Mein fabelhaftes Verbrechen (2023)

GELEGENHEIT MACHT SCHULDIG

8/10


fabelhaftesverbrechen© 2023 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: MON CRIME

LAND / JAHR: FRANKREICH 2023

DREHBUCH / REGIE: FRANÇOIS OZON

CAST: NADIA TERESZKIEWICZ, REBECCA MARDER, ISABELLE HUPPERT, FABRICE LUCHINI, DANY BOON, ANDRÉ DUSSOLIER, ÉDOUARD SULPICE, FÉLIX LEFEBVRE U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Aber auch gerade deswegen. Eine gute Komödie zeichnet sich dadurch aus, ihren Witz als Folgeerscheinung eines klug konstruierten Drehbuchs mitzubringen. Und nicht dadurch, die Handlung um einige, zwerchfellerschütternde Bonmots herumzubauen. Eine gute Komödie zeichnet sich auch dadurch aus, dem Ensemble die Freiheit zu geben, ihren Figuren dank reichlicher Improvisation und dem Willen zum ex tempore mit nur wenigen charakterlichen Strichen rundum standfeste Auftritte zu bescheren. Wenn Rollen ohne viel Heißem-Brei-Gerede fassbar werden, bleiben ganze Spielwiesen für komödiantische Eskapaden übrig, die vor allem auf den Boulevardbühnen seit jeher und nicht erst seit Maxi und Alfred Böhm, die in ihrer Pension Schöller-Version die ewig Besten bleiben werden, für tosendes Gelächter sorgen.

Die Boulevardbühne auf die Leinwand bringen – das können die Franzosen im Schlaf. In den Sechzigern und Siebzigern war das Jean Girault mit seinem unverwechselbaren Choleriker Louis de Funès. Weniger Bühne und mehr Kino: das waren später Pierre Richard und Gerard Depardieu. Und wie sieht der Spaß in Übersee aus? Für klugen Wortwitz mit Understatement und einer gewissen intellektuellen Noblesse darf immer noch Woody Allen ganz vorne stehen, da kann man über sein Privatleben sagen, was man will: Als Autorenfilmer und Dramatiker sind Leinwand und Bühne gleichermaßen von ihm eingenommen. Was also, wenn man beides kombiniert? Wenn man den situationskomischen Retro-Humor eines „Balduin“ mit den Theaterkomödien eines Woody Allen synergiert? Was dann zutage tritt, könnte der brandneuen Komödie von François Ozon entsprechen, dem wirklich ferner als fern steht, Avantgardist zu sein. Muss er auch nicht. Denn wenn jemand auf derart nostalgische Weise zurückblickt auf das konservativ-humorige Kino vor einem halben Jahrhundert, gleichzeitig aber auch aktuelle gesellschaftliche Agenden mitnimmt, gereicht das sicher nicht zum Nachteil. Ozons Mein fabelhaftes Verbrechen sucht den Urgrund der französischen Komödie und den Esprit der impulsiven Unterhaltungsbühne, hat nichts am Hut mit Filmemacherinnen und Filmemachern, die ihr gewähltes Genre durch sich selbst neu erfinden müssen. Komödie funktioniert rustikal. Dieser Spaß hier ist das beste Beispiel.

Denn gleich von Anfang an, nach den ersten paar Minuten, wird klar, welchen Rhythmus uns Francois Ozon hier mitklopfen lässt: einen straffen. kurz getakteten. Zwischen den dramaturgischen Beats jede Menge Dialog, doch so elegant zugeschliffen, das kein Wort zu viel fällt. Im Zentrum stehen die beiden Freundinnen Madeleine (Nadia Tereszkiewicz), erfolglose Schauspielerin, und Pauline (Rebecca Marder), Anwältin – erstere musste sich eben eines sexuellen Übergriffes ihres potenziellen Produzenten erwehren, kann die Miete nicht zahlen und ist in einen Industrieerben verliebt, dessen geiziger Vater keinen Franc flüssig macht. Da kommt die Gelegenheit, das Leben zu ändern, wie gerufen: Besagter Bühnenkrösus wird tot aufgefunden, Madeleine beansprucht den Mord für sich – denn Notwehr, Frauenrecht und Medien könnten schließlich dazu führen, sich erstens schadlos zu halten und zweitens ganz groß rauszukommen. Der Plan gelingt, doch hat er einen Haken: Bei all dem Rummel um Madeleines Person tritt die echte Mörderin auf den Plan, um einen Teil vom Kuchen für sich zu reklamieren.

Wenn Isabelle Huppert, aufgedonnert wie eine Diva und mit so viel Verve in ihrem Auftreten über die Leinwand fegt, ist das Trio komplett und der Film bereits ganz oben in seinem Unterhaltungswert angekommen. Ozon, der nicht nur eine Vorliebe dafür hat, konservativ anmutende, bewusst naive Komödien so zu entstauben, dass sie immer noch zünden und sich angenehm unprätentiös vor allen möglichen Trends abheben, kann zwar auch tragisch und dramatisch – die Komödie aber ist sein Steckenpferd. Was ihm dabei besonders gelingt: Er verpasst seiner Theater-, Schauspiel- und Krimikomödie nebst all den treffsicher abgeschmeckten Zutaten noch eine ganz schöne Portion Feminismus. Obendrein, als Sahnehäubchen, gibt’s zu Frauenrecht, Gleichberechtigung und korrupter Justiz noch eine gewiefte Stellungnahme zur Täter-Opfer-Umkehr im Falle sexueller Nötigung. Was das heißblütige Komödientrio daraus macht, ist umwerfend. Als galante Begleiter in diesem zutiefst schlagfertigen Spiel agieren Fabrice Luchini, der als brillante Karikatur eines Untersuchungsrichters genauso besticht wie Dany Boon oder André Dussollier, der die Seele eines Louis de Funès tatsächlich wieder auf die Leinwand bringt. Ein Ensemble also, an dem alle scheinbar rein intuitiv an einem Strang ziehen. Chapeau!

Mein fabelhaftes Verbrechen (2023)

Die Schöne und das Biest (2014)

DIE MIT DEM WOLF TANZT

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schönebiest

Wenn es nach den Vereinigten Staaten ginge, dann könnte man getrost auf die internationale Filmwelt verzichten. Ausnahmen würden die Regel bestätigen, vielleicht würde noch Australien oder Großbritannien einfach aufgrund ihrer gemeinsamen Muttersprache mit ins rettende Boot geholt werden – denn alles, was fremdsprachig ist, hat in Übersee – wie sagt man bei uns so schön – einfach kein Leiberl. Zumindest nicht aus wirtschaftlicher Sicht. Denn auf der großen Leinwand Untertitel lesen will dort keiner, und Synchronstudios gibt es dort auch nicht, jedenfalls nicht für fremdsprachige Filme. Für Animationsfilme sehr wohl – Manfred Lehmann, Christian Brückner, Peter Matic und all den anderen Schauspielern sei hierzulande gedankt, dass sie zum Mikro greifen und uns barriereloses Filmvergnügen ermöglichen. Was bleibt also den USA übrig, um sich von Filmen, die sich anderswo phänomenal gut verkaufen, aber nichts mit Englisch am Hut haben, ein Stückchen abzuschneiden? Richtig, sie müssen es nachverfilmen. Selber Stoff, selbe Charaktere, fast schon kopiert. Daher all die ganzen Remakes, deren Sinnhaftigkeit in Europa keiner versteht. Die Produktionsfirmen aus Hollywood wollen mitverdienen – und zahlen vorab schon mal genug Geld, um die Rechte zu kassieren und dann das Einspiel bereits als gemähte Wiese anzusehen. Denn erprobt ist das Rezept ja schon.

Demnach ist die eben im Kino angelaufene Realverfilmung des romantischen französischen Märchens aus dem Rokoko eine im Grunde genommen genauso redundante Produktion, hat doch Pakt der Wölfe-Regisseur Christophe Gans bereits 2014 die Geschichte rund um die schöne Händlerstochter, die mit dem Wolf tanzt, formschön, opulent und knisternd ins Szene gesetzt. Ganz so, wie man es von einem Märchen erwartet, das eine alte Geschichte erzählt und mit neuesten technischen Mitteln eine Wunderwelt illustriert, die fast schon an Tim Burton´s Alice im Wunderland erinnert. Aber nur fast, da ist noch ein gutes Stückchen französisches Kolorit versteckt, allein schon aufgrund der erlesenen Besetzung, angefangen von der hinreißend sinnlichen Lea Seydoux über André Dussolier bis hin zu Vincent Cassel, der auch mal keinen sinistren Macho spielen kann, sondern einen geläuterten Prinzen, dem das Unglück und der Fluch, der sein Reich heimgesucht hat, auf seinen vorerst pelzigen Schultern lastet. Und wer genau hinsieht, kann die deutsche Sängerin Yvonne Catterfeld entdecken – als aparte Schönheit in den erzählerischen Rückblenden rund um die goldene Hirschkuh. Christophe Gans lässt nichts aus – behutsam und detailverliebt nähert er sich dem mehrere hundert Jahre alten Stoff, bereinigt ihn von all den verniedlichenden Disney-Elementen und findet zielsicher in das Grimm’sche Zeitalter des Märchenerzählens zurück, das sich vorwiegend in der kulturellen Epoche der Romantik wiedergefunden hat. Genauso ist Die Schöne und das Biest geworden – mit verwunschenen Schlössern, verzauberten Lichtungen im Wald, jeder Menge Rosen und fluchbefreiender Küsse. Und selbst wenn die Dancing Stars Seydoux und Cassel das königliche Parkett erobern, verkommt dies nicht, wie bei Musicals so oft, zum Selbstzweck, sondern bleibt Teil der Erzählung. Ach ja, Musical – diese Verfilmung hier hat mit dem Genre der singenden Emotionen nichts zu tun. Disney´s Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1994 hingegen schon – und die Realverfilmung desselbigen mit Emma Watson nimmt sich da nicht aus. Doch mir als verhaltener Liebhaber des filmischen Musiktheaters ist die greifbarere französische Version, die sich in den USA womöglich keiner angesehen hat, lieber. Klar, gegen Ende übertreibt Christophe Gans seinen Mut zum visuellen Blockbusterkino für Europäer, aber solange es gut gemacht ist, freut man sich, wenn gigantische Steinfiguren den Bösewichtern nach dem Leben trachten. Das hat was von High Fantasy, wohingegen quasselnde Kerzenleuchter und Uhren aus der Mickey-Fraktion eher zu den Fieberträumen eines Antiquitätenhändlers passen.

La Belle et La bete – wie es im Original heißt – ist gut besetztes, aufwändiges Märchenkino für Nostalgiker, Romantiker und Freunde europäischen Kinos. Und ein Beweis mehr, dass es auch ohne Hollywood gehen kann. Aber diesen braucht die Filmwelt Frankreichs ohnehin nicht.

Die Schöne und das Biest (2014)