France (2021)

ANCHORWOMAN AM HAKEN

4,5/10


france© 2022 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, ITALIEN, DEUTSCHLAND, BELGIEN 2021

BUCH / REGIE: BRUNO DUMONT

CAST: LÉA SEYDOUX, BLANCHE GARDIN, BENJAMIN BIOLAY, EMANUELE ARIOLI, FRANÇOIS-XAVIER MÉNAGE, JULIANE KÖHLER, JAWAD ZEMMAR U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Voller Inbrunst dirigiert sich Cate Blanchett derzeit im Kino vom Olymp der Virtuosen in den Hades hinunter, hat akustische Halluzinationen und muss sich mit dem Vorwurf des Machtmissbrauchs herumschlagen. Todd Field hat mit Tár ein oscarnominiertes Psychogramm inszeniert, dass sich zu sehr auf seine Fachsimpelei verlässt und lieber den Alltag einer Musikerin verfolgt als die eigentliche Geschichte, die Brisanz genug hätte. Auf ähnliche Weise verschieben sich beim fiktiven französischen Ruhmes-Portrait France die Prioritäten, wobei hier die Skandalgeschichte eigentlich wegfällt – zumindest wird diese nicht als Kernstück des Filmes versprochen, ohne dann umgesetzt zu werden. Der Skandal in France ist nur eines von vielen Symptomen, die das gegenwärtige Leben der berühmten, aber fiktiven Star-Journalistin France du Meurs illustrieren. France steht also nicht für den Staat (oder vielleicht doch, irgendwie?), sondern für eine übertrieben ehrgeizige, bildschöne und virtuose Manipulatorin, die mit den Medien umgeht wie ein Profifußballer mit dem runden Leder. Alles tanzt nach ihrer Pfeife, will sogar den Anspruch auf Wahrheit opfern für geschickt arrangierte Beiträge im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die eigentlich nur France selbst in Szene setzen und nicht das zum Beispiel zerschundene Bürgerkriegsland, in welchem so vieles im Argen liegt.

Diese France also ist wie Tár, ganz oben an der Spitze des Erfolges, von wo aus es nur abwärts gehen kann. Die Boulevardpresse schlachtet ihr Leben aus, ihr Konterfei lächelt von allen möglichen Plakaten und ist omnipräsent. So viel Öffentlichkeit kann niemals guttun, also zieht sie sich nach einem Skandal für eine Zeit lang aus selbiger zurück, um sich in den Schweizer Alpen einer Psychotherapie zu unterziehen. Dort lernt sie einen attraktiven jungen Mann kennen, dem ihre Prominenz bislang entgangen zu sein scheint. Diese erfrischende Unvoreingenommenheit dieses Kerls und dessen verträumter Sinn für Poesie beeindrucken France sehr – und so fängt sie eine Beziehung an, obwohl selbst verheiratet und Mutter einer Tochter.

Von satirischen Spitzen und Demaskierungen der Medienwelt wie in Wag the Dog oder dem bitterbösen Network fehlt in Bruno Dumonts Prominentendrama jede Spur. Die Darstellung von Frances Selbstinszenierung hat nicht mehr zu sagen als sie darstellt, was Ruhm für manche bedeuten und nicht bedeuten kann, welche Werte dabei vorrangig sind und welche nicht. Léa Seydoux (u. a. An einem schönen Morgen) gibt diese exaltierte, selbstbewusste Person mit den immer größer werden Sprüngen in ihrem Ego als eine im Leerlauf befindliche Erfolgsperson, die sich neu sortieren muss. Klar ist alles nur Fassade, oder zumindest meistens. Und so zelebriert Dumont ( u. a. Eine feine Gesellschaft) auch wirklich des Öfteren und später viel zu oft die inflationäre Omnipräsenz von Seydoux‘ ansprechendem Gesicht in allen Lebenslagen. Ob Lachen, Weinen oder Verzweifeln – France ist ein Film, der sich über zwei Stunden lang nur um eine einzige Person dreht, ohne je wirklich gegen das zum Showbiz verkommene Nachrichtensegment in den Medien loszutreten. So viel Personenkult ohne entsprechenden Wandel ermüdet auf Dauer – und dreht sich im Kreis, auch wenn der guten Dame letztendlich nichts erspart bleibt und die Schicksalsschläge alle für ein Drama der Extraklasse reichen. France betrachtet diese gelangweilt aus der Distanz. Und wir mit ihr.

France (2021)

3 Tage in Quiberon

SCHICKSALSJAHRE EINER SCHAUSPIELERIN

7/10

 

quiberon© 2000-2018 PROKINO Filmverleih GmbH

 

LAND: DEUTSCHLAND, FRANKREICH, ÖSTERREICH 2018

REGIE: EMILY ATEF

CAST: MARIE BÄUMER, BIRGIT MINICHMAYR, ROBERT GWISDEK, CHARLIE HÜBNER, VICKY KRIEPS, DENIS LAVANT U. A.

 

Sissi, Sissi, Sissi – jede Erwähnung des Namens ist wie ein Stich ins Herz. Romy Schneider´s Nemesis ist eine kindliche Kaiserin im Dirndl, verspielt und lausbübisch, Karlheinz Böhm an den Hals werfend und mit des Kaisers Mutter im Clinch. Angehimmelt von Josef Meinrad und händeringend zur Etikette angehalten von Mama Magda. Wer hätte das gedacht, dass Ernst Marischka´s Trilogie so nachhaltig traumatisieren kann. Dabei sind diese Filme handwerklich perfekt – über den Inhalt lässt sich sicher streiten, aber wenn Kitsch gut gemacht sein will, dann ist Sissi I – III wohl die ideale Vorlage für das autodidaktische Erlernen von romantischer Verklärung ganz anderer Wahrheiten. Sissi war für Romy Schneider sowas wie eine lästige Kinderkrankheit, der Inbegriff einer womöglich völlig zerrütteten Familiensituation. Der Name für ein Schicksal, welches man als Kinderstar wohl meistens aussitzen muss – und das nicht ohne Zuhilfenahme bewusstseinsverändernder Substanzen, die den Selbstwert pushen sollen. Und die das eigene Selbstmitleid tief ins Jammertal hineinführen.

Aus dem Jammertal kommt die in Frankreich wahren Ruhm erlangende Filmgöttin dann auch Zeit ihres Lebens nicht mehr heraus. Die Flucht in andere Identitäten bestimmt ihr Dasein, vom Mädchen in Uniform bis hin zu ihrem letzten Spaziergang in Sans Souci, alles Rollen, in denen Romy Schneider jede Faser ihres Daseins legt legt als ginge es darum, sich selbst rechtfertigen zu müssen. Teils enervierend hysterisch, teils fürchterlich leidend. Dazwischen die nicht viel andere Realität: Liebeskummer wohin man blickt, die Trennung von Alain Delon, der Selbstmord von Harry Meyen. Ertragen kann die bildschöne, von der Märchenkaiserin nun völlig abgenabelte Extravaganz in Person das alles nur mit Alkohol und Medikamenten. Die Hilfe von außen grenzt fast schon an Bemutterung. Alleine lassen kann man die Diva wohl niemals mehr wirklich lange. Davon kann Busenfreundin Hilde Fritsch einiges erzählen. Anfang der 80er besucht sie die auf Kur befindliche Drama-Queen im Küstenstädtchen Quiberon, um zufällig einem Interview mit dem Magazin Stern beizuwohnen, das im Laufe von drei Tagen – na sagen wir zwei, weil der dritte Tag beinhaltet nur mehr die Abreise – ordentlich ans Eingemachte geht. Allerdings auch, weil Romy Schneider hier ganz bewusst ihr Innerstes nach außen kehrt und einen Seelenstriptease hinlegt, den Journalist Michael Jürgs mit Handkuss entgegennimmt. Der Gossip-Schreiberling ist anfangs ein stoischer Unsympathler, undurchschaubar und von arrogantem Understatement. Ihm zur Seite ein alter Bekannter Schneiders, der Fotograf Robert Lebeck, der den Filmstar anhimmelt wie kein Zweiter. Freundin Hilde, gespielt von Burgschauspielerin Birgit Minichmayr, kann nicht glauben, was sie hört und sieht, wirkt reichlich genervt ob dieses Schwelgen in einem Elend, das an Selbstinszenierung grenzt und jede Menge Aufmerksamkeit auf sich zieht, was scheinbar auch gewollt ist, denn geliebt will sie ja werden, die Romy Schneider. Und gleichzeitig in Ruhe gelassen, womit sie wiederum noch mehr im Mittelpunkt steht als ihr lieb ist.

EINE ART BIOGRAPHISCHES KINO

Schauspielerin Marie Bäumer schafft es unter der Regie von Emily Atef tatsächlich, zur großen, abgestürzten, vergangenen Ikone zu werden. Um nicht zu sagen – Marie Bäumer ist Romy Schneider und führt von nun an die Benchmark an, wenn es darum geht, Romy Schneider zu verkörpern. Kolleginnen wie Jessica Schwarz oder Yvonne Catterfeld können das Feld räumen, da bleibt im Nachhinein nur das glänzende Schauspiel in weichgradigem Schwarzweiß in Erinnerung. Die Mimik, das Lachen, selbst die mit dezentem österreichischem Dialekt gefärbte Sprache Schneiders weiß Bäumer authentisch zu interpretieren. Da ist sie mindestens so kraftvoll und faszinierend wie Michelle Williams es einst war, in der biographischen Episode My Week with Marilyn als blonder Engel mit nicht weniger labiler Seele. 3 Tage in Quiberon sieht zumindest nach harter, aber längst nicht vertaner Schauspielarbeit aus, andauernd zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt hin und her zu rotieren, um dann wieder gelähmt vor lauter Weltschmerz verkatert im Bett dahinzuvegetieren. Doch die Würde, die nimmt sie ihrer darzustellenden Figur kein einziges Mal. Atef ist auf Romy Schneider´s Seite, auch wenn sie sie bemitleidet, auch wenn sie sie als kranken Menschen betrachtet, der verlernt hat, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das Packen an eigenem Schopf und das Rausziehen aus dem Sumpf des Selbstmitleids ist ein abgefahrener Zug, eine Chance, die maximal durch die Auszeit von Film und Medien wieder geradegebogen hätte werden können. Romy Schneider will aber weitedrehen, sammelt sich wieder, strauchelt wieder – dabei steht ihr zu dieser Zeit, an dem das Stern-Interview und die legendären Fotos stattgefunden haben, ihr größter und vernichtender Schicksalsschlag noch bevor – der tragische Tod ihres Sohnes David.

3 Tage in Quiberon ist eine Art biographisches Kino, das so am besten funktioniert. Durch das Fokussieren eines öffentlichen Lebens auf einen Augenaufschlag lassen sich Persönlichkeiten grandios skizzieren. Da muss kein Filemacher eine ganze Curriculum vitae herunterspulen, die irgendwann ermüdet und sich auf keinen greifbaren Moment einlassen kann. Da reicht der Blick eines Zeitgenossen auf den begehrten Charakter, da reicht das Interagieren der Außenwelt mit dem Faszinosum im Elfenbeinturm für eine kurze Zeitspanne, um viel mehr zu erzählen als bei einem filmischen Nachruf. Atef gelingt, genauso wie Anton Corbijns gelungenem Künstlerfilm Life über die Begegnung eines Fotografen mit James Dean (großartig gespielt: Dane DeHaan), eine subjektive, kunstvolle Annäherung an eine abgründig anmutige Künstlerin, die Nähe verlangt und gleichzeitig unmöglich macht.

3 Tage in Quiberon