Troll (2022)

DER BERG KOMMT ZUM PROPHETEN

4,5/10


troll© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: NORWEGEN 2022

REGIE: ROAR UTHAUG

BUCH: ROAR UTHAUG, ESPEN AUKAN

CAST: INE MARIE WILMANN, KIM S. FALCK-JØRGENSEN, MADS SJOGARD PETTERSEN, GARD B. EIDSVOLD, ANNEKE VON DER LIPPE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Alle, die mich kennen, wissen womöglich: Ich liebe Monster. Und alles, was sich als phantastisches Wesen deklarieren lässt. Von den Gremlins bis zu Godzilla, von Tinkerbell bis Thanos. Ehrfurchtsvoll verbeuge ich mich vor den mythologischen Wesen der alten Welt, wo es von Orks, Riesen, Zwergen und auch Trollen nur so wimmelt. Apropos Trolle: Der erste, bereits im Sommer in Umlauf gebrachte Trailer von Roar Uthaugs Giganten-Event zündete bei mir die Vorfreude: Ein aus Felsen und Erde geformte Naturgewalt schält sich auch dem norwegischen Fjell. Was für eine Optik. Und endlich wieder Trolle, lange nachdem Der Hobbit-Hype verklungen war und André Øvredals Trollhunter die Filmaufnahmen ihres Lebens – oder Ablebens – gemacht hatten. Nicht zu vergessen: Die metaphysische Mystery Border von Ali Abassi gewann den stampfenden, großnasigen Waldschraten plötzlich ganz andere Blickwinkel ab, wenngleich auch etwas zu eigenwillig, um vollends zu begeistern. Nun allerdings ist die Urform wieder zurück: Mächtiger, lautstärker und brachialer denn je. Wo der Riese hintritt, bleibt kein Grashalm mehr auf dem anderen, und so manches Haus in der Einschicht könnte Pech haben, nach des Wesens Durchmarsch nur mehr zur Hälfte aufzuragen.

Wenn also Paläontologin Nora mit ihrem verpeilten und esoterisch angehauchten Papa staunend in der Landschaft steht und dabei zusieht, wie sich aus dem Nichts ein von wirbelnden Gesteinsbrocken umkreister Hüne sein Haupt aus der niederen Botanik hebt, so ist das eine Szene, für die es sich tatsächlich lohnt, Troll auf dem Schirm zu haben. Nur… das wars dann aber auch. In diese eine Szene hat Uthaug (u. a. Tomb Raider mit Alicia Vikander – oder eben The Wave) all das hineingesteckt, was den Reiz eines Filmes wie diesen ausmachen kann. Dabei ist das Creature Design besonders gelungen, wenn nicht gar ein Meisterstück leidenschaftlicher Monstermacher, die den sympathischen Koloss nahtlos in die unwirtliche Umgebung betten, ohne eine falsche Schattierung zu setzen, das Wesen zu blass wirken zu lassen oder gar ungelenk. Der Troll ist so lebendig wie all die kleinen staunenden Menschleins um ihn herum. Und birgt doch so viel Geschichte aus lang vergangenen Epochen. So ein Schrat, der macht Märchen wahr und schlägt das rationale Denken der Besserwisser ins Koma.

Was dann aber mit diesem Film passiert, wird der grandiosen Kunst der Creature Artists leider nicht gerecht. Oder anders gefragt: Was genau lässt sich am Mythos Troll denn so sehr missverstehen? Es fängt damit an, dass die leisen Töne, dass die geheimnisvolle Existenz solcher Wesen, vorschnell zugunsten routinierter Action verdrängt werden. Den Inhalt dieses Films muss man daher auch nicht sonderlich lang erklären. Monster ist da, bewegt sich auf Hauptstadt zu. Menschen setzen alles ein, um Monster zu töten. Paläontologin Nora weiß es besser, hat aber im Grunde auch keine Ahnung, was der Troll hier soll. Das ist der Plot, und dieser ist so hanebüchen erzählt, dass selbst die krude Story aus Godzilla II: King of Monsters wie eine literarische Vorlage wirkt. Uthaug gibt sich mit einer Geschichte zufrieden, die sich lediglich aus Formeln zusammensetzt, die für dieses Genre üblich sind. Dabei passieren Logikfehler, die der Troll gar nicht alle niedertreten kann. Klassische Bell-Helikopter mit tonnenschweren Glocken durch die Gegend zu schicken ist nur einer davon.

Mit den nordischen Mythen und den Erwartungen zu spielen wie Andre Øvredal es getan hat, mit dem Troll auf Tuchfühlung zu gehen und seine wahren Beweggründe auszukundschaften: Das wäre der Sinn eines Films wie diesen gewesen, zwischen Düsternis, Magie und schlummernden Geheimnissen. So aber verhökert Troll alles, was einen Mehrwert gehabt hätte, vorschnell und unter militärischem Dauerfeuer. Das ist langweilig, und ergibt am Ende auch keinen Sinn mehr.

Doch immerhin: Diese eine eingangs erwähnte Szene, die bleibt im Gedächtnis. Und inspiriert mich auch für mein eigenes gezeichnetes Bestiarium. Man muss nur auf Netflix zu Minute 34 gehen – und die wenigen Sekunden wirklich guten Monsterkinos genießen. Bevor es wieder vorbei ist.

Troll (2022)

Monstrous

ZU NAH AM WASSER GEBAUT

6/10


monstrous2© 2022 capelight pictures


LAND / JAHR: USA 2022

REGIE: CHRIS SIVERTSON

CAST: CHRISTINA RICCI, SANTINO BARNARD, COLLEEN CAMP, LEW TEMPLE, NICK VALLELONGA U. A.

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Noch bevor Olivia Wilde mit ihrer zweiten Regiearbeit Don’t Worry, Darling die 50er-Jahre wieder mal als etwas erklärt hat, was nicht der ganzen Wahrheit entsprechen kann, weil die aufgeräumte Glückseligkeit dieser Hausfrauen-Epoche wirklich nicht der Weisheit letzter Schluss vor allem für Frauen sein kann, begab sich bereits Ex-Wednesday Christina Ricci im himmelblauen Cadillac an die Grenzen ihrer Wahrnehmung: Monstrous nennt sich der Psychotrip, und es lässt sich mit diesem Titel bereits erahnen, wohin das führt. Als monströs lässt sich allerdings auch das Sein hinter dem Schein von Florence Pughs Desperate Housewives-Dasein definieren – also führen die Vermutungen auch für diesen Film in verschiedene Richtungen. Das Key Visual zur Bewerbung des Schauerdramas gibt allerdings mehr preis, als uns Zusehern wohl lieb gewesen wäre, doch es gibt dennoch so einiges in der Twilight-Zone dazwischen, dass wir vielleicht nicht ganz so vermutet hätten.

Zumindest erweckt alles mal den Eindruck, als wäre lediglich Christina Ricci als alleinerziehende Mutter, die in einem Haus am Rande einer Kleinstadt in Kalifornien Zuflucht sucht, in dieser pastelligen 50er Jahre-Blase gefangen. Beide – Mutter und Sohn – wollen den Launen des gewalttätigen Ehemannes entgehen und hier, in dieser Einschicht nahe eines Weihers ein neues Leben beginnen. Dummerweise haben Lauras Eltern dem Gatten die neue Anschlussnummer verraten – also meldet sich dieser immer wieder und bittet um Vergebung. Ein Umstand, der Laura aus ihrem Heile Welt-Setting holt. Und da ist dann noch ihr kleiner Junge, der in diesem alten Anwesen immer wieder unter Albträumen leidet und sich so gut wie sicher ist, dass in diesem Gewässer unweit des Hauses ein Monster lebt, dass sich allnächtlich ins Haus schleicht, um Cody zu quälen.

All diese Versatzstücke ergeben das abgerundete Bild einer Schauergeschichte, wie sie M. Night Shyamalan wohl erfinden würde oder vielleicht auch Guillermo del Toro. In Kreaturen aller Art ist letzterer sowieso schwer verliebt, und auch die Brücke vom Monströsen zum Übersinnlichen wurde nicht erst seit Crimson Peak geschlagen. In Monstrous vereinigen sich ebenfalls beide Komponenten, und es wäre aus meiner Sicht tatsächlich nicht ratsam, weitere Vergleiche heranzuziehen, denn auch wenn sich für Chris Siverstons Regiearbeit so manche vergleichbare Beispiele geradezu aufdrängen, würde jede weitere Erwähnung zu viel verraten. Ich kann nur so viel sagen, dass Christina Ricci als einsame, und natürlich auch desperate Hausfrau eine gute Figur macht. Ihr akkurates Erscheinungsbild in Szenen, die an Werbeplaketten damaliger Zeiten erinnern, als so manches hilfreiche Küchengerät neu auf den Markt kam, setzt einen verwirrenden Kontrapunkt zu einer schwer deutbaren Heimsuchung, die sich natürlich nicht auf Conjuring-Niveau begibt, das Herz nicht zum Rasen bringt und auch so gut wie keine Jumpscares auf Lager hat. Monstrous will etwas ganz anders erzählen, als nur verschrecken oder Geister herbeirufen, die es nicht gut meinen würden.

Die Geschichte nimmt trotz all des Phantastischen plausible Wendungen, um dorthin zu gelangen, wo Monstrous hinmöchte: zum etwas umständlich erzählten, aber ganz anderen Mutter-Sohn-Melodram, dass mit Traumata, Verlust und Erkenntnis zu tun hat. Dass sich aber an bereits etablierten und ruhmreichen Genreperlen bedient. Ungeniert zwar, aber auf eine Weise, die bereits Bekanntes geschickt zusammenmontiert. Und zwar so, dass man dem Film kaum vorwerfen kann, nicht genügend eigene Ideen gehabt zu haben.

Monstrous

Der Nachtmahr

KOMM AUF MEINE DUNKLE SEITE

7,5/10


nachtmahr© 2015 Filmladen


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2015

BUCH / REGIE: ACHIM „AKIZ“ BORNHAK

CAST: CAROLYN GENZKOW, SINA TKOTSCH, WILSON GONZALEZ OCHSENKNECHT, ARND KLAWITTER, JULIKA JENKINS, LYNN FEMME, LUCIA LUCIANO, KIM GORDON U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Dieser Film kann lichtempfindliche Zuseher nachhaltig in Mitleidenschaft ziehen. Stroboskopeffekte können zur Epilepsie führen. Und dennoch wird empfohlen – um die Qualität des Werks nicht zu mindern – ganz laut aufzudrehen. Die Musik, die hier während diverser Rave-Partys zu hören ist, muss hämmern, dass einem die Ohren klingeln. Will ich das? Nein, das ist es mir nicht wert. Ich drehe Der Nachtmahr auf handelsübliche Lautstärke. Schraube das Volume sogar noch ein bisschen runter, denn das quälende Geräusch, einem Presslufthammer gleich, ist schon lange nicht mehr als Musik zu bezeichnen, nur weil man ab und an noch so etwas wie Rhythmus raushören kann. Aber gut, soll’s geben, stört mich nicht, wenn ich mir trotz Empfehlung der Filmemacher nicht unbedingt einen Tinnitus einfangen will. Und siehe da: Der Nachtmahr funktioniert genauso gut. Auch ohne Selbstquälerei. Die Coming of Age-Allegorie des vielseitigen Künstler AKIZ (mit bürgerlichem Namen Achim Bornhak) sucht sich für die im Kino schon sehr oft bemühte und derzeit etwas inflationär gewordene Phase des Erwachsenwerdens vom Mädchen zur Frau einen allerdings reizvollen und ungewohnten Zugang aus, der mit dem Genre des phantastischen Films kokettiert und die Metaebene des Irrealen auch in die Realität holt, um eine Zwischenwelt zu besiedeln, die durch ihre Erdung allerdings so greifbar bleibt, dass man das Gefühl hat, ein Monster wie dieser graue, kleine Humunculus könnte bei einem selbst mal den Kühlschrank plündern.

Tatsächlich widerfährt diese Begegnung, die an das erste Aufeinandertreffen von Elliott mit dem extraterrestrischen Trapezkopf aus E.T. erinnert, einem fast volljährigen Mädchen namens Tina. Die junge Dame lebt ihre Pubertät, wie Mädels des Handyzeitalters eben ihre Pubertät leben. Mit Tanzen, Partys und mediensozialer Dauerpräsenz. Mit schickem Kommerz, Intrigen und Romanzen. Manchmal kippt das Ganze auch ins Bizarre, wenn Videos von Verkehrsunfällen geteilt werden oder wenn sich Tinas Konterfei durch Morphing in einen missgestalteten Fötus verwandelt. Es dauert nicht lang, da geistert dieser Fötus in Tinas Wahrnehmung herum. Anfangs noch als Schrecken aus der Küche, den die Eltern nicht sehen können, wird der Nachtmahr langsam zu einem Teil von Tinas Psyche. Was der kleine glupschäugige Knirps fühlt und empfindet, fühlt und empfindet auch Tina. Die Eltern sind zusehends besorgt, eben auch sie selbst. Eine Einweisung in die Psychiatrie steht im Raum, nachdem der Besuch beim Therapeuten nicht den gewünschten Erfolg bringt. Auch Tinas Freundinnen distanzieren sich, in der Schule wird das Mädchen gemobbt – bis es dazu kommt, dass der Nachtmahr nicht nur Tina, sondern auch allen anderen erscheint. Und wir wissen: Absonderliches kommt in unserer Gesellschaft nie gut an. Entweder wir Menschen verstehen es sofort, oder es muss weg.

Das Absonderliche ruht in der Psyche eines jeden jungen Menschen, dessen Hormonhaushalt verrückt spielt und dessen Identität, Charakter und Bedürfnisse sich erst mal herausbilden müssen, um mit beiden Beinen im Leben stehen zu können. Dieses Absonderliche sind Ängste, Albträume, emotionale Defizite, Unsicherheiten angesichts einer Welt, die man als Erwachsener immer noch nur sehr schwer begreifen kann. Dazu kommt die Abnabelung vom Elternhaus, das Flüggewerden und das Nicht-Entsprechen elterlicher Erwartungen. Zuletzt bediente sich das finnische Horrordrama Hatching eines sehr ähnlichen Symbolismus. Hier findet die junge Alli ein Ei im Wald, das immer größer wird, um dann ein Monster schlüpfen zu lassen, dass allerdings andere Ambitionen an den Tag legt wie das Wesen in Aziz‘ Film. Beide allerdings fordern durch visualisierte Ausgeburten den werdenden Erwachsenen dazu auf, zu sich selbst zu stehen. Sie sind die Manifestation einer dunklen, missgestalteten, unidealen Seite. Sie fordern auf, akzeptiert zu werden als das, was sie sind. Als Teil vom Ganzen, ohne dessen eine Persönlichkeit nicht reifen und funktionieren kann. Ziel ist es, diesen Teil anzunehmen, ohne sich von ihm beherrschen zu lassen. Deutlicher lässt sich Psychologie kaum illustrieren. Akiz tut dies behutsam, ohne den Horror zweckzuentfremden oder aus dem Kontext zu reißen. Das Unnatürliche gerät zum Ruhepol einer unruhigen Welt im Umbruch. Carolyn Genzgow geht dabei schauspielerisch durchaus an verantwortungsbewusst gesteckte Grenzen, scheint unter Akiz‘ Regie eine Odyssee zu meistern, die sich viel mehr vom Sarkasmus in Hatching entfernt, dafür aber gerne die Rolle des Elliott in E.T. übernehmen würde, der durch die Skills des Außerirdischen per Fahrrad allen entkommt, die dieser Einheit schaden wollen. Letzten Endes wird Der Nachtmahr zum komplexen Märchen eines befreienden Statements, welches jede und jeder irgendwann in seinem Leben in die Welt schreien sollte.

Der Nachtmahr

Nope

AM ENDE DER NAHRUNGSKETTE

8,5/10


nope© 2022 Universal Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: JORDAN PEELE

CAST: DANIEL KALUUYA, KEKE PALMER, STEVEN YEUN, BRANDON PEREA, MICHAEL WINCOTT, WRENN SCHMIDT, KEITH DAVID U. A.

LÄNGE: 2 STD 10 MIN


Das relevante Kino der Gegenwart bekennt sich längst zur Aufgabe, um die Ecke zu denken, gewohnte Blickwinkel abzubauen und woanders neu zu errichten. Formelhaftigkeit zu unterwandern und allzu bequeme Komfortzonen zu verlassen, die uns als Publikum sonst nur ermüden würden. Das Kino der Gegenwart entfesselt sich gern selbst, wenn es schon andere nicht für ihn tun. Stößt spielerisch vor den Kopf und denkt auch nicht mehr in Genre-Schubladen. Um einige der Vertreterinnen und Vertreter zu nennen: Julia Ducournau zum Beispiel – ihr Film Titane nimmt gerne in Kauf, nicht zu gefallen. Eskil Vogts The Innocents ebenso. Der Rumäne Radu Jude oder der diesjährige abermalige Palme-Gewinner Ruben Östlund irritieren und verstören, haben aber das erkennbare Konzept einer konsequent zu Ende gedachten Theorie unter ihren Film geschoben. Da fällt nichts aus dem Rahmen, obwohl das ganze Werk aus dem Rahmen fällt. Zu dieser – wie ich sie gerne nenne – neuen Avantgarde zählt nun auch mit seinem dritten, selbst verfassten, erdachten und produzierten Autorenfilm, der auf niemanden sonst wirklich angewiesen zu sein scheint, Jordan Peele. Mit Get Out hat er Oscar-Geschichte geschrieben und den Grund für die versöhnliche Integrität von Schwarzen in einer Welt der Weißen herausgefunden. In Wir begegnet eine urlaubende Familie sich selbst – was keine entspannte Zerstreuung bringt.

In Nope, Peeles neuestem Streifen, rudert der kultivierte Mensch der Gegenwart mit den Armen im Wasser, um nicht im Entertainment zu versinken. Als Wesen am Ende der Nahrungskette wird diesem bei all seiner medialen Versumpfung, die gutes Geld verspricht, nur langsam bewusst, dass das arglose Saurauslassen ein Ende haben könnte, da die Beute nicht mehr nur alles andere ist, sondern auch der Mensch selbst. Am Ende der Nahrungskette steht – oder fliegt – etwas ganz neues. Vielleicht ein extraterrestrischer Aggressor wie in Independence Day oder Mars Attacks? Oder vielleicht ist das ganze nur eine initiierte Show in einer Welt voller Shows, die aus dem Präsentieren von sich selbst und anderen gar nicht mehr herauskommt.

In dieser Welt, die anmutet wie das Setting eines modernen Westerns, betreibt Daniel Kaluuya als phlegmatischer Kerl namens OJ eine Ranch für Filmpferde. Das muss er wohl, ob er will oder nicht, denn OJs Vater kam bei einem seltsamen Vorfall ums Leben. Da fielen Dinge vom Himmel, Gegenstände und Bruchstücke, Schlüssel und Münzen. Eines dieser größeren Dinger traf den Vater – OJ ist also auf sich allein gestellt und scheint den Laden ohne seine aufgeweckte Schwester (Keke Palmer) nicht schmeißen zu können. Unweit der Farm gibt es auch noch den ehemaligen Kinderstar Ricky, der das Trauma einer missglückten Schimpansen-Sitcom (Planet der Affen lässt grüßen) immer noch verarbeiten muss und mittlerweile seinen eigenen Vergnügungspark unterhält, mit Shows, die das Leben und die Sicht auf die Dinge verändern sollen. (Detail am Rande: den Affen verkörpert Choreograph Terry Notary, der „Urmensch“ aus Östlundts The Square.) Doch was der Mensch gerne verdrängt – Nope, das mag ich nicht und interessiert mich auch nicht ­– fällt bald aus allen statischen Wolken: eine fliegende Untertasse macht bedrohliche Anstalten, alles in sich aufzusaugen, was bei drei den Blick nicht senkt.

Weiß man schon vorher nicht, welche Richtung Nope gerne einschlagen will, hat man später lediglich die intuitive Wahl, auf einem der Züge aufzuspringen, die da losfahren. Peele zollt nicht nur der Filmgeschichte in Bezug auf schwarze Minderheiten ausführlich Respekt, mit einer kleinen Lehrstunde so ganz nebenbei. Er öffnet überdies seinen Geist und assoziiert vieles, was ihn womöglich Zeit seines Lebens nicht minder beeinflusst hat, um Filmemacher zu werden. Die kreative Ausbeute ähnelt einem Mysterientheater, dass sein Vorspiel in kleinen, suggestiven und irreführenden Szenen absolviert, bevor das Seltsame, Monströse eine Schlagkraft erreicht, die in kurioser visueller wie narrativer Ausgestaltung so manchen sattelfesten Reiter vom Pferd holt. Nope ist ein Film, der sich so entwickelt wie Ravels Bolero, adagio beginnend, um am Ende als crescendo auf Konfrontation zu gehen. In dieser Steigerung liegen aber, wenn man genau hinhört, mehrere autarke Schichten übereinander, die jeweils eigene Situationen schildern und in Summe die Diagnose eines gesellschaftlichen Zustands wiedergeben, der sich in einer gewissen Schicksalsergebenheit darüber äußert, dass der Mensch jene Welt, die ihn umgibt, immer weniger verstehen, geschweige denn interpretieren kann. Nope handelt von Kapitalismus, Ignoranz und Provokation und das überraschende Katapultieren in ein Beuteschema, das wir für uns selbst nicht vorgesehen haben.

Nope ist mitunter furchteinflößend und übermannend, andererseits kauzig und tragikomisch, dann wieder knallbunt und wunderschön. Peele findet Bilder, die man nicht so schnell vergisst. Einen Rhythmus, der in Trance versetzt, lässt man sich darauf ein. Und einen Ton, der als akustischer zweiter Film in den Ohren knackt, dröhnt und surrt. Das Hören ist in Nope genauso wichtig wie das Sehen, beides schafft die komplexe Atmosphäre eines Erlebnisses der Dritten Art, das einst Richard Dreyfus in Spielbergs Klassiker Unheimliche Begegnung der Dritten Art so nachhaltig prägen wird. Peele ist ein Meister der Reduktion – die Kunst des Weglassens und Andeutens hat schon Gareth Edwards in Monsters so gut gekonnt. Peele perfektioniert es und lässt in seiner beängstigenden X-Faktor-Bedrohung das Publikum aus allen Wolken fallen. Am Ende lässt sich der Avantgardist aber zu etwas hinreißen, was ich seinen Helden wohl vorenthalten hätte. Vielleicht nimmt er damit seiner Aussage den Wind aus den aufgeblähten Segeln, doch leicht kann es sein, und der Film will in Wahrheit etwas ganz anderes, als ich annehme. Macht aber nichts – Filme, über die man lange rätseln kann, bleiben auch lange im Gedächtnis. Und sind allein dadurch fast schon genial.

Nope

Viking Vengeance

OH HAUPT VOLL BLUT UND WUNDEN

6,5/10


vikingvengeance© 2018 Indeed Film


LAND / JAHR: USA 2018

BUCH / REGIE: JORDAN DOWNEY

CAST: CHRISTOPHER RYGH, CORA KAUFMAN

LÄNGE: 1 STD 12 MIN


Lass den Kopf nicht hängen! – ein Imperativ, den man gestandenen Monsterjägern mit auf den Weg geben sollte. Doch jeder macht es, wie er möchte. Manche nehmen sich nur den stattliche Eckzahn aus der Kauleiste ihrer erlegten Kreatur, manche legen gleich den ganzen Kadaver vor die Füße ihres gerade regierenden Königs. Dieser Berserker hier hängt sich die Schädel all seiner Auftragsopfer fein säuberlich an die Wand seiner Hütte mitten im Wald, jeweils aufgespießt auf einen Pflock. Dann legt er seine formschöne Rüstung ab und heilt seine Wunden mit einer magischen Mixtur aus Erde, Wurzeln und sonstigem Gemansche. Und wartet. Auf das nächste tönende Halali, wenn es wieder heißt, in den Wald zu gehen und wütenden Besten zu zeigen, wo der Kriegshammer hängt. Nur eine Kreatur ist da nicht darunter: jene, die seine Tochter auf dem Gewissen hat. Also schwört der namenlose Eremit auf ewig Rache. Die er auch bekommt. Dumm nur, dass der Kopf dieses Wesens mit des Wikingers heilender Tinktur in Berührung kommt – und wieder zum Leben erwacht.

Was für eine krude Story. Aber zugegeben: nach dem letzten Met am Ende eines Ritterfests in irgendeiner pittoresken Burg, begleitet von den Klängen der Laute, entstehen angedudelte Ideen, die man nüchtern vielleicht gar nicht in den Kopf bekommt. Aber bitte, ich will hier niemanden der Schnapsidee verdächtigen, wenngleich sich Viking Vengeance so anfühlt. Und das wiederum ist gut so. Es gibt viel zu wenig verrückte Ideen im Kosmos des phantastischen Films, und da freut man sich tatsächlich, einem Kopf-an-Kopf-Rennen wie diesem in einer Mischung aus Neugier und selbst auferlegter Kriegsstimmung, wie sie LARPer allzu gerne aus dem Filzhut zaubern, beizuwohnen. Und wenn sich der namenlose Rächer seinen bis ins kleinste Detail liebevoll in Form gebrachten Lederhelm überstülpt, dann ist ganz offensichtlich, dass die Macher dieses Dark Fantasy-Slashers zumindest beim Kostüm keine Kosten gescheut haben. Was bleibt vom Budget dann noch übrig? Womöglich nicht viel. Den Wald, die Burg aus der Ferne, die gibt’s womöglich kostenlos. Wie aber den übrigen Plot visualisieren, ohne sich selbst in die Trash-Ecke zu drängen? Denn genau das ist Viking Vengeance auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nämlich nicht: Trash. Das war auch Robert Rodriguez‘ El Mariachi nicht, der mit wenigen tausend Dollar inszeniert wurde und der den Mexikaner zur Berühmtheit machte. Das war auch Blair Witch Project nicht – ebenfalls wohlfeil umgesetzt, ohne Darlehen abbezahlen zu müssen. Der Künstler muss nur wissen, wie. Und improvisieren. Eine Challenge, die Jordan Downey auf professionelle Weise besteht.

Viking Vengeance (im Original: The Head Hunter) setzt auf Stimmung und Details – und natürlich auf das Outfit des Kopfjägers. Er setzt auf die bizarre Geschichte aus Horror und mittelalterlicher Phantastik. Er lässt sich von Andrzej Sapkowskis The Witcher genauso inspirieren wie von Prinzessin Fanthagiro – einem trickreichen Mehrteiler aus Italien. Nur hier ist Christopher Rygh allein auf weiter Flur unterwegs, ohne sonstigem höfischem Zinnober. Gut, man giert unweigerlich danach, dem Meister bei der Arbeit zuzusehen, doch außer Gebrüll und dem angestrengten Geächze von irgendwo außerhalb des Bildes bleibt die Action verborgen, und das mit Sicherheit aus Gründen mangelnder Ressourcen. Andererseits aber schafft der Film dadurch eine lakonische Mystery, die im Kopf passiert, und buttert seine Ideen geschickt in den großen Showdown, auf welchen das grimmige Solostück hinarbeitet. Downey macht das Beste draus – und befördert die erdige Groteske spätestens beim verblüffenden Schlusstwist weg von den ausgetretenen Pfaden herkömmlicher Heldenquests rein in den finsteren Forst garstiger Ironie.

Viking Vengeance

The Cleanse

GASSI MIT DEM NEUROSEN-MONSTER

6/10


thecleanse© 2018 Netflix


LAND / JAHR: USA 2016

BUCH / REGIE: BOBBY MILLER

CAST: JOHNNY GALECKI, ANNA FRIEL, ANJELICA HUSTON, OLIVER PLATT, KEVIN J. O’CONNOR, KYLE GALLNER, DIANA BANG U. A.

LÄNGE: 1 STD 21 MIN


Er ist immer und überall mit dabei. Egal, wohin wir gehen, wo wir stehen, und was wir gerade tun: der uns allen wohlbekannte innere Schweinehund. Der Hemmschuh unserer Persönlichkeitsentfaltung, der Knüppel auf dem schütter behaarten Schädel unseres Selbstwertgefühls. Das, was uns runterzieht und depressiv werden lässt. Der Grund, warum wir glauben, nicht so recht zu können wie man wollen würde. Jetzt stellt euch mal vor, es wäre im Rahmen einer Gruppentherapie möglich, dieses obskure, fast schon amorphe Geschöpf aus unserem psychosomatischen Universum so weit zu extrahieren, dass es uns gegenübersitzt. Raunend, wimmernd, einem Häufchen Hundekot gleich, das uns ungefähr so staunend anglotzt wie der am Mond stehende Neil Armstrong, wenn er das Rund der Erde in sich aufnimmt. Sowas passiert wohl niemals wirklich, aber tatsächlich im Independentstreifen The Cleanse, was so viel heißt wie: Die Reinigung.

In dieser von Bobby Miller verfassten und auch inszenierten Fantasykomödie mit einem Schuss Horror und etwas Tragik stößt der sitzengelassene Paul eigentlich durch Zufall – oder wollte es das Schicksal so? – aus der tiefsten Ebene seines seelischen Kellergewölbes auf das Angebot einer Selbsthilfegruppe, die nichts weniger verspricht als eine Art Wiedergeburt ohne nagenden Ballast aus Alltag und vergangenen persönlichen Schicksalen. Paul bewirbt sich und sieht sich bald als Teil einer trauten Runde schräger Vögel, die das Wochenende im Wald verbringen. Die erste Aufgabe im dortigen Camp scheint nicht allzu schwer, denn mit dem Trinken von sechs Gläsern einer ominösen und logischerweise abscheulich schmeckenden Flüssigkeit wäre die Wiese außerdem schon halb gemäht. Was Paul und auch all die anderen Teilnehmer nicht wissen: das jeweils Innere kehrt sich plötzlich nach außen, und schon sitzt es da, das Unding, als erbärmliche Kreatur, die man eigentlich nur liebhaben kann, weil sie ja schließlich so arm aussieht.

Wer würde da wohl besser in die Rolle des sympathischen, intellektuellen Losers hineinfinden als Big Bang Theory-Frontman Johnny Galecki, den die Kinder der Neunziger bereits aus Roseanne kennen und der die blonde Penny dann doch noch erobert hat. Die Frage, was der kauzige Nerd denn damals so nebenher fabriziert hat, lässt sich mit The Cleanse aber nur zum Teil beantworten – was er jetzt wohl am Start hat, steht auf einem anderen Blatt Papier. Zumindest hier, in diesem kleinen, metaphorischen Psycho-Seminar, ist er der ungelenke Mittdreißiger, wie wir ihn alle kennen, mit Hang zum Staunen und der Kunst, angesichts paranormaler Umstände charmant zu improvisieren. Die kleinen dicken Mönsterchens mit Haaransatz und Kummermiene sind wirklich zum Erbarmen, doch es wäre nicht das Schwarze der eigenen Seele, würde der erste Eindruck nicht täuschen. Und so verbindet Miller seine originelle Idee mit Lagerromantik und Sozialschmarrn, lässt selten gesehene Stars wie Anjelica Huston oder Oliver Platt aufmarschieren – bringt aber den Funken nicht wirklich zum Überspringen. Das Gefühl, hier hätte der Konflikt mit dem inneren Schweinehund mehr Gewicht haben können, wird man nicht los. So bleibt die nette Monster-Mystery auf seiner Metaebene zwar tadellos nachvollziehbar, dramaturgisch gesehen ist The Cleanse die Katze am Schoß zu Feierabend näher als die Motivation, sich für die Gängelung des eigenen Ungeheuers anzustrengen.

The Cleanse

Spring – Love Is a Monster

DER SCHÖNE UND DAS BIEST

7,5/10


spring_loveisamonster© 2014 Koch Media


LAND / JAHR: USA 2014

REGIE: JUSTIN BENSON, AARON MOORHEAD

BUCH: JUSTIN BENSON

CAST: LOU TAYLOR PUCCI, NADIA HILKER, FRANCESCO CARNELUTTI, JEREMY GARDNER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Die Herren Justin Benson und Aaron Moorhead sollte man sich merken. Wenn man phantastische Filme mag, die abseits von teurem Mainstream verlockend gedankenakrobatische Geschichten erzählen. Da wäre der vor kurzem erschienene Zeitreisethriller Synchronic mit Anthony Mackie und Jamie Dornan: Eine düstere Hommage an Zurück in die Zukunft und wie man mit dem Mysterium Zeit eigentlich sonst noch so umgehen kann. Um dafür eine Droge zu entwickeln – diese Idee lief mir noch nicht über den Screen. Busenfreund Jeremy Gardner hat sich des weiteren vom Stil der beiden kreativen Köpfe inspirieren lassen und mit dem kauzigen Grusel-Kammerspiel After Midnight romantische Partnerschaften und alles was dazugehört auf ein irritierendes, atmosphärisches Level gehoben. Selbstredend haben Benson und Moorhead diesen Streifen produziert – so deutlich und klar trägt After Midnight jenen stilistischen Stempel, der nun auch deutlich vom etwas anderen Liebesfilm Spring – Love is a Monster abzulesen ist. Alle zehn Finger könnten sich Kuratoren diversester Themenfestivals ablecken, um ein Gustostückchen wie dieses zu bekommen.

Der 2014 entstandene Film erzählt im Grunde eine zeitgenössische Liebesgeschichte mit ganz vielen Dialogen, wie wir das bereits von Richard Linklater kennen. Zwei Reisende treffen sich irgendwo in einer für beide fremden Stadt, kommen durch Zufall zusammen, schwafeln den ganzen Abend und die ganze Nacht, lernen sich kennen. Über allem schwebt die Stimmung des herannahenden Frühlings: es ist, als würde sich ein ratloses Leben in neue Bahnen lenken, als würde man finden, was man lange gesucht hat. So ist es doch Julie Delpy und Ethan Hawke ergangen. Zwei Fortsetzungen gab´s, eine besser als die andere. Wenn’s funkt, dann funkt’s. Spring ist auch tatsächlich so, als hätte Linklater Pate gestanden. Zumindest anfangs. Dann fügen Benson und Moorhead aber noch eine anderen Zutat hinzu – ein gewichtiges, geschmacksintensives Mystery-Element. Die Mixtur mundet.

Der Single Evan, joblos und seiner verstorbenen Mutter nachtrauernd, muss dringend sein Leben evaluieren. Was eignet sich dafür nicht besser als eine Auszeit auf ganz anderen Breitengraden, am Besten jenseits des Atlantiks in Europa, in Bella Italia. Als Rucksacktourist streunt er mal mit Anhang, mal solo, durch Stadt und Land – und landet schließlich irgendwo in Apulien. Klar, dass er dort der Liebe auf den ersten Blick begegnet. Und auch die aparte Dame in Rot scheint den Blick zu erwidern. Evan weiß, was er tun muss – er nimmt den Job als Knecht bei einem alten Olivenbauern an, um der geheimnisvollen Frau nahe sein zu können. Aus dieser Begegnung muss mehr werden. Und das wird es auch. Man quatscht, man trinkt, man küsst und liebt sich. Die Chemie stimmt. Die Biologie wohl weniger. Ein Geheimnis, das rosige Zukunftsaussichten für etwas Festes im Keim ersticken könnte.

Wie bei Benson und Moorhead üblich, bleiben die kredenzten Bilder entsättigt und mit zartem Sepiafilter verfremdet. Das alleine erzeugt schon eine ganz eigene Stimmung, wie nicht von dieser Welt. Das Artfremde, Entsetzliche, kommt auf leisen Sohlen, will gar nicht mal erschrecken oder verstören. Es ist Teil einer obskuren Evolution, eine metaphysische Anomalie, die sich gar wissenschaftlich verankert sehen will. Wie bei Synchronic ist auch hier das Durchstoßen universitärer Lehren auf verblüffende Art ein glaubhaft anmutender Umstand. Noch dazu verknüpfen sich geschichtsträchtige Orte wie Pompeij oder der Vesuv mit der erstaunlichen Beschaffenheit einer anomalischen jungen Frau zu einer faszinierenden Legende, die Phänomene wie diese als immer schon mit dieser Welt inhärent betrachtet. Nadia Hilker (u. a. The Walking Dead) und Lou Taylor Pucci (u. a. Evil Dead, 2013) sind ein Traumpaar, fast wie Delpy und Hawke, da gibt´s nichts, was nicht zu glauben wäre. Demnach ist Spring – Love Is a Monster eine sinnliche Romanze, ein aufgeweckter Liebesfilm mit einem triftigen Quäntchen an Monstrosität, ganz so wie es Belle in Die Schöne und das Biest aushalten muss, um ihrer Liebe nahe zu sein. Benson und Moorhead ist ein augenzwinkerndes Horrormärchen gelungen, das, so möchte man meinen, aus den dunklen Kellern von Disneys Traumschloss hätte hervorgeholt werden können. Gut, dass sich ab und an einer dorthin runterwagt.

Spring – Love Is a Monster

The Tomorrow War

DIE ZUKUNFT KOMMT VON DEN STERNEN

6/10


the-tomorrow-war© 2021 Amazon Prime Video


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: CHRIS MCKAY

CAST: CHRIS PRATT, YVONNE STRAHOVSKI, BETTY GILPIN, J. K. SIMMONS, SAM RICHARDSON, EDWIN HODGE U. A. 

LÄNGE: 2 STD 20 MIN


In die Zukunft zu schauen ist ein ambivalenter Umstand. Zum einen meist Humbug, ganz viel Astrologie, und jede Menge Häuser in Konjunktur mit diversen Planeten, die das Glück des Tages bestimmen. Zum anderen ist es durchaus legitim, wenn’s um Dinge wie den Klimawandel geht. Dem Planeten ist das egal, uns aber könnte es bald wegschwemmen, austrocknen oder davonblasen. Zum nochmal anderen gibt’s die Zukunft, die sich kein bisschen abzeichnet, über die sich manche aber dennoch den Kopf zerbrechen. Sorge dich nicht, lebe!, sagte einst schon Dale Carnegie in seinem gleichnamigen Bestseller. Was juckt mich, wenn morgen der Komet kommt? Wenn mir morgen der obligate Ziegelstein auf´s Haupt fällt oder wenn sich Aliens in meine Wade verbeißen? Genau an dieser Stelle wird „Star Lord“ Chris Pratt Einspruch erheben.

In seinem neuen Actionkracher, welchen er stolz und mit Clint Eastwoods kennerhaftem Kneifblick anzuführen vermag, ist es möglich, per Zeitreise für rosige Aussichten zu sorgen. Aber nur, wenn alle bereit sind, für ihr Wohl zu kämpfen. So viel Einsatz würde man gern nach Greta Thunbergs Ansprachen sehen. Doch das Klima ist kein greifbares Monster. Die White Spikes hingegen, die in naher Zukunft ganz plötzlich die Erde überrennen, und anders als in A Quiet Place alle Sinne beieinander haben, sind handfeste Bioinvasoren erster Güte und jagen sich an die Spitze der Nahrungskette, während der Mensch zum Zwischenglied verkommt. Deswegen reisen bis an die Zähne bewaffnete Krieger in die Vergangenheit, um alles, was noch gerade laufen kann, für den Endkampf zu rekrutieren. Teil der zusammengewürfelten Miliz ist Dino-Dompteur Chris Pratt, der zumindest als Ex-Soldat sowas wie Kampferfahrung hat. Klarerweise sieht er sich in der Pflicht, busselt seine Familie zum Abschied und fort ist er – für eine Woche. Vorausgesetzt, er landet nicht am extraterrestrischen Buffet.

Ein bisschen konfus ist dieser Alien-Actioner schon und viel weniger präzise ausformuliert als John Krasinskis Gehör-Knaller. Während ich mich bei letzteren noch ordentlich wundern musste, warum der hochtechnologisierte Mensch es nicht auf die Reihe bekommt, instinktgetriebenen Kreaturen, die noch dazu akustisch leicht zu manipulieren sind, Herr zu werden, erscheint in diesem exklusiv auf amazon veröffentlichten Wohnzimmer-Blockbuster allein die Menge der wütenden Viecher jegliche Strategie im Keim ersticken zu können. Diese Plausibilität kann The Tomorrow War im Gegensatz zu A Quiet Place für sich verbuchen. Was der Film nicht kann, ist, das individuelle Schicksal empfindbar darzustellen. Das liegt in erster Linie an Pratt, dem es sichtlich schwerfällt, Gefühle zu zeigen. Das liegt auch an den stereotypen Charakteren, die wohl eher in den Filmen eines Roland Emmerich zu finden sind: Independence Day mit Zeitreise also, was ja mitunter auch seine als treffsichere Boni zu verortenden Vorzüge hat. Doch sieht man von der Grundidee eines Multiversums mal ab, in dem, wie seit Loki bekannt, alles erlaubt und möglich zu sein scheint, hapert es bei unserem gewissenhaften Helden am Grundverständnis, was kausale Zusammenhänge bei Zeitreisen betrifft. Auf Basis dieses kruden Missverständnisses gerät die Vater-Tochter-Geschichte zum Blindgänger. Rundherum aber ergötzt sich der Science-Fiction- und Monsterfan an wiederholten Großaufnahmen aufgesperrter, geifernder Monstermäuler, garstigen Vierbeinern, die wie in Zhang Yimous The Great Wall die Barrikaden stürmen und am Verheizen sowieso totgeweihter Erdenbürger als astreines Kanonenfutter. Etwas zynisch, dieser Krieg. Wobei – das sind sie sowieso alle.

The Tomorrow War

A Quiet Place 2

ALLE MAL HERHÖREN!

7,5/10


aquietplace2© 2020 Paramount


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: JOHN KRASINSKI

CAST: EMILY BLUNT, MILLICENT SIMMONDS, NOAH JUPE, CILIAN MURPHY, DJIMON HOUNSOU U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Selten haben wir Menschen so sehr etwas nicht im Griff gehabt. Und damit meine ich nicht unser Virendilemma in der für uns allen synchronisierten Wirklichkeit. Da scheint es zumindest in einigen Teilen der Welt langsam bergauf zu gehen. So wirklich am Allerwertesten ist Homo Sapiens diesmal nicht wegen mikroskopisch kleiner Lebewesen, sondern aufgrund raumfüllender, bissfreudiger und höchst gelenkiger Akrobaten. Raubtiere from Outer Space, soviel wird zu Beginn des Sequels zu A Quiet Place sofort klar. Diese Dinger landen überall auf der Welt. Doch wie konnte das nur passieren, dass wir diesen animalische Riesen, die weder über irgendeine Art Technologie verfügen noch in ihrem Instinktverhalten schwer zu durchschauen sind, einen ganzen Planeten überlassen? Angesichts hoch aufgerüsteter Staaten, forschenden Koryphäen und einem gesunden Menschenverstand wären die blinden Wüteriche, die sicherlich irgendwie mit Venom verwandt sein müssen, als Plage sehr schnell vom Angesicht dieser Erde getilgt. Die Welt, so scheint es, dürfte aber so einiges verschlafen haben, vielleicht waren auch zu viele Lobbies darin involviert, zu viele Begehrlichkeiten, die alle Seiten in der Umsetzung ihrer Strategien gehemmt haben.

Hätte die Menschheit nur halb so viel Vernichtungsfreude an den Tag gelegt wie bei einigen unserer ausgerotteten und unwiederbringlichen Tierarten, gäbe es kein Quiet Place. Wenn überhaupt, dann nur einen Sommer lang. Auf dieser hinterfragungswürdigen Basis errichtet Joseph Krasinski voller Elan das Da Capo zu einem sehr erfolgreichen Kinokassenschlager. Die bewährten Zutaten sind abermals ein kleiner, überschaubarer Plot und ein spezieller Kniff: Die Aliens können nicht sehen, aber verdammt gut hören. Wie Hunde eben. Nach dem Prolog macht der Film genau da weiter, wo das Original zuletzt geendet hat. Mutter Emily Blunt streift mit ihren drei Kindern barfuß durchs Land (Wie wär’s mit Sneakers?). Wohin, ist nicht klar. Kurze Zeit später entdecken sie einen alten Bekannten wieder. Der hat sich aber stark verändert, nicht nur optisch. Auch sein Charakter gleicht dem eines einsamen Mad Max, der sich in einer alten Fabrik verschanzt hat. Hilfe ist von ihm erstmals keine zu erwarten. Angesichts dieser Umstände muss Töchterchen Regan (tough: Millicent Simmonds) die Sache allein in die Hand nehmen, hat sie doch die Position des einzigen noch aktiven Radiosenders lokalisiert, der sichere Zuflucht verheißen könnte – und gar nicht mal so weit weg liegt.

Obwohl ich den ratlosen Protagonisten in A Quiet Place 2 händeringend das Offensichtliche begreifbar machen möchte, ist es letzten Endes ein jauchzendes Vergnügen, wenn endlich der Groschen fällt. Bis es so weit kommt, macht John Krasinski auch schon im Vorfeld vieles richtig. Und vielleicht gelingt ihm dabei sogar mehr als bei seinem Erstling. Das Spiel mit der Stille, kombiniert mit den knackenden Geräuschen der Aliens, bietet Breitseiten für kreatives Austoben. Der Suspense mag vorhersehbar sein, die Intermezzi und die listigen Duelle mit den Kreaturen erinnern frappant an die schönsten Begegnungen mit Ridley Scotts Xenomorph. Krasinskis staksende Wesen punkten nebst ihrer schaurigen Wertigkeit als absolute Hingucker mit  durchdachtem Creature-Design und kommen diesmal auch mehr zur Geltung. Dabei sind sie wie in Alien immer Teil ihrer Umwelt, verschmelzen mit Maschinen, werfen expressionistische Schatten. Klassisches Monsterkino.

Auch wenn Emily Blunt und Co und überhaupt die ganze Menschheit hier lange nicht eins und eins zusammenzählen können – versöhnlich stimmt, dass Krasinski leeren dramaturgischen Floskeln aus dem Weg geht. Sein Finale ist überdies grandios gelungen. Dicht, flott geschnitten und mit stimmigem Score hinterlegt. Das knappe und gleichermaßen sehr elegante Ende macht manch Fragwürdiges wieder gut, ist knackig und hat Understatement. Meines Erachtens nach wäre die Geschichte rund um eine Bioinvasion wie diese somit punktgenau auserzählt. Ein weiterer Teil könnte den Eindruck erwecken, lediglich die Kuh – oder das Monster – melken zu wollen. Das könnte zur Folge haben, dass keiner mehr hinhören will.

A Quiet Place 2

Shadow in the Cloud

DAS MONSTER KRIEGT DEN FENSTERPLATZ

5,5/10


ShadowInTheCloud© 2021 capelight pictures


LAND / JAHR: NEUSEELAND, USA 2020

BUCH / REGIE: ROSEANNE LIANG

CAST: CHLOË GRACE MORETZ, TAYLOR JOHN SMITH, CALLAN MULVEY, BEULAH KOALE, NICK ROBINSON, BYRON COLL U. A. 

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Sind zu Weihnachten alle Kekse weg, dann war das sicher die Weihnachtsmaus. Fällt in der Werkstatt das Werkzeug vom Tisch, war das bestimmt der Pumuckl. Sind im Bomber aber die Schrauben locker, könnte das gut und gerne ein Gremlin gewesen sein. Dabei denken viele natürlich sofort an Joe Dantes Mini-Monster-Rumble zur Weihnachtszeit: Niemals nach Mitternacht füttern, und auch nicht baden. So zumindest hießen die goldenen Regeln, um Gizmo nicht mutieren zu lassen. In Shadow in the Cloud braucht es hierfür weder nachmitternächtliche Fütterung noch einen nassen Waschlappen ins Gesicht – dieser Gremlin ist von vornherein schon fies, so groß wie ein Teenager und äußerst gelenkig. Und bleibt in diesem eigenwilligen Kammerspiel über den Wolken lange Zeit ein Mythos.

Von der Idee, Shadow in the Cloud irgendwo unterwegs auf einem mobilen Endgerät oder am helllichten Tag zu sichten, würde ich abraten. Dieser Film ist schwer verliebt in die Dunkelheit. Keine Ahnung, wieso mit dem Einsatz von Licht so dermaßen gegeizt wird. Aber gut, wir haben schließlich Nacht, und während des Pazifikkrieges der 40er Jahre wäre es auch nicht ratsam gewesen, über den Wolken einen auf Festbeleuchtung zu machen. Also bleibt die Ex-Kick Ass-Queen Chloë Grace Moretz im Halbdunkel des neuseeländischen Flughafens von Auckland gerade noch zu erkennen. Maude, eine Militärpilotin, ist auf geheimer Mission unterwegs und muss den Flieger – oder besser gesagt: den Bomber – nach Samoa erwischen. Eine ominöse Ledertasche ist mit dabei. Von ihrem Überraschungsgast samt Umhänge-Artefakt, das sich anfühlt wie ein MacGuffin, weiß die Crew allerdings nichts – und begegnet ihr relativ schlecht gelaunt, wenn nicht gar hochgradig frauenfeindlich. Macht nichts, nur weg, denkt sich Maude, und darf dafür in die Geschützkabine unter den Bauch des Fliegers klettern. Über Funk muss sich die Gute so einiges an verbalem Ungehorsam gefallen lassen – allerdings auch die völlig unerwarteten Attacken des herumgeisternden Gremlins, der dabei ist, den Bomber zu zerlegen, und nebenbei auch unseren Star.

Snakes on a Plane waren gestern – jetzt hat der Kreaturenhorror über den Wolken phantastische Gefilde erreicht. Und setzt aber genau dort zur Notlandung an. Was aus dieser kuriosen Konstellation herauszuholen gewesen wäre, wird von einem ins Flugzeug hineinkonstruierten Vorgeschichte verdrängt. Solche persönlichen Befindlichkeiten wären auf dem Frachter Nostromo fehl am Platz gewesen. In Alien zählte zum Beispiel nur das nackte Überleben. Hier allerdings macht Moretz auf Drama Baby zwischen Fliegeraction und zähnefletschendem Versteckspiel, alles in undeutlichem Zwielicht, und alles zwischen feindlichen japanischen Kampfflugzeugen. Ganz originell hingegen ist jene Strecke des Films, die ausschließlich in der Schützenkanzel spielt. Die eingezwängte Heldin kommuniziert nur per Funk mit den übrigen Passagieren, und dennoch hat man das Gefühl, auch alle anderen Co-Akteure wären physisch präsent. Ein geschickter Kniff, der schon in No Turning Back oder The Guilty außerordentlich gut gelungen war.

Shadow in the Cloud verlässt sich aber zu wenig auf seine eigentliche Büchse der Pandora – auf den Konflikt zwischen legendärem Geschöpf und lederbejacktem Flieger-As. Das hätte schon längst für einen Low Budget-Knüller gereicht. Das Abenteuer aber mit einem recht hanebüchenen Plotgerüst zu versehen, das keiner wirklich braucht, verwässert den sonst rotzfrechen Nachtflug zu einem unentschlossenen, den Gesetzen der Physik trotzenden Mischmasch und vergisst immer wieder beinahe auf den Endgegner.

Die emanzipatorische Metaebene, die ganz allein den weiblichen Helden der Lüfte gehört, hätte ich allerdings auch nicht weggelassen. Und überhaupt: Frauen werden mit Monstern einfach besser fertig. Das fetzt. Davon kann Ripley mit Pilotin Maude gerne ein Liedchen singen.

Shadow in the Cloud