Beirut (2018)

TAUSCHE FEIND GEGEN FREUND

4/10


beirut© 2018 Bleecker Street


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: BRAD ANDERSON

DREHBUCH: TONY GILROY

CAST: JON HAMM, ROSAMUND PIKE, DEAN NORRIS, SHEA WIGHAM, LARRY PINE, MARK PELLEGRINO, IDIR CHENDER, BEN AFFAN, LEÏLA BEKHTI U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Für viele Kritiker mag Andor wohl die beste Star Wars Serie bisher gewesen sein. Für viele vielleicht. Nicht aber für mich. Woran das nicht enden wollende Lob wohl gelegen haben könnte? Am Mitwirken von Drehbuch-Mastermind Tony Gilroy. Schließlich hat dieser auch die Vorlage zum fulminanten Rogue One – A Star Wars Story abgeliefert. Dass Gilroy schreiben kann, wissen wir –- unter anderem bewies dieser bereits sein Händchen für komplexe, in sich verwobene Geschichten in der von Paul Greengrass dominierten Jason Bourne-Trilogie. Von Jason Bourne ist es nicht mehr so weit bis Beirut. Auch in diesem Dunstkreis aus Fundamentalismus, Rebellion, Politik und Geheimdienst ließe sich die unkaputtbare Persona non Grata aller Geheimdienste bestens verorten – doch statt Matt Damon gibt sich Jon Hamm den Aufenthalt im Nahen Osten, und zwar gerade zu jener Zeit, in der die Olympischen Spiele in München zur Tragödie wurden. Der Schwarze September hat also zugeschlagen, vom Libanon bis nach Ägypten ist alles am Brodeln und knapp vor dem Überkochen. Als Diplomat richtet man sich‘s trotzdem, mit Blick aufs Meer, und eine einheimische Gattin an der Seite.

Der Sozialen Ader muss dabei aber auch entsprochen werden, also nehmen die beiden einen palästinensischen Teenie auf, um ihn mit den Werten des Westens großzuziehen. Das dauert nicht lange, denn eines Tages wird das Anwesen von Jon Hamms Figur Skiles während einer Party von Islamisten heimgesucht, darunter der Bruder des Teenie, der – am Terroranschlag 1972 in München beteiligt – diesen entführt. Die Gattin stirbt, Skiles zieht sich, verstört, trauernd und erschüttert, wieder nach Großbritannien zurück. Um zehn Jahre später, dem Fusel zugetan und recht devastiert, wieder in die Vergangenheit zu reisen, um als Schlichter und Mittelsmann zu fungieren. Denn ein ehemaliger Kollege wurde entführt, und Skiles soll diesen, nun ein hohes Tier, aus den Fängen seines ehemaligen Schützlings boxen, natürlich mit Worten. Und gut verhandelten Deals.

Obwohl Beirut mit einer komplexen Story aufwartet und noch dazu ein ganzes Ensemble bekannter Gesichter auf dem Set hat, von Rosamund Pike bis „Breaking Bad“-Drogenkieberer Dean Norris, hat dieser Politthriller keinerlei Chance, wirklich länger im Gedächtnis zu bleiben. Tony Gilroy mag zwar seine Drehbücher womöglich in mehreren Durchgängen so sehr verdichten, dass kein Leerlauf entsteht und auch alle Protagonisten oft genug in verbale Interaktion geraten. Doch so paradox es klingen mag, führt diese Methode eher dazu, zu den Schauspielern eine immer weiter fortschreitende Distanz einzunehmen. Was hier passiert, entspricht einer perfektionistischen Routine im Genre des Politfilms, aber dennoch einer gewissen schalen Gleichförmigkeit, in der keine der Figuren ausführlich herausgearbeitet werden und auch den sogenannten Antagonisten kein Charisma verliehen wird. Langweilig ist Beirut nicht, aber abweisend und am Wohlergehen seiner Gesprächspartner seltsam uninteressiert.

Beirut (2018)

The Middle Man – Ein Unglück kommt selten allein (2021)

ZUERST DIE SCHLECHTE NACHRICHT

6,5/10


the-middle-man© 2020 BULBUL FILM / THE MIDDLE MAN FILMS INC / PANDORA FILM


LAND / JAHR: NORWEGEN, DEUTSCHLAND, DÄNEMARK, KANADA

REGIE: BENT HAMER

BUCH: BENT HAMER, NACH DEM ROMAN SLUK VON LARS SAABYE CHRISTENSEN

CAST: PÅL SVERRE HAGEN, TUVA NOVOTNY, ROSSIF SUTHERLAND, KENNETH WELSH, PAUL GROSS, TROND FAUSTA, NINA ANDRESEN BORUD, BILL LAKE, AKSEL HENNIE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Renovierungsbedürftige Fassaden, bröckelnder Verputz. Schimmel, Wasserflecken und vergilbte Tapeten. Ein Inventar wie vom Flohmarkt, Aktenordner, die das Chaos in einem Büroraum bestimmen, der wohl mehr als Notlösung für ein heruntergekommenes Archiv herhalten kann als für ein zum Wohlbefinden der Mitarbeiter evaluierter Arbeitsplatz. In dieser von sozialer wie finanzieller Unterstützung benachteiligten Kleinstadt Karmack inmitten des größten Industriegebietes der USA, dem sogenannten Rust Belt, ist der wortwörtliche Rost, der Siff und der Verfall fast schon eine Art Sehenswürdigkeit – nämlich auf eine Weise, wie Bent Hamer sie zelebriert. Als dekoratives Element zur Versinnbildlichung einer lange an der seelischen Gesundheit seiner Figuren kratzenden Vergänglichkeit. Denn Karmack ist ein Ort des Schreckens. Oder besser gesagt: ein Epizentrum des Unglücks. So hat diese leicht kafkaeske Kleinstadtbürokratie auch den Platz eines Middle Man vorgesehen, der die unangenehme Aufgabe übernehmen soll, an den Türen der Bürger zu läuten, um diesen das Ableben ihrer Angehörigen zu verklickern. 

Frank Farelli ist der einzige Bewerber für diesen Job. Seine phlegmatische Ausstrahlung und das rationale Verhalten, welches er an den Tag legt, könnten der Sache dienlich sein. Doch vor allem ist endlich wieder Arbeit angesagt, und noch dazu macht ihm Sekretärin Blenda schöne Augen. Doch wie es der Zufall will, scheint Karmack plötzlich von Unheil verschont zu bleiben. Zumindest vorerst. Um dann mit Anlauf zuzuschlagen und eine Kettenreaktion auszulösen, die damit beginnt, dass sein bester Freund Steve im Rahmen einer Auseinandersetzung unglücklich stürzt und so ins Koma fällt. Nun muss er die traurige Nachricht dessen Vater überbringen. Auch kein leichtes Unterfangen. Und der asoziale Irre, der das ganze Schlamassel verursacht hat, läuft frei herum, ohne dafür belangt werden zu können.

Über Bent Hamers skurriler 50er Jahre-Schrulle Kitchen Stories ist zwar auch schon etwas Gras gewachsen, doch zumindest ist mir diese noch in Sachen Stimmung und Setting gut in Erinnerung geblieben. Man kann also meinen, Norwegen ist überall, wenn man nur genauer hinsieht. So ist es diesmal besagtes Industrieviertel – und selten noch ist es einem Film wirklich gelungen, Amerika nicht so aussehen zu lassen wie Amerika, sondern wie eine völlig autarke, in Brauntönen kolorierte Örtlichkeit. All die Figuren, die da auftreten, erinnern mitunter an die starren Pop-Up-Individuen aus Roy Anderssons bühnenhaften Kunstwerken. Bei Hamer ist die Geschichte aber nicht episodenhaft, sondern durchgehend und lebendiger, vielleicht auch weniger schräg als vermutet, dafür umso kummervoller. Der Fokus liegt auf dem sozial etwas ungelenken Unglücksraben Frank, dargestellt von Pål Sverre Hagen, der vor allem durch seine Performance als Thor Heyerdahl in Espen Sandbergs und Joachim Rønnings Kon-Tiki Insidern des Euro-Kinos bekannt sein könnte. Ein bisschen was von Rita Falks Eberhofer könnte er auch aufgeschnappt haben, und wie bei den bayrischen Provinzkrimis geht es auch in The Middle Man – Ein Unglück kommt selten allein vorrangig um soziale Absonderlichkeiten des Alltags, um gesellschaftliche Automatismen und einer gewissen, allen Anwesenden inhärenten Unaufgeräumtheit. Daraus entstehen seltsame Situationen und kuriose Zufälle, die aber alle neben der Spur passieren. The Middle Man ist Tragikomik mit versponnenem Lokalkolorit, ist mit penibel arrangierten Versatzstücken urbaner Verwahrlosung ausgestattet und recht langsam erzählt. Letzten Endes könnte fast schon ein Thriller daraus geworden sein, doch so weit würde ich nicht gehen. Dafür ist das Frustpotenzial in diesem lakonischen Film doch eher endenwollend, was The Middle Man aber nicht schlechter, sondern vielleicht nur sympathischer macht. Und weniger schadenfroh.

The Middle Man – Ein Unglück kommt selten allein (2021)