwischen den schweigenden Lämmern und Nell ist nichts mehr geblieben. Das schadet dem Film sowieso kaum, liegt doch der Fokus wie gebannt auf Trial und Error eines geradezu verzweifelten Drangs, durchs Meer zu pflügen. Berauscht von dieser Machbarkeit des Unmöglichen, könnte ich mich vielleicht dazu durchringen, nächstes Jahr das Längenmaß des burgenländischen Neufelder Sees gründlicher in Augenschein zu nehmen. Vielleicht mit Tretboot nebenher.

Nyad (2023)