Frankenstein (2025)

DER WERT GANZ GLEICH WELCHEN LEBENS

8/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

DREHBUCH: GUILLERMO DEL TORO, NACH DEM ROMAN VON MARY SHELLEY

KAMERA: DAN LAUSTSEN

CAST: OSCAR ISAAC, JACOB ELORDI, MIA GOTH, CHRISTOPH WALTZ, FELIX KAMMERER, LARS MIKKELSEN, DAVID BRADLEY, CHRISTIAN CONVERY, CHARLES DANCE, NIKOLAJ LIE KAAS, LAUREN COLLINS, RALPH INESON, BURN GORMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 30 MIN



Dass Netflix Guillermo del Toros überbordendes Frankenstein-Drama in Österreich nicht auf die Leinwand brachte, grenzt ja fast schon an Banausentum. Was in Deutschland und anderswo zumindest eine kurze Zeit lang gewährt wurde, hat man hierzulande nicht umgesetzt. Und das, obwohl Frankenstein hinter dem bald erscheinenden dritten Avatar wohl der visuell stärkste Film des Jahres ist. Doch wie die Release-Politik funktioniert, bleibt im Dunst der Unverständlichkeit verborgen. Wirtschaftliche Interessen hin oder her: der Kunst seinen Raum zu geben wäre nur natürlich.

Das Monster als visuelle Variable

So bleibt uns nur der Platz vor dem Fernseher, der zum Glück groß genug ist, um ein bisschen etwas von der Wirkung abzubekommen, die der Film noch hätte entfalten können. Die ist selbst im Kleinformat stark genug, um einen Wow-Effekt zu erzeugen. Denn einer, der Filme wie Hellboy, Pans Labyrinth oder The Shape of Water zustande brachte und der selbst mit der Mystery-Noir-Nummer Nightmare Alley visuell alle Stückchen gespielt hat, darf nun bei Mary Shelleys Schauerroman auffahren, was geht.

Die Latte liegt bei diesem Stoff natürlich hoch – einer wie Boris Karloff in Gestalt von Frankensteins Monster ist so sehr Teil der Filmgeschichte und der Popkultur, das es unmöglich scheint, eine denkwürdige Interpretation entgegenzusetzen, die den Quadratkopf Karloffs auch nur irgendwie verdrängt. Das hat schon Kenneth Branagh probiert. Seine Frankenstein-Verfilmung ist zweifelsohne ein gelungenes Stück Theaterkino, und Robert De Niro als das Monster keine schlechte Wahl, nur blieb der Oscarpreisträger abgesehen von seinem Erscheinungsbild auch als die künstliche Person, die erschaffen wurde, hinter dem möglichen Spektrum an Empfindungen zurück. Bei Dracula selbst liegen die Dinge schon etwas anders, Dracula hat die Variabilität für sich gepachtet, Frankensteins Monster nicht. Doch nun, so viele Jahre später, schlüpft Jacob Elordi in die Kreatur – und schenkt ihm ungeahntes, schmerzliches, mitleiderregendes Leben, wie man es bei Karloff, De Niro und sonstigen Darstellern, die diese Rolle innehatten, vergeblich sucht. Dabei entfernt sich del Toro radikal vom gedrungenen, schweren, unbeholfenen Körper eines denkenden Zombies. Dieser hier ist ein wie aus Lehm geformtes Patchwork-Wesen aus einer anderen Dimension – ein Mann, der vom Himmel fiel. Ein Körper mit dem Geist eines Kindes, das vor den Entdeckungen seines Lebens steht. Die Beschaffenheit der Figur, ihr zusammengeflickter Leib, strotzt vor Anmut, physischer Stärke und verbotener Schrecklichkeit. Kein Wunder, dass Mia Goth als des Wissenschaftlers Schwägerin fasziniert ist von dieser Erschaffung. Denn wir, oder zumindest ich selbst, bin es ebenso.

Über Leichen gehender Ehrgeiz

Ihm gegenüber der Zynismus in Reinkultur – ein vom Ehrgeiz getriebener Möchtegerngott namens Viktor Frankenstein. Überheblich, getrieben, rastlos. Ein Visionär als Metapher für eine vor nichts haltmachenden Wissenschaft, die keine Moral, keine Ethik und kein Mitgefühl kennt, sondern nur sich selbst, den eigenen Ruhm und nicht mal das Wohl aller, welches durch eine Erkenntnis wie diese erlangt werden könnte. So wohlbekannt die Geschichte, so ausstattungsintensiv die Bilder dazu, und zwar von einer farblichen, strahlenden Intensität, dass man es schmecken, riechen und greifen kann. Frankenstein ist ein waschechter del Toro, getunkt in seine Farbpalette aus schwerem Rot, Aquamarin und giftigen Grüntönen. In diesem Bildersturm gelingt aber vor allem genau das, was Filme, die auf Schauwerte setzen, gerne hinter sich lassen: Die Tiefe der Figuren, die Metaebenen der Geschichte. Oscar Isaac kehrt Victor Frankensteins Innerstes nach außen, Jacob Elordi lässt das scheinbar gottlose Wesen als Konsequenz von Diskriminierung und Ablehnung in Rage geraten – als hätte es die Macht, sein eigener Gott zu sein. Frankenstein beginnt und endet im ewigen Eis, in einem Niemandsland ohne Zivilisation. Der richtige Ort, um über das Menschsein zu sinnieren. Dann passiert es, und im Licht der Polarsonne wird das Phantastische zum Welttheater.

Frankenstein (2025)

Arctic

HILF DIR SELBST, SONST HILFT DIR KEINER

7/10

 

arctic© 2018 Koch Films

 

LAND: ISLAND 2018

REGIE: JOE PENNA

CAST: MADS MIKKELSEN, MARIA THELMA SMÁRADÓTTIR, TINTRINAI THIKHASUK U. A.

 

Da sieht man mal wieder, wie unausgewogen Planet Erde besiedelt ist. In der arktischen Tundra hält sich keine Menschenseele auf. Bis man endlich auf ein anderes Individuum trifft, trifft man eher noch auf einen Eisbären. Und sonst? Sonst ist es saukalt, Stürme sorgen für Schneeverwehungen, die die Landschaft bis zur Orientierungslosigkeit verändern. Inmitten dieser kargen, lebensfeindlichen Wildnis: Der Pilot Mads Mikkelsen, ebenfalls relativ unkenntlich gemacht durch einen dichten Vollbart. Und auch sonst steckt der Rest des Dänen in einem dicken Anorak. Was ist passiert? Nun – zu Beginn des Filmes sehen wir Mikkelsen schaufeln, was das Zeug hält. Doch er schaufelt nicht sein eigenes Grab, denn aufgeben tut der Mann maximal einen Brief. Eigentlich schaufelt er, um zu überleben. denn irgendwo in den Weiten des Nordens, da ist seine Maschine, mit der der Wissenschaftler unterwegs war, abgestürzt. Den Absturz sieht man nicht, es ist nicht so wie in Castaway von Robert Zemeckis, wo das Grauen einer Notlandung auf Wasser detailgetrau geschildert wird. In Arctic ist das Gröbste schon passiert. Doch das Schlimmste soll noch kommen. Nach tage- oder gar wochenlangem Unterfangen, mit einem Sender Kontakt zum Stützpunkt aufzunehmen, wagt ein Hubschrauber während wirklich miesem Wetter eine Such und Rettungsaktion, nur um vor den Augen des zu rettenden abzustürzen. Gerade so weit im Norden ist es unerlässlich, meteorologisch was am Kasten zu haben. Daher seltsam weltfremd, dass der Hubschrauber bei so einem Wetter überhaupt startet. Ein Tag mehr wäre auch schon egal gewesen, aber nein – sonst gäbe es keinen Film wie diesen, den der Brasilianer Joe Penna, eigentlich Musiker, hier selbst verfasst und inszeniert hat.

Um nochmal auf Zemeckis zurückzukommen: Ja, Arctic ist ein bisschen wie Castaway, nur anstatt tropischer Hitze haben wir es hier mit polaren Verhältnissen zu tun. Und statt des Volleyballs Wilson nimmt Überlebender Mads Mikkelsen die einzige Überlebende seiner Rettungscrew unter seine Obhut. Die Retter müssen also gerettet werden oder: Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner mehr. Das bisschen, was Absturzopfer 1 zum Überleben hat, muss nun auch für Opfer Nr. 2 reichen – und die junge Dame, die ganze Zeit über kaum bei Bewusstsein, ist so gut wie keine Hilfe, um dieser kalten Ödnis effizienter als zuvor zu entfliehen. Was zu erwarten ist: Mikkelsen macht sich auf den Weg, quer durch unwegsames Terrain, die Schwerverletzte im Schlepptau.

Mehr Plot gibt es nicht. Ist aber bei Genrefilmen wie diesen auch nicht erforderlich. Da reicht es, spärlich bis gar nicht ausgerüstete Personen irgendwo in der Wildnis abzusetzen. Zuzusehen, wie sie sich durchkämpfen, das ist die ganze Geschichte. Und es ist jedes Mal anders, weil die Natur unberechenbar ist. Weil manchmal nur ein kleines, im zivilisierten Alltag völlig nichtiges Detail zu einer unbezwingbaren Hürde werden kann. Nirgendwo fühlt sich der Mensch kleiner als in einer von terranen Kräften geformten Weite. Da der Mensch aber fähig ist, seine Unzulänglichkeiten mit Intelligenz auszugleichen, sind Filme wie Arctic fast eine Art Vexierspiel, dessen Lösung das Überleben sichert. Da der Mensch aber auch fühlt, und die Psyche auch nicht unendlich belastbar ist, kann Verzweiflung schon mal überhandnehmen. Oder der Wille übermenschliche Kräfte verleihen. Wobei Penna vor allem eines wichtig war: die Pflicht, trotz aller Not kein Menschenleben zurückzulassen. Dieser aufopfernde Altruismus, diese Selbstverständlichkeit des Rettens, obwohl man selbst Rettung benötigt, verleiht dem Film durch genau diese intensive Auseinandersetzung mit dem Füreinander unter extremsten Bedingungen eine enorm humanistische Note fernab jeglicher Egozentrik und kopfloser Panik. Das macht Arctic zu einer bemerkenswerten, klar strukturierten und kämpferischen Leistungsschau der menschlichen Vernunft.

Arctic