Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim (2024)

IM PULSSCHLAG VON TOLKIENS WELT

8/10


schlachtderrohirrim© 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA, JAPAN 2024

REGIE: KENJI KAMIYAMA

DREHBUCH: PHOEBE GITTINS, ARTY PAPAGEORGIOU, JEFFREY ADDISS, WILL MATTHEWS, BASIEREND AUF DEM ROMAN VON J. R. R. TOLKIEN

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): BRIAN COX, GAIA WISE, LUKE PASQUALINO, MIRANDA OTTO, LAURENCE UBONG WILLIAMS, LORRAINE ASHBOURNE, SHAUN DOOLEY, BILLY BOYD, DOMINIC MONAGHAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Ich muss gestehen: Die Kunstform des japanischen Anime-Films und ich haben so unsere Annäherungsprobleme, obzwar ich mit so manchem aus dem Kinderprogramm der Achtziger aufgewachsen bin: Biene Maja, Heidi, Perrine, Niklas – alles Produktionen unter anderem aus den Studios der Nippon Animation, bis auf Heidi, die gehörte Zuiyo Enterprise. Hinterfragt haben wir die Darstellung der Figuren und den Zeichenstil damals natürlich nicht, die großen Münder, die großen Augen, das war alles selbstverständlich, obgleich etwas befremdend im Gegensatz zu anderen Animationsserien, die das nicht ganz so hatten. Den Stil des Anime muss man mögen – oder auch nicht. Franchises wie One Piece oder Dragon Ball können mich nicht abholen, die ganzen Klassiker, von Chihiros Reise ins Zauberland über Mein Nachbar Totoro bis hin zu Akira – sie alle stünden noch auf meiner Watchlist, würde ich es in Betracht ziehen, mich mit diesem Genres trotz meiner Verschnupftheit gegenüber seiner Machart auseinanderzusetzen. Vielleicht muss man andere Franchises bedienen, die Fans ganz anderer Welten längst liebgewonnen haben. Wie wärs mit Star Wars? Da gibt es die Anthologieserie Star Wars Visions auf Disney+. Zahlreiche Künstler des Anime haben dort Versatzstücke der weit entfernten Galaxis neu- und nachinterpretiert. Ein Experiment, das nur bedingt aufgeht. Anders verhält es sich da schon mit Mittelerde und allem, was vor, nach und während der Ringkriege so passiert sein mag.

Den Versuch wagt diesmal Kenji Kamiyama, der bei Star Wars Visions mit seiner Episode The Ninth Jedi bereits vertreten war. Und verarbeitet eine Erwähnung aus den Anhängen der Herr der Ringe-Romane von J. R. R. Tolkien zu einem schicksalhaften Epos rund um die Völker von Rohan, angesiedelt ungefähr zweihundertfünfzig Jahre vor der Sache mit dem einen Ring, und eingebettet in die für Kenner und Fans bereits vertraute, wohlbekannte und griffige alte neue Welt der weiten Täler, Grassteppen und unwirtlichen Gebirgszüge, in deren zerklüfteten Flanken sich so manche aus Menschenhand erbaute Burg aus den Schatten quält. Eine davon ist uns wohlbekannt. Damals nannte man sie Hornburg, nach den heldenhaften Taten eines Königs namens Helm Hammerhand treffend Helms Klamm getauft. Eine Festung sondergleichen, eine unbezwingbare letzte Bastion, aus der es, wird sie mal belagert, kaum ein Entkommen gibt. In Der Herr der Ringe – Die zwei Türme grölte vor den Mauern die unzählbare Meute blutdürstender Orks unter der Führung des sinistren Zauberers Saruman (der auch hier einen kleinen Cameo-Auftritt absolviert – mit der Stimme Christophers Lees). Jahrhunderte früher war es eine Handvoll Dunländer, die sich die Kampfeslust der Bergvölker zu eigen machen, um sich die Herrschaft der Provinz Edoras unter den Nagel zu reissen. Heerführer Wulff, emotional geblendet, rachelüstern und beleidigt wie ein kleines Kind, will Helm Hammerhand, der seinen Vater auf dem Gewissen hat, samt seiner Sippschaft vom Boden Mittelerdes tilgen. Hammerhands Tochter, die rothaarige und pferdeliebhabende Héra, hat Wulff einst den Laufpass gegeben, umso mehr wuchert die Kränkung in des Gegners einfachem Gemüt. Es kommt, wie es kommen muss, die Schlacht der Rohirrim wird in diesem Anime-Abenteuer ausgetragen werden, bildet aber nicht den Höhepunkt des Films, sondern darf vielmehr als Rad des Schicksals die Parameter neu verteilen.

Mit viel Gespür für die Seele von Tolkiens Welt und einer Lust am Erzählen von Märchen und Legenden, als würde man als Hobbit am Lagerfeuer irgendwo in den Wäldern des Auenlandes sitzen und erfahrenen Reisenden bei ihren genüsslichen Vorträgen an den Lippen hängen, so wirkt Der Her der Ringe: Die Schlacht de Rohirrim auch auf mich. Anders als die von den amazon studios ins Leben gerufene Serie beweist der Stoff, aus dem die epische Fantasy erstanden sein mag, das Zeug dazu, auf der großen Leinwand viel besser zu funktionieren als auf dem Abspielgerät des Streamers. Der Herr der Ringe gehört ins Kino, Der Herr der Ringe funktioniert nur dann, wenn die Geschichte den Mut hat, weitestgehend stringent erzählt, anstatt andauernd von Nebengeschichten zerrissen zu werden. Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht leidet darunter, zu viele Schauplätze auf einmal zu bespielen. So funktioniert das Erzählen von Legenden nun mal nicht. Wenn es hochkommt, können zwei Erzählstränge parallel laufen, um einander zu ergänzen. Frodos Odyssee zum Schicksalsberg auf der einen, die Abenteuer der übrigen Gefährten auf der anderen Seite. Die Schlacht der Rohirrim besinnt sich auf den Erzählstil von Mittelerde und macht somit alles richtig. Schafft dadurch auch Atmosphäre und elegantes Pathos, vermengt sein großes Drama mit Howard Shores Gänsehaut-Klängen und nachhaltigen Wendungen, die diesem Teil Mittelerdes eine glamouröse Bedeutung verleihen, die wiederum in den späteren Filmen ihren Widerhall findet.

Meine vom Fotorealismus verwöhnten Augen gewöhnen sich überraschend schnell an den Stil des Anime. Siehe da, die reduzierte Mimik der Gesichter schafft Spielraum für die eigene Imagination der Heldinnen und Helden, die Geschichte ist der Optik untergeordnet und kann sich entfalten. Kamiyamas Film gerät dadurch zum leidenschaftlichen Herrscherinnendrama und legt den Grundstein für so starke Figuren wie Thronerbin Éowyn, die im Grande Finale der Ringe-Trilogie dem Hexenmeister den Feminismus erklärt. In einem Guss erzählt und eingebettet in das große Mysterium der Kerngeschichte des dritten Zeitalters, spürt das Franchise endlich wieder den Pulsschlag von Tolkiens Welt.

Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim (2024)

Mortal Engines – Krieg der Städte

WHERE DO YOU GO TO, MY BRITAIN?

7/10

 

mortalengines© 2018 Universal Pictures and MRC. All Rights Reserved.

 

LAND: USA, NEUSEELAND 2018

REGIE: CHRISTIAN RIVERS

CAST: HERA HILMAR, ROBERT SHEEHAN, HUGO WEAVING, JIHAE, STEPHEN LANG, PATRICK MALAHIDE U. A.

 

Vor kurzem wurde ich gebeten, nachzusehen, was denn 2019 Einschneidendes für uns bringen wird. So wirklich fündig wurde ich nicht wirklich. Was einzig und allein aus der Agenda des kommenden Jahres hervorsticht, ist Großbritannien, das der europäischen Union entweder in harter oder weicher Form den Rücken kehren wird. Da stellt sich die Frage: Where do you go to, Great Britain? Das weiß keiner so wirklich, nicht mal Theresa May, weil es so einen Fall noch nie gegeben hat. Aber irgendeiner muss immer anfangen. Und dann weitermachen. Oder weiterrollen. Denn letzteres passiert, viele Dekaden nach unserer Zeitrechnung, nach einem apokalyptischen Krieg mit Quantenwaffen (was auch immer das sein soll), der eine verwüstete Erde und ganz viel Altmetall zurückgelassen hat, um daraus wieder neue Städte zu bauen, die diesmal mobil sind, tiefe Furchen im Erdreich hinterlassen und imstande sind, kleinere Städte innerhalb einer Zahnradumdrehung zu verknuspern. Was für ein verblüffender Zufall, dass diese Megacity auf Walzen Großbritannien darstellt. Ein Brexit in ferner Zukunft also – und jetzt kommt das augenzwinkernd Ironische an dem ganzen: Dieses Großbritannien, das nur mehr aus einer verschachtelten und aufgetürmten Stadt London besteht, will zwar ebenso die Grenzen sprengen wie das Großbritannien, das wir kennen – aber es will in das gelobte Land hinein, und nicht hinaus. Kann gut sein, dass hier niemand sonst diese politische Allegorie entdeckt – mich amüsiert das, und für mich bekommt dieses Fantasy-Epos dadurch eine Metaebene, die man mag oder auch nicht, die aber mehr zu erzählen scheint als nur ein Mad Max-Märchen zur 3er-Potenz.

Peter Jackson, der seit seinem arbeitsplatzbeschaffenden Mammut-Projekt Der Hobbit kein Regie-Zepter mehr angefasst hat, schickt Regie-Greenhorn und Weta-Genie Christian Rivers ins Feld, um Philip Reeve´s preisgekrönten ersten Teil seiner Predator City-Quadrilogie zu verfilmen. Was ihm überraschenderweise ziemlich gut gelingt. Statt mechanisch, kalt und steril, wie manche Kritiker meinen, gerät das düstere Epos um rollende Werkzeugkästen und Motoren zu einem detailverliebt ausgestatteten Waterworld im knochentrockenen Steampunk-Stil, in dem die 20er Jahre des 20ten Jahrhunderts mit Melone, deutschen Uniformen aus der Zeit Wilhelm II. und ganz viel Chaplin´s Modern Times fröhliche Urständ feiern. Dass das Ganze nicht zu einem manieristischen Zitatenschatz verkommt, ist der isländischen Hauptdarstellerin Hera Hilmar zu verdanken. Dieses erfrischend neue Gesicht auf der Blockbuster-Leinwand kompensiert nicht nur die Unbeholfenheit ihres Co-Akteurs Robert Sheehan, sondern haucht dieser eisenharten Schicksalssymphonie ganz viel Seele ein. Ihre Verbitterung, die Trauer über ihren Verlust und ihre Wut dem piratischen Machtgefüge gegenüber lässt Hilmar ein bisschen so werden wie eine Symbiose aus Arya Stark aus Game of Thrones und einer desillusionierten Ronja Räubertochter. Nicht umsonst ist das mit rotem Tuch vermummte Konterfei der jungen Dame auf allen Plakaten zu sehen – sie ist das Kernstück, der eigentliche Antrieb, der die Maschine am Laufen hält. Und dann gibt es da noch ganz viel Star Wars, vor allem gegen Ende des Films, und da macht Mortal Engines auch kein Geheimnis daraus, eine Geschichte nach bewährtem Erfolgsrezept erzählen zu wollen. Statt Rasendem Falken und X-Flüglern haben wir es hier mit so aerodynamischen wie formschönen Luftschiffen zu tun, die dem „Todesstern“ namens London ans Eingemachte wollen. Dieser Hang zum Abkupfern sei den Drehbuchautoren Jackson und Fran Walsh verziehen, auch wenn Mortal Engines sein ausgefeiltes CGI irgendwann nicht mehr unter Kontrolle zu haben scheint. Dann droht dem dystopischen Eventkino szenenweise der platte Overkill. Doch Deus ex Machina sei Dank bekommt Rivers die Kurve. Anders als bei urbanen Dystopien wie Die Tribute von Panem oder Die Bestimmung bewahrt sich Mortal Engines die narrativen Parameter einer legendenhaften High Fantasy, da spürt man schon den Atem eines Drachen, wenngleich dieser aus Zahnrädern und stampfenden Turbinen besteht.

Die Schrauben, die bleiben festgedreht, auch wenn glühäugige Cyborgs manch eine locker haben – und wir uns ebenso in einer Zukunft weit nach den Skynet-Kriegen wieder finden könnten. Alles zusammen fügt sich zu einer zwar nicht wirklich staunenswert originellen, aber zumindest staunenswert ausgestatteten Welt mit versteckten Seitenhieben auf die aktuelle Politik, in die es sich einzutauchen lohnt, auch wenn das Schmieröl dann nicht mehr aus der Kleidung geht.

Mortal Engines – Krieg der Städte