France (2021)

ANCHORWOMAN AM HAKEN

4,5/10


france© 2022 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: FRANKREICH, ITALIEN, DEUTSCHLAND, BELGIEN 2021

BUCH / REGIE: BRUNO DUMONT

CAST: LÉA SEYDOUX, BLANCHE GARDIN, BENJAMIN BIOLAY, EMANUELE ARIOLI, FRANÇOIS-XAVIER MÉNAGE, JULIANE KÖHLER, JAWAD ZEMMAR U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Voller Inbrunst dirigiert sich Cate Blanchett derzeit im Kino vom Olymp der Virtuosen in den Hades hinunter, hat akustische Halluzinationen und muss sich mit dem Vorwurf des Machtmissbrauchs herumschlagen. Todd Field hat mit Tár ein oscarnominiertes Psychogramm inszeniert, dass sich zu sehr auf seine Fachsimpelei verlässt und lieber den Alltag einer Musikerin verfolgt als die eigentliche Geschichte, die Brisanz genug hätte. Auf ähnliche Weise verschieben sich beim fiktiven französischen Ruhmes-Portrait France die Prioritäten, wobei hier die Skandalgeschichte eigentlich wegfällt – zumindest wird diese nicht als Kernstück des Filmes versprochen, ohne dann umgesetzt zu werden. Der Skandal in France ist nur eines von vielen Symptomen, die das gegenwärtige Leben der berühmten, aber fiktiven Star-Journalistin France du Meurs illustrieren. France steht also nicht für den Staat (oder vielleicht doch, irgendwie?), sondern für eine übertrieben ehrgeizige, bildschöne und virtuose Manipulatorin, die mit den Medien umgeht wie ein Profifußballer mit dem runden Leder. Alles tanzt nach ihrer Pfeife, will sogar den Anspruch auf Wahrheit opfern für geschickt arrangierte Beiträge im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die eigentlich nur France selbst in Szene setzen und nicht das zum Beispiel zerschundene Bürgerkriegsland, in welchem so vieles im Argen liegt.

Diese France also ist wie Tár, ganz oben an der Spitze des Erfolges, von wo aus es nur abwärts gehen kann. Die Boulevardpresse schlachtet ihr Leben aus, ihr Konterfei lächelt von allen möglichen Plakaten und ist omnipräsent. So viel Öffentlichkeit kann niemals guttun, also zieht sie sich nach einem Skandal für eine Zeit lang aus selbiger zurück, um sich in den Schweizer Alpen einer Psychotherapie zu unterziehen. Dort lernt sie einen attraktiven jungen Mann kennen, dem ihre Prominenz bislang entgangen zu sein scheint. Diese erfrischende Unvoreingenommenheit dieses Kerls und dessen verträumter Sinn für Poesie beeindrucken France sehr – und so fängt sie eine Beziehung an, obwohl selbst verheiratet und Mutter einer Tochter.

Von satirischen Spitzen und Demaskierungen der Medienwelt wie in Wag the Dog oder dem bitterbösen Network fehlt in Bruno Dumonts Prominentendrama jede Spur. Die Darstellung von Frances Selbstinszenierung hat nicht mehr zu sagen als sie darstellt, was Ruhm für manche bedeuten und nicht bedeuten kann, welche Werte dabei vorrangig sind und welche nicht. Léa Seydoux (u. a. An einem schönen Morgen) gibt diese exaltierte, selbstbewusste Person mit den immer größer werden Sprüngen in ihrem Ego als eine im Leerlauf befindliche Erfolgsperson, die sich neu sortieren muss. Klar ist alles nur Fassade, oder zumindest meistens. Und so zelebriert Dumont ( u. a. Eine feine Gesellschaft) auch wirklich des Öfteren und später viel zu oft die inflationäre Omnipräsenz von Seydoux‘ ansprechendem Gesicht in allen Lebenslagen. Ob Lachen, Weinen oder Verzweifeln – France ist ein Film, der sich über zwei Stunden lang nur um eine einzige Person dreht, ohne je wirklich gegen das zum Showbiz verkommene Nachrichtensegment in den Medien loszutreten. So viel Personenkult ohne entsprechenden Wandel ermüdet auf Dauer – und dreht sich im Kreis, auch wenn der guten Dame letztendlich nichts erspart bleibt und die Schicksalsschläge alle für ein Drama der Extraklasse reichen. France betrachtet diese gelangweilt aus der Distanz. Und wir mit ihr.

France (2021)

Save Yourselves!

INVASION DER FLAUSCHIS

5,5/10


saveyourselves© 2020 Bleecker Street


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: ALEX HUSTON FISHER & ELEONOR WILSON

CAST: SUNITA MANI, JOHN PAUL REYNOLDS, JOHN EARLY, JO FIRESTONE U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Wenn irgendetwas mit Fell die Absicht hat, fremde Welten zu erobern, wird es generell mal unterschätzt. Star Trek-Fans wissen, dass Kirk und Co die legendären Tribbles anfangs für harmlos hielten, bis sie sich ungebremst vermehrten. Oder die dauergrinsenden Critters. Im Grunde niedliche kleine Flauschkugeln, die aber nur eines im Sinn hatten: Fressen! Selbst die Ewoks aus Star Wars wurden unterschätzt, vor allem ihr Appetit auf Menschenfleisch, den nur ein goldener Roboter zügeln konnte. Was Fell hat, kann sich also gut hinter seinem Kinderzimmer-Stofftier-Klischee tarnen. Auch in diesem kleinen Independetfilm, der auf Sky seine Premiere hatte, sind mit Plüsch überzogene Fellhocker nicht das, was sie vorgeben zu sein. Denn sie bewegen sich – und können gehörigen Schaden anrichten.

Auch wenn Save Yourselves! ganz eindeutig eine Science-Fiction-Komödie im Stile von Gremlins oder den eingangs erwähnten Critters in die Wege leitet, will das Regieduo Alex Huston Fischer und Eleonor Wilson zusätzlich auch noch etwas ganz anders erzählen. Oder etwas ganz anderes austeilen. Und zwar einen Seitenhieb auf unser ach so bequemes Zeitalter der immanenten Erreichbarkeit und der sozialen Medien. Um sich diesen Druck auf Facebook, Instagram und Twitter und wie sie alle heißen zu entziehen, plant ein junges Ehepaar nach einigen beruflichen Niederlagen einen Neuanfang. Den startet man am besten damit, zumindest mal eine Woche alle mobilen Gerätschaften abzuschalten und das Internet daheimzulassen. Eine Woche nur Analoges, keine Calls von außerhalb, keine Likes, keine Postings. Nur eine Hütte in der Natur, ein Buch und massig Zeit, um sich als Paar wieder näherzukommen. Was sie demzufolge nicht mitbekommen, ist die Invasion der Flauschis. Aber auch nur so lang, bis plötzlich ein Möbelstück im Wohnzimmer steht, das vorher nicht da war.

Als dialogstarke Beziehungskomödie funktioniert Save Yourselves! ganz gut. Sunita Mani und John Reynolds agieren sehr natürlich. Wie für einen zeitgeistigen Independentfilm üblich gönnt sich auch dieser sozialkritische Untertöne und spickt diese mit alltagsrelevanten, knackigen Gesprächen, deren Themen wir alle ganz gut nachvollziehen können. Sobald die unheimliche Begegnung der dritten Art aber unweigerlich ins Haus steht, wird’s etwas unentschlossen. Woran das liegt? Vielleicht, weil diese Fellbommel längst nicht so eine Reproduktionsrate haben wie die Tribbles. Weil sie theoretisch relativ leicht in den Griff zu kriegen wären – die Apokalypse aber dennoch droht. Das Augenscheinliche und das Kolportierte will nicht so ganz zusammenpassen. Und auch die Verzichts-Challenge mit den sozialen Medien ist irgendwann nicht mehr wichtig, dazu gibt´s auch sonst nichts mehr beizusteuern, außer vielleicht die Empfehlung, doch irgendwie immer erreichbar zu sein. Es könnten ja Dinge wie diese passieren. Und da wäre es gut, zu wissen, was in den Nachrichten steht. Und was, wenn nicht? Die Antwort darauf wäre vielleicht noch interessanter gewesen als die letztendlich entworfene Grundsituation.

Save Yourselves!

Yalda

BEGNADIGUNG IM FREE TV

5/10


yalda© Julian Atanassov/JBP Production


LAND / JAHR: IRAN, FRANKREICH, DEUTSCHLAND, SCHWEIZ, LUXEMBURG 2019

BUCH /REGIE: MASSOUD BAKHSHI

CAST: SADAF ASGARI, BEHNAZ JAFARI, BABAK KARIMI, ARMAN DARVISH, FERESHTEH SADRE ORAFAIY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 29 MIN


There’s no business like show business – nicht einmal im Iran. Betrachtet man die Medienlandschaft weltweit, lässt sich ja ohnehin kaum glauben, was es da für Formate gibt. Vom expliziten Trash, der zum Fremdschämen einlädt, bis hin zu halsbrecherischen Challenges quer durch die Wildnis, und das am besten nackt. Dank einer gewissen Quotengeilheit gibt es zumindest in vorliegendem Kammerspiel mit dem Titel Yalda eine Livesendung, in welcher tatsächlich über Leben und Tod entschieden werden kann. Klingt ein bisschen wie Running Man oder wie die Tribute von Panem? Nein, ganz so actionlastig ist es nicht, und der Bodycount übersteigt hier schlimmstenfalls auch nicht den einstelligen Bereich. Geerdet in der Gegenwart, und keinesfalls als Bild einer Zukunft zu betrachten, lädt die Reality-TV-Show mit dem schmalzigen Titel Joy of Forgiveness verfeindete Parteien auf die illustre Bühne, um einander zu vergeben. Natürlich anmoderiert, sonst fallen sich die Wütenden vielleicht sogar würgend um den Hals. Das Ziel ist allerdings Eintracht. Schön und gut. Doch an diesem Abend, dem sogenannten Yalda-Fest (die Wintersonnenwende in der islamischen Kultur), geht’s um mehr als nur um ein gutes Gewissen. Es geht um Begnadigung oder Vollzug.

Denn: Die junge Maryam wird wegen Mordes an ihrem ums zigfache älteren Ehemann zum Tode veruteilt. Natürlich schwört sie, dass es ein Unfall war, beteuert aber nicht ihre Unschuld. Die Tochter des Getöteten, die ebenfalls Maryams Mutter hätte sein können, dabei aber lange Zeit ihre beste Freundin war, kann dem Mädchen nicht vergeben. Bis heute, bis zu diesem Tag nicht. Denn würde sie das tun, würde sie durch ihr Einlenken das Todesurteil abwenden können.

Schon ein starkes Stück, jemandem, der offensichtlich als befangen gilt, das Schicksal über ein Menschenleben in die Hand zu legen. Versöhnung und Vergebung hin oder her – klar ist das manchmal ein Kraftakt, und eine berührende Geste, wenn es denn funktioniert. Dieses wohl schwierigste als auch höchste Gut im menschlichen Verhalten so dermaßen zu kommerzialisieren, klingt natürlich unweigerlich an eine Medien-Dystopie wie Network, entscheidet sich aber eher, alles andere als das sein zu wollen. Der Staat wäscht sich rein, der bürgerliche Schauprozess beginnt. So gewieft und pointiert der Plot auch anfangs scheinen mag – Regisseur Massoud Bakhshi macht bald keinen Unterschied mehr zwischen der reißerischen Dramatik der im Film dargestellten Show und der Tonlage des Films selbst. Beides gerät zu einer plakativen, teils dem Publikum gefälligen Exaltiertheit. An der Kraft der Vergebung freut sich letzten Endes nur das Fernsehen. Das ist ernüchternd und irgendwie, auf fröstelnde Weise, unbefriedigend.

Yalda

The Burnt Orange Heresy

DIE KUNST DES KRITIKERS

8/10


the-burnt-orange-heresy© 2019 Sony Pictures Classics


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: GIUSEPPE CAPOTONDI

CAST: CLAES BANG, ELIZABETH DEBICKI, MICK JAGGER, DONALD SUTHERLAND U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Alles ist Kunst. Kommt nur darauf an, ob und – wenn ja – wer es dazu erklärt. Da reicht ein Blick in die Kunstgeschichte, um Marcel Duchamps Pissoir hier als Querverweis zu vermerken. Ein Baum, der inmitten eines Waldes einfach umfällt und keiner war dabei, um es zu sehen – fällt nicht um. Erst durch die Beobachtung bekommt etwas seine Tatsächlichkeit. Durch die Beobachtung alleine aber wird etwas vom Menschen Erschaffenes noch nicht zur Kunst. Erst durch das Echo von außen bekommt Kunst überhaupt erst sein Bewusstsein. Durch den kritischen Beobachter wird diese als wertvoll – oder wertlos getauft. Eine Hymne auf den Kritiker? Wohl nicht zwingend eine Hymne – vielmehr die Klärung einer gerne verdrängten Tatsache, dass der akkreditierte Kritiker viel mehr Macht über Kunst hat, als ihm selber womöglich lieb ist. Wird die Kunst nicht offenbart, hat der Kritiker auch keine Macht.

Was Yasmina Reza bereits mit ihrem Theaterstück KUNST so sehr auf den Punkt gebracht hat, wird in dieser für mich völlig überraschenden Filmentdeckung noch um die Komponente eines leisen Thrillers ergänzt, der den Suspense einer Patricia Highsmith in sich trägt und eine egozentrisch-versponnene Gesellschaft an die Ufer des Comer Sees chauffiert. Es trifft sich dort der zynische Kunstkritiker James in Begleitung der amourösen Zufallsbekanntschaft Berenice in der stattlichen Villa von Kunstsammler John Cassidy. Dieser bietet schon seit längerem einem ganz besonderen Maler Zuflucht auf seinem Anwesen, der Zeit seines Lebens vom Pech verfolgt gewesen war, da seine Ateliers immer wieder mal in Flammen aufgingen. Kunstwerke von Jerome Debney gibt es also so gut wie keine. Zumindest keine für die Öffentlichkeit. Cassidy stellt James ein Interview mit dem exzentrischen Künstler in Aussicht – unter der Voraussetzung, er würde ihm eines der seltenen Gemälde des Mannes beschaffen, die dieser aber niemals herausgeben oder gar herzeigen würde. Kunstkritiker James, vom Eifer und der Gier nach Ruhm und Erfolg getrieben, versucht alles, um in das Atelier des eleganten Eigenbrötlers zu gelangen.

Filme wie diese sind selten. Sehr selten sogar. Dabei ist das Hinterfragen von Kunst ein hochgradig sozialphilosophisches Thema, das gleichzeitig auch viel über menschliches Verhalten und die Manipulation der Masse aussagt. Guiseppe Capotondi findet für diesen wunderbar scharfsinnigen und zur rechten Zeit hitzig formulierten Film genau die richtigen Darsteller. Claes Beng (als Dracula auf Augenhöhe mit Christopher Lee) ist wie geschaffen für diese eitle Figur des intellektuellen Machos, der weiß, was für eine Bedeutung seine Worte haben können. Elisabeth Debicki (Tenet, The Night Manager) ist als nicht weniger intellektuelle Schönheit sozusagen das Bindeglied zwischen dem Kritiker und dem Künstler – für diesen wiederum darf Donald Sutherland nochmal ordentlich den kecken Provokateur und Andersdenker mimen, während – wer hätte das gedacht – Mick Jagger nach langer Zeit wieder mal einen Ausflug vor die Kamera wagt. Exzentrik trifft also auf noch mehr Exzentrik – sein geckenhaftes Gehabe lässt ihn wie einen Gamemaster erscheinen, der das Perpetuum Mobile nur anzutauchen braucht, schon treten Naturgesetze in Kraft, die bald niemand mehr wird steuern können.

The Burnt Orange Heresy – benannt nach dem Titel eines Bildes besagten Malers – ist süffisantes und zugleich perfides Denkerkino, elegant erzählt, voll schwarzem Humor und entlarvender Analysen, die letztendlich eine Warnung davor sind, den Wert einer Sache nicht allzu sehr von privilegierten Obrigkeiten diktieren zu lassen.

The Burnt Orange Heresy

Der geheime Roman des Monsieur Pick

ZU GUT VERFASST, UM WAHR ZU SEIN

7/10

 

dergeheimeromanpick© 2019 Neue Visionen

 

LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: RÉMI BEZANÇON

CAST: FABRICE LUCHINI, CAMILLE COTTIN, ALICE ISAAZ, BASTIEN BOUILLON, JOSIANE STOLÉRU, HANNA SCHYGULLA U. A.

 

Abgelehnt! Und wieder: Abgelehnt! Kein Schreiberling, der so eine Abfuhr zum eigenen Werk nicht irgendwann mal ertragen hat müssen, da nehme ich mich gar nicht aus. Die meisten der Verlage antworten gar nicht, da landet das Script in der Rundablage, aus der es nicht mehr herauskommen will. Wenige antworten dann doch, mit einem Standardsatz auf dem firmeneigenen Briefpapier, mit Floskeln wie: und viel Erfolg weiterhin! Ganz wenige schreiben, dass das Werk durchaus gewinnende Ansätze haben könnte, allein das Genre ist keines, womit sich das Haus identifizieren kann. Also bitte, dann doch lieber on Demand. Aber wer macht dann die Werbung?

Über diese postalischen oder telefonischen Körbe, die künstlerische Karrieren im Keim ersticken, hat sich der französische Filmemacher Rémi Bezançon (u. a. Cest la vie – So sind wir, so ist das Leben) so seine Gedanken gemacht. Was, wenn all diese Verlage in ihrer Beurteilung literarischer Qualitäten doch nicht so unfehlbar sind? Wie lässt sich das am Klügsten entlarven? Mit einer ganz eigenen Bibliothek, nämlich jener der abgelehnten Werke. Die gibt es, irgendwo in der Bretagne, im Hinterzimmer einer Provinzbücherei, also zumindest gibt es die in der investigativen Literaturkomödie Der geheime Roman des Monsieur Pick. Da kann man als Normalsterblicher oder auch als Verlagsagent einfach hingehen und sich durch obskure Titel ackern – um vielleicht doch auf ein unerkanntes Juwel zu stoßen. Genau das ist der ehrgeizigen Verlegerin Daphné passiert, die anscheinend den Roman des Jahrzehnts entdeckt, verfasst von einem gewissen Monsieur Henri Pick, der allerdings nicht mehr unter den Lebenden weilt und von dem selbst die eigenen Hinterbliebenen verblüffte Gesichter machen ob der Erkenntnis, dass der Hingeschiedene schriftstellerische Ambitionen gehabt hätte. Der war doch Pizzabäcker, wann hätte der denn schreiben sollen? Doch anscheinend ist das passiert, und der veröffentlichte Roman macht Henri Pick posthum zum großen Faktor X der Literaturszene. Nur einer kann das nicht ganz glauben – Literatur- und Fernsehkritiker Rouche, welcher dem Bestseller-Phänomen auf eigen Faust auf den Grund gehen will.

Marcel Reich-Ranicki hätte womöglich seine Freude an diesem Film gehabt, der auch so etwas Ähnliches wie das literarische Quartett als Startschuss für die folgenden Nachforschungen hernimmt. Fabrice Luchini ist zwar längst nicht so verschroben wie Reich-Ranicki es war, dafür aber ist sein Literatur-Ermittler zwischen Anchorman der Kultur und skeptischem Intellektuellen mit ausreichend Sinn für Polemik eine liebevoll distinguierte Erscheinung. Höflichkeit kommt vor dem Rauswurf, Beharrlichkeit vor dem Erkennen plausibler Ungereimtheiten. Das geheime Buch des Monsieur Pick ist ein pointierter Bücherkrimi gar nicht mal ohne Todesfall, ein triezender, durchaus subversiver Angriff auf Medien und inszenierte Hypes, jedoch immer vorwiegend zuvorkommend, wie ein taktischer Journalist, der sein Gegenüber diskret zu manipulieren weiß.

Leider nur gelingt Regisseur Bezançon nicht der eleganteste Absprung vom Elfenbeinturm moderner Mythenbildung, das Ende wirkt übers Knie gebrochen, als hätte man die vorletzten, nicht die letzten Seiten eines guten Buches aus einer Gier nach einem guten Ende heraus übersprungen. Dennoch – das französische Kino hat mit diesem Werk wiedermal was feingeistig Komödiantisches auf Lager, dass seinen Witz aus den Worten zieht und dem Beachtung schenkt, was zwischen den Zeilen verweilt.

Der geheime Roman des Monsieur Pick

Die Erfindung der Wahrheit

LOBBYISMUS AUF SPEED

7,5/10

 

erfindungderwahrheit© 2016 Universum Film

 

ORIGINALTITEL: MISS SLOANE

LAND: USA 2016

REGIE: JOHN MADDEN

CAST: JESSICA CHASTAIN, MARK STRONG, GUGU MBATHA-RAW, SAM WATERSTON, ALISON PILL, JOHN LITHGOW, MICHAEL STUHLBARG U. A.

 

Wie bitte? Könnten Sie das nochmal wiederholen, einfach zum Mitschreiben? Wenn der Film beginnt, und Miss Sloane – so der Originaltitel desselbigen – im Stechschritt die Büroräume stürmt, fährt das noch frühstücksmüde Tagesgeschäft von Null auf Hundert, brechen Worte sintflutartig über modernes Büromöbel-Interieur und all die Glasfassaden sämtlicher Meetingrooms rutschen aus dem Fensterkitt. Mittendrin Jessica Chastain, tough wie Wonder Woman, hartgesotten wie jemand der nichts mehr zu verlieren hat, wenn man so will der Chuck Norris unter den Lobbyisten. Was hier in den ersten Minuten an Dialog fällt, fällt in manchen Filmen die ganze Laufzeit nicht – das erinnert an die Filme David Mamets. Da wie dort reicht es nicht, nur zuzuhören, da muss das Hirn auch gleich mit, und es kann leicht sein, dass man hinterherhinkt, Gesagtes erst sickern muss, während Miss Sloane schon ganz woanders ist und über Taktiken philosophiert, die unsereins erst in den Kontext bringen muss.

Fasziniert von diesem Charisma und dieser überheblichen Klugheit, stellt sich nach dem Downflow der Emotionen die Frage: Wer ist diese rothaarige Lady, die im perfekt sitzenden Damenanzug niemandem auf Augenhöhe begegnet? Die über allen Dingen steht, alles im Griff hat und ihr Fußvolk herumdirigiert wie ein Wahlkampfmanager, dessen Partei viel zu verlieren hat. Ist sie so jemand wie Miranda Priestly aus Der Teufel trägt Prada, die Meryl Streep so menschenverachtend gut interpretiert hat? Nein, dafür ist sie viel zu hemdsärmelig. Miss Sloane packt an wo andere loslassen. Delegiert eigentlich nicht, sondern, wenn man so will, reitet an vorderster Front dem Feind entgegen. Und gewinnt Kriege, die unmöglich scheinen.

Eine Art Krieg ist der Lobbyismus allerdings schon, ein Krieg um Stimmen und Meinungen, bei denen, die etwas zu sagen haben im Land. Ein Anbiedern, Überreden und Manipulieren, und das in großem Stil. Und dabei kann es im Eifer des Gefechts vorkommen, dass manche mit unlauteren Mitteln arbeiten. Denn worum geht es also? Um die Etablierung von Macht, um das Exekutieren von Interessen. Unterm Strich: Illusionskunst auf politischer Bühne. Miss Sloane eignet sich für so etwas am Besten, und am Besten für Miss Sloane eignet sich Jessica Chastain. Die Schauspielerin hatte schon Osama bin Laden im Sucher (Zero Dark Thirty), und als Glücksspiel-Queen sämtliche Millionen im Sack (Molly´s Game). Chastain ist niemand zum Kuscheln, sie ist die eiserne Lady Hollywoods. Apart in jeder Hinsicht, auf keinen Fall sympathisch, aber in ihrem resoluten Auftreten auf sinnliche Weise faszinierend. Anlegen würde ich mich nicht mit ihr, ihr Intellekt zwingt jeden Widersacher in die Knie. Und ich wäre hier nicht mal ansatzweise ein solcher.

John Madden, seinerzeit hoch gelobt für die barocke Romanze Shakespeare in Love (meines Erachtens völlig überbewertet), lässt seine forsche heilige Johanna in zermürbender Eloquenz das Banner hissen. Das so ein Alltag auf Speed dauerhaft der Gesundheit schadet, weiß die Rhetorik-Queen zumindest rein theoretisch, doch für Theorie ist kein Platz in diesem Leben, das so einsam ist wie eine Marsmission, das statt einer Biographie nur beruflichen Lebenslauf kennt und schon gar kein soziales Umfeld. Die großen Momente dieses faszinierenden Politdramas finden sich daher weniger in den taktischen Methoden, mit denen sich Lobbyisten an den Kragen gehen, sondern im Porträt einer Besessenen, die die Sucht nach Erfolg und Effizienz an moralische Grenzen bringt. Das ist eine famose One-Woman-Show, ein Schachspiel, bei dem eine Menge Bauern das Feld räumen müssen, und die Königin in einem Zug ans andere Ende prescht. Miss Sloane ist so akkurat und berechnend wie die stärkste Figur in so einem Spiel, und läuft stets Gefahr, besiegt zu werden, solange sie nicht die Züge des Gegners voraussieht. Das fordert, und wenn zwischen all der ZackZackZack-Methodik Chastains Blick vor Erschöpfung ins Leere geht, in sich gekehrt und verharrend, und das nur für einen verschwindenden Moment, den sonst niemand merkt, dann hat dieser Charakter etwas bemitleidenswert Menschliches, aber auch Bewundernswertes angesichts dieser durchgetakteten, zielorientierten Lebenskunst.

Die Erfindung der Wahrheit

Vor uns das Meer

MÜNCHHAUSEN STREICHT DIE SEGEL

7,5/10

 

VOR UNS DAS MEER© 2018 STUDIOCANAL GmbH

 

ORIGINAL: THE MERCY

LAND: GROSSBRITANNIEN 2018

REGIE: JAMES MARSH

MIT COLIN FIRTH, RACHEL WEISZ, DAVID THEWLIS, KEN STOTT, MARK GATISS U. A.

 

Das Subgenre des nautischen Kinos hat bereits so einige sehenswerte Werke vorzuweisen, die noch dazu meist auf Fakten beruhen. Da brauchen die Masterminds am Drehbuch gar nicht mal wirklich viel brainstormen, die Geschichten der privat motivierten Abenteurer, Entdecker und Aussteiger müssen nur gut recherchiert werden, da findet sich einiges. Zum Beispiel – und vielleicht sogar noch im Kino zu sehen: die True Story eines jungen Paares, das nach einem Sturm so ziemlich verloren in den Weiten des Pazifiks herumschippert. Shaileene Woodley gibt da in Die Farbe des Horizonts eine überzeugend verzweifelte Performance ab. Noch nie allerdings hat das Kino eine Geschichte erzählt wie in Vor uns das Meer, inszeniert von James Marsh, der bereits mit Die Entdeckung der Unendlichkeit Eddie Redmayne alias Stephen Hawking zum Oscar verholfen hat. Das britische, konventionell erzählte Drama in stimmigem 60er-Jahre-Kolorit ist längst nicht nur ein Abenteuerfilm, und schon gar kein Survival-Drama. Der im Original als The Mercy betitelte, biographische Streifen ist so tragisch wie faszinierend, und wenn die Geschichte nicht wahr wäre, dann wäre sie eine brillant erfundene Ballade auf falschen Stolz, abstrakter Sehnsüchte, Ruhm und den Horror medialen Drucks.

Colin Firth, der wohl distinguierteste Gentleman im Promipool des britischen Kinos, spielt in diesem Abgesang auf den Seemann, der das Träumen lieber lassen hätte sollen, den Erfinder und Geschäftsmann Donald Crowhurst, dreifacher Vater und liebevoller Ehemann, der im Grunde ohnehin alles realisiert, was ihm durch den Kopf geht, und stets noch mehr will, vielleicht um sich selbst oder den anderen zu beweisen, was für ein sagenhafter Virtuose des Alltags er doch nicht ist. Aber was heißt Alltag – Crowhurst will den Absprung aus dem Hamsterrad wagen und bewirbt sich für eine Segelregatta rund um den Erdball, die noch nie Dagewesenes menschenmöglich machen soll: Nämlich die Umrundung der Welt ohne Landgang. Crowhurst ist die Teilnahme an der schon theoretisch schweißtreibenden Challenge nicht genug – er lässt auch sein eigenes Boot bauen. Und immer ist noch nicht genug. Der verträumte Idealist mit dem Geltungsdrang eines Superhelden lässt sich von der Presse hofieren und verpfändet für die Finanzierung seines Traumes sogar Haus und Hof. Kleine Notiz am Rande: Der unruhige Tausendsassa hat als Seemann und Nautiker nicht die geringste Erfahrung. Und so tritt er eine Lawine aus Sensationslust, Erwartungen und Versprechungen los, aus dem es bald kein Entrinnen mehr gibt. Sponsoren und Gläubiger steigen dem kurz vor Abfahrt kneifenden Crowhurst ordentlich auf den Schlips. Die geweckten Hunde, die den Schlitten ziehen sollen, beginnen plötzlich zu beißen. Erfolg oder Untergang, heißt das sofortige Dogma. Nur die Familie, die bangt auf der Seite des Biedermanns, der sich wie Ikarus gnadenlos selbst überschätzt und höher fliegt, als die legendären Wachsflügel es erlauben.

Was folgt, ist die bittere, selbstzerfleischende Chronik eines siegeswilligen Münchhausen, der letzten Endes der Wahrheit ins Auge sehen muss, sei es aus Stolz oder Feigheit. Die Quadratur des Äquators ist aber etwas, was sich nicht verbiegen lässt, und so verharrt der verblendete Anti-Abenteurer in einem Fegefeuer, in dem es kein Vor und kein Zurück mehr gibt. Colin Firth liefert nach seinem bravourös stotternden Auftritt als britischer Monarch mit dem gescheiterten, von allen Göttern verlassenen Lügenbaron seine bislang beste Performance ab – die Angst, Panik, Hoffnungslosigkeit und die Gier nach einem Rettungsanker, der sich als quälende Fata Morgana der Erfüllung darstellt, steht Firth jede Sekunde ins Gesicht geschrieben. Ebenso die Überforderung, der Irrsinn, die schlussendliche Leere wie Lehre. die der einsame Mann aus seinem Handeln ziehen muss. Eine Story wie von Ernest Hemingway, ein Gleichnis wie aus der griechischen Mythologie, ein Requiem auf das Prinzip Abenteuer. Wer wagt, gewinnt also auch nicht immer.

Vor uns das Meer

Alles unter Kontrolle

WERNER IN THE MIDDLE

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AllesunterKontrolle

Ihr werdet lachen, oder vielleicht gar mit den Augen rollen, aber tatsächlich habe ich Werner Boothe vor einiger Zeit beobachten können – ohne dass er irgendetwas davon wahrgenommen hätte. Es war im dritten Wiener Gemeindebezirk, Ecke Ungargasse, Neulinggasse. Wahrscheinlich war er gerade aus nahegelegenem BILLA gekommen, oder einfach nur unterwegs gewesen zu einem Termin. Aber da hört mein Wissen auch schon wieder auf. Mit den Überwachungsapparaten der Supermächte kann ich leider gar nicht mithalten. Vielmehr bin auch ich Opfer davon – wie und in welchem Ausmaß, kann ich nicht sagen. Doch solange ich es nicht weiß, macht es mich ehrlich gesagt nicht heiß – denn ändern kann ich daran sowieso nichts. Und die Zeit, die ich dafür aufwenden müsste, um unentdeckt zu bleiben, habe ich beim besten Willen nicht.

Auch ein Mann der Öffentlichkeit wie Werner Boote wird daran nichts ändern – nur die Dinge hinterfragen und den Spuren nachgehen, die zu Big Brother führen. Das ist sehr informativ, neigt aber auch zur abendfüllenden Selbstdarstellung. Ähnlich wie Michael Moore oder Hanno Settele im Österreichischen Rundfunk ist sein erklärendes und interviewendes Konterfei omnipräsent. Im Gegensatz zu Dokumentarfilmern, die alles andere, nur nicht sich selbst, in den Mittelpunkt stellen. Da wäre Nikolaus Geyrhalter, der Spezialist für No Comment-Collagen. Aber auch der leider erst kürzlich verstorbene Michael Glawogger oder Darwins Nightmare-Macher Hubert Sauper. Alle drei sind und waren Aufklärer der Vernunft und des guten Gewissens. Stille Beobachter, Bilderpoeten und unbequeme Erforscher. Was aber nicht heißen soll, das Dokumentarfilmer wie Werner Boote nicht auch zu den wissensdurstigen Aufklärern gehören – nur ihre Art, Fragen beantwortet haben zu wollen, ist weitaus publikumsnäher und gefälliger. Auch eine Methode, keine Frage. Und sogar eine gern gesehene. Werner Boote ist einfach sympathisch, ein Entertainer und Vortragender. Einer, den man ohne Weiteres wochenlang an ausverkauften Abenden im Audimax antrifft. Das würden Sauper, Geyrhalter und Co eigentlich nie tun. Maximal eine Podiumsdiskussion nach der Premiere, denn nicht jeder ist zur Rampensau geeignet. Boote hingegen schon. Und er hat Charme, den er einzusetzen weiß, im Gegensatz zu Michael Moore, der meist mit der Tür ins Haus fällt und erfolgreich so tut, als würde er anderen zuhören. Das ist die Gefahr beim Doku-Entertainment – dass es letzten Endes um den Dokumentierenden geht, mit all seinen Ansichten. Und weniger um die Sache selbst.

Klar, auch Filmjournalisten sollen eine Meinung haben, und diese auch vertreten. Aber die Kunst des sachlichen Filmes liegt darin, das Ergebnis nicht vorzufertigen, sondern für den interessierten Zuseher unbewertet zu lassen. Offen, interpretier- und auswertbar. Gerade das macht Dokus spannend. Und ja, das gelingt auch Alles unter Kontrolle, Bootes dritter filmischer Expedition in den menschlichen Kosmos. Mit Spaß an investigativem Nachwassern und verfolgt von der eigenen Kamera trifft der graumelierte Intellektuelle auf Personen unterschiedlichster Art, spricht mit Opfern und versuchsweise mit „Tätern“. Mit IT-Experten und dem Wachpersonal vor der NSA-Zentrale. Zwischendurch setzt der Film auf augenzwinkernde Showelemente und einem Siri-ähnlichen Dialogpartner aus dem Off. Alles zusammen entschärft die Klaustrophobie des Themas und malt zum Glück den Teufel nicht an die Wand, sondern gefällt mit populärwissenschaftlichem Aufklärungsjournalismus, der den Horizont erweitert und Aufschluss gibt, ohne anstrengen zu müssen. Boote ist der ideale Dokufilmer, der das Zeug dazu hat, den Mainstream dazu animieren, ins Kino zu gehen – auch wenn daheim dok.1 oder Universum läuft.

Alles unter Kontrolle ist wiedermal ein Film, der zeigt, dass das Genre der bewegten Sachkunde längst nicht trocken sein muss, um die Zustände auf unserem Planeten besser zu veranschaulichen. Zwar nicht künstlerisch hochwertig und was weiß ich wie innovativ, aber mindestens so unterhaltsam wie ein ausverkaufter kabarettistischer Vortrag an der Uni, allerdings mit fachlichen Untertönen.

Save

Alles unter Kontrolle

Thank you for Bombing

REPORTER DES SATANS

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thankyoubombing

Sorry gleich vorweg – aber die Wahl des einleitenden Titels für meine Rezension zu Barbara Eders eben erst mit Filmpreisen überhäuften Episodenfilm muss auf die schon recht abgedroschene, aber unglaublich passende Floskel aus Billy Wilders Filmklassiker fallen. Nicht anders, und wenn, dann nur mit viel mehr Worten kann der für österreichische Verhältnisse relativ untypische Film beschrieben werden. Dabei ist es nur positiv zu bewerten, dass es FilmemacherInnen gibt, die sich an Genres heranwagen, für die unser kleines Land nicht gerade bekannt ist.

Der bittere, enorm zynische Reigen rund um das Geschäft der Kriegsreportage beginnt wie ein Fiebertraum von Friedrich Orter und endet mit konsequenter Radikalität, die an David Fincher´s Fight Club erinnert. Mit Thank you for Bombing ist Barbara Eder tatsächlich etwas Bemerkenswertes gelungen, so verstörend die einzelnen Episoden auch sein mögen. Oder vielleicht sogar deswegen. Wenn Erwin Steinhauer, wohl einer der besten Schauspieler unseres Landes, am Wiener Flughafen am Rande eines Nervenzusammenbruchs wandelt, vermutet der Zuseher bisweilen immer noch gediegenes, aber eher zaghaftes Thrillerkino mit Suspense-Faktor, um schon bei der nächsten Episode, die dann bereits in Afghanistan spielt, den gnadenlosen Sarkasmus Eders auf voller Breitseite abzubekommen. Hier erleben wir den brillanten, wenn auch beklemmend unangenehmen Höhepunkt des Filmes, der an Brutalität und galligem Spott kaum zu überbieten ist. Die Episode über obsessivem Ehrgeiz, Geltungsdrang und Erfolgssucht ist knochenharte Satire und ausgefeiltes dramaturgisches Theater, die den Qualitäten eines Quentin Tarantino um nichts nachsteht. Dicht genug, um zu packen, erstaunlich entlarvend und den Kern der Aussage auf den Punkt gebracht. Allerdings würden jetzt wohl sensiblere Gemüter dann doch lieber den Film wechseln. Doch dranbleiben lohnt sich – das bizarre Finale ist wieder eine Klasse für sich, irgendwo zwischen Breaking Bad und dem südamerikanischen, ebenfalls in Episoden gegliederten Film Wild Tales. Die Groteske spitzt sich zu, verläuft in der Wüste und treibt das Zerrbild des isolierten, mit sich selbst und seinen Albträumen kämpfenden, nach Gefahr lechzenden Medienhelden an die Spitze. Bereit, ihr Leben zu geben. Sich selbst nur in Ausnahmesituationen zu spüren, das eigene Seelenheil im Leiden der anderen zu finden – damit beendet Barbara Eder ihr Requiem auf den inszenierten Krieg im Fernsehen, verstärkt durch einen Knalleffekt, der alle drei Stories letzten Endes doch noch auf einen Nenner bringt. Das Grauen senkt sich über Kabul, und das Fernsehen hat Top-Quoten.

Thank you for Bombing taucht seine Geschichten in scheinbar postapokalyptische, kühle, faszinierende Bilder und findet für seine narzisstischen, paranoiden und obsessiven Protagonisten die ideale Besetzung. Tatsächlich wurde der Film teilweise in Afghanistan gedreht, die Szenen in der Wüste stammen aus Jordanien. Beides gemeinsam verleiht dem ganzen erschreckende Authentizität, in welcher sich die Absurdität der Lust am Krieg umso beklemmender visualisiert.

Das Antikriegs- und Mediendrama ist gleichermaßen ein vernichtendes Pamphlet gegen Sensationsjournalismus, Gier und notwendige Gewalt, der als Zweck die Mittel heiligt. In Thank you for Bombing ist gar nichts mehr heilig. Barbara Eder lädt ein zu einer Radikalkur, die unangenehm nachhallt, aber gezielt ins Schwarze trifft. Wieviel Wahrheitsgehalt hinter ihrer polemischen Reportage steckt, lässt sich nur vermuten – großes, konzentriertes Kino auf internationalem Niveau ist es aber allemal. Spannend, aufrichtig und gemein wie ein böser Scherz.

Thank you for Bombing

Money Monster

DER IGNORANT UND DER WAHNSINNIGE

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moneymonster

Was hat der Titel eines Theaterstücks von Thomas Bernhard in der Rezension eines US-Thriller zu suchen? Nun, meine Beitragstitel sind ohnehin generell eher assoziativer Natur. Doch die Gemeinsamkeit ist folgende: Das kammerspielartige Thrillerdrama von Wunderkind Jodie Foster konzentriert sich auf die sezierende Konfrontation zweier Gesellschaftsformen, wovon eine zu den Verlierern, und die andere zu den Gewinnern zählt. Erstere verkörpert der Ignorant, dargestellt von Nespresso-Schönling George Clooney, wie immer ausgestattet mit souverän verschmitzter Mimik. Letztere wird dargestellt von einer wahnsinnig gewordenen Mittelschicht, interpretiert von Jack O´Connell, mehr oder weniger bekannt geworden durch Angelina Jolies Kriegsdrama Unbroken. Der durchgeknallte, nervenschmeißende und werdende Familienvater hat aufgrund einer Anlageempfehlung im Rahmen von Clooneys Wirtschaftssendung Money Monster sein ganzes geerbtes Geld verspekuliert und verloren, woraufhin die einzige Schuld an diesem Schlamassel nur der menschenverachtende, charismatisch-sarkastische Anchorman Clooney haben kann. Es ist natürlich immer einfach, andere Leute für sein eigenes Unglück verantwortlich zu machen – also war es auch keine Schwierigkeit, die Fernsehanstalt zu stürmen und mit gezogener Knarre und jede Menge Sprengstoff die Einschaltquoten rapide in die Höhe zu treiben. Ungewollt wird der junge, verwirrte Mann Fernsehgeschichte schreiben. Und trotzdem nichts gewonnen haben. 

Jodie Fosters satirisches Geiseldrama will einerseits so etwas sein wie Sidney Lumet´s Network, andererseits wie Terry Gilliam´s König der Fischer – hier nur bezugnehmend auf die eingangs entstandene Figurenkonstellation, andererseits wieder wie Costa Gavras´ Mad City. Doch sie erreicht mit ihrer Arbeit leider nicht mal ansatzweise das Niveau dieser drei gelungenen Filme. Ihr Money Monster ist ein zahnloses Ungeheuer, das niemanden wirklich erschreckt. Und niemanden fesselt, geschweige denn betroffen macht. Die inhaltlichen Klischees, die sie bedient, erzählen allesamt auch nur Dinge, die wir schon hundertmal gehört, gesehen und erfahren haben. Das Geld die Welt regiert, dass die Reichen den Ärmeren nichts zu sagen haben und das überhaupt und sowieso jede Menge Ungerechtigkeiten in unserer vor allem westlichen Gesellschaft herrschen. Ja, das mag ja alles sein. Aber die Anklagepunkte erfolgen in einer erschreckend unengagierten Willkür, verteilt über den Film, wobei Clooney und O`Connel als Opfer und Täter hin und wieder die Seiten wechseln und sich ein leidenschaftsloses Geplänkel liefern, welches von der sichtlich unterforderten Julia Roberts, die ihrer Kollegin Foster womöglich mit ihrem Auftritt einen Freundschaftsdienst erwiesen hat, mit einigen wenigen moderierenden Kommentaren begleitet wird. 

Von Jodie Foster hätte ich anderes erwartet. Money Monster ist ein schales Medien- und Gesellschaftsdrama, das nichts so recht wagt und bewährte, aber bereits vom Publikum zur Genüge gelernte Perspektiven beibehält. Der Film fokussiert sich zu stark auf die Chronik der Geiselnahme, verabsäumt es aber auch hier, genügend Spannung aufkommen zu lassen. Was bleibt, ist der aparte Anblick Clooneys, Julia Roberts Routine und die Lust, wieder mal Network mit Peter Finch anzusehen. 

 

Money Monster