Nosferatu – Phantom der Nacht (1979)

JAMMERN NACH BLUT

6/10


nosferatu© 1979 20th Century Fox


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 1979

REGIE / DREHBUCH: WERNER HERZOG

CAST: KLAUS KINSKI, ISABELLE ADJANI, BRUNO GANZ, ROLAND TOPOR, WALTER LADENGAST, DAN VAN HUSEN, JAN GROTH, CARSTEN BODINUS, MARTJE GROHMANN, RIJK DE GOOYER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Er war Werner Herzogs liebster Feind, er war cholerisch, polemisch und unberechenbar: Das Enfant Terrible Klaus Kinski, Gesamtkunstwerk und menschlicher Aktionismus, Fitzcarraldo oder der Zorn Gottes, und letztlich auch die kultigste Grusel-Ikone schlechthin: Nosferatu. Ob er den Untoten mit dem Wahnsinnigen besetzt, ich denke, dafür hat Werner Herzog nicht lange überlegen brauchen. Seine unverwechselbare Gesichtsphysiognomie mit den hervortretenden Augen, diese immer am Rande des Überschnappens befindliche Fistelstimme, mit welcher sehr gerne andere beleidigt wurden – da brauchte es gar nicht mal so viel Zeit in der Maske. Ein kahler Kopf, dunkle Augenringe und die spitzen Schneidezähne, die natürlich an Max Schreck erinnern sollen, an jenen aus Friedrich Wilhelm Murnaus Original aus der Stummfilmzeit, von dem man gerne behauptet, er sei tatsächlich ein Vampir gewesen. Dieses gespenstische Gerücht fand gar seine Manifestation in der Making Of- Mystery Shadow of the Vampire mit John Malkovich und Willem Dafoe als undurchsichtigen Akteur mit dem Hang zu Verhaltensmustern, die nur den blutliebenden Untoten zuzuschreiben gewesen wären.

Vielleicht war Klaus Kinski gar nicht mal wirklich so. Vielleicht fand er einfach nur Gefallen daran, sich selbst als Set-, Party- und Bühnenschreck zu verkaufen, weil ihm diese Allüren so wahnsinnig gut von der Hand gingen. Lange lässt sich so ein abnormes Verhalten gar nicht aufrechterhalten, was das alles für Energie und Mühe kostet, wegen jeder Kleinigkeit so dermaßen in den Saft zu gehen. Als Nosferatu musste er all diese Eskapaden zurückschrauben, denn da war er der immer müde, jammernde, chronisch unglückliche Herr der Finsternis, der aus dem Schatten tritt und dem Seufzen der ewig Lebenden zu neuer Ausdauer verhalf. Als kraftlos Sehnsüchtigen setzt Herzog dem transsilvanischen Fürsten ein farbenfrohes Siebzigerjahre-Denkmal, ohne aber die Ikone neu zu definieren. Das machen sehr viel später andere, darunter Claes Bang als klassisch-diabolischer Dracula, die durch einen dramaturgisch freigeistigen Kniff ins Informationszeitalter katapultiert wird. Bei Herzog war das noch nicht der Fall. Sein Remake orientiert sich doch recht stark an Murnaus ewigen Klassiker, das Expressionistische kommt dabei aber abhanden. Was nun dominiert, ist viel mehr postmoderner Gothic-Grusel, in dem die Gondeln Trauer tragen und die Nächte seltsam erleuchtet sind, als gäbe es keine lichtstarken Kameras. Dieser Retro-Charme hat etwas für sich, auch die herbstkalte Schauerromantik weiß zu überzeugen. Was man aber letztlich kaum für möglich gehalten hätte, ist, dass Klaus Kinski, so sehr in seiner Rolle als bissfester Jammerlappen verfangen, fast schon zur unfreiwilligen Karikatur einer Schreckensgestalt gerät, während die blutjunge Isabelle Adjani wirklich allen in diesem Reigen aus Verlangen, Furcht und Psychose die Show stiehlt – sieht man von Roland Topors geistig völlig zerrütteter Renfield-Interpretation ab, die mit ihrem gespenstisch grotesken Lachen in die Abgründe kosmischen Horrors à la Poe schielt. Doch Adjanis völlig entrückte Wahrnehmung der Welt, ihre den gesellschaftlichen Dogmen des neunzehnten Jahrhunderts unterworfenen Manierismen, ihr langsamer Verfall in die Umnachtung, ausgestattet mit weit aufgerissenen Augen und einem verschreckten Antlitz, das den Stummfilmgrößen ihrer Zeit um nichts nachsteht, sondern ganz im Gegenteil, diese fast vorgestrig erscheinen lässt , verkörpert im Grunde genommen den eigentlichen Schrecken einer dem Metaphysischen ausgelieferten Seele, die wie die weiße Frau in der Megaklaue des King Kong nur noch hilflos wimmern kann und auf die Gunst des Monsters angewiesen ist.

Das Monster, in diesem Fall Kinski, lässt sich von seiner Sehnsucht und dem Selbstmitleid, als untote Kreatur ewig zu leben, so sehr übermannen, dass das Ächzen und Stöhnen letztlich alles ist, was bleibt. Die Optik stimmt, Kinski ist ein Hingucker, und so, wie er die Rolle anlegt, das Zerrbild einer gequälten Seele, die niemals Befriedigung findet. Wäre der Schauspieler nicht so sehr dem in Melancholie ertrinkendem Dandy nachempfunden, hätte sich Nosferatu etwas mehr von seiner geheimnisvollen, unberechenbaren Aura bewahrt, hätte Nosferatu – Phantom der Nacht ein Gothic-Meisterwerk werden können. Herzogs Regie, und den Stil kennt man aus all seinen Dschungel-Abenteuern, verkopft sich gerne in gedankenverlorener Kontemplation, die in der Wiederholung ähnlicher Szenen ihren Ausdruck findet. So ist die Ikonografie des Vampirs und seinem Objekt der Begierde wie ein atmosphärisches Bilderbuch mit verpeilten Längen, ein Seufzen quer über den europäischen Kontinent.

Nosferatu – Phantom der Nacht (1979)

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse

ABENTEUER FILMEMACHEN

6/10

 

heartsofdarkness© 1991 Studiocanal

 

LAND: USA 1991

REGIE: FAX BAHR, GEORGE HICKENLOOPER, ELEANOR COPPOLA

AUFTRETEN: JOHN MILIUS, ELEANOR COPPOLA, FRANCIS FORD COPPOLA, ROBERT DUVALL, LAURENCE FISHBURNE, MARTIN SHEEN, DENNIS HOPPER, GEORGE LUCAS, MARLON BRANDO, SOFIA COPPOLA U. A. 

 

Ist Euch schon mal passiert, dass ein Kinobesuch eine Beziehungskrise nach sich zog? Mir schon. Und zwar mit Apocalypse Now. Denn nicht jeder ist mit dem Stoff im Vorhinein vertraut, vielleicht hätte ich hier etwas vorwarnen oder lieber ein Feel-Good-Movie vorschlagen sollen. Meine Begleitung einem so verstörenden Ritt in die Dunkelheit auszuliefern, noch dazu fast drei Stunden lang, war ja eigentlich eine Zumutung und für einen Filmkenner wie mich vielleicht etwas fahrlässig. Doch im Bewusstsein, das künstlerische Interesse meiner besseren Hälfte mit einem Meisterwerk wie Apocalypse Now exorbitant zu steigern, dafür war ein Film wie dieser meiner damaligen Schlussfolgerung nach gerade richtig. Noch dazu hatten wir es mit der erstmals überarbeiteten Fassung des Werkes zu tun, genauer mit Apocalypse Now Redux, also der Fassung, die neben einigen anderen Szenen auch jene Sequenz in petto hatte, die das gemeinsame Dinner mitten im Dschungel mit französischen Plantagenbesitzern zeigt. Im Kino also volle Dröhnung, und spätestens beim Walkürenritt war bereits klar: So ein Film gehört eigentlich nur ins Kino. Ein Meisterwerk zweifelsohne, und trotz depressiver Stimmungen bei Verlassen des Kinosaals war die Qualität niemals Fokus der Kritik. Unzumutbar für manche war der archaische Wahnsinn, in dem die Odyssee von Hauptmann Willard letzten furchtbaren Endes münden wird. Martin Sheen hat das damals genauso gesehen – und hat ordentlich dafür leiden müssen, um die Sache doch noch zu überstehen. Von diesem und anderen Martyrien, die den Film während seiner Entstehung begleitet haben, erzählt die Making-Of-Doku Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse, die hauptsächlich aus den Mitschnitten von Francis Ford Coppolas Ehefrau Eleanor besteht und reichlich Einblicke hinter die Kulissen eines Projekts gewährt, dass fernab jeder Geborgenheit eines Studios von vornherein und gewollt von unzähligen unkalkulierbaren Faktoren abhängig war.

Was eignet sich aktuell besser für das Home Cinema-Programm als diese eineinhalb stunden Kinogeschichte, anlässlich des 40 Jahre-Jubiläums eines der womöglich besten Filme aller Zeiten, der nun mit einem Final Cut auf die Leinwand gewuchtet wird und weitaus mehr ist als nur ein Antikriegsfilm, sondern eben auch düsteres Abenteuer und ein in Abgründe blickendes Philosophikum zum Thema Bestie Mensch. Je länger man eben in den Abgrund laut Nietzsche blickt, blickt dieser auch in dich hinein – so gesehen in Coppolas Gewaltakt, der auch hinter der Kamera Provokation, Herausforderung und Nervenkitzel sein sollte. Der Pate und Der Pate II waren da schon längst Filmlegende, der schwarzbärtige Maestro steinreich und voller Einfluss. Klar, dass dann die Realisation einer Vision alles bisherige noch mal übertrumpfen muss. Der Zenit des Schaffens schieben wir mal in weite Ferne, muss er sich gedacht haben, gerade dämmert der Morgen, und mit ihm kommt der Geruch von Napalm. Die Dreharbeiten selbst waren also reinstes Abenteuer, und das begann schon bei der Finanzierung der ganzen Sache, die zum Großteil aus Coppolas eigenem Kapital bestand. Selbst das Haus wurde verpfändet, falls die Sache in die Hose gehen sollte. Ein Extremer wie Coppola aber, der mit Spielberg und George Lucas das Handwerk lernte, hat garantiert einen langen Atem, um das Räderwerk zusammenzuhalten. Gut für ihn, niemanden wie Klaus Kinski an Bord gehabt zu haben, denn der hätte das Ganze noch zusätzlich provoziert. Das wissen wir von Werner Herzog und dessen Bericht vom Set zu Fizcarraldo. Gottlob war es nur Marlon Brando, in die Breite gegangener Kultstar am Ego-Trip, und Zugpferd für die letzte halbe Stunde des Films. Da war das meiste Material schon im Kasten, das durch jede Menge Drogen, Alkohol und ausgebüxten inneren Dämonen zu jener Intensität geführt hat, die den Film auch heute noch so unmittelbar machen. Was all den Missbrauch natürlich nicht legitimieren soll, doch wie in Woodstock war auch hier, fernab jeglicher Überwachung, das rabiate Event ein einmaliges Happening.

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse zeigt all das und mehr, führt Gespräche mit Robert Duvall, Drehbuchautor John Milius, George Lucas, Laurence Fishburne und den Coppolas. Zeigt Brando beim Zetern über das Drehbuch, zeigt den Taifun auf den Philippinen genauso wie den Nervenzusammenbruch Martin Sheens in der blutigen Spiegelszene. Macht aber auch klar, dass der Wahnsinn für den Wahnsinn ein hausgemachter war. Einer, der von Coppola kalkuliert, einer der provoziert worden war. Erwartet wurde das Unerwartete, und da ist man als Künstler mittendrin, denn wer will schon nur dabei sein? Und in den Siebzigern, da war Risiko noch etwas, aus dem die Essenz guter Filme geschmiedet werden konnte. Heutzutage gibt es das nicht mehr. Heutzutage werden von den Studios alle Variablen ausgemerzt. Das Risiko aber hat die New Hollywood-Ära so lebendig gemacht. Und von dieser Lebendigkeit zehrt das Kino noch heute. So ist Hearts of Darkness die leider etwas bieder montierte, aber erfahrenswerte Chronik eines lebendigen, grenzgängerischen Drehs aus vergangenen Zeiten, die gar nicht mal so erstaunt oder entsetzt, sondern in Hinblick auf die Zukunft des Kinos die Lust am Abenteuer wehmütig vermissen lässt.

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse