Once upon a Time … in Hollywood

AUS LIEBE ZUM KINO

7,5/10

 

once-upon-a-time-in-hollywood© 2019 Sony Pictures

 

LAND: USA 2019

REGIE: QUENTIN TARANTINO

CAST: LEONARDO DI CAPRIO, BRAD PITT, MARGOT ROBBIE, EMILE HIRSCH, KURT RUSSEL, AL PACINO, DAMIAN LEWIS, BRUCE DERN, DAKOTA FANNING U. A.

 

Die Welt des Films ist eine, deren Möglichkeiten prinzipiell unbegrenzt sind. Es lässt sich alles machen, alles ausprobieren, und damit meine ich jetzt nicht vorrangig die am Computer generierten alternativen Kulissen aus Welten, die über Zeit und Raum erhaben sind. Damit meine ich auch die Möglichkeit, Geschichte zu manipulieren, sie zu verzerren oder ganz anders aussehen zu lassen. Damit meine ich auch, Aggressoren zu bannen oder Schreckliches im Nachhinein zu verspotten. Film schafft Veränderung, wo sich nichts mehr verändern lässt. Und nimmt Rache, wo Rache noch Sinn macht. So wie bei Quentin Tarantino. Denn der in den 60er und 70ern aufgewachsene Sonderling, der macht nämlich genau das: Vergeltung üben. Das hat er schon bei Inglourious Basterds getan, als wohl einziger Filmemacher, der den Mut gehabt hat, ein heikles Thema wie den Nationalsozialismus von ganz anderer Seite anzugehen, nämlich nicht im Sinne von Aufarbeitung und Information, sondern mit dem irren Vorhaben, dieses Trauma zu enttraumatisieren, in dem er die Geschichte einfach soweit verbogen hat, damit etwas völlig anderes entstehen kann. Um damit die in Stein gemeißelte Resignation vor dem Fürchterlichen zu brechen.

Tarantinos neues, entschleunigtes Zeitgemälde ist genau das: ein Film der Brüche. Der Ausbrüche, Umbrüche und der Brüche mit der Wirklichkeit. Die Ausbrüche passieren in seiner so geliebten Welt des Kinos, wo das New Hollywood aus den müde gewordenen, verknöcherten Gesellschaftsbildern in verstaubter Studio-Optik auszubrechen versucht, ganz neue Dinge probiert, den Mut hat, eine gewisse Komfortzone zu verlassen, um Gewohntes, so unbequem es auch sein mag, hinter sich zu lassen. Tarantino scheint diese Energie angesichts der aktuellen Tendenz zum Convenience-Streamingkino schmerzlich zu vermissen. Sein New Hollywood aber isn´t dying, und er betrauert das alte nicht, wie zum Beispiel bei The Artist von Michel Hazanavicius. Er setzt auf die Möglichkeit einer wiederkehrenden Dynamik, die als Figur des Schauspielers Rick Dalton händeringend darum kämpft, den Kopf über Wasser zu halten. Die Umbrüche hingegen manifestieren sich in der Jugendbewegung des Flower Power in einem sonnendurchfluteten Kalifornien, wo überidealisierte Teenie-Hipster prinzipiell mal gegen alles sind und zu überschnappenden Amazonen in Hot Pants und Leinentunika mutieren. Für Tarantino ist diese Bewegung mit so dunklen Wucherungen wie die der Manson-Familie verbunden. Sein Umbruch ist einer, der sich komplett verpeilt.

Den Bruch mit der Wirklichkeit, den leistet sich die tragikomische Szenenrevue, die gerne und schwer greifbar in der Timeline hin und herpendelt, mit dem Erscheinen der beiden fiktiven Gestalten Rick und Cliff. Sie stolpern in ihre Zeit wie exaltierte Stan und Ollies, als wären sie immer schon dagewesen, als hätte man sie nur noch nie wahrgenommen. Mit Leonardo DiCaprio als larmoyanten Darstellungskünstler, den sein Ehrgeiz quält und sein Selbstwert des Öfteren abhandenkommt, hat sich Tarantino einen riesengroßen Gefallen getan, und es war absehbar, dass DiCaprio nach seiner viel zu wenig gewürdigten Performance in Django Unchained diesmal viel mehr zu sagen hat als in The Revenant. Hier tobt sich der Star so dermaßen aus, als hätte er nicht nur seinen Job zu verlieren. Welches Repertoire an inneren Zuständen er da ausrollt, ist von verblüffender Vielseitigkeit und könnte ihm, so vermute ich, einen zweiten Oscar einbringen. Überhaupt spielt er seinen Partner Brad Bitt, der anscheinend verlernt hat, ganz große Gefühle zu empfinden und stets der Beobachter bleibt, mühe- und gnadenlos an die Wand.

Tarantino will mit Once upon a Time… in Hollywood gar keine Geschichte erzählen. Er will sich erinnern, daran was war oder hätte sein können. Und während er sich erinnert, fällt ihm ein, dass er selbst Teil der Filmgeschichte ist, Teil eines Umbruchs Anfang der Neunziger. Und so durchzieht er seine Anekdotensammlung mit allerlei Referenzen an sein eigenes filmisches Oeuvre, von Pulp Fiction bis The Hateful Eight und versteckt mit diebischer Freude unzählige Zitate, die das Ringen des Kinos mit dem hippen Fernsehen süffisant und farbenfroh befeuern. Dazwischen eine Lichtgestalt reinster Unschuld: Margot Robbie als Sharon Tate, einer kindlichen Kaiserin gleich, die im Kino Audienz für das Publikum gewährt. Und es ist ein Kaleidoskop seiner Zeit, ein Experiment der Genugtuung und Verehrung, darüber, dass vieles so kam oder nicht so kam, wie es kommen sollte. Tarantino resigniert nicht vor all dem deterministischen Chaos, doch die Wehmut ist letztendlich groß, und wird nur getröstet durch die Philosophie eines Kinos, das zeitlos bleibt und vieles wieder gut machen kann.

Once upon a Time… in Hollywood ist ein Liebhaberfilm für Filmliebhaber. Da muss man schon Leidenschaft empfinden und mitempfinden. Ein Nerd sein, ein bisschen so wie Tarantino, der in seinen Interviews davon schwärmt, als Handwerker analog zu filmen und alles selber zu schreiben. Für den nichts geht ohne Kino. Denn Tarantino ist Film. Tarantino ohne Film ist nicht vorstellbar. Also freue ich mich jetzt schon auf seinen zehnten, und sicher nicht letzten Streich, der vielleicht ganz andere Wege geht als bisher. Der vielleicht, wie ein Umbruch, all das Alte hinter sich lässt. Vermuten lässt es sich zumindest.

Once upon a Time … in Hollywood

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse

ABENTEUER FILMEMACHEN

6/10

 

heartsofdarkness© 1991 Studiocanal

 

LAND: USA 1991

REGIE: FAX BAHR, GEORGE HICKENLOOPER, ELEANOR COPPOLA

AUFTRETEN: JOHN MILIUS, ELEANOR COPPOLA, FRANCIS FORD COPPOLA, ROBERT DUVALL, LAURENCE FISHBURNE, MARTIN SHEEN, DENNIS HOPPER, GEORGE LUCAS, MARLON BRANDO, SOFIA COPPOLA U. A. 

 

Ist Euch schon mal passiert, dass ein Kinobesuch eine Beziehungskrise nach sich zog? Mir schon. Und zwar mit Apocalypse Now. Denn nicht jeder ist mit dem Stoff im Vorhinein vertraut, vielleicht hätte ich hier etwas vorwarnen oder lieber ein Feel-Good-Movie vorschlagen sollen. Meine Begleitung einem so verstörenden Ritt in die Dunkelheit auszuliefern, noch dazu fast drei Stunden lang, war ja eigentlich eine Zumutung und für einen Filmkenner wie mich vielleicht etwas fahrlässig. Doch im Bewusstsein, das künstlerische Interesse meiner besseren Hälfte mit einem Meisterwerk wie Apocalypse Now exorbitant zu steigern, dafür war ein Film wie dieser meiner damaligen Schlussfolgerung nach gerade richtig. Noch dazu hatten wir es mit der erstmals überarbeiteten Fassung des Werkes zu tun, genauer mit Apocalypse Now Redux, also der Fassung, die neben einigen anderen Szenen auch jene Sequenz in petto hatte, die das gemeinsame Dinner mitten im Dschungel mit französischen Plantagenbesitzern zeigt. Im Kino also volle Dröhnung, und spätestens beim Walkürenritt war bereits klar: So ein Film gehört eigentlich nur ins Kino. Ein Meisterwerk zweifelsohne, und trotz depressiver Stimmungen bei Verlassen des Kinosaals war die Qualität niemals Fokus der Kritik. Unzumutbar für manche war der archaische Wahnsinn, in dem die Odyssee von Hauptmann Willard letzten furchtbaren Endes münden wird. Martin Sheen hat das damals genauso gesehen – und hat ordentlich dafür leiden müssen, um die Sache doch noch zu überstehen. Von diesem und anderen Martyrien, die den Film während seiner Entstehung begleitet haben, erzählt die Making-Of-Doku Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse, die hauptsächlich aus den Mitschnitten von Francis Ford Coppolas Ehefrau Eleanor besteht und reichlich Einblicke hinter die Kulissen eines Projekts gewährt, dass fernab jeder Geborgenheit eines Studios von vornherein und gewollt von unzähligen unkalkulierbaren Faktoren abhängig war.

Was eignet sich aktuell besser für das Home Cinema-Programm als diese eineinhalb stunden Kinogeschichte, anlässlich des 40 Jahre-Jubiläums eines der womöglich besten Filme aller Zeiten, der nun mit einem Final Cut auf die Leinwand gewuchtet wird und weitaus mehr ist als nur ein Antikriegsfilm, sondern eben auch düsteres Abenteuer und ein in Abgründe blickendes Philosophikum zum Thema Bestie Mensch. Je länger man eben in den Abgrund laut Nietzsche blickt, blickt dieser auch in dich hinein – so gesehen in Coppolas Gewaltakt, der auch hinter der Kamera Provokation, Herausforderung und Nervenkitzel sein sollte. Der Pate und Der Pate II waren da schon längst Filmlegende, der schwarzbärtige Maestro steinreich und voller Einfluss. Klar, dass dann die Realisation einer Vision alles bisherige noch mal übertrumpfen muss. Der Zenit des Schaffens schieben wir mal in weite Ferne, muss er sich gedacht haben, gerade dämmert der Morgen, und mit ihm kommt der Geruch von Napalm. Die Dreharbeiten selbst waren also reinstes Abenteuer, und das begann schon bei der Finanzierung der ganzen Sache, die zum Großteil aus Coppolas eigenem Kapital bestand. Selbst das Haus wurde verpfändet, falls die Sache in die Hose gehen sollte. Ein Extremer wie Coppola aber, der mit Spielberg und George Lucas das Handwerk lernte, hat garantiert einen langen Atem, um das Räderwerk zusammenzuhalten. Gut für ihn, niemanden wie Klaus Kinski an Bord gehabt zu haben, denn der hätte das Ganze noch zusätzlich provoziert. Das wissen wir von Werner Herzog und dessen Bericht vom Set zu Fizcarraldo. Gottlob war es nur Marlon Brando, in die Breite gegangener Kultstar am Ego-Trip, und Zugpferd für die letzte halbe Stunde des Films. Da war das meiste Material schon im Kasten, das durch jede Menge Drogen, Alkohol und ausgebüxten inneren Dämonen zu jener Intensität geführt hat, die den Film auch heute noch so unmittelbar machen. Was all den Missbrauch natürlich nicht legitimieren soll, doch wie in Woodstock war auch hier, fernab jeglicher Überwachung, das rabiate Event ein einmaliges Happening.

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse zeigt all das und mehr, führt Gespräche mit Robert Duvall, Drehbuchautor John Milius, George Lucas, Laurence Fishburne und den Coppolas. Zeigt Brando beim Zetern über das Drehbuch, zeigt den Taifun auf den Philippinen genauso wie den Nervenzusammenbruch Martin Sheens in der blutigen Spiegelszene. Macht aber auch klar, dass der Wahnsinn für den Wahnsinn ein hausgemachter war. Einer, der von Coppola kalkuliert, einer der provoziert worden war. Erwartet wurde das Unerwartete, und da ist man als Künstler mittendrin, denn wer will schon nur dabei sein? Und in den Siebzigern, da war Risiko noch etwas, aus dem die Essenz guter Filme geschmiedet werden konnte. Heutzutage gibt es das nicht mehr. Heutzutage werden von den Studios alle Variablen ausgemerzt. Das Risiko aber hat die New Hollywood-Ära so lebendig gemacht. Und von dieser Lebendigkeit zehrt das Kino noch heute. So ist Hearts of Darkness die leider etwas bieder montierte, aber erfahrenswerte Chronik eines lebendigen, grenzgängerischen Drehs aus vergangenen Zeiten, die gar nicht mal so erstaunt oder entsetzt, sondern in Hinblick auf die Zukunft des Kinos die Lust am Abenteuer wehmütig vermissen lässt.

Hearts of Darkness: A Filmmaker´s Apocalypse

Hell or High Water

DIE RÜCKKEHR DES NEW HOLLYWOOD

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hellorhighwater

Es war ungefähr gegen Ende der Sechziger – eine Gruppe junger, aufstrebender Filmkünstler erteilten dem starren Korsett vorangegangener Kinojahrzehnte eine Absage. Angeregt durch die in Frankreich um sich greifende Ära der Nouvelle Vague mit Vorreiter Francois Truffaut, der mit dem urbanen Thriller Außer Atem den Grundstein für einen Paradigmenwechsel gelegt hat, scharten sich die jungen Wilden, wie sie genannt wurden, um den Regiestuhl und gingen darauffolgend mit ihren Werken in die Filmgeschichte ein. Zu diesen jungen Wilden gehörten Steven Spielberg, George Lucas, Stanley Kubrick, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Sidney Lumet, um nur eine Handvoll zu erwähnen. Natürlich, einige von Ihnen sind mittlerweile im Blockbusterkino gelandet. Andere widmen sich nur mehr sehr persönlichen Themen, die sie ungeachtet irgendeines zu erwartenden Einspielergebnisses selbst produzieren können. Doch damals war aller Anfang neu, ungestüm und unbequem. Und vor allem eines – er zeigte das Bild eines Amerika, wie es im Grunde niemand sehen wollte. Frei von Illusionen, fern vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das soziale Ungleichgewicht, das Versinken der amerikanischen Mittelschicht in der Armut, die Verzweiflung und die Lust, auszusteigen und dem System den Rücken zu kehren. Es waren Bilder, die ein Land im Niedergang und gleichzeitig aber auch im Umbruch zeigten. Revolutionäre des Films widmeten sich der kleinen Revolution, der aufmüpfigen Anarchie, die imstande war, aufzuzeigen, das irgendetwas verdammt falsch läuft. 

Jetzt, nach der Amtszeit Barack Obamas, der Finanzkrise 2008 und dem schwindenden Licht der neuen Regierungszeit unter Donald Trump kommen wieder Themen auf den Spielplan, die so gar nicht optimistisch in die Zukunft blicken. Der britische Künstler David Mackenzie (Young Adam, Hallam Foe) lässt in seinem sozialkritischen Neo-Western einen alternden Jeff Bridges mit Hang zur Selbstparodie einem kriminellen Brüderpaar hinterherjagen. Mackenzie schafft es sogar, mit seinem Werk in den Olymp der Oscar-Nominierten für den besten Film des Jahres 2017 einzuziehen. Ein Geheimtipp, der das große Rennen womöglich nicht gewinnen wird, sich aber wie ein Zugeständnis für die Rückkehr des New Hollywood anfühlt. So ähnlich, und mit unverhohlener Liebe zum Genre des nihilistischen Spätwestern, dirigiert Mackenzie einen sehr stimmigen Abgesang auf die Ideale aus einer Zeit, in der Revolverhelden und Outlaws zu Antihelden verklärt wurden. Diese kämpfende Klasse aber, reduziert auf ihr kriminelles Tun, hat an Beliebtheit verloren. Obwohl Mackenzie vieles, aber nicht alles so pessimistisch sieht wie seinerzeit Dennis Hopper in Easy Rider.

Chris Pine und Ben Foster spielen zwei Verlierer, die, von Kindheit an traumatisiert, in ihrem Leben die Arschkarte gezogen haben. Der eine ein Vatermörder, der andere pleite und nicht fähig, seine Familie zu ernähren. Der eine hat nichts mehr zu verlieren, der andere versucht verbissen, dem trostlosen Ist-Zustand eine Wendung zu geben. Umgeben vom staubigen Nirgendwo des Bundesstaates Texas suchen beide nach Genugtuung für ihr verpfuschtes Leben, auf ihren Fersen der Texas Ranger. Das Outlawdrama erinnert stark an Clint Eastwoods Meisterwerk Perfect World, nur ohne Geisel und dem Zynismus des 1993 entstandenen Thrillers. Zynismus gibt es übrigens so gut wie gar nicht in Mackenzie´s atmosphärischem Film, außer einigen Spitzen gegen den sozialen Missstand der Vereinigten Staaten – vor allem wenn Pine und Foster in ihrem Fluchtauto über verlassene Straßen brettern, gesäumt von überdimensionalen Werbeschildern, die Spitzenkredite von den Banken versprechen. Spätestens da wird klar – der amerikanische Traum ist ein schlechter Scherz und wird zum Ding der Unmöglichkeit. Was aber statt Zynismus dominiert, ist die gnädige Melancholie des drohenden Untergangs.

Das karge Kino des ausweglosen Aufstands bekommt mit Hell or High Water ein neues Lebenszeichen – allerdings eines, das mehr zur Vernunft zurückfindet als die radikalen Werke der 70er. Und so manches offenlässt. Amerikanisches Anti-Kino oder halbwildes Roadmovie – je nachdem. Jedenfalls ein Film, der sich für das, was er vorgibt zu sein, versöhnlicher zeigt als erwartet. Ein entidealisierrter Western im Gewand der Gegenwart. Die „perfekte Welt“, sie lässt sich kitten. Zumindest ist es ein Versuch wert.

Hell or High Water